Ich war eh schon müde. Es war heiß, das Baby war nachts unruhig gewesen, ich kam morgens schon aus dem Gähnen nicht mehr heraus. Es gibt so Tage. Auf Salto.bz fand ich einen Artikel namens „
Vallazzas Schwester“ , das klang nach Pep. Heiratete sie einen Royal, hatte sie für den KGB spioniert, nahm sie des Bruders Identität an und saß manchmal unbemerkt statt seiner im Landtag? Ich hoffte auf Klatsch und Tratsch, der mich munter machen würde. Doch schon die ersten paar Zeilen machten mich nur noch müder. Ich las „Privatinteressen“, „abgesprochen“, „geförderter Wohnbau“. Es ging um Zahlen und Gesetze, um Ranglisten und Zufälle, ziemlich viele Zufälle. Es war eine Geschichte, die mir seltsam bekannt vorkam, weil sie typisch ist für ein Land, in dem es bisher immer wichtig war, schlau zu sein. Wenn eine*r schlau gewesen war, dann drückte die Öffentlichkeit gern ein Äuglein zu, weil sie auch gern so schlau gewesen wäre und neidvolle Anerkennung für den oder die Schlaue*n verspürte. Das war ziemlich dumm von der Öffentlichkeit, weil die Schlauheit der Schlauen in 99 % der Fälle darin besteht, ersterer grad noch so legal auf den Kopf zu scheißen. Das ist derb, pardon, aber der angemessene Ausdruck dafür. Leider kapierte das die Öffentlichkeit nicht, bzw. sie kapierte es wohl ein bisschen, aber dachte: Ich würd’s genauso machen, hätte ich Gelegenheit dazu. (Hat sie meistens nicht.)
Leben wir noch im Land der Schlauberger, wird das Ganze schmunzelnd als Kavaliersdelikt abgetan, oder setzt man ein klares Signal dafür, dass Volksvertreter*innen in erster Linie die Interessen des Volkes vertreten sollen und nicht ihre eigenen?
Nun denn, ich musste die Geschichte zweimal, dreimal lesen, bis ich den Succus hatte. Es machte mich ja jeder Satz nur müder und müder. Die Schwester will bauen, der Bruder, in diesem Fall besagter Landtagsabgeordneter, hat den Grund. So weit, so logisch, möchte man meinen: Kauf dem Bruder den Grund ab, bau dein Hittl und such um die Beiträge an, die dir zustehen. Das wäre aber die doofe Variante. Die schlaue Variante, ganz grob, geht so, dass der Bruder den Grund der Gemeinde zum Zweck des geförderten Wohnbaus verkauft und die Schwester kauft ihn um nur den halben Preis zurück, weil sie Anspruch auf geförderten Wohnbau hat. Es braucht noch ein paar Schlaue in der Gemeinde, damit das funktioniert, aber es funktioniert. Zumindest hat es das, bis das Land stutzig wurde. Immerhin kommt die Familie da zu einem schönen Batzen Geld vom Steuerzahler (die Rede ist von satten 100.000 Euro), der wohl empfindlich kleiner ausgefallen wäre, wenn der Deal wie üblich unter den Geschwistern ausgehandelt worden wäre. Ich gähnte und wollte gleich wieder zurück ins Bett, ins Schlummerlummerland, wo es solche Schweinereien nicht gibt. Es muss eine Schutzfunktion des menschlichen Organismus sein, dass er die Energie runterfährt, wenn die Alternative nur darin besteht, zu explodieren. Winterschlafmodus statt Selbstzerstörung sozusagen. Der Selbsterhaltungstrieb ist halt immer stärker.
„Was ist los?“, sagte der Mann, der mich schlafwandeln sah. Ich erklärte es ihm. „Ich geh nicht mehr wählen“, sagte er und gähnte auch. Abends ging ich mit meiner Mutter essen. „Hast du das vom Vallazza gehört?“, fragte ich sie. „Nein“, sagte sie und sah mich munter an. Ich begann zu erklären, aber sie ahnte, worauf es hinauslief und wechselte mit müdem Blick abrupt das Thema. Aber zu spät: Lustlos stocherte sie in ihrem vitello tonnato herum, meine Schwester kam dazu: „Vallazza?“, fragte sie. „Vallazza“, sagte ich, und dann schwiegen wir maulfaul. Die Menschen, die ich traf, konnten zum Thema meist nur langsam den Kopf schütteln, träge mit den Schultern zucken oder sich matt ins Gesicht fassen. „Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll“, zu mehr waren sie nicht imstande. Einer war noch voller Energie, eine Fehlfunktion des Körpers offenbar. „SCHEIß BAUERN!“, schrie er mir entgegen. „Not all Bauern“, erwiderte ich lahm, aber das hörte er, glaube ich, gar nicht.
Ich las in den folgenden Tag mehr zur Sache, obwohl ich wusste, dass es meinem Zustand nicht zuträglich war, und tatsächlich, mein Puls wurde immer langsamer. Ich las von
Vallazzas Brüdern, die auch keinen Royal heirateten, sondern dasselbe lustige Spielchen gespielt hatten, ich las vom zuständigen Bürgermeister, der ja überhaupt gar nichts dabei fand, öffentliche Gelder unnötig Privaten zuzuschanzen, ich las von Vallazza selbst, der meinte, wie gemein, „nur weil es meine Schwester ist!“ (JA LOGISCH WEIL ES DEINE SCHWESTER IST HERRGOTT NOCHMAL, WIESO SOLLTEN ICH UND ALLE, DIE DAS HIER LESEN, IHR EINE PRÄMIE DAFÜR BEZAHLEN, DASS SIE AUF DEM GRUNDSTÜCK IHRER FAMILIE BAUT??? Oh, der Blutdruck!), ich las von einem SVP-Senator, der auch noch Rekurs einreicht, wenn ein Gericht diesen Skandal als solchen benennt, anstatt dem Parteigenossen ordentlich den Kopf zu waschen und ihm den Rücktritt nahezulegen. Mehrmals glitt ich fast vom Stuhl, mehrmals musste ich pausieren. Es ist wirklich unglaublich.
„Zeitnah“ werde es Konsequenzen geben, ließ der Parteiobmann schließlich wissen, und man kann nur hoffen, dass diese weniger schwammig sein werden, als es das Wörtchen „zeitnah“ ist.
„Zeitnah“ werde es Konsequenzen geben, ließ der Parteiobmann schließlich wissen, und man kann nur hoffen, dass diese weniger schwammig sein werden, als es das Wörtchen „zeitnah“ ist. Der Schaden ist indes schon angerichtet, weil die schlimmsten Vorurteile über bestimmte Gruppen mit dieser Geschichte reichlich Nahrung bekommen: Die Politiker*innen vertreten vor allem ihre eigenen Interessen, die Bauernschaft bereichert sich auf Kosten der Allgemeinheit, die Gemeindevertreter*innen jonglieren mit Steuergeldern, als stünde ein Goldesel im Rathaus, obwohl jedem klar ist, dass das Geld dann andernorts fehlt. Und wenn das Ganze auffliegt, dann gibt’s weder Einsicht noch Reue, sondern Rekurse, eingeschnappte Stellungnahmen und einen bodenlos frechen Verweis auf ganz viele „Zufälle“. Wenn nun nächsten Herbst sehr viele Menschen zu müde sein werden, um zur Wahlurne zu schreiten („Sein eh olls die gleichen!“), dann ist das der Verdienst genau solcher Akteure. Dem entgegenzuwirken, das ist jetzt die Aufgabe der Parteileitung: Leben wir noch im Land der Schlauberger, wird das Ganze schmunzelnd als Kavaliersdelikt abgetan, oder setzt man ein klares Signal dafür, dass Volksvertreter*innen in erster Linie die Interessen des Volkes vertreten sollen und nicht ihre eigenen? Den Blutdruck der Politikverdrossenen brächte man mit letzterem zweifellos wieder in Schwung.