Gesellschaft | Gesundheit

Eine unattraktive Ausbildung?

„Nie wieder Claudiana“, haben einige Studenten der Team K-Abgeordneten Maria Elisabeth Rieder gegenüber erklärt und eine Reihe von Kritikpunkten angebracht.
Claudiana Studenten
Foto: claudiana

Doch ist das Südtiroler Ausbildungszentrum für Gesundheitsberufe wirklich so schlecht wie sein Ruf? Salto.bz hat mit zwei Studentinnen gesprochen und sie nach ihren Erfahrungen gefragt. „Man muss wirklich eine Passion für diesen Beruf haben, andernfalls zieht man dieses Studium nicht bis zum Ende durch“, erklären beide Studentinnen unisono und betonen: „Wir wollen von Herzen gerne einen Beruf im Gesundheitsbereich ausüben, deshalb sind wir auch bereit, viele Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen.“ Wochenend-, Feiertagsdienste und Nachtschichten sowie die geringe Entlohnung schrecken sie nicht ab. „Zach, gell? Wie blöd wir eigentlich sind“, so ihre nicht nur humorvoll gemeinte Selbsteinschätzung.

 

Wir wollen von Herzen gerne einen Beruf im Gesundheitsbereich ausüben, deshalb sind wir auch bereit, viele Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen.

 

Ausbildungsoffensive

Der Mangel an Fachkräften insbesondere im Pflegebereich hat die Südtiroler Landesregierung veranlasst, im Rahmen des dreijährigen Ausbildungsplanes die Anzahl der Studienplätze von 150 auf 250 für das Ausbildungsjahr 2021/22 zu erhöhen. Zudem hat die Landesregierung beschlossen, Studienplätze im Bereich der Krankenpflege an der fh Gesundheit in Innsbruck zu „kaufen“. In den Jahren 2020 und 2021 wurden jeweils 18 Plätze finanziert, mit Beschluss der Landesregierung wurden diese auf 30 Plätze pro Jahr aufgestockt. Die Studierenden, die sich für einen vom Land finanzierten Studienplatz bewerben, verpflichten sich im Gegenzug dazu, innerhalb von fünf Jahren nach Abschluss der Ausbildung für drei Jahre im öffentlichen oder vertragsgebundenen Gesundheitsdienst oder in Seniorenheimen des Landes zu arbeiten. Wie aus einer Anfrage des Team K hervorgeht, absolvieren derzeit 140 Südtiroler Studierende ein Pflegestudium an der Innsbrucker Fachhochschule. Davon haben 34 Personen die Südtiroler Verpflichtungserklärung unterschrieben, 106 dagegen haben sich nicht um einen Ausschreibungsplatz beworben. Aus einer weiteren Anfrage geht hervor, dass sich für das 1. Ausbildungsjahr 2022/23 an der Claudiana 86 Studierende im Lehrgang zur Krankenpflege angemeldet haben. Das entspricht rund einem Drittel der ausgeschriebenen Ausbildungsplätze.

 

 

 

Die hohen Studiengebühren von 2.000 Euro pro Jahr plus die rigide Anwesenheitspflicht in Form des berühmt berüchtigt gewordenen „Stempelns“ machen das Studium für etliche Studenten unattraktiv. Dabei ist die Anwesenheitspflicht an sich nicht das Problem, denn diese Vorgabe besteht auch bei anderen Fachhochschulen für Gesundheitsberufe wie beispielsweise jenen in unserem Nachbarland Tirol. Dort wird die Präsenz mittels Anwesenheitsliste kontrolliert. Das Problem für viele Studenten besteht vielmehr darin, dass vor allem während des ersten Semesters auch der Besuch jener Fächer verpflichtend ist, die bereits in der Oberschule zum Unterrichtsstoff zählten und wenig fachspezifisch sind. Für sie wäre es somit weit sinnvoller, die Möglichkeit zu eröffnen, Eingangsprüfungen in Fächern wie Biologie, Chemie, Physik oder Englisch abzulegen, damit jene Studenten, die den Stoff bereits beherrschen, diesen nicht wiederholen müssen.

 

Für völliges Unverständnis sorgt auch das Fach Religion.

 

Für völliges Unverständnis sorgt auch das Fach Religion, das für die Studienlehrgänge der Università Cattolica del Sacro Cuore vorgeschrieben ist. Nicht nur, dass auch in diesem Fach die Anwesehnheitspflicht gilt, sondern die Credits bzw. Stunden werden für das Bachelor-Studium nicht anerkannt, obwohl eine Prüfung abgelegt werden muss. Vergeudete Zeit, für die auch noch teuer bezahlt werden muss, so die Meinung der Studentinnen. Apropos teure Ausbildung: Im Vergleich zur Claudiana beträgt die Studiengebühr an den öffentlichen Universitäten und den meisten Fachhochschulen in Österreich „nur“ 363,26 Euro pro Semester. Um dem Fachkräftemangel im Pflegebereich zu begegnen, werden zudem seit dem 1. September 2022 die Pflegeausbildungen in Österreich seitens des Bundes und der Tiroler Landesregierung mit einem monatlichen Ausbildungsbeitrag von 600 Euro gefördert. Zusätzlich dazu übernimmt das Land Tirol seit dem Wintersemester 2022/23 die Studiengebühren für das Pflege-Studium. Wie die beiden Studentinnen berichten, ist insbesondere der 600-Bonus ein großes Thema.

 

Sprache entscheidend

Während vielfach auch der zweisprachige Unterricht an der Claudiana kritisiert wird, angeblich überwiegt im Unterricht das Italienische, ist es gerade dieser Faktor, weshalb sich Südtiroler Studenten bewusst für eine Ausbildung an der Claudiana entscheiden. Dass ein Ungleichgewicht zwischen den beiden Unterrichtssprachen herrscht, können die beiden Studentinnen jedenfalls nicht bestätigen. „Ich finde die zweisprachige Ausbildung toll und sie bietet sehr viele Vorteile“, sind sich beide einig. Zwar sei der Unterricht in der Fremdsprache anstrengender und auch das Aneignen der Lerninhalte sei mühsamer, allerdings wird bei den mündlichen Prüfungen meistens ein Auge zugedrückt, wenn es heißt: Die Sprache soll nicht das Problem sein.

 

 

Als sehr positiv werden auch die vorgeschriebenen Praktika, die in den verschiedenen Gesundheitseinrichtungen des Landes absolviert werden müssen, hervorgehoben. Mit jedem Semester steigt der Umfang der Praktika, die in jedem Tätigkeitsbereich des Studienlehrganges absolviert werden müssen. 45 Prozent der Ausbildungszeit umfassen praktische Tätigkeiten, die entweder in Simulationen (vor dem eigentlichen Patientenkontakt) oder anschließend im Kontakt mit den Patienten durchgeführt werden. Das bietet die Möglichkeit, die Gesundheitsstrukturen bereits im Rahmen des Studiums kennenzulernen.

 

Ein echtes Vollzeit-Studium

Neben den Vorzügen einer zweisprachigen Ausbildung und der Praktika gibt es allerdings auch negative Aspekte, die sich vor allem um die Themen Anwesenheitspflicht und Verschiebungen im Stundenplan drehen. Das „Stempeln“ bzw. die Pflicht, mittels eines Zeiterfassungssystems die Anwesenheit zu bestätigen, macht das Studium für junge Leute sehr unattraktiv, sind die Studentinnen überzeugt. Die verschiedenen Lehrgänge der Claudiana sind als Vollzeit-Studium konzipiert. Studenten, die sich nebenher etwas dazu verdienen müssen, junge Mütter oder Personen, die einen Angehörigen pflegen, stehen deshalb vor enormen Herausforderungen. Dies ist auch der Grund, weshalb sich viele, die zwar gerne einen Gesundheitsberuf erlernen möchten, gegen ein Studium an der Claudiana entscheiden. Zusätzlich dazu kommt es immer wieder zu Verschiebungen bei den Stundenplänen, sprich: Der Stundenplan ändert sich wöchentlich und wird zudem relativ spät mitgeteilt, so die Kritik der beiden Studentinnen, die berichten, dass die Verschiebungen nicht nur die Unterrichtszeit jener Professoren betrifft, die eine weite Anreise haben, sondern scheint es ein generelles Problem zu sein. Von einer Mutter und Studentin an der Claudiana verlangt diese „Flexibilität“ einiges an Organisationstalent ab!

 

 

 

„Die Betreuung für mein Kind zu planen und zu organisieren ist deshalb enorm schwierig“, berichtet eine Mutter. Zum Glück könne sie jedoch auf eine Betreuerin zurückgreifen, die ebenfalls sehr flexibel ist und sich nach ihrem Stundenplan richten kann. Steht einem diese Möglichkeit jedoch nicht zur Verfügung, so „ist es schlichtweg nicht möglich, dieses Studium durchzuziehen“. „Ich habe als Studentin an der Claudiana keinen Anspruch auf Mutterschutz. Wenn mein Kind krank ist, gilt das nicht als Grund für ein entschuldigtes Fernbleiben“, zeigt sich die Studentin enttäuscht und verweist dabei auf entsprechende Kinder-Betreuungsangebote an der Freien Universität Bozen und an der Universität Brixen. Ein ähnliches Angebot fehle an der Claudiana. Auf Nachfragen zwecks Entgegenkommen habe es geheißen, dass man als Studentin Ziele habe, die man erreichen müsse – egal wie. „Tragisch und schlimm sei dies“, betonen beide Studentinnen. Mütter, die sich für einen Gesundheitsberuf interessieren, oder Personen, die nebenher einer Arbeit nachgehen müssen, um sich den Lebensunterhalt und das Studium finanzieren zu können, werden ausgeschlossen – trotz Fachkräftemangel.

 

Ich habe als Studentin an der Claudiana keinen Anspruch auf Mutterschutz.

 

„Es wäre wünschenswert, wenn sich die Ausbildung an der Claudiana an den Modellen in Österreich und Deutschland mit ihren System von Pflicht und Wahlfächern orientieren würde“, betonen die Studentinnen. Vor allem wünsche man sich aber, dass den Studenten mehr Verantwortung und Entscheidungskompetenz zugestanden würde. Dass auch der Lern-Aufwand für manche wirklich enorm ist, zeigt die Aussage einer Studentin, die sich bereits im dritten Studienjahr befindet: „Wir müssen innerhalb kurzer Zeit viel Stoff bewältigen bzw. der durchgenommene Stoff wird zuwenig vertieft.“ Auch hier seien flexiblere Ausbildungsmodelle in anderen Ländern Italien weit voraus. Könnte die Ausbildung in einem Teilzeitmodell bzw. über einen längeren Zeitraum hinweg absolviert werden, wäre das für viele Studenten eine Erleichterung, sind die Gesprächspartnerinnen überzeugt.

 

„Haben leider keine Med-Uni“

„Wir sind nicht für die Organisation und die Inhalte der verschiedenen Studien verantwortlich“, erklärt Professor Klaus Eisendle, Präsident des Südtiroler Ausbildungszentrums für Gesundheitsberufe Claudiana. Verantwortlich dafür seien jene Universitäten, mit denen das Land Südtirol eine Konvention geschlossen hat. Bereits seit 1999 werden alle Studien an der Claudiana inklusive Krankenpflege als Universitätsstudien angeboten. Für die Studiengänge Biomedizinische Labortechnik, Dentalhygiene, Ergotherapie, Ernährungstherapie, Hebammen, Logopädie, Medizinische Röntgentechnik und Vorbeugungstechniken im Bereich Umwelt und Arbeit ist beispielsweise die Università Cattolica del Sacro Cuore di Roma zuständig. Mit der Università degli Studi di Verona wurde eine Konvention für die Studiengänge Krankenpflege und Laurea Magistrale in Pflege- und Hebammenwissenschaften abgeschlossen und die Università degli Studi di Ferrara ist für den Studiengang Physiotherapie verantwortlich.

 

 

Nachdem Südtirol nicht über eine eigene Universität für Medizin verfügt, hat die Claudiana auch keine Eingriffsmöglichkeiten in die organisatorischen Belange. Dies betrifft auch die Anwesenheitspflicht, die für den Besuch vor allem von medizinischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen in Italien vorgesehen ist. Die Studenten und Studentinnen sind verpflichtet, an 75 Prozent der Unterrichtseinheiten teilzunehmen, damit sie zu den Prüfungen zugelassen werden können. „Wir haben das Zeiterfassungssystem, dessen Kosten nicht unerheblich sind, nicht aus Jux und Tollerei eingeführt“, so Professor Eisendle. Was die Klagen der Studentinnen über die häufigen Änderungen des Stundenplans bzw. Verschiebungen oder Verspätungen betrifft, erklärt der Präsident der Claudiana, dass es durchaus vorkommen könne, dass sich Professoren, die weite Anreisen haben wie beispielsweise aus Rom oder Verona, aufgrund von Staus auf der Autobahn oder anderen Verkehrsbehinderungen verspäten können. An und für sich sei der Stundenplan fix und es sollte sich auch nicht zu Verschiebungen kommen.

 

Wir haben es hier mit einem schwerfälligen bürokratischen Verwaltungsapparat zu tun.

 

 

„Wir versuchen, den vorgegebenen Stundenplan einzuhalten und einen regelmäßigen Unterricht zu garantieren“, so Professor Eisendle. Aber auch hier wirke sich wiederum die Tatsache aus, dass man über keine eigene medizinische Universität verfüge, „denn sonst könnten wir gezielt eingreifen“. Der Stunden- und Studienplan wird nämlich immer von der jeweiligen Universität erarbeitet und vorgegeben. Angesprochen auf Maßnahmen, um die Lehrgänge studentenfreundlicher zu gestalten, erklärt Professor Eisendle, dass man in Bezug auf die Prüfungen mittels Verhandlungen bereits einen großen Erfolg habe erzielen können. Musste im Studium Krankenpflege vor der Reform die erste große Prüfung beispielsweise in einem Block absolviert werden, können die Teilbereiche nun gesplittet und in mehreren Schritten absolviert werden. „Mit dieser Änderung schaffen 80 Prozent der Studenten nun die Prüfung, vorher waren es nur 20“, so der Professor, der betont, dass man einen der Hauptkritikpunkte erfolgreich entschärfen konnte. Bedauerlich sei, so der Präsident der Claudiana, dass in Italien immer noch die Möglichkeit fehle, Studien in Teilzeit zu absolvieren. Diese würden auch jenen entgegenkommen, die in Teilzeit arbeiten, ein Kind oder Angehörigen betreuen müssen. „Die Einführung eines solchen Studientyps wäre sehr sinnvoll, allerdings liegen die Zuständigkeiten dafür beim Staat“, so Professor Eisendle. Auch müsse man bedenken, dass Südtirol nicht der Nabel der Welt sei. An Universitäten wie jener von Verona seien Tausende von Studenten eingeschrieben, wohingegen an einigen Lehrgängen an der Claudiana mitunter nur zehn Studenten teilnehmen. Vonseiten der Universitäten gebe es durchaus die Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit, „allerdings haben wir es hier mit einem schwerfälligen bürokratischen Verwaltungsapparat zu tun.“

 

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Josef Fulterer Do., 23.03.2023 - 06:47

Italienische Gesetze von einem Deutsch-sprachigen Südtiroler umgesetzt, ...? ...!
Und warum investiert man mehr als großzügig in Kubatur und köpft gleichzeitig den Studierenden auch noch Studiengebühren ab?
Und warum entlohnt man die praktische Arbeit in der Pflege nicht angemessen?
Und warum nimmt man keine Rücksicht auf familiäre Besonderheiten?
Und warum lässt man eine gestreckte Studienzeit nicht zu?
Und warum paukt und prüft man Oberschul-"Leer"-Stoff?
Und warum verhält man sich, "als wenn man sich vor den viel zu zahlreichen Bewerbungen schützen muss?

Do., 23.03.2023 - 06:47 Permalink
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Markus Weger Do., 23.03.2023 - 11:29

Ich erlaube mir auf einen Fehler im Artikel hinzuweisen: Studiengebühren in Höhe von 363,26 Euro werden an österreichischen Universitäten und FHs erst bei einem Überschreiten der Regelstudienzeit im Ausmaß von mehr als zwei Semestern eingehoben. Die meisten StudentInnen zahlen also nur den ÖH-Beitrag in Höhe von ca. 20 Euro. Eine Ausnahme stellen Nicht-EWR-Bürger dar, die bereits von Anfang an Studiengebühren entrichten müssen.

Do., 23.03.2023 - 11:29 Permalink