Politik | Basismedizin

Gesundheitssystem vor dem Kollaps?

Abwarten ist mit Sicherheit keine Option, sagt Franz Ploner zum Thema Hausärztemangel. In einem Beschlussantrag fordert er umfangreiche Verbesserungen.
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Foto: Pixabay
„Das Gesundheitssystem in Südtirol befindet sich im Krisenmodus – und braucht eine veritable Zeitenwende, wenn eine hochwertige, wohnortnahe Versorgung langfristig sichergestellt werden soll“, fordert Franz Ploner. Der Landtagsabgeordneter des Team K und ehemaliger Leiter des Krankenhauses Sterzing befürchtet einen Kollaps des Gesundheitssystems, wenn nicht rasch durch entsprechende politische Entscheidungen und verwaltungstechnische Maßnahmen gegengesteuert wird. Die Situation in der Allgemeinmediziner sei dramatisch und werde sich durch die anstehende Pensionierungswelle und aufgrund des fehlenden Nachwuchses noch weiter verstärken, prophezeit der Mediziner und nennt dazu aktuelle Zahlen.
 
 
 
 
 
So befinden sich derzeit am Institut für Allgemeinmedizin an der Claudiana 12 Ärzte im ersten Ausbildungsjahr, zwei Ärzte im zweiten und elf Ärzte im dritten Ausbildungsjahr. Ein Ärztemangel in der hausärztlichen Versorgung sei bereits in vielen Gemeinden Südtirols vorhanden. Dieser werde sich sowohl in den Landgemeinden als auch in den Städten des Landes weiter in raschem Tempo verstärken. „Angesicht der demographischen Entwicklung und den Herausforderungen bei der Nachwuchsgewinnung muss dringend gehandelt werden. In Südtirol gibt es derzeit 288 Ärzte und Ärztinnen für Allgemeinmedizin (Stand 2022). Bereits jetzt sind beinahe 80 Hausarztstellen im Land unbesetzt“, so Ploner und nennt weitere Statistiken, laut derer bis zum Jahr 2031 mehr als 100 Hausärzte und Hausärztinnen in den Ruhestand gehen werden – zusätzlich zu den bereits jetzt schon fehlenden rund 80 Allgemeinmedizinern. Diese könnten nur zu einem geringen Teil von den auszubildenden Ärzten und ehemaligen Krankenhausärzten, die sich als Basismediziner niederlassen möchten, ersetzt werden.
 
 
Angesicht der demographischen Entwicklung und den Herausforderungen bei der Nachwuchsgewinnung muss dringend gehandelt werden.
 
 
 
„In den kommenden zehn Jahren werden rund 60 Prozent aller Hausärzte das Pensionsalter erreichen. Zusätzlich werden die demographischen und epidemiologischen Veränderungen den Bedarf der Bevölkerung an der medizinischen Basisversorgung noch weiter erhöhen“, erklärt der Team K-Abgeordnete und verweist dabei zudem auf das neue Verständnis von Work-Life-Balanc, wonach die neue Generation von Hausärzten vermehrt in Teilzeit arbeiten will. Weiters bestehe die Gefahr einer Kündigungswelle oder einer Frühpensionierung der Hausärzte, wenn die Arbeitsbedingungen sich nicht verbessern und der Druck auf die verbliebenen Hausärzte noch steigt. „Bereits jetzt spielen einige Basismediziner, vor allem junge Ärzte mit dem Gedanken, den Hausarztberuf aufzugeben. Einige haben dies bereits getan. Mit jedem Arzt, der kündigt oder in Frühpension geht, steigt der Druck auf die verbliebenen Hausärzte“, so Ploner. Der bereits jetzt vorhandene Hausärztemangel, der in den kommenden Jahren dramatisch zunehmen wird, wird schwerwiegende Auswirkungen nicht nur auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung, sondern auch auf die Arbeitsbelastung der tätigen Hausärztinnen und Hausärzte haben.
 
 
 
 
 
Die Hausärzte werden gezwungen sein, einen Teil ihrer Arbeits- und Versorgungslast auf andere Einrichtungen, vor allem auf die Krankenhäuser, abzuwälzen, beschreibt Ploner die Situation und zitiert dabei den Hausarzt und wissenschaftlichen Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin, Dr. Piccoliori, der davor warnt, dass dies sogar bis zum Zusammenbruch des öffentlichen Versorgungssystems in Südtirol führen könnte. Ploner nennt in diesem Zusammenhang eine Online-Befragung bei Medizinstudenten und Ausbildungsärzten, die im Sommer 2022 vom Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen in Zusammenarbeit mit der medizinischen Universität Innsbruck und den Tirol Kliniken durchgeführt wurde. Damit wollte man die Gründe eruieren, weshalb für viele Studierende an der Medizinischen Universität Innsbruck und für Ärzte in Ausbildung an den Tirol Kliniken die Allgemeinmedizin kein „Traumjob“ mehr ist. Demnach hätten über die Jahre hinweg sehr wenige Südtiroler Jungärzte eine Ausbildung in Allgemeinmedizin in Südtirol angestrebt und sich für eine Praxiseröffnung in Südtirol entschieden. Laut dieser Befragung haben nur 19% der Südtiroler Studierenden eine Ausbildung als Hausärzt in Südtirol angestrebt, wohl hätten aber 71% diese Ausbildung in Österreich absolviert. Die häufigsten Beweggründe sich nach der Ausbildung zum Basismediziner gegen eine Niederlassung in Südtirol zu entscheiden, seien die Organisation des Gesundheitswesens, limitierte Möglichkeit für Zusatzdiagnostik, geringe Wertschätzung durch die Politik und den Sanitätsbetrieb, die schwierige Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern und die Bürokratie und Verwaltung.
 
 
Grundsätzlich besteht bei den Jungärzten großes Interesse am Fach für Allgemeinmedizin, jedoch die Ausbildung und die Niederlassung sind in Südtirol wenig attraktiv.
 
 
Grundsätzlich bestehe bei den Jungärzten und Jungärztinnen großes Interesse am Fach für Allgemeinmedizin, jedoch die Ausbildung und die Niederlassung seien in Südtirol wenig attraktiv. Unter Berufung auf den Präsidenten des Instituts für Allgemeinmedizin Dr. Adolf Engl erklärt Ploner, dass während der Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin im Vergleich zu den anderen Facharztausbildungen kein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird und damit zusammenhängend die praktische Tätigkeit während der Ausbildung mangelhaft ist.
In seinem Beschlussantrag fordert Ploner daher, Gemeinschaftspraxen, deren Ausstattung und Einrichtung mit Instrumentaldiagnostik (EKG, Ultraschall, POC-Laborgeräten, Spirometrie u.a.m.) zu fördern bzw. zu finanzieren sowie zur Qualitätssteigerung der Patientenversorgung Sprechstundenhilfen bzw. Dokumentationsassistenten zu implementieren. Weiters soll die Digitalisierung der Hausarztpraxen sowie der Ärzte in den Seniorenheimen rasch umgesetzt werden, damit sie Zugriff zur digitalen Krankenakte bzw. den Befunden haben, um eine adäquate medizinische Grundversorgung der Bevölkerung zu garantieren. Auch die digitale Vernetzung der Hausarztpraxen mit den Krankenhäusern soll vorangetrieben und die jungen Kollegen bei der Gründung von Hausarztpraxen unterstützt werden. Ebenso fordert der Team K-Abgeordnete ein Anstellungsverhältnis für die Ärzte in Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin so wie das bereits für die anderen Facharztausbildungen vorgesehen ist, die Schaffung von Rahmenbedingungen für ärztliche Teilzeitverträge in Hausarztpraxen, um familienfreundliche Arbeitsbedingungen für Jungärzte zu ermöglichen, und schlussendlich dass sich das Land dafür einsetzt, dass das Ausbildungskurrikulum zum Facharzt für Allgemeinmedizin im Medizinstudium stärker verankert wird.
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Robert Zagler Fr., 17.02.2023 - 12:58

Das Krankenkassensystem ist lange schon kollabiert!
...wenn man schnell wissen will wie's einem geht bleibt nur der Privattermin in den aus dem Boden sprießenden Privatkliniken!
...und wen trifft man da?
Alte Bekannte...

Fr., 17.02.2023 - 12:58 Permalink
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Klemens Riegler Fr., 17.02.2023 - 23:13

Antwort auf von Karl Egger

Diese Aussage ist klar unfair! Arno Kompatscher hat sich in den vergangenen Monaten ein Bild von der Situation gemacht und wüsste wohl theoretisch was zu tun wäre. Aber die Sanität ist ein festgefahrener Karren, der sich nur gemeinsam mit der Sanitätsspitze, dem Resort, den Sanitätseinheiten und schlussendlich mit allen Beteiligten (von den Primaren, über die Hausärzte bis zum Sanitätspersonal) herausziehen lässt.
... wobei die Privatmedizin (Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Ambulanzen) dem Karren längst die Hinterachse abgerissen hat. Die muss der aktuelle Gesundheitslandesrat Kompatscher erst wieder anschweißen lassen. Sein Vorgänger hat es vielleicht gut gemeint, aber mit einer Achse kippt fast jeder Hänger ...

Fr., 17.02.2023 - 23:13 Permalink
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Max Benedikter Fr., 17.02.2023 - 16:10

"Organisation des Gesundheitswesens, limitierte Möglichkeit für Zusatzdiagnostik, geringe Wertschätzung durch die Politik und den Sanitätsbetrieb, die schwierige Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern und die Bürokratie und Verwaltung."

Das sind alles hausgemachte Probleme zum dem sich der schlimmste gesellt: ABSOLUT KEINE DIGITALE VERNETZUNG zur Krankenakte. Das Problem ist ganze 20 Jahre alt und kostet Unmengen an Geld (in doppelt und dreifachen Untersuchungen, unnütze Fachärztliche Visiten) Ahhh! Ich kann's schon gar nicht mehr hören!!

Fr., 17.02.2023 - 16:10 Permalink
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Klemens Riegler Fr., 17.02.2023 - 22:53

Antwort auf von Max Benedikter

Und wer stemmt sich schon seit 20 Jahren gegen eine DIGITALE (einheitliche) VERNETZUNG?
Nein, es ist nicht die Sanitätsspitze in Bozen. Die tut sich eher schwer den im Osten, Westen und Norden angesiedelten Sanitäts-Freistaaten zu erklären, dass nicht jede Sanitätseinheit ein eigenes, digitales Daten-Süppchen kochen kann. Und wenn auf gewissen Hausarzt-PC´s noch Windows XP läuft, dann wird die Digitale Vernetzung tatsächlich schwierig. Abgesehen vom Datenschutz auf XP.

Zudem dürfte ruhig erwähnt werden, dass es draußen in den ländlichen Gegenden durchaus Hausärzte gibt die mit eigenfinanzierter Zusatzdiagnostik ausgestattet sind, eine hohe Wertschätzung genießen, sich vorlaufend weiterbilden und Windows 11 oder 365 und sogar MacOS Ventura installiert haben. Und siehe da; genau die hört man kaum "raunzen".

Fr., 17.02.2023 - 22:53 Permalink
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Max Benedikter Sa., 18.02.2023 - 15:12

Antwort auf von Klemens Riegler

Ja. Kann sein. Aber der Einheitsbetrieb Sabes existiert seid mehr als 10 Jahren. Die vier Sanitätsbetriebe wurden ja zusammen gelegt.
Und ja, es gibt einige sehr motivierte Hausärzte, die Zusatzdiagnostic verwenden. Allerdings sind das meistens die Basispediater, denn diese haben einen anderen Konventionsvertrag bei dem Zusatleistungen mit eigenen Geräten von der Kasse bezahlt werden. Bei Hausärzte für die Erwachsenen ist es nicht erlaubt Zusatzdienste (zum Beispiel ein Bauch Ultraschall) bei einem eigenen Patienten zu verrichten.

Sa., 18.02.2023 - 15:12 Permalink
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m s Fr., 17.02.2023 - 16:48

Aber der Wolf...Im Ernst: Wenn nur die Hälfte der politischen Vertreter sich um die Verbesserung des Sanitätbetriebs und das Vermeiden der (auf lange Sicht teuren) Übertragung von Basisdiensten in den Privatsektor einsetzen würde, anstatt sich um diese Lapalien zu kümmern, wäre auch was erreicht. Aber der Wähler ist auch ein wenig selbst Schuld wenn er solche Prioritäten setzt und diese Politiker auch noch wählt...

Fr., 17.02.2023 - 16:48 Permalink
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Josef Fulterer Fr., 17.02.2023 - 18:06

Antwort auf von m s

Es rächen sich wohl auch "die strammen Zulassungs-Beschräkungen zum Arzt-Studium," die höchste Matura-Noten für die Schulfächer verlangen, die in der Medizin nur eine untergeordnete Bedeutung haben.
Damit werden viele Jugendliche vom Arzt-Studium ausgeschlossen, die mit Einsatz und Begeisterung sehr tüchtige Ärzte werden könnten.

Fr., 17.02.2023 - 18:06 Permalink