„Wir sind ein offenes Haus“
Salto.bz: Seit einigen Tagen haben Sie die Leitung des Literaturhaus am Inn übernommen. Nach Anna Rottensteiner folgt also erneut jemand mit Südtiroler Wurzeln. Zufall?
Maria Piok: Vielleicht – aber es gibt nun mal sehr viele Südtiroler*innen an der Universität Innsbruck, was auch mit den besonderen Bedingungen für uns in Österreich zu tun hat, mit offenen Grenzen, dem Wunsch nach Austausch und länderübergreifenden Kooperationen. Die "gute" Literatur hat immer schon gern Grenzen aller Art überschritten – da ist es vielleicht auch von Vorteil, wenn Kulturvermittler*innen auch ein gewisses Faible dafür haben: für das Unbestimmte, für wandelbare Identitäten, das Mehrsprachige, das Vieldeutige. Ich glaube schon, dass man als Südtirolerin ein besonderes Gespür für solche Dinge entwickeln kann – wenn man denn auch will.
Wie wird die Idee zu einem Buch geboren, wo hat man recherchiert, mit wem will man zusammenarbeiten, wem geht man lieber aus dem Weg?
Sie haben in Innsbruck studiert. Was waren Ihre bevorzugten Themenbereiche an der Uni, die Sie – auf welche Art und Weise auch immer – geprägt haben?
Ganz ursprünglich wollte ich in Wien Theaterwissenschaften studieren – auch in Innsbruck habe ich mich deshalb sowohl im Germanistik- als auch im Englischstudium vor allem für das Drama interessiert. Geprägt haben mich dann vor allem engagierte Professor*innen, das waren zu meiner Studienzeit viele mit dem Forschungsschwerpunkt österreichische Literatur; und solche, die uns irgendwohin mitgenommen haben: zu den Rauriser Literaturtagen oder zum Meraner Lyrikpreis, eben an Orte, wo man gemerkt hat, wie lebendig Literatur sein kann.
Mehrere Jahre haben Sie auch als Archivarin am Forschungsinstitut Brenner-Archiv gearbeitet, dann, ab Jänner 2020, immer wieder auch im Literaturhaus. Literatur archivieren oder Literatur vermitteln, was liegt Ihnen mehr?
Ich mag beides sehr gern – und ich glaube, ich brauche auch beides. So spannend ich die stille Forschungsarbeit finde, so sehr fehlen mir dabei doch der direkte Kontakt zum Publikum, die lauten und bunten Abende, das Zuhören und das ungezwungene Reden. Im Übrigen sind die Inhalte gar nicht so verschieden: Auch im Archiv bemühen wir uns sehr darum, dass die Materialien nicht in den Kisten verstauben, sondern dass wir sie beforschen, herzeigen, erklären. Und es geht immer wieder um die Persönlichkeit der Autor*innen, ihre Arbeitsweise, ihre Netzwerke – das sind alles Dinge, die uns auch im Literaturhaus interessieren: Wie wird die Idee zu einem Buch geboren, wo hat man recherchiert, mit wem will man zusammenarbeiten, wem geht man lieber aus dem Weg? Wie entsteht ein Text, was hat man geschrieben, aber dann doch in der Schublade versteckt? Im Archiv verraten das die Briefe, Tagebücher und Notizen in den Kassetten, im Literaturhaus – was natürlich viel schöner ist – die Künstler*innen selbst.
Sowohl das Literaturhaus als auch das Archiv sind daher für mich – manchmal subtil, manchmal sehr deutlich – politische Orte.
Wie werden Sie Ihre „Doppelrolle“ als Archivarin und Literaturvermittlerin handhaben?
Trennen lassen sich wohl nur die Arbeitszeiten, nicht aber die Gedankengänge – was ich aber nicht als Nachteil empfinde!. Ich habe immer wieder erlebt, dass die Forschungsarbeit Impulse für die Literaturvermittlung liefert und umgekehrt – davon möchte ich so viel wie möglich zehren. Die Schriftsteller*innen wiederum schätzen oft die ,Aura‘ des Archivs, das hinter unserem Veranstaltungsraum liegt, und sie freuen sich, wenn sie einen Blick in die Handschriften ihrer Vorbilder werfen dürfen. Am wichtigsten aber ist, dass man bei fast allen Veranstaltungen merkt: Die Autor*innen haben uns etwas zu sagen, sie sind wichtig für unsere eingerosteten Hirne, unsere zerstrittene Gesellschaft. Da geht es nicht nur um Unterhaltung oder Zierrat, sondern um das Aufzeigen von Missständen und um Ideen, wie man die Welt ein wenig – oder auch viel – besser machen kann. Das gilt für die lebenden und die toten Dichter*innen gleichermaßen: Sowohl das Literaturhaus als auch das Archiv sind daher für mich – manchmal subtil, manchmal sehr deutlich – politische Orte.
Als Leiterin des Literaturhauses werden Sie auch eine Lehrveranstaltung am Institut für Germanistik der Universität Innsbruck anbieten. Was lehren Sie den Studierenden?
Manche vermissen den Praxisbezug im Studium: Im Literaturhaus sollen sie nun die Möglichkeit haben, ein potentielles späteres Arbeitsfeld kennenzulernen. Ich möchte ihnen die inhaltlichen und organisatorischen Abläufe im Literaturhaus von der Gestaltung des Programms bis hin zur Veranstaltungsorganisation und -moderation zeigen, sie aber auch aktiv in die Arbeit einbinden. Vor allem will ich mit den Studierenden Kriterien der Auswahl und neue Möglichkeiten der Präsentation besprechen – da, glaube ich, kann ich auch von ihnen viel lernen.
Sie bringen eine Faszination für die mündliche Präsentation von literarischen Texten mit und für Formen der literarischen Mehrsprachigkeit. Hängen diese Denk- und Wahrnehmungsmuster mit Ihrer Herkunftsgegend zusammen?
Sicher auch – zumindest die guten Denk- und Wahrnehmungsmuster, die Vielsprachigkeit als Bereicherung erkennen lassen. In meinem Herkunftsumfeld hat man immer nur Dialekt gesprochen, Mündlichkeit hat schon allein deshalb einen besonderen Stellenwert – wobei das wohl nicht nur eine Südtiroler, sondern eher eine österreichische Eigenart ist. Außerdem hat mein Bruder immer Theater gespielt, ich bin also schon sehr früh mit einer lebendigen Theaterszene in Berührung gekommen. Erfahren habe ich dabei einen recht unelitären Zugang zur Literatur – eben nicht die Literatur in vornehmen, bürgerlichen Bibliotheken, sondern eine, die man präsentiert, gemeinsam rezipiert und bespricht. Und dieser Zugang ist mir eigentlich immer noch am liebsten.
Wie wollen Sie in Zukunft mit Veranstaltungen auch ein jüngeres Publikum gewinnen? Ohne die Stammkundschaft zu vergraulen…
Unsere Stammkunden sind uns lieb und teuer, es soll deshalb auch weiterhin ganz klassische Lesungen geben; aber eben dann und wann auch andere, vielleicht multimediale oder disziplinenüberschreitende Formate und neue Workshops, die das Publikum stärker miteinbeziehen – wobei ich glaube, dass die Vorlieben gar nicht so altersspezifisch sind, wie man meint. Neue Kooperationen, aber vor allem junge Künstler*innen, von denen es ganz viele gibt, bringen dann auch wieder ein anderes Publikum mit – diese zu entdecken und einzuladen ist mir ein großes Anliegen. Wichtig sind auch neue Formen der Bewerbung – wir sind ein bisschen versteckt in der Josef-Hirn-Straße, ganz oben im 10. Stock. Im Netz, an der Uni, in den Gesprächen möchten wir wieder vermehrt zeigen: Wir sind ein offenes Haus, ohne Dünkel, kommt uns doch besuchen.
Das klingt vielversprechend.
Das klingt vielversprechend. Gute Arbeit.