Kultur | Salto Afternoon

(Fast) wie geplant

Ausgabe 169 der Kulturelemente widmet sich der Kunst der Improvisation im musikalischen Sinn. Vorgestellt wurde sie, mit impro-hungrigem Gast in der Galerie Doris Ghetta.
Kulturelemente mit Kompripiotr und Walter Moroder
Foto: Privat
Mit dabei waren bei der Vorstellung des aktuellen Ablegers der vormals als „distel“ bekannten „Zeitschrift für aktuelle Fragen“ am Dienstagabend letzter Woche, neben Redakteur Hannes Egger, drei der Protagonisten des Hefts. Das war zum einen Peter „Kompripiotr“ Holzknecht, den Haimo Perkmann zum ersten ImproVestiVal Südtirols im Oktober interviewt hatte, zum anderen Walter Moroder der mit „tl nia“ in der Galerie präsent ist (bis 21. April) und dem Museion Kuratorin Leonie Radine auf der „Curators Page“ einen vertexteten Abstecher ins Atelier widmete. Digital aus Berlin zugeschaltet der dritte im Bunde, der junge Jazz-Multi-Instrumentalist Jonathan Delazer, von welchem die Idee und, in Folge, auch die Vermittlung der meisten Texte im Heft kam.
Egger vertrat hingegen das Kernteam der Kulturelemente und stellte, bevor es in der Galerie zu einer Live-Improvisation Kompripiotrs kam, man muss es so sagen, gut auswendig gelernte Fragen. In diesem Punkt hätte man sich für den Abend vielleicht etwas mehr thematisch passende Spontanität wünschen können. Was aber bietet das neue Heft unter anderem?
 

Kurzer Überblick

 
Den Leitartikel zeichnen Jonathan Mai (erster Abschnitt „Improvisation als Herausforderung der philosophischen Ästhetik) und Jonathan Delazer(zweiter Abschnitt „Zur Geschichte der Improvisation“) gemeinsam. Es geht um eine historisch-philosophische Einordnung dessen, was Improvisation ist. Hierfür nimmt man Roman Jakobsons Kommunikationsmodell in vereinfachter Form als Ausgangspunkt, zeigt Widersprüchlichkeiten und Schwierigkeiten bei der Einordnung auf und findet als frühestes Beispiel für eine geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Improvisation zurück ins Jahr 1555. Dem Komponisten und Theoretiker Joan Bermudo verdanken wir aus diesem Jahr einen Bericht von einem Konzert mit improvisierter Vokalmusik in der Kathedrale von Toledo. Wenngleich sich der Artikel auch mit der andauernden Relevanz des Kontrapunkts im Zusammenhang der Improvisation befasst, ist hier Raum, um über die Musik hinaus zu blicken. Im Rest der Ausgabe sind es vor allem musikbezogene Formen der Improvisation die eine Rolle spielen, oder Beiträge, die sich der direkten Zuschreibung zu dem übergeordneten Thema entziehen.
So etwa auch Leonie Radines Bericht von einer Annäherung an Walter Moroders Kunstwelt. Es geht darin um geteilte Einflüsse und Ansichten, aber in gewisser Weise auch um eine wesentliche Differenz. Radine und Moroder haben sehr unterschiedliche Auffassungen zur politischen Dimension von Kunst, auch wenn die Kuratorin im letzten Drittel ihres Texts diese bei Moroder zu finden scheint. Ähnlich wenig kann Moroder am Abend, vor Ort, mit Improvisation bei seinen eigenen Werken anfangen; Gefragt meint er „…wenn ich morgen beim Schnitzen mein Werkzeug anders halte, dann kommt nicht gescheites dabei heraus.“, bevor er, in Bezug auf Improvisation, ein versöhnlicheres „in meinem Kopf, vielleicht“, findet.
 
 
Kompripiotr stellte - live vor Ort, im Gespräch und im Interview - weniger die Absicht der Improvisation und mehr die Erfahrung ins Zentrum. Er unterscheidet dabei auch zwischen Solo- und Gruppenimprovisationen und stellt bei letzteren das (Zu)hören an vorderste Stelle. Er war es auch, welcher die Frage nach Freiheit in den Raum stellte und im konkreten Beispiel, welches an die Diskussion anschloss, verdeutlichte, wie bestimmend die Rahmenbedingungen einer Improvisation sind. Absolut frei ist diese also nie, da immer gewisse Parameter gegeben sind.
Letzte Leseempfehlung aus der aktuellen Ausgabe soll noch Hannes Eggers „Magic - Improvisation in der Lehre von Performance Kunst“ sein, eine interessante Innenansicht in der Ich-Perspektive von einem, der sich auf der Suche nach Spontanität macht, bis der innere Knoten platzt. An „nichts“ zu denken gestaltet sich hier, wie meistens, kompliziert.
 

Ins Nichts eintauchen

 
An „nichts“ zu denken hatte sich auch Peter Holzknecht vor seiner Live-„Impro“-Performance vorgenommen und wollte deshalb das Gespräch mit Egger knapp halten. Er seie gerade dabei sich innerlich zu leeren, bevor er sich mit der Performance anfülle. „tl nia“, der Name der Ausstellung heißt in etwa auch „ins Nichts“.
Also alles Überflüssige weg. Die Mimik etwa, die hinter einer schwarzen Skimaske verschwand, oder die Schuhe von den Füßen und eines der mitgebrachten Effektgeräte, welches den Dienst versagte und unsanft nach hinten geschleudert wurde. Knisternde Spannung war im Raum zu spüren, vielleicht war es aber auch das Geräusch der ausgeteilten Ohrenstöpsel, welche aus ihrer Plastikverpackung genommen wurden.
„PTSD“ stand auf jenem Gerät, welches in der kommenden Viertelstunde das meiste an Noise und Geräuschen erzeugen sollte und Kompripiotr setzte mit ihm den Raum unter Stress. Der (von Gen Thalz) handgefertigte Noise-Synthesizer kommt mit eingebautem Gyroskop, welches den Klang chaotisch nach Neigungswinkel verändert, ein weiterer möglicher Spielpartner bei Improvisation: der Zufall, oder all das, was sich der direkten Kontrolle des Musikers entzieht.
 
 
Eine gewisse Kontrolle übte Kompripiotr dann doch über das Chaos aus und klemmte das Kästchen in gleichbleibender Position kurzerhand zwischen seinen (abgestellten) Schuhen fest. Mit einem Kontaktmikrophon, welches er aus Elementen einer Türglocke gebaut hat, machte er sich an der Oberfläche von Moroders zarten Holzfiguren auf die Suche nach Klängen, die er diesem gleichbleibenden Rauschen anfügen konnte. Ihre neutrale oder ruhende Haltung wirkte nun fast angespannt, es klang, als hätten sie die zweite Begegnung mit einer Kettensäge in ihrer Existenz.
Auch ein in der Post Traumatic Signal Disorder-Schachtel verbautes Mikrophon kam, alles Menschliche aus Kompripiotrs Stimme entfernend, zum Einsatz. Ein Hammer, der verheißungsvoll hinter Kompripiotr am Boden lag, tat es nicht. Er stammte also nicht aus Tschechows Werkzeugkasten oder Waffenkasten. Der Musiker hatte es sich während seinem Spiel leicht anders überlegt.
Und irgendwann - ja wann? - ist Schluss. Wann und wie „improvisiert“ man ein Ende? Das Ende von Kompripiotrs Aktion war vorbereitet und damit nur halb spontan: Er trennte das Kontaktmikro vom Kabel und gab es in einen winzigen Bilderrahmen. Statt diesen mit Nagel (und Hammer) in die Wand zu schlagen, überreichte er das Souvenir an den Abend Walter Moroder, dessen Figuren Holzknecht - nur klanglich - maltraktiert hatte.
 

Was sollte das mit der Maske?

 
Wieviel auch bei der eigenen Improvisation schon gegeben war, sah man auch in der anschließenden Gelegenheit für Publikumsfragen. Während Punkt A und B bereits fest standen, war in diesem Fall tatsächlich der Weg das Ziel. Das Publikum vor Ort, welches vielfach wohl zum ersten Mal mit Noisemusik in Kontakt kam, interessierte jedoch besonders eines: Was sollte das mit der Maske? Für Kompripiotr ist diese eine Subtraktion seiner eigenen Mimik, durch die er dem Publikum assoziationsoffene Töne ohne seine eigene Wertung präsentieren kann. Im Publikum löste die schwarze Skimaske hingegen selbst Assoziationen aus. Selbst von Terror war die Rede.
Trauma und Terror ließen sich aber anschließend, bei einem Gläschen über aktuelle Kulturfragen plaudernd, gut überwinden. Was gilt noch für Improvisation? Sie bedeutet auch, bereits benutztes nicht zu wiederholen. Also: Play it never again, Peter!