Gesellschaft | Gastbeitrag

Zu einem Denk-Mal machen

Künstler Daniel Costa, der in der Schlanderser Drususkaserne sein Atelier hat, über die Abrissaffäre, den falschen Umgang mit faschistischen Relikten und seine Vision.
Drususkaserne Schlanders
Foto: Salto.bz
Was ist denn ein Faschistisches Relikt und warum will man “diesen alten Fascio-Dreck” endlich weghaben? Was genau ist denn so abscheulich daran? Wo liegt der Schmerz? Wie sind Erinnerungen an die Materie gebunden? Und wie gestalten wir unsere Zukunft?

 
Der Faschismus hat alle unsere Vorfahren berührt, erniedrigt, verändert, gebrochen, verstört. Aber wie kann das sein, dass wir immer noch so verstört darauf reagieren? Dass auch wir noch Ungerechtigkeit empfinden? Wir haben die Faschisten, die unsere Kaserne gebaut haben, nicht selbst erlebt, wohl aber von unzähligen Missetaten gehört: Wie gewaltsam die Böden enteignet wurden, die Obstbäume in ihrer Blüte gerodet wurden, wie Menschen hingerichtet wurden oder daran gebrochen sind, wie unsere Vorfahren gedemütigt und ganz gezielt unterdrückt wurden, wie ihnen das Maul gestopft wurde, weil wir deutschsprachigen Südtiroler in deren faschistischen Augen Barbaren ohne Kultur, aber mit wertvollem Kulturgrund waren.
Woher kommt der Schmerz, den wir, verbunden mit unserer Geschichte, empfinden? Ist es, weil unsere Vorfahren im Ersten Weltkrieg unser Land nicht schützen konnten? Oder weil sie für Gott, Kaiser und Vaterland in den Krieg gezogen sind? Wobei es den einen so nicht gibt und der andere versagt hat. Auch das tut weh.
Oder schmerzt es, weil man ungewollt der Feind im eigenen Staat war, zu dem man gar nicht gehören wollte? Oder weil es dann nur mehr 2 Positionen gab, den Faschismus oder den Nazionalsozialismus, wodurch Menschen und Familien zerrissen wurden. Oder vielleicht weil wir uns immer noch nicht autonom bestimmen?
Viele Spuren hat diese grausame Zeit hinterlassen. Aber die Zeit war so wie sie war.
 
 
Spuren dieser Zeit sind auch Gebäude wie die Drususkaserne, von wichtiger Bedeutung, um das neu errungene Land zu beherrschen. Um die faschistische Hierarchie zu verfestigen, um eine Kultur auszulöschen, um ein System zu schaffen, in dem es keine Diversität gibt, keine Vielzahl der Meinungen, keine kritischen Gedanken, keine mutigen selbstverantwortlichen Handlungen. Dazu benötigte man Kasernen, Kasernen, die versklaven.
Woher kommt der Schmerz, den wir, verbunden mit unserer Geschichte, empfinden? Ist es, weil unsere Vorfahren im Ersten Weltkrieg unser Land nicht schützen konnten? Oder weil sie für Gott, Kaiser und Vaterland in den Krieg gezogen sind?
Die Gleichschaltung der Menschen im Militärdienst, der bis 2005 weiterhin fügsame und unkritische Menschen erzeugen sollte, den kennen aber viele noch. Auch diese ungewollt erfahrene Demütigung, Einordnung in ein unterdrückerisches System hinterlässt Spuren und Schatten, die oft verdrängt werden, aber immer da sind. Diese Erfahrungen sind Reizpunkte mit Einfluss auf unser tägliches Leben und somit auch auf unsere Handlungen und Haltung gegenüber dem Kasernenareal.
Erfahrenes Leid schmerzt immer noch in vielen von uns und es ist diese Wunde, die uns nur den Faschismus sehen lässt, nicht aber die Erkenntnisse, die wir daraus gewonnen haben oder das, was wir aus den Relikten machen können. Eine schlechte Erfahrung schließt keineswegs aus, dass man nicht davon profitieren oder lernen kann. Ungerechtes und Menschenverachtendes muss zurechtgerückt werden. Schmerz allein bedeutet noch nicht Verlust.
 
 
Die Kaserne ist auch Raum und Material, Geometrie und Möglichkeit. Ein Rahmen, der bereits geschaffen ist und den man nutzen kann, sofern dieser vorteilhafte Qualitäten hat. Aber um diesen Rahmen bestmöglich zu nutzen muss man ihn kennen und verstehen. Um ihn zu verstehen, also um die Bausubstanz zu verstehen und die Dynamiken in den Räumen und Freiräumen zu erkunden, braucht es den Mut durch die erste Ablehnung, durch die erfahrenen Ungerechtigkeiten zu schreiten - ohne diese zu vergessen. Es gilt die Geschichte und Situation zunächst anzunehmen - es bleibt uns ja nichts anderes übrig, um dann die bestehende Materie genauestens zu untersuchen und abzuwägen welche Potenziale ihr inneliegen.
Das über Generationen Erfahrene wird man auch durch den Abriss unserer Kaserne nicht los. 
Das über Generationen Erfahrene wird man auch durch den Abriss unserer Kaserne nicht los.
Es ist erstaunlich, wie das Kasernenareal, seitdem es vom Militär an das Land und dann an die Gemeinde Schlanders verkauft wurde, immer als leere Fläche gesehen wurde, nicht aber die Gebäude, die unzähligen grosszügigen Räumlichkeiten in solider Bausubstanz, die Kastenfenster und ihre Aussichten, die Marmorstiegen, der Baumbestand und die Außengestaltung.
 
 
Nun stehen diese Gebäude aus Steinen vom Sonnenberg, welche von vielen Vorfahren der Schlanderser Bürger angekarrt wurden, aus Marmor, Holz, Glas und Stahl nach 90 Jahren immer noch da. Es ist eine, wenn man die Gebäude genau betrachtet, hochwertig gebaute und solide Substanz und das ist doch schon mal ein guter Anfang, damit zu arbeiten. Hätten die Faschisten dort rohes Baumaterial liegen lassen würde man sich auch nicht scheuen dieses zu verwenden.
Bausubstanz in solch gutem Zustand wegzureißen, aus Angst sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, oder aus unbemerkter Blindheit, ist ein sehr oberflächliches Vorgehen, eine kopflose Verschwendung von Materialien und die Unterstützung von Baulobby und Betonpolitik. In einer Zeit, in der wir täglich bewusster mit unserer Umwelt und den vorhandenen Rohstoffen umgehen wollen, ist es inkohärent hier, wo so viel da liegt, die Augen zu schließen, es wegzureissen, wegzukarren, neues Material anzuschaffen und Zeit und Arbeit in teuren Neubau zu investieren.
Will man den Kasernen die relativen Begriffe “schön” oder “hässlich” zuordnen, so kann man auch sagen, dass viele andere Gebäude wie ein Supermarkt, eine Tankstelle, eine Schule etc oft äußerst unschön sind. Wie auch immer, nun haben wir die Möglichkeit diese Gebäude abzuändern, sie nach unserem heutigen Empfinden um- und weiterzugestalten. Somit entsteht aus dem Schandfleck plötzlich etwas Einzigartiges, etwas nicht Austauschbares, Nachhaltiges und etwas, zu dem man endlich einen positiven emotionalen Bezug findet, weil man es eben gemeistert hat, aus den ‘hässlichen faschistischen Relikten’ etwas zeitlos Menschliches und Harmonisches zu schaffen.
 
Bausubstanz in solch gutem Zustand wegzureißen, aus Angst sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, oder aus unbemerkter Blindheit, ist ein sehr oberflächliches Vorgehen, eine kopflose Verschwendung von Materialien und die Unterstützung von Baulobby und Betonpolitik.

Die Form der Kaserne beruht auf militärischen Funktionen mit menschenverachtenden faschistischen Absichten. Nun sollten wir auch inhaltlich den Mut haben genau hinzuschauen und die neuen Funktionen, die den Gebäuden innewohnen sollen, entsprechend gestalten.
 

Vielfalt
 

Faschismus will Einfalt statt Vielfalt, darum sollten die umgestalteten Gebäude Funktionen haben, in denen Vielfalt gefördert wird, wo jeder so sein kann wie er ist, wo niemand eine gedankliche oder soziale Uniform tragen muss. Vielfalt der Generationen, Vielfalt der Aktivitäten, Vielfalt an Kultur und verschiedenen Arbeitsaktivitäten, Vielfalt in verschiedenen Arten des Wohnens und Zusammenlebens, Vielfalt in der Art des Lernens. Identitäten, die sich in Wohnungen und Arbeitsräumen entfalten und entwickeln können, können sich auf gemeinschaftlichen Flächen wie dem zentralen Campus, einem Café, einem Forschungszentrum, einem Park treffen und sich in gegenseitigem Respekt austauschen.
 

Lokale Vielfalt in Handwerk und Rohstoffen, sowie themenrelevante Folklore sollen helfen das Areal neu zu gestalten.
 

Vernetzen
 

Die damals neuen Grenzen zu schützen und die Bunkeranlagen zu versorgen war eine der Aufgaben der Kasernenanlagen in Südtirol. Zu einem Ort, der mit anderen Orten grenzüberschreitend verbunden ist und wo inhaltlicher und geschäftlicher Austausch stattfindet, kann das Areal umgenutzt werden. Das Areal, als Erweiterung des Dorfes auf der geografischen Durchzugsachse, lädt zum Einkehren ein, es ist nicht wehrhaft wie eine Burg, aber ein zugänglicher Vernetzungspunkt. Anstatt Grenzen zu schützen, sollte das neue Leben auf dem Areal Grenzen konstruktiv überschreiten.
 

Wohnen


Verschiedene Arten des Wohnens, privat, gemeinschaftlich, gefördert oder genossenschaftlich ermöglichen Wohnen im historischen Bau, welcher statt militärischem Drill Menschlichkeit, statt Abgrenzung Sicherheit und statt faschistischer Kälte nun Wohlgefühl vermittelt. Auch der alte Baumbestand trägt ausschlaggebend zum Wohlbefinden und Charakter des Ortes bei. Wo schon einmal Bäume gerodet worden sind, sollten wir nun achtsam die grünen Zeitzeugen pflegen und zu nutzen verstehen.
Das Solide und Monumentale der Kaserne kann mit leichten, transparenten Konstruktionen ergänzt oder aufgebrochen werden. Lokale Materialien und Bepflanzung mit einheimischem Grün können den ehemaligen Fremdkörper nun ins geschichtsträchtige Tal integrieren. Alte Bautechniken kombiniert mit neuen bringen Verwurzelung und Weitsicht. Nicht aufgezwungen wie der Faschismus oder wie ein monumentales Immobilienprojekt, sondern ortsbezogen, nachhaltig und organisch wachsend soll das neue Leben die bestehenden Baukörper des Areals umgestalten.
 

Da das Areal enteignet wurde, soll ein Großteil des Areals nun im Besitz der Gemeinde bleiben. Ein Ausverkauf an die Immobilienlobby wäre eine erneute Enteignung.
Ein Ausverkauf an die Immobilienlobby wäre eine erneute Enteignung.
Wohnflächen, wie sie die Machbarkeitsstudie vorsieht, können sehr wohl in den umgestalteten Gebäuden Platz finden. Aber die Herangehensweise ist fundamental anders, "mit dem arbeiten was da ist” sowohl materiell als auch geschichtlich. Darum ist dieses Areal schützenswert, darum ist es Kulturgut, weil es uns die Möglichkeit gibt, nun unsere Kultur und unser Umfeld selbst zu gestalten und Schmerzhaftes gut zu machen. 

Schaffen

 

Wo der Faschismus auf Industrialisierung und Masse gesetzt hat soll auf dem Ex-Kasernenareal Handwerk und Unternehmergeist im Zentrum stehen. Die leeren und erschwinglichen Räume können ein junges innovatives Unternehmertum fördern, das im ländlichen Gebiet verankert ist und sowohl lokal, regional als auch international verbunden ist. Neue und fruchtbare Zusammenarbeiten entstehen, wie es bereits in den Kreativwerkstätten in den Bereichen Kunst und Handwerk vorgezeigt wird. Die verschiedenen Aktivitäten entstehen aus den Bedürfnissen der Marktgemeinde und des Tals, ein Ort des Schaffens entsteht, indem Wohnen und Arbeiten vorteilhaft nahe beieinander liegen.
 
 
 

Denken, Lernen, Forschen
 

Gehorsam die Befehle der Obrigkeiten ausführen und diese nie hinterfragen. So wurden Menschen im Faschismus v-erzogen. Die neuen Funktionen, die den Gebäuden innewohnen, sollten uns genau hin-hören lassen und Gehörtes kritisch überdenken und dies eigenständig weiterentwickeln.
Ein Ort des Austausches von Wissen und des kritischen und kreativen Denkens und Schaffens entsteht. Neue Arten des Lehrens und Lernens ergeben sich, wie zum Beispiel durch die Zusammenarbeit der Berufsschule mit den freien Kreativwerkstätten, wo sich institutionelles Lernen und autodidaktes Arbeiten begegnen.
Die Umgestaltung und Aufarbeitung der Geschichte und der geschichtsgeladenen Materie können zu zentralen Inhalten neuer Ausbildungen und Forschungszentren werden, die sich mit Denkmalpflege, neuem und altem Handwerk usw. beschäftigen. Diese Inhalte können auch eine neue Sparte des Tourismus eröffnen.
Haben wir Mut Stellung zu nehmen und Meinungen zu äussern, Mut andere Wege zu erkunden.
Haben wir Mut Stellung zu nehmen und Meinungen zu äussern, Mut andere Wege zu erkunden, Meinung zu entwickeln, Dinge zu hinterfragen und selbst Verantwortung zu übernehmen?
 

Mitgestalten


Im Faschismus entscheidet Einer oder einige Wenige und diese Beschlüsse werden dann auf Biegen und Brechen durchgesetzt. Herr Pinggera, wiederholt sich diese Geschichte mit Ihrem Abrissbeschluss der Palazzina Comando und dem nächtlichen Vorgehen?
Befehle unkritisch auszuführen schließt die Mitgestaltung aus. So soll es auf diesem Areal die Möglichkeiten geben mitzugestalten, politisch und direkt. Leere Räume können mit den Notwendigkeiten der Vinschger belebt werden, egal ob Geschäft, Wohnung, Atelier, Kleinwerkstatt oder landwirtschaftliche Veranstaltung.
 

 

Kühl und kalt ist die rationalistische Architektur, aber genau diese Abwesenheit von Ornamenten gibt uns leere Flächen, weite Räume und solide Substanz, die wir selbst gestalten und füllen können. Auch dies ist ein essentieller Punkt in der Umgestaltung des Areals und des Schreibens einer neuen Geschichte.

Die faschistische Kaserne wurde in eiligen Geheimaktionen bei Nacht und Nebel gebaut, genau so hat auch deren Abriss begonnen. Nun sollte aber ehrliches Handeln stattfinden, das man nicht in Dunkelheit verstecken muss.
Die faschistische Kaserne wurde in eiligen Geheimaktionen bei Nacht und Nebel gebaut, genau so hat auch deren Abriss begonnen. Nun sollte aber ehrliches Handeln stattfinden, das man nicht in Dunkelheit verstecken muss. Hierzu sind statt Nacht und Nebel nun helle Köpfe und transparentes Zusammenarbeiten notwendig, vor allem aber auch ein langsames Vorgehen, ein organisches Umgestalten und Füllen der Räume und Flächen.
Die Drususkaserne ist nur solange ein Faschistendenkmal solange wir es als solches wirken lassen. Gestalten wir die menschenfeindlichen Absichten des Faschismus um, dann wird die Kaserne zu einem Denk-Mal und Beispiel, Leid in etwas Konstruktives gewandelt zu haben. Das ist die Chance für Schlanders und eine Chance für jeden einzelnen.
 
Fotos: Ariel Trettl