Gesellschaft | Charakterköpfe

Vater der Südtirol-Autonomie

Als Regierungschef war er kein Macher. Silvius Magnago, die bedeutendste Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts in Südtirol.
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Foto: Othmar Seehauser/Zucco.inc
Als im Mai 1945 der 2. Weltkrieg zu Ende war, stellte sich für Südtirol die Frage, wie es nach dem Untergang der Diktaturen in Nord und Süd weitergehen sollte. Italienischerseits setzte ein Prozess der Re-Italienisierung ein, der Historiker Rolf Steininger spricht sogar von einer Re -Faschisierung!
Es bleibt das Verdienst einiger „Dableiber“ um Erich Ammon, dass sie in dieser Stunde Null am 9. Mai 1945 die Südtiroler Volkspartei gründeten und damit dem deutsch- und ladinischsprachigen Südtirol eine Stimme gaben. Die Forderung nach Selbstbestimmung und einer Volksbefragung dazu wurde von den Siegermächten abgelehnt. Diese bestätigten die Grenzen von 1919. Immerhin wurde auf Druck von England Italien verpflichtet mit Österreich einen Vertrag zum Schutze der Südtiroler Minderheit abzuschließen. Dieses sogenannte Gruber-Degasperi-Abkommen (Pariser Vertrag) wurde in den italienischen Friedensvertrag integriert und stellt seitdem die völkerrechtliche Absicherung der Südtiroler dar.
Obwohl darin eine volle Autonomie für Südtirol vorgesehen war, sollte es noch ein langer Weg sein. Dass es letztendlich ein erfolgreicher Weg war, ist das Verdienst von Silvius Magnago, der deshalb auch als Vater der Südtirol-Autonomie bezeichnet wird. Magnago wurde 1914 als Sohn eines aus Trient stammenden k.k. Oberlandesgerichtsrates und der Schwester des Vorarlbergers Landeshauptmannes in Meran geboren.
Der promovierte Jurist optierte 1939 für Deutschland und verlor als Wehrmachtssoldat ein Bein. Seine politische Karriere begann 1948, als er zum Vize-Bürgermeister von Bozen und kurz danach in den Regionalrat gewählt wurde. Dort saßen 13 deutschsprachige 33 italienischen Abgeordneten gegenüber. Dementsprechend gering war der Einfluss der Südtiroler Volksvertreter auf die Landespolitik. Italienisch war immer noch die einzige Amtssprache. Fast alle öffentlichen Stellen wurden von Angehörigen der italienischen Sprachgruppe besetzt.
 
 
Der Staat organisierte weiterhin die Zuwanderung von Bürgern aus dem Süden. Als Rom 1957 die Finanzierung von weiteren 5.000 Wohnungen zusicherte, protestierten am 17.November 35.000 Südtiroler auf Schloss Sigmundskron. Zu ihrem Sprachrohr machte sich der neugewählte Obmann der Südtiroler Volkspartei Silvius Magnago, der in seiner legendär gewordenen Rede das „Los von Trient“ forderte.
Der Kampf um die 1947 verbriefte, aber nie umgesetzte Autonomie trat damit in seine entscheidende Phase. Unterstützung fand Südtirol durch die Schutzmacht Österreich. Bruno Kreiskys brachte 1960 die Südtirolfrage vor die Generalversammlung der Vereinten Nationen, welche Italien zur Umsetzung des Pariser Vertrages aufforderte. Der italienische Staat lehnte lange Zeit jegliche Verhandlungen über eine Autonomie ab. Erst die Ablöse der bisherigen Rechtsregierung durch den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Aldo Moro brachte die Wende.
Am 22.11.1969 konnte bei der Landesversammlung der SVP über ein „Paket“ von 137 Maßnahmen zugunsten einer echten Autonomie für Südtirol abgestimmt werden. Da sich ein starker Teil der SVP gegen das „Paket“ als zu wenig weitreichend aussprach und auf eine Rückkehr zu Österreich beharrten wollte, musste Magnago sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen, um die Delegierten zur Annahme zu bewegen.
Eine hauchdünne Mehrheit von 52,8 Prozent stimmte ihm zu. 1972 trat das neue Autonomiestatut in Kraft. Es leitete eine neue Ära für Südtirol ein. Deutsch wurde zur gleichberechtigten Amtssprache, die Zuwanderung hörte auf, aufgrund der neuen Zuständigkeiten konnte Südtirol seine Entwicklung weitgehend selbst in die Hand nehmen.
Bier- oder weinselige Geselligkeit waren nicht das Seine. Nur wenige Auserwählte waren mit ihm „per du“.
Silvius Magnago begleitete die Umsetzung der Autonomie bis 1989 als Landeshauptmann und bis 1992 als Parteiobmann. Als Regierungschef war er kein Macher. Das Tagesgeschäft überließ er weitgehend seinen Kollegen in der Landesregierung.
Zu den mächtigen Lobbys und den Medien blieb er auf Distanz. Bier- oder weinselige Geselligkeit waren nicht das Seine. Nur wenige Auserwählte waren mit ihm „per du“. Seine persönliche Integrität war über jeden Zweifel erhaben. Besitz stellte für ihn keine Kategorie dar.
In Südtirol gilt Silvius Magnago heute als die bedeutendste Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts.

 

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Hartmuth Staffler So., 19.06.2022 - 17:11

1957 haben die 35.000 Südtiroler gegen den Bau von 5000 Wohnungen nur für Italiener demonstriert. Magnago hat damals in Sigmundskron eine recht diskutable Rede gehalten, in der er die allgemeine Empörung gegen Italien in eine Empörung gegen unsere Welschtiroler Landsleute umgedreht hat, weil er es so mit dem italienischen Polizeichef abgemacht hatte. Das war nicht fair. Den Italienern war natürlich daran gelegen, einen Keil zwischen Süd- und Welschtiroler zu treiben. Heute baut die Landesregierung Wohnungen nur für Italiener im Tausch gegen die seinerzeit enteigneten Kasernen, die uns ohne Gegenleistung zustehen würden, aber niemand protestiert dagegen. Unter Magnago wäre das, bei aller Kritik, die man an ihm üben kann, nicht möglich gewesen. Der Behauptung, dass Magnago kein "Macher" gewesen sei, kann ich nicht zustimmen. Er habe das Tagesgeschäft weitgehend seinen Kollegen in der Landesregierung überlassen. Das mag, so formuliert, sogar stimmen. Dafür war aber das Nachtgeschäft seine Art. Wie oft habe ich mit ihm bis um 2 Uhr in der Früh ausgeharrt, wenn er in endlosen Gesprächen und perfekter Rhethorik seine Gesprächspartner, die langsam eingenickt sind, während er immer lebendiger wurde, zu überzeugen verstanden hat. So hat er viele heikle Probleme gelöst.

So., 19.06.2022 - 17:11 Permalink
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Sepp.Bacher So., 19.06.2022 - 17:45

"Erst die Ablöse der bisherigen Rechtsregierung durch den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Aldo Moro brachte die Wende." Meines Wissens und laut Wikipädia war Moro kein Sozialdemokrat sondern ein Christdemokrat.

So., 19.06.2022 - 17:45 Permalink
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Hartmuth Staffler So., 19.06.2022 - 18:09

Antwort auf von Sepp.Bacher

Moro war sogar einer der Gründer der DC, die er bis zu seinem Tod nie verlassen hat. Er hat die DC in der verfassungsgebenden Versammlung vertreten, war ab 1959 Parteisekretär und ab 1976 Präsident der Partei. Immerhin wurde er innerhalb der christdemokratischen Partei dem gemäßigt linken Flügel zugerechnet.

So., 19.06.2022 - 18:09 Permalink