Wirtschaft | Landwirtschaft

„Die Realität ist etwas anders“

Vor Kurzem feierte die Handelskammer Bozen 20 Jahre Tag der Innovation. Unter diesem Motto stand auch das Referat von Thomas Zanon zum Thema Zukunft der Viehwirtschaft.
tomas_zanon_1.jpg
Foto: Salto.bz
Thomas Zanon ist Agrarwissenschaftler an der Universität Bozen und nebenbei in Barbian als Hobby-Bauer tätig, wo er sich um die Aufzucht von Mastvieh, im Speziellen den „Barbianer Hornochs“ kümmert. „Die Landwirtschaft im Allgemeinen und die Viehwirtschaft im Besonderen stehen vor sehr großen Herausforderungen“, betonte Zanon eingangs. Denn im Vergleich zu vergangenen Zeiten seien die Herausforderungen heutzutage sehr divers und komplex. Für die Jungbauern stelle sich beispielsweise die Frage, wie man Viehwirtschaft attraktiver und moderner gestalten könne, resilienter im Hinblick auf Marktsituationen sowie auch nachhaltiger, da auch die Viehwirtschaft mitverantwortlich am Klimawandel ist. „Wir in Südtirol sind noch eine Insel der Seeligen, weil die Berglandwirtschaft nach Außen hin eine sehr positive Strahlkraft besitzt“, so Zanon. Für die Konsumenten stellten nämlich die überwiegend Familien geführten und kleinstrukturierten Betriebe einen sehr positiven Aspekt dar. Daraus resultiere in gewisser Hinsicht die Vorstellung, dass man in Südtirol automatisch nachhaltiger und ökologischer wirtschafte. „Nichtsdestotrotz ist auch bei uns in den vergangenen Jahren der Druck spürbar größer geworden“, erklärte der Agronom mit Verweis auf eine Statistik, wonach die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe in Südtirol kontinuierlich zurückgeht, während gleichzeitig die Milchmenge die gleiche bleibt bzw. teilweise sogar ansteigt. Das bedeutet, dass jene Betriebe, die weiter machen, größer werden und die landwirtschaftliche Produktionsweise intensiviert wird.
 
Wir müssen uns allerdings als Stakeholder, die in der Viehwirtschaft tätig sind, selbst an die Nase fassen.
 
Dazu gesellt sich der zunehmende gesellschaftliche Druck hinsichtlich der Tierhaltung und des Tierwohls. Entsprechend werden bestehende Haltungsformen immer mehr hinterfragt und kritisiert. „Die Anbindehaltung in Deutschland steht seit einigen Jahren massiv unter Druck und entsprechend auch Südtirol, wo im Berggebiet die Anbindehaltung aus vielerlei Gründen die traditionelle Haltungsweise ist“, so Zanon, der darauf verwies, dass diesbezüglich in Südtirol Aufholbedarf bestehe. „Wir müssen uns allerdings als Stakeholder, die in der Viehwirtschaft tätig sind, selbst an die Nase fassen“, erklärte der Agronom, der die diversen Werbekampagnen ansprach. Diese erzeugten bei den Konsumenten die Illusion von einer Landwirtschaft, in welcher Weidehaltung betrieben wird, wo die Kühe grasen und Heu fressen und insbesondere lokale Rassen wie das Grauvieh hervorgehoben werden. „Die Realität ist jedoch etwas anders“, so Zanon. Vor allem in der Milchwirtschaft werde ganzjährig Stallhaltung betrieben – ungefähr die Hälfte der Südtiroler Milchkühe wird ganzjährig im Stall gehalten – lokale Rassen wie die Pinzgauer oder das Grauvieh ist den konventionellen Hochleistungsrassen nachgereiht. Weiters wird ein Großteil der Milch nicht mit Futtermitteln produziert, die in Südtirol angebaut werden – sprich aus klimatischen und topographischen Gründen muss Kraftfutter wie Getreide oder Soja aus anderen Ländern importiert werden.
 
 
 
 
Um die Landwirtschaft zukunftsfähig zu machen, müsse man von der herkömmlichen Wirtschaftsweise abgehen und eine standortgebundene Produktion forcieren. Wiederkäuer wie Schafe, Ziegen und Rinder erfüllen in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle, da sie im Gegensatz zum Menschen Rohfasern wie Gras als Nahrungsquelle direkt nutzen können. Daraus können wieder hochwertige Produkte wie Fleisch, Milch oder Wolle erzeugt werden. Auch das Schlagwort vom „Klimakiller Kuh“ stimmt so nicht, betonte Zanon. Die Klimabilanz hänge nämlich von den Haltungsbedingungen ab. Der Wiederkäuer ist Teil des Kohlenstoff-Zyklus, der — wird er artgerecht gefüttert – sogar zur CO2-Bindung beiträgt. Werden zusätzliche Kraftfuttermittel eingesetzt, wird dieses Gleichgewicht gestört und entsprechend entsteht das Problem des Methan-Gas-Ausstoßes. Auch beim Tierwohl müsse man in Südtirol tätig werden und die Haltungsbedingungen überdenken. „Wir sind bereits auf einem sehr guten Stand, aber wir müssen versuchen, die Anforderungen, welche die Gesellschaft an uns stellt, zu erfüllen“, erklärte der Agronom mit Verweis auf die Arbeitsgruppe rund um Professor Matthias Gauly, die an der Universität Bozen zu diesem Thema forscht und Konzepte erarbeitet. Um hinsichtlich der Unsicherheit am Markt resilient zu bleiben, sei die Diversifizierung ausschlaggebend. Südtirol hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auf die drei großen Produktionszweige Obst- und Weinbau sowie die Milchwirtschaft spezialisiert. „Darüber haben wir vergessen, dass es noch weitere Produktionsmöglichkeiten gibt, die ebenfalls erfolgreich sein können“, so Zanon, der in diesem Zusammenhang konkret die Fleischproduktion ansprach.
 
Obwohl wir weltweit bekannt für die Speckproduktion sind, ist der Selbstversorgungsgrad an Fleisch in Südtirol relativ gering.
 
„Obwohl wir weltweit bekannt für die Speckproduktion sind, ist der Selbstversorgungsgrad an Fleisch in Südtirol relativ gering“, erklärte der Agrarwissenschaftler. Im Umkehrschluss bedeute das, dass hier noch sehr viel Potential vorhanden sei. In diesem Zusammenhang sprach Zanon ein gravierendes Problem in der Milchwirtschaft an: Kühe dienen der Milchproduktion, doch was passiert mit den Stieren? Ähnlich wie in der Eierproduktion sind männliche Tiere ein „Abfallprodukt“, ein Kostenfaktor, den man versucht, so schnell wie möglich loszuwerden. Die Folge sind Kälber-Transporte in den Nahen Osten mit all den Problemen, die damit zusammenhängen. „Auch in Südtirol haben wir eine ähnliche Situation“, so Zanon, der Zahlen zu den Versteigerungen aus dem Jahr 2021 nannte: rund 23.000 Kälber wurden vermarktet. „Nur ein Bruchteil – rund 10 % der Kälber – bleiben effektiv in unserer Region“, so der Agrarwissenschaftler, der aber auch den positiven Aspekt nicht unerwähnt ließ: Die restlichen Kälber werden nicht über weite Strecken wie beispielsweise nach Nord-Afrika transportiert, sondern bleiben in Italien.
 
Wenn den Konsumenten egal ist, wie das Produkt produziert wird, Hauptsache billig und viel, dann sind wir als Bauern gezwungen, Massentierhaltung zu betreiben.
 
Dennoch exportiere man Tiere, die man im Grunde selber benötigen würde. „Somit verlieren wir sehr viel an Wertschöpfung“, betonte Zanon. Für dieses hochwertige Produkte brauche es allerdings auch die Kaufkraft und den Markt. „Wenn den Konsumenten egal ist, wie das Produkt produziert wird, Hauptsache billig und viel, dann sind wir als Bauern gezwungen, Massentierhaltung zu betreiben“, brachte der Agrarwissenschaftler das Problem auf den Punkt. Die Zukunft müsse jedoch in eine andere Richtung gehen, und zwar hin zur Entscheidung für ein Produkt, das unter Einhaltung des Tierwohls und der höchsten Qualitätsstandards entstanden ist. Ein wichtiger Schritt zum Erfolg ist allerdings die transparente Kommunikation mit den Kunden, damit eine Vertrauensbasis geschaffen werden kann. „Nur damit schaffen wir es, die Kunden an uns zu binden und ihnen zu erklären, weshalb bestimmte Maßnahmen getroffen werden müssen. Das größte Problem heutzutage ist nämlich, dass die Menschen zunehmend den Bezug zur Landwirtschaft verlieren.“