Mit Roberto Saviano steht derzeit einer der weltweit bekanntesten italienischen Autoren vor Gericht. Einer, der seine Arbeit als Schriftsteller dem Kampf gegen Camorra und Mafia gewidmet hat. Was den Prozess äusserst brisant macht: seine Gegner im Gerichtsverfahren sind zwei Spitzenpolitiker des Landes: Regierungschefin Giorgia Meloni und der Minister und Lega-Vorsitzende Matteo Salvini. Beide haben den Autor wegen Verleumdung angezeigt. Anlass dazu war eine scharfe Stellungnahme Savianos zum Flüchtlingselend im Mittelmeer. Nach dem Tod eines sechsmonatigen Babys in einem Boot hatte Saviano u.a. geschrieben: "Vi sarà tornato in mente tutto il ciarpame detto sulle ONG: "Taxi del mare" e "Crociere". Viene solo da dire bastardi.."
Bei einem Schuldspruch drohen Saviano zwischen sechs Monaten und drei Jahren Haft. Ziel des Verfahrens sei es, ihn und alle anderen Kritiker der Regierung einzuschüchtern - gibt sich der Autor überzeugt. In einem von der Tageszeitung La Stampa abgedruckten offenen Brief forderte der Präsident des internationalen Pen-Clubs, Burkan Sönmez, Meloni zur Rücknahme der Anzeige auf. Es sei besorgniserregend, dass Journalisten und Schriftsteller für das, was sie schreiben, angeklagt oder eingesperrt werden können.
Es sei besorgniserregend, dass Journalisten und Schriftsteller für das, was sie schreiben, angeklagt oder eingesperrt werden können.
In der besagten Fernsehsendung vom 20. Dezember 2020 - als Melonis Fratelli d´Italia noch eine Oppositionspartei waren - ging es um die italienische Flüchtlingspolitik. Dabei kritisierte Saviano die Rechtspopulisten Salvini und Meloni und machte sie indirekt für den Tod des sechsmonatigen Babys im Mittelmeer verantwortlich.
Saviano hatte 2006 nach aufwendigen Recherchen den Roman Gomorrha veröffentlicht, der die weitreichende globale Vernetzung von Mafia und Camorra mit der legalen Wirtschaft schildert. Das Buch wurde in mehreren Ländern zum Bestseller und diente auch als Vorlage für die bekannte Fernsehserie. Seit dessen Erscheinen steht der Autor unter Polizeischutz. Er lebt meistens in den USA und muss sich nachts in Kasernen verstecken.
Bemerkenswert ist, dass die ausländische Presse dem Gerichtsverfahren weit grössere Aufmerksamkeit widmet als die italienische. Zeitungen wie The Guardian, Liberation, FAZ und die Zeit widmeten dem Prozess der Parteienvertreter gegen den Autor ausführliche Artikel. Darin wird auch Kritik am italienischen Starautor geübt. So zitiert etwa die Süddeutsche Zeitung den Autor Christian Raimo, der im römischen Verlag Minimum Fax erste Texte von Salvini lektoriert hatte, bevor er mit Gomorrha zum Weltautor wurde. Raimo analysiert dabei, wie Saviano heute in seiner Rolle als öffentliche Figur gefangen sei und dadurch nicht der grosse Schriftsteller geworden sei, der er hätte werden können. So sei er in Zero Zero Zero zur Parodie seiner selbst geworden, die nur noch in Slogans rede und den Leser mit jeder Zeile in Erregung versetzen wolle.
Bemerkenswert ist, dass die ausländische Presse dem Gerichtsverfahren weit grössere Aufmerksamkeit widmet als die italienische.
Doch auch der kämpferischen Regierungschefin scheint nun plötzlich die Lust abhanden zu kommen, vor den TV-Kameras aus aller Welt im Gerichtsaal gegen den bekanntesten Schriftsteller des Landes anzutreten. Ihre Verteidiger teilten nun lakonisch mit: "Valutiamo se ritirare la querela." Ob auch Salvini diesem Beispiel folgen will, bleibt vorerst ungeklärt.