Umwelt | Klimawandel

Zweites Lützerath?

Climate Action, Zukunftspakt und die GWÖ-Regionalgruppe lehnen weiteren Torfabbau ab. Um dessen Emissionen zu begleichen, bräuchte es unzählige neue Photovoltaik-Anlagen.
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Foto: Wikipedia / Christian Fischer
Bereits vorige Woche kritisierten Umweltverbände den geplanten Torfabbau in Leifers, nun führen die Gemeinwohlökonomie (GWÖ)-Regionalgruppe Südtirol, der Zukunftspakt Südtirol und Climate Action South Tyrol mit einer Reihe an Argumenten ihre Ablehnung des umstrittenen Projektes aus.
 

Der offene Brief im Wortlaut

 
Der Südtiroler Klimaplan ist klar: „Die Genehmigung von Torfabbau wird unmittelbar eingestellt“. Jetzt aber sollen trotz Klimaplan in der Gemeinde Leifers zusätzliche 22.300 Kubikmeter Torf abgebaut werden.
Die Fläche des geplanten zusätzlichen Torfstiches ist mit rund 3.400m² kleiner als ein halbes Fußballfeld, was auf den ersten Blick wenig erscheint. Der Schaden für das Klima ist aber beachtlich. Die Torfentnahme verursacht laut neuer EURAC Studie über den Torfabbau in Südtirol klimarelevante Emissionen im Ausmaß von 15.900 Tonnen CO2e (Kohlenstoffdioxid-Äquivalente) pro Hektar. Das ergibt für die Fläche der angestrebten neuen Konzession in Leifers in der Nähe des Fußballplatzes rund 5.500 Tonnen CO2e. Der Torf dient einem fragwürdigen Nutzen: Er soll vor allem als Substrat für die Pilzzucht und für den Gartenbau verwendet werden. Es gibt bereits Alternativen auf dem Markt, welche den Einsatz von Torf vermeiden können. Allerdings sind diese teurer und noch nicht so gut erprobt wie der Torf.
Bei solch hohen Kosten, die durch eine CO2-Steuer entstehen werden, ist es sehr fraglich, ob sich ein Torfstich überhaupt noch rechnet.
Für den Abbau werden geschätzt 2 Arbeitsplätze geschaffen. Den Nutzen hat ein einzelnes Unternehmen und der Grundeigentümer, den Schaden aber hat die gesamte Südtiroler Bevölkerung. Als „Umwelt-Ausgleichsmaßnahme” würde laut der vom Unternehmen Nord Torf GmbH eingereichte Umweltvorstudie die Gemeinde Leifers 11.500 Euro „für die Umsetzung ökologischer Maßnahmen” bereitgestellt bekommen. Dies entspricht der gesetzlich vorgeschriebenen Abbaugebühr, welche seit 2014 nicht mehr angehoben wurde. Mit dem Geld sowie einigen eher kosmetischen Ausgleichsmaßnahmen wie ein knapp 350 m2 großen Teich soll der Umweltschaden reingewaschen werden. In der Vorstudie wird erwähnt, dass die Entnahme des Torfes - dabei handelt es sich um einen landesweiten seltenen Bodentyp - „zumindest mäßig negativ beurteilt werden” muss. Allerdings wurde in der Studie nirgends auf die Emissionen klimarelevanter Gase eingegangen.
 
 
Vergleicht man die zu erwartenden Emissionen mit der zu verrichtenden Abgabe an die Gemeinde, entspricht dies einer „CO2 Steuer” von 2 Euro / Tonne. Das ist ein Witz, wenn man weiß, dass für das Recht, eine Tonne CO2 freisetzen zu dürfen, ein Vielfaches davon bezahlt werden muss. Würde der aktuelle CO2-Preis Österreichs von 30 Euro angewandt, würde das dem Unternehmen statt 11.500 Euro satte 165.000 Euro kosten. Beim aktuellen CO2-Preis von 118 Euro in Schweden würde die CO2-Abgabe sogar auf rund 650.000 Euro steigen. Bei solch hohen Kosten, die durch eine CO2-Steuer entstehen werden, ist es sehr fraglich, ob sich ein Torfstich überhaupt noch rechnet. Für den Klimaschutz wäre das gut, gelten doch Torfböden als die weltweit effizientesten CO2 Speicher.
Welche Kosten und Folgen für die Allgemeinheit hat es, wenn für die 2-3 Arbeitsplätze über 5.500 Tonnen an CO2 in die Luft gepustet werden können? An die 6.300 Pendler aus Eppan müssten ab Eröffnung des Torfstiches ein Jahr lang jeden Tag bei Regen und Schnee mit dem Fahrrad nach Bozen pendeln anstatt das Auto zu benutzen, um den Klima-Schaden aus dem Torfstich wieder gut zu machen.
Oder:
Es müssten sofort zusätzliche PV-Anlagen mit einer Leistung von ca. 1 MWp installiert werden. Dazu müssten 100 Hausbesitzer überzeugt werden, eine PV-Anlage von 10 KWp auf ihrem Dach zu installieren. Für diese 100 neuen PV-Anlagen würde die öffentliche Hand, bei der aktuellen Förderung von 50%, sagenhafte 750.000 Euro an Beiträgen berappen - de facto zum Fenster hinauswerfen - um den CO2-Ausstoß des neuen Torfstiches zu kompensieren. Diese PV-Anlagen müssen zudem 15 Jahre lang laufen.
Oder:
In Südtirol müssten ab sofort weitere 9.200 Personen zu Vegetariern werden oder 4.200 Personen komplett auf vegane Ernährung umstellen.
Ist den Politikern bewusst, dass es die öffentliche Hand über 40 Mio. Euro an Fördergeldern kostet, um diese Menge an CO2-Ausstoß durch die Installation von zusätzlichen PV-Anlagen auf Dächern wieder auszugleichen?
Diese Zahlen zeigen die Relation des Ausstoßes an Treibhausgasen des geplanten Torfstiches. Im Vergleich zum Nutzen für die Volkswirtschaft sind die Schäden vollkommen unverhältnismäßig.
Laut Eurac-Studie sind bereits Konzessionen für den Torfabbau in Südtirol aktiv, die weitere 300.000 Tonnen CO2 produzieren könnten. Wenn man nun diese Menge CO2 mit jener Menge an CO2 vergleicht, welche durch den umstrittenen Abbau der Braunkohle in der Umgebung von Lützerath (NRW, Deutschland) entstehen würden, kommt man auf folgende Zahl:
Der Abbau der Braunkohle würde 1,3 Tonnen CO2 pro Einwohner in Deutschland bedeuten. Der bereits genehmigte Torfabbau würde in Südtirol 0,55 Tonnen CO2 pro Einwohner betragen. Das ist zwar weniger, aber die Befürworter des Tagebaus in Lützerath führen gewichtige, wenn auch sehr umstrittene Argumente ins Feld: Sicherung des Energieversorgung und des Industriestandortes Deutschland.
Die Konzessionen für den Torfabbau sind also für die Gesellschaft und die öffentliche Verwaltung ein denkbar schlechtes Geschäft.
Welche überzeugenden Argumente können die Befürworter und Nutznießer der Torfstiche in Südtirol anführen, welche über den eigenen Nutzen und den Profit eines einzelnen Unternehmens hinausreichen?
Mit dem Umweg-Argument der Arbeitsplätze kann der Torfabbau nicht punkten: Dieser verursacht weit über 2.000 Tonnen CO2 pro Arbeitsplatz und Jahr. Dabei ist der Ausstoß der vielen nötigen LKW-Fahrten gar nicht eingerechnet. Zum Vergleich spricht man im produzierenden Gewerbe von einem Ausstoß von rund 10 Tonnen pro Arbeitsplatz und Jahr.
Laut der 2022 von der Eurac veröffentlichten „Studie zum Torfabbau in Südtirol” würden die bereits erteilten Konzessionen in den kommenden 10 Jahren einen Gesamtausstoß von 300.000 Tonnen CO2e verursachen. Ist Torf also die „Braunkohle” Südtirols und der Torfabbau also das „Südtiroler Lützerath”? Diese Frage kann man mit „Ja” beantworten, denn die Relation des Ausstoßes durch den Torfabbau pro Kopf lässt einen solchen Schluss zu. So weit wie in Lützerath in NRW mit den Protesten und der unschönen und kostspieligen Polizeigewalt muss es allerdings nicht kommen: Noch hat die Landesregierung die Chance, den Klimaplan 2040 und das Gemeinwohl über die Interessen von einzelnen zu stellen und die neue Konzession in Leifers nicht zu erteilen.
Darüber gehören alle Konzessionen zu den Torfentnahmen in Südtirol auf den Prüfstand: ist es sinnvoll, die 300.000 Tonnen CO2-Ausstoß stillschweigend zu akzeptieren? Ist den Politikern bewusst, dass es die öffentliche Hand über 40 Mio. Euro an Fördergeldern kostet, um diese Menge an CO2-Ausstoß durch die Installation von zusätzlichen PV-Anlagen auf Dächern wieder auszugleichen? Ganz zu schweigen, wenn der zusätzliche nötige PV-Ausbau auf Überdachungen von öffentlichen Parkplätzen erfolgen sollte, welche durch das neue PV-Gesetz des Landes ermöglicht werden sollen. Dann steigt die Summe an öffentlichen Zuschüssen durch die aktuell geltenden Steuerabschreibungen von 50% locker auf 80-100 Mio. Euro.
Im „Klimaplan Südtirol 2040” (S.44) wird unter 6.12 Aktionsfeld „Langfristige CO2-Senken” klipp und klar das Ziel gesetzt: „Keinen neuen Abbau von Torf genehmigen und die erteilten Genehmigungen auslaufen lassen.” Wenn Südtirol seine CO2-Senken tatsächlich wahren und die Ziele des Klimaplanes ernst nehmen will, ist der Torfabbau in Leifers und im übrigen Landesgebiet unmittelbar einzustellen.
Die Konzessionen für den Torfabbau sind also für die Gesellschaft und die öffentliche Verwaltung ein denkbar schlechtes Geschäft und in Anbetracht des geringen Nutzens für die Allgemeinheit nicht mehr zu verantworten.
 
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Thomas Benedikter Sa., 11.02.2023 - 21:22

Sehr gut begründeter offener Brief. Im Klimaplan Südtirol 2040 ist das Verbot von neuem Torfabbau klar verankert. Das mag zwar im Südtiroler Klimaschutz mengenmäßig gegenüber anderen CO2-Schleudern nicht so ins Gewicht fallen, hat aber symbolisches Gewicht: wenn man schon eine solch klar begründete Maßnahme nicht durchsetzt, wie wird das mit anderen, komplexeren Maßnahmen gehandhabt werden? Ständig ein Schritt nach vorn, zwei zurück? Die Glaubwürdigkeit des ganzen Klima-Planungswerks und der dafür Verantwortlichen steht und fällt gerade auch mit solchen Aspekten.

Sa., 11.02.2023 - 21:22 Permalink
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Klemens Riegler So., 12.02.2023 - 17:15

Die Argumente Torf hier nicht abzubauen sind klar formuliert, nachvollziehbar und kaum widerlegbar.
Eine Genehmigung scheint ja sogar klar gegen geltendes Gesetz zu verstoßen: ABGELEHNT (Emojis not available)

So., 12.02.2023 - 17:15 Permalink
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Stefan S Mo., 13.02.2023 - 19:09

"Es gibt bereits Alternativen auf dem Markt, welche den Einsatz von Torf vermeiden können. Allerdings sind diese teurer und noch nicht so gut erprobt wie der Torf." Dieser Frage sollte man sich aber auch offen widmen, wenn am Ende des Tages der Torf aus einem Umkreis von 500 km und mehr heran gekarrt wird bekommt die Rechnung den Status "Milchmädchenrechnung" Also wie sieht der Ersatz aus oder könnte man sogar ganz darauf verzichten? Nur so wird ein Schuh daraus.

Mo., 13.02.2023 - 19:09 Permalink
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Johannes Engl Mo., 13.02.2023 - 21:44

Antwort auf von Stefan S

Da in Sütirol/Trentino meines Wissens nach wenig Pilzzucht betrieben wird, kann man davon ausgehen, dass auch der Südtiroler Torf einige 100km bis zum Verbraucher transportiert wird. Die Verwendung von Torf in Gartenerden für Hobbygärtner gehört als erstes unterbunden (in Deutschland ab 2026 untersagt). Vielen ist die CO2 Intensität von Torfentnahmen nicht bewusst. Für die Pilzzucht und die Baumschulen wird es eine Übergangszeit mit einem Ausstiegszenario (5-7 Jahre?) brauchen, damit Forschung und Industrie sich anstrengen, Alternativen zu finden. Sicher kein leichtes Unterfangen. Aber man ist dran: https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Torf-Die-Suche-nach-e…

Mo., 13.02.2023 - 21:44 Permalink