Das Auto neu erfinden
Die Botschaft, mit der Katja Diehl nach Südtirol gekommen ist, ist bemerkenswert. “Lasst euch mehr hassen”, ermutigt die 39-Jährige das überwiegend junge Publikum in der Bozner Messe. “Lasst euch mehr hassen für Dinge, die Gutes bringen für alle.” Hass, der schlägt Diehl und Leuten, die wie sie überzeugt sind, dass es der Menschheit mit weniger Autos besser gehen würde, zur Genüge entgegen. Dennoch, und trotz des häufigen Ohnmachtsgefühls, setzt die Hamburger Autorin, Podcasterin und Aktivistin ihren Einsatz für eine nachhaltige, inklusive Mobilität und damit Gesellschaft fort. Die Wende im Verkehrssektor, die Diehl fordert, bringt sie mit dem Titel ihres Buches auf den Punkt: Autokorrektur.
Während andere Sektoren sich positiv entwickelten und etwas zur Reduktion der CO2-Reduktionen tun, herrsche bei Transport und Verkehr Stillstand, prangert Diehl an. Im Umstieg auf E-Mobilität sieht sie keine Lösung für die Probleme, die mit dem motorisierten Individualverkehr einhergehen: “Der verursachte Lärm ist genauso tödlich wie die Emissionen und ein Aspekt, der viel zu selten beleuchtet wird ist, dass Autoreifen die größte Quelle für Mikroplastik ist. Ein Reifen verursacht in seinem Leben vier bis sechs Kilogramm Mikroplastik – daran wird sich mit Elektroautos nichts ändern.”
Neben den negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt lenkt die Autorin den Blick auf die Gefahren für die Allgemeinheit, die die Autozentriertheit mit sich bringt: “In Deutschland fährt ein Auto im Schnitt 45 Minuten am Tag. Die restlichen 23 Stunden und 15 Minuten steht es nicht selten im öffentlichen Raum und nimmt allen Lebensqualität.” Gehwege, die kaum oder nicht mehr benutzbar sind, weil zugeparkt; Räume, die nicht zum Begegnen und Verweilen einladen, weil für Autos reserviert; Kinder, die “von geschlossenem Raum zu geschlossenem Raum zu geschlossenem Raum gefahren werden und auf Blech gucken, wenn sie durch die Stadt gehen”; der Zwang, im ländlichen Raum mit dem Auto fahren zu müssen – nicht zu wollen –, weil weder Bahn noch Bus fahren, und er somit kein Lebensraum für die 13 Millionen Menschen ohne Führerschein (in Deutschland) sein kann. “Ist das fair? Ist das demokratisch? Ist das Gleichheit? Wird das der Würde des Menschen gerecht?”, fragt Diehl in die Runde. “Ich glaube nein.”
Das Auto mit anderen teilen, es überflüssig machen, den öffentlichen Personennahverkehr massiv ausbauen und fördern, in Rad- und Fußwege investieren, die Bedürfnisse aller – auch der Schwächsten – mitdenken. So radikal und schwer umsetzbar hören sich die Lösungsvorschläge, die Diehl für “die Mobilität für eine lebenswerte Welt” – so der Untertitel ihres Buches – präsentiert, nicht an. Darauf verweist auch der Text, mit dem der Vortrag der Hamburgerin bei den “Sustainability Days” am Mittwoch (8. September) angekündigt worden ist: “Zu oft, wenn wir über die unbedingt erforderliche Mobilitätswende sprechen, verlieren sich Panels, Medienbeiträge und Projekte in Technologien, die zum Teil noch nicht mal ausgereift sind, aber suggerieren, dass sich das Warten auf sie erstens lohnt und zweitens kein Handeln im Heute erfordert. Das sieht Katja Diehl komplett anders.”
“Diese Technikaffinität ist die größte Bremse für die Wende und verkennt, wie wenig Lösung im Auto steckt, wenn wir es privat nutzen.” Dass sie mit solchen Aussagen auch der deutschen Autolobby unangenehm wird, weiß Diehl. Und sie will es auch sein. “Ihr müsst riskieren, unbeliebt zu sein, wenn ihr die Welt verändern wollt”, appelliert sie an den voll besetzten Messesaal, in dem viele Schülerinnen und Schüler ihrem Vortrag lauschen. Sie hat konkrete Beispiele mitgemacht, die zeigen: Das Rad muss nicht neu erfunden werden – nur das Auto. Paris sperrt 168 Straßen vor 204 Schulen für den Autoverkehr, beseitigt dadurch die Gefahr durch Elterntaxis und will zur 15-Minuten-Stadt werden. Barcelona hat 1993 den ersten “Superblock” eingeführt – mehrere Straßenblöcke, in denen der Durchgangsverkehr von Autos verboten ist – und will deren 550 etablieren. Im Fahrradmekka Kopenhagen ist der PKW längst kein Statussymbol mehr – “dort schämt man sich für große Autos”. Es gehe nicht darum, das Auto verschwinden zu lassen, sondern in der Verkehrspolitik zu depriorisieren – und zugleich die Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Mobilität selbstbestimmt zu gestalten.
Für ihr Buch hat Katja Diehl eine Reihe an Interviews geführt, die unterschiedlichsten Menschen gefragt: Was müssen wir dir anbieten, damit du (aus dem Auto) aussteigst? Drei Antworten habe sie – unterschiedlich formuliert – von allen gehört, fasst die Autorin zusammen:
- Alternativen zum Auto: ein gutes ÖPNV-Netz, sichere Radwege
- Barrierefreiheit: z.B. für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, aber auch im Sinne von Kommunikation, Information – niederschwellig und für alle zugänglich – und Organisation im ÖPNV (Diehl nennt als Beispiel das 9-Euro-Ticket, mit dem ein Monat lang in ganz Deutschland öffentliche Transportmittel genutzt werden konnten, unabhängig von Verkehrsverbund, Tageszeit, Datum, Bundesland…)
- Sicherheit: für Frauen und mehrfach marginalisierte Menschen, die im öffentlichen Raum, zu dem Bahnhöfe und Bushaltestellen gehören, häufig belästigt werden
Gegen Ende ihres Vortrags sagt Katja Diehl: “Wer Mobilität verändern will, muss Menschen lieben, nicht Autos.” Aber es braucht auch ein dickes Fell, einen langen Atem – und Mitstreiter, wie Diehl unlängst auf Twitter erinnert hat: “Ich bin mir nicht sicher, ob Menschen, die nicht jeden Tag aktivistisch tätig sind, wissen, welche Belastung diese oft unbezahlte Arbeit bedeutet. Daher: Werdet bitte alle radikal, die ihr ahnt oder verstanden habt, wie groß die Bedrohung, aber eben auch die Chance ist, etwas zu verändern, was uns allen zugute kommt. Macht eure Solidarität nicht an deutschen Arbeitsplätzen fest, sondern solidarisch an einem weltweit besseren Leben für alle. Wir brennen sonst aus. Weil wir, wenn ihr das nicht macht, auch ein Stück weit gegen euch arbeiten müssen. Um das ‘große Ganze’ im Blick zu behalten.”
Falls es dazu keine
Falls es dazu keine Berechnungen gibt, wäre die Hochrechnung der Menge an Mikroplastik eine lohnende Aufgabe, die in einem Zeitraum von z. B. 50 Jahren in Europa oder weltweit durch den Reifenabrieb erzeugt worden ist. Mich würde interessieren, welche Schlüsse dann aus der Antwort auf die Frage zu ziehen sind, wo dieses Mikroplastik gelandet ist bzw. welche Effekte es in der Landschaft, im Meer und in den Lebewesen erzeugt, in denen es mit der Nahrungsaufnahme landet.
Antwort auf Falls es dazu keine von Karl Gudauner
.... nebst dem Reifenabrieb,
.... nebst dem Reifenabrieb, auch der Abrieb der Bremsbacken... und der Feinstaub, der sich aus dem Verschleiß der Fahrbahnen, insbesondere durch LKW´s ergibt.
Kann mir jemand helfen zu
Kann mir jemand helfen zu verstehen, was Neues an diesem Beitrag ist? Alle darin genannten Themen werden seit Jahrzehnten intensiv besprochen. ÖPNV ist wirklich keine Neuheit, ihn gibt es seit einem guten Jahrhundert, und Anfang der Nuller Jahre taufte ein österreichischer Professor "Fahrzeuge" in "Stehzeuge" um, weil sie die meiste Zeit sowieso irgendwo stehen. Fürs Protzen mit Karossen reicht es, irgendwelche Strasse zu beobachten.
Wer hat das funktionierende Rezept, um diese Situation zu ändern?
War die junge Expertin beim Besuch am Siegesplatz (Tiefgarage geplant), am Weingartenweg in Bozen (Fahrrad- und Durchgangssperre), oder an irgendwelcher Pass-Strasse im Sommer?
Was ist Sustainable an den Sustainability Days? Welche Schlussfolgerungen wird die Landesregierung daraus ziehen?
Trotzdem eine gute
Trotzdem eine gute Zusammenfassung. Es fängt damit an, dass ein 50 PS Kleinwagen meist reichen würde.
Antwort auf Trotzdem eine gute von Dietmar Nußbaumer
Alternative Ansätze zur
Alternative Ansätze zur Mobilität sind seit Jahrzehnten Teil des Wahlprogramms der deutschen Grünen. Jetzt sind die Grünen an der Macht in einem der wichtigsten Autoländern der Welt und sehen wohl, wie weit Theorie und Praxis auseinander liegen, trotzt jeder Menge guten Willens. Und trotzt einer Energiekrise, die alle zum Sparen zwingen sollte. Es waren nie so viele deutsche Touristen in Südtirol wie heuer, die meisten davon selbstverständlich mit Auto angereist.
Kleinwagen hat es immer gegeben. Wie viele werden verkauft? Warum fängt die Landesregierung nicht damit an? Dienstfahrzeuge je zu 50 PS. Sie ist ja auf der Suche nach guten Ideen zum Energiesparen und Emissionen reduzieren.