Entgegen allem Krisengejammere hat die EU seit ihrer Gründung sehr bemerkenswerte Erfolge aufzuweisen. Seit der Gründung der ersten Europäischen Gemeinschaften (EGKS, EWG und Euratom) durch die ersten sechs Mitgliedstaaten Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und das Königreich der Niederlande hat die europäische Union – historisch gesehen – Riesenschritte vollzogen.
Als kluge diplomatisch-wirtschaftliche Bündnisse gedacht, um nach den Katastrophen des 1. und 2. Weltkrieges am alten Kontinent nie wieder so etwas Schreckliches zuzulassen, sind heute 28 Staaten vereint. Es gelang über mehr als ein halbes Jahrhundert die Interessenskonflikte zwischen den Mitgliedsstaaten durch Diplomatie, Verhandlungen, Abkommen und Kooperation bei der Wirtschaft, den Gesetzen, teils sogar in der Außenpolitik zu regeln, statt durch Krieg. Allein das ist ein enormer Erfolg, ein echt gelungenes Friedensprojekt – trotz aller sonstigen Mängel.
Es gelang über mehr als ein halbes Jahrhundert die Interessenskonflikte zwischen den Mitgliedsstaaten durch Diplomatie, Verhandlungen, Abkommen und Kooperation bei der Wirtschaft, den Gesetzen, teils sogar in der Außenpolitik zu regeln, statt durch Krieg.
Die EU wird demokratischer
Mit den Lissaboner Verträgen von 2007 hat die EU einen weiteren Sprung nach vorn gemacht, was die Demokratisierung der EU-Institutionen betrifft. Das EU-Parlament wurde aufgewertet. Der neue Präsident der EU-Kommission, eine Art Regierungschef der 28, wird vom Parlament gewählt und nicht wie bisher im stillen Kämmerlein von den Regierungschefs ausgehandelt. Und erstmals haben sich alle Parteien darauf geeinigt, supranationale Spitzenkandidaten aufzustellen. Jene Parteienfraktion, die die meisten Stimmen erhält, wird auch den Präsidenten der EU-Kommission stellen und er wird erstmals eine durch Millionen Wählerstimmen legitimierte und somit gestärkte Position innehaben.
Wer wird der neue „starke“ Mann?
Seit Jahren sind wir gewohnt, dass uns Soziologen, Politologen, Historiker und Leitartikel-Schreiber erklären, der Widerspruch zwischen Links und Rechts sei überholt, existiere nicht mehr. Und siehe da: bei der EU-Wahl stehen sich zwei Spitzenkandidaten gegenüber, die genau das verkörpern: Links und Rechts. Da ist der bisherige Präsident des Europaparlaments und deutscher Sozialdemokrat Martin Schulz und ihm gegenüber der Christdemokrat Jean-Claude Juncker, langjähriger Finanz- und dann Regierungschef Luxemburgs, dann Leiter der Eurogruppe.
Und siehe da: bei der EU-Wahl stehen sich zwei Spitzenkandidaten gegenüber, die genau das verkörpern: Links und Rechts. Da ist der bisherige Präsident des Europaparlaments und deutscher Sozialdemokrat Martin Schulz und ihm gegenüber der Christdemokrat Jean-Claude Juncker, langjähriger Finanz- und dann Regierungschef Luxemburgs, dann Leiter der Eurogruppe.
Eigentlich sind sie beide recht in Ordnung. Sie sind beide glühende Europäer. Sie sind beide erfahren in Politik, EU-Sachen und im Umgang mit den Institutionen. Sie sind beide dafür, die ausgeartete Reglementierungswut der EU (Stichwort: krumme Gurke, Öl-Kannen am Gasthaustisch etc.) einzuschränken und sich anstatt dessen auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das Wesentliche, das hat vor allem einen Namen: Arbeitslosigkeit und da besonders die Jugendarbeitslosigkeit.
Martin Schulz oder Jean-Claude Juncker
Jean-Claude Juncker ist ein mit allen Wassern gewaschener schlauer Fuchs, für seinen Hang zur Ironie bekannt, aber auch ein bissl sehr selbstsicher, um nicht zu sagen, arrogant. In seinen zahlreichen statements zur EU-Wahl wiederholt er immer wieder zwei Dinge. 1. Müsse die EU entbürokratisiert werden und 2. sozialer. Sehr gut. Entbürokratisierung, dafür sind ja alle. Und wie wird die EU sozialer? Laut Juncker – ganz in der Tradition der konservativen, wirtschaftsnahen und Markt-orientierten Kräfte – durch mehr Wirtschaftswachstum und dadurch mehr Chancen und mehr Beschäftigung. Man dürfe die sozialen Anliegen nicht den Sozialdemokraten und Linken überlassen, so Juncker.
Martin Schulz geht da schon einen Schritt weiter und wird konkreter. Eigentlich viel radikaler als seine Parteigenossen von der SPD (Gabriel &Co.) geißelt er die Handhabung der Finanz- und Bankenkrise der letzten Jahre und fordert unmissverständlich: stärkere Besteuerung der Spekulationsgewinne, höhere Steuersätze für Höchstverdienende, offensiver Kampf gegen Steuerhinterzieher und Steueroasen – die Menschen in Lohnverhältnissen sollen nicht mehr die Pleiten der Finanzjongleure bezahlen. UND: der EU-Stabilitätspakt und seine drakonischen Sparauflagen für Krisenstaaten müssten überdacht werden. Starke Ansagen. Mit Juncker einig ist sich Schulz, dass es einen EU-weiten, gesetzlichen Mindestlohn braucht. Aber während Schulz auch für eine Vereinheitlichung der europäischen Steuerregeln eintritt, will Juncker das nach wie vor den Nationalstaaten überlassen – als doch kein Ende des Steuer-dumpings. Und dann gibt es für Juncker noch ein Problem. In der Fraktion der europäischen Volksparteien gibt es Mitglieder, wie etwa Forza Italia mit Berlusconi oder den ungarischen Fast-Diktator Viktor Orban. Beide findet Juncker zwar persönlich „degoutant“ und widerlich, aber das Zahlenspiel bei Wahlen verbietet ihm als Spitzenkandidaten, sich von diesen Kräften so klar zu distanzieren, dass er ihre Mitgliedschaft – und somit ihre Wählerstimmen – auf`s Spiel setzen könnte.
And the winner is….
Nach allen bisherigen Umfragen wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Sozialdemokraten und Konservativen geben. Derzeit stehen sie bei 213 Sitzen von 766 (Konservative) zu 208 (Sozialdemokraten). Dann folgen Liberale, Grüne und EU-Skeptiker/Gegner. Das heißt im Klartext, dass weder die Christdemokraten noch die Sozialdemokraten eine Mehrheit im EU-Parlament erreichen werden. Das heißt weiterhin, dass sie sich auf eine Art „große Koalition“, also auf eine vereinbarte Zusammenarbeit, einigen werden müssen. Die – nicht unwichtige Frage – lautet allerdings: unter welcher Führung – Schulz oder Juncker.
Und was hat das alles mit uns zu tun?
Ganz einfach. Wer will, dass Südtirol weiterhin die Garantie erhält, eine alles in allem vorbildhafte Autonomie zu haben, der muss für eines der großen Bündnisse wählen. Sowohl Schulz und seine Sozialdemokraten als auch Juncker und die EVP wollen die EU weiter entwickeln und vertiefen, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Akzenten. Aber sie sind Garanten dafür, dass regionale, zwischenstaatliche und soziale Konflikte durch Dialog, Verhandlungen und Abkommen geregelt werden – und nicht durch Kampf, Volksabstimmungen oder gar Schlimmerem.
Wer will, dass Südtirol weiterhin die Garantie erhält, eine alles in allem vorbildhafte Autonomie zu haben, der muss für eines der großen Bündnisse wählen.
Ich verstehe, wenn viele von der EU enttäuscht sind – sie macht ja auch genügend Fehler. Ich verstehe, wenn jemand bei einer Gemeinderatswahl, bei Landtagswahlen oder gar bei Parlamentswahlen lieber seiner „Glaubensgemeinschaft“ die Stimme gibt. Aber hier geht es um eine Weichenstellung. Wollen wir, dass innereuropäische Probleme durch Dialog, Verhandlung und Kompromiss gelöst werden, oder kehren wir zurück zum Lokalismus, zum Partikularismus, zum Stadtstädte-Konzept, zum Jeder-Für-Sich-Prinzip von vor hunderten Jahren? Soll das die Zukunft sein?
Wollen wir, dass innereuropäische Probleme durch Dialog, Verhandlung und Kompromiss gelöst werden, oder kehren wir zurück zum Lokalismus, zum Partikularismus, zum Stadtstädte-Konzept, zum Jeder-Für-Sich-Prinzip von vor hunderten Jahren? Soll das die Zukunft sein?
Davon wird mein nächster Beitrag handeln. Aber bis dahin nur so viel: in ein paar Jahrzehnten werden die 500 Millionen Europäer ca. 5% der Weltbevölkerung ausmachen…zwar privilegiert durch unsere Geschichte und unser Know-how als Wissensgesellschaft, aber überaltert. Wenn wir nicht vorausdenken, werden wir irrelevant werden.
Es folgt Teil 2: Die Euroskeptiker und EU-Gegner und die Zwitterrolle der SVP