Wirtschaft | Interview

„Ein großes Gemeinschaftsprojekt“

Die Nachhaltigkeitsbeauftragte des Bauernbundes, Marianne Kuntz, über seine Nachhaltigkeitsstrategie und die Einsparpotentiale für Treibhausgase in der Landwirtschaft.
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Foto: SBB
Marianne Kuntz ist seit November letzten Jahres die Leiterin der neu geschaffenen Stabstelle Nachhaltigkeit beim Südtiroler Bauernbund (SBB). Zuvor war sie für vier Jahre Projektleiterin in der SBB-Abteilung Innovation & Energie. Kuntz studierte biologische Landwirtschaft und beschäftigte sich in ihrem Doktorat mit der Speicherung von Kohlenstoff und Stickstoff in Ackerböden.
Wir möchten die Möglichkeit schaffen, dass jeder Betrieb, der möchte, seine Treibhausgasbilanz berechnen kann.
salto.bz: Welche Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt der Südtiroler Bauernbund?
 
Marianne Kuntz: Die nennt sich ‚Nachhaltige Landwirtschaft. Leitsätze und Leuchttürme‘. Das Konzept wurde in den letzten eineinhalb Jahren ausgearbeitet. Es ist ein großes Gemeinschaftsprojekt zwischen den großen Landwirtschaftssektoren, dem Sennereiverband, dem Apfelkonsortium und dem Weinkonsortium und den Forschungspartnern Freie Universität Bozen, Eurac Research und Versuchszentrum Laimburg. Zudem waren die Beratungsringe für Berglandwirtschaft und für Obst- und Weinbau sowie der Bioland-Verband und das Ressort für Landwirtschaft der Provinz in der Konzeptentwicklung beteiligt. Aus diesem Prozess sind sechs Leitsätze resultiert, welche die soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft abdecken. Der zweite Teil der Nachhaltigkeitsstrategie sind acht Leuchtturmprojekte, die gemeinsam bearbeitet werden.
 
 
Wie gehen die Landwirtschaftssektoren in Südtirol selbst das Thema Nachhaltigkeit an?
 
Der Obst-, Weinbau und die Milchwirtschaft haben auch selbst Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt. Diese ähneln sich teilweise in ihren Zielsetzungen, etwa bei Biodiversität und Klimaschutz. Wir möchten die Möglichkeit schaffen, dass jeder Betrieb, der möchte, seine Treibhausgasbilanz berechnen kann. Diese liefern dann die Datengrundlage für die Klimabilanz der einzelnen Sektoren und daraus können Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden. Andere Zielsetzungen sind wiederum sektorspezifisch, beispielsweise hat sich der Weinbau zum Ziel gesetzt, ab 2023 auf Herbizide zu verzichten.
Hier wollen wir die Repräsentanz von Frauen und jungen Menschen in Funktionärsgremien des Verbandes erhöhen.
Die Nachhaltigkeitsstrategie des Bauernbundes ist nur für Mitglieder, oder?
 
Sie richtet sich eigentlich an die gesamte Gesellschaft, aber natürlich speziell an die Landwirtschaft. Und die allermeisten Landwirt:innen in Südtirol sind Mitglieder beim Bauernbund. Unser Leuchtturm-Projekt ‚Musterregion Vielfalt & Nachhaltigkeit‘ soll für mehr regionale Wertschöpfung sorgen und lokale Kreisläufe stärken, das betrifft dann nicht nur Produzent:innen sondern auch Verbraucher:innen.
 
Welche Aufgaben haben Sie als Leiterin der Stabstelle Nachhaltigkeit?
 
Ich treibe die acht Leuchtturmprojekte voran. Bei einem der Projekte geht es um die Chancengleichheit in der Landwirtschaft, einem sozialen Aspekt der Nachhaltigkeit. Hier wollen wir die Repräsentanz von Frauen und jungen Menschen in Funktionärsgremien des Verbandes erhöhen. Ungefähr 16 Prozent der Betriebsleiter:innen sind Frauen, aber nur zwei Prozent sind in der Funktionärsebene vertreten. Ein anderes Projekt betrifft die Erstellung eines CO2-Rechners. Dieses freiwillige Angebot sollen dann möglichst viele Betriebe nutzen. Dadurch wird ersichtlich, in welchen Bereichen am Betrieb Emissionen anfallen und wo Emissionen gesenkt werden können. In der Biomasse sind beispielsweise viele Emissionen gebunden.
Im Weinbau verursacht die Einwegflasche den meisten CO₂-Verbrauch.
Wie wird der CO2- Rechner funktionieren?
 
Da greifen wir auf bereits bestehende Datensätze zurück, die möglichst aus dem Alpenraum und der kleinstrukturierten Landwirtschaft stammen. Etwa im Sektor Apfel hat Professor Massimo Tagliavini der Universität Bozen sehr detaillierte Studien zum CO2-Fußabdruck durchgeführt. Sein Forschungsteam hat dabei nicht nur die CO2-Bilanz einer Südtiroler Apfelwiese erstellt, sondern auch die Emissionen der vor- und nachgelagerten Prozesse miteinbezogen.
 
 
Wo hat die Südtiroler Landwirtschaft aus Ihrer Perspektive das größte Potential, Treibhausgase einzusparen?
 
Eine Masterarbeit an der Eurac hatte sich kürzlich damit beschäftigt. Wir kennen daher die größten Quellen in den Landwirtschaftssektoren. Im Weinbau verursacht die Einwegflasche den meisten CO2-Verbrauch, daher fällt die nachgelagerte Verpackung mehr ins Gewicht. Beim Apfel hingegen fällt beim Prozess der Lagerung (im Kühlhaus, Anmerkung d.R.) sehr viel CO2 an, wenn die verbrauchte Energie nicht erneuerbar ist. Bei der Milchwirtschaft verursachen die Kühe selbst mit dem Methanausstoß die meisten Treibhausgase. Allerdings haben hier die Betriebe andere Stellschrauben, um ihre Treibhausgase zu senken, etwa beim Wirtschaftsdünger (Gülle und Stallmist aus der Viehwirtschaft, Anmerkung d. R.) oder beim Kraftfutter.
 
Wie beurteilen Sie die Südtiroler Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Regionen bezüglich Nachhaltigkeit?
 
In Südtirol ist Weidewirtschaft bei vielen Betrieben bereits Standard. Die Mehrheit der Obst- und Weinbaubetriebe betreiben die integrierte Landwirtschaft. Wir sind im Vergleich zu anderen Regionen also schon sehr gut – was nicht heißt, dass es nicht Potenzial für Verbesserungen gibt!
 
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alfred frei Mi., 15.06.2022 - 10:35

........ ein neuntes Leuchtturmprojekt könnte sein: die Auswirkungen der Nachhaltigkeitsstrategien (-Risiken) in der Südtiroler Landwirtschaft auf die Absatzmärkte, bzw. "CO2-Fußabdrücke und Gewinnabsichten".

Mi., 15.06.2022 - 10:35 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher Mi., 15.06.2022 - 11:54

Bis auf den letzten Absatz kann man mit den Aussagen einverstanden sein. Der letzte Absatz ist pure Schönfärberei, die in Südtirol so verpreitet ist!

Mi., 15.06.2022 - 11:54 Permalink
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Johannes Engl Mi., 15.06.2022 - 14:23

Der letzte Beruhigungssatz ist absolut unpassend. Es sind ab sofort ABSOLUTE Klimaschutzziele zu erreichen. Der Vergleich mit 'anderen Regionen' ist komplett unerheblich und trübt die Sinne und verleitet zu Schönfärberei. Irgendwelche Regionen, die schlechter da stehen, findet man immer . Wenn schon Vergleiche gemacht werden, dann sollte man sich an den exzellentesten Regionen orientieren.

Mi., 15.06.2022 - 14:23 Permalink
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Laurin Kofler Fr., 17.06.2022 - 13:45

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Das wird er schon, keine Sorge. Bei den Benzinpreisen spielt er ja auch mit.
Es gäbe auch genug Instrumente, dies etwas zu lenken. Z.B. in der Wahrnehmung, nämlich nicht wie bisher biologisch und/oder nachhaltig erzeugte Produkte als solche zu kennzeichnen, sondern umgekehrt.

Fr., 17.06.2022 - 13:45 Permalink
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Klemens Riegler Fr., 17.06.2022 - 19:05

Zum Foto mit der großen Blumenwiese; passt es hier zu diesem Thema? oder wäre ein Foto auf einer echten Almwiese vielleicht doch besser gewesen. Ich bin ja kein Heuspezialist, aber das sieht mir doch eher nach ordentlicher Überdüngung aus.
Prinzipiell ist jede ernst gemeinte Initiative, jedes Projekt und jeder "Leuchtturm" freilich voll zu unterstützen. Wir müssen sogar sehr dankbar dafür sein. Speziell wenn sie Wurzeln schlagen.

Fr., 17.06.2022 - 19:05 Permalink
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Profil für Benutzer Dietmar Nußbaumer
Dietmar Nußbaumer Fr., 17.06.2022 - 21:56

Wer selbst einen Garten hat und den versucht ohne viel Chemie zu bewirtschaften weiß, dass es nahezu unmöglich ist, so perfektes Obst und Gemüse zu züchten, wie man es im Handel bekommt. Dabei wäre weniger perfektes Obst und Gemüse durchaus auch essbar und würde Chemie und Wasser und Arbeit sparen. Die Produktion wäre billiger und diese Differenz könnte an den Verbraucher weitergegeben werden, der Bauer würde dabei gleich viel verdienen. In meinen Augen der einzige nachhaltige Weg.

Fr., 17.06.2022 - 21:56 Permalink
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Ludwig Gruber Mo., 20.06.2022 - 06:56

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Ergänzend müsste man verstehen, dass auch die industrielle Landwirtschaft nicht automatisch marktgerechtere Qualitäten hervorbringt. In der intensiv bewirtschafteten Obstanlage bleiben ebenfalls viele Früchte liegen und landen nicht im Regal. Große Mengen ermöglichen jedoch eine scharfe Sortierung. Das gilt für Obst, Gemüse, Holz, ... bis zum Südtiroler Speck (nur industrielle Schlachthöfe haben LKW-Weise Karree-Stücke in genormten Größen). Wer selbst Früchte produziert, Wald bewirtschaftet oder eben Tiere schlachtet, weiß, dass größere Unterschiede normal sind.
In Summe verschwendet der moderne Markt bis zu 50% der Erzeugnisse (einschließlich der Entsorgung nach dem letzten Kauf eines Produktes).

Mo., 20.06.2022 - 06:56 Permalink
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Profil für Benutzer Ludwig Gruber
Ludwig Gruber Mo., 20.06.2022 - 06:28

Dass im Weinbau ab 2023 auf Herbizide verzichtet werden soll, halte ich für einen Schreibfehler. Oder, was der Haltung seit den 80ern entsprechen würde: eine einzelne Einschränkung soll besonders ambitioniert klingen.
In Wahrheit ist es kaum machbar, dass die konventionelle Landwirtschaft wesentliche Fortschritte erreicht, wenn es um eine nachhaltigere Wirtschaftsweise geht. Weil der Preis im Wettbewerb das stärkste Argument ist und alle anderen Parameter nicht standardisiert sind. Deshalb werden einzelne Segmente, wie eine CO2-Bilanz, besonders hoch aufgehängt und ich vermute, dass die Zahlen dann breit getreten werden, wenn Mitbewerber in einer Disziplin schlechter dastünden. Dabei sind es so viele Parameter, die die Nachhaltigkeit von Betrieben ergeben.
Der Bauernbund als Organisation kann nicht anders, weil die Linie von den am intensivsten wirtschaftenden Betrieben bestimmt werden muss.

Mo., 20.06.2022 - 06:28 Permalink