Kultur | Salto Afternoon

Wo sind die Orte hin?

Die Frage, wo wir einander begegnen, hat man am richtigen Ort gestellt. Ein letztes Mal fand die Diskussionsrunde „La Lampada Verde“ im „alten“ Ost West Club statt.
Ost West Club
Foto: Privat
Morgen heißt es - feiernd - Abschied nehmen von einem Raum, der die letzten 27 Jahre Geschichte wie ein Buch in sich geschrieben hat: Wand- und Oberflächenkritzeleien von „Wenn ich könnte, würde ich den Ost West Club umarmen“ bis „Anarchie isch kuane Aranciata“, sowie zahllose Aufkleber bleiben am Weg von der Passeirergasse west-süd-west-wärts in die Schießstandstraße auf der Strecke. Der vor 41 Jahren gegründete Verein bezieht sein neues, noch nicht bezugsfertiges Quartier - mit mehr Platz, aber in etwas periphererer Lage - im Herbst, die Vorbereitungen laufen. Der alte Schießstand hat seine eigene Geschichte, welcher der Ost West Club ein Kapitel anfügen wird. In welchem Kontext aber ist dieser Wechsel, beziehungsweise dieses Verschwinden eines alten Ortes zu lesen? Unter dem Titel „Dove ci incontriamo? Scomparsa o trasformazione dei luoghi di aggregazione“ wollte Gabriele Di Luca mit seinen Diskussionspartnern Giorgia Lazzaretto (Ehemaliges Vorstandsmitglied des Clubs), Marcello Landi (Buchhändler) und Sergio Previte (Street Worker) der Frage nachgehen.
 

Pandemie und Digitalisierung als Bedrohung?

 
Nachdem sich Di Luca eingangs Zeit nahm um ausführlich von Begegnungsräumen seiner Vergangenheit zu berichten - einem „Salotto vero e proprio“ in Livorno, sowie einem Heidelberger Cafè - wurde der Blick auf die Gegenwart gerichtet. Man sah in der Pandemie einen Katalysator von Digitalisierungsprozessen, welche eine Umorientierung von physischen Räumen hin zu telematischen Treffen förderte. Für Di Luca sind es allerdings die analogen Räume, in welchen „Erfahrungen“ möglich sind: „Das heißt bereit dazu zu sein sich zu verändern.“ Durch Social Media sah Di Luca ein Abnehmen dieser „Erfahrungen“, was dazu führe, dass vielfach das seit jeher Gedachte oder Gesagte bestätigt würde, wofür im Allgemeinen Filterblasen verantwortlich gemacht werden, jene virtuellen Räume, in den Algorithmen uns mit gleich- oder ähnlich Denkenden kurzschließen. Überraschendes, wenn gleich mit Zusatz versehenes Verständnis zeigte der „Super Boomer“ (Selbstbezeichnunng) für Baby Gangs, ein aus dem Meraner Stadtgeschehen nicht mehr wegzudenkendes Thema: „Auch die Baby Gang ist eine Instanz der Sozialisierung - sie kann gefallen oder nicht - aber sie kommen zusammen um etwas zu tun.“
 
 
Das Wort gab Gabriele an Giorgia Lazzaretto, welche das Gespräch zum Ostwest-Club und einer Definition des Begriffes „luoghi di aggregazione“ hin fortsetzte. Man differenzierte zwischen solchen Orten, welche „Erfahrungen fördern und nicht nur der Unterhaltung dienen“ (Di Luca), und kommerziell orientierten. Lazzaretto sah in gut besuchten Orten - Freiheitsstraße Meran oder Obstplatz Bozen - diese Orientierung zum Konsum hin sehr kritisch. Auch der Ost West Club habe im Laufe seiner 41 Jahre Vereinsgeschichte zahlreiche Transformationen durchlaufen, ausgehend von einer Garage in der Schillerstraße, als Alternative zu den Christlich oder durch die SVP geprägten Jugendräumen. Ein anfangs „sehr militanter“ Verein habe sich im Laufe der Zeit auch institutionalisiert. Man halte nach wie vor an der Ablehnung eines Konsumzwangs fest. Den Wechsel durch die Pandemie sah Lazzaretto weniger im Ort selbst und mehr durch eine Abnahme an Solidarität und einen Rückgang bei den freiwilligen Helfern vor Ort gegeben. Vor der Pandemie hätten diese Freiwilligen, nach dem Grund ihres freiwilliges Engagement für den Club gefragt, mit überraschender Häufigkeit das Wort „Familie“ benutzt.
Als das Wort an Sergio Previte weiter ging, wurden die Orte weiter ausdifferenziert. Die Tätigkeit des Street Workers führe ihn vielfach in die sogenannte „Peripherie“ wo auch der neue Sitz angesiedelt ist, wenngleich er vom Bahnhof aus besser erreichbar sein wird. In Meran beobachtete er zudem ein Zusammenschrumpfen des öffentlichen Raums in welchem marginalisierte Personen einander treffen könnten, die von einer Ausweitung polizeilicher Überwachung begleitet würde, anstatt dass neue Orte geschaffen würden. Er beobachtete, wie Lazzaretto vor ihm, eine Zunahme des Konsums: „Als ich ein Jugendlicher war, gingen wir für mehrere Stunden in eine Bar, ohne etwas zu bestellen und es war allen egal.“ Auch bemängelte Previte, dass beim Konsum illegaler Substanzen, welcher sich vorwiegend im häuslichen und privaten Kontext abspiele, trotz eines Fehlens belastbarer Daten Verbots- und Abschreckungspolitik betrieben werde. Ein Lob sei dem Street Worker auch dafür ausgesprochen, dass er als erster die Zusammensetzung des Panels als überwiegend männlich und durchgehend Ü30 kritisch reflektierte, wo auch im Weiteren etwas der blinde Fleck der Diskussionsrunde liegen sollte. Eine Person um die 20 hätte es auf der Bühne gebraucht.
Der Buchhändler Marcello Landi erinnerte sich eingangs an das Wegfallen der für fünf Jahre aktiven Halle 28, welche 2015 mit ihrer Tätigkeit in der Bozner Schlachthofstraße abschloss und monierte auch das Fehlen von Jugendräumen. „Die Jugendräume in Bozen fehlen, besonders die deutschsprachigen Räume funktionieren da besser.“ Die Jugendräume richteten sich für seinen Geschmack zu häufig an ein zu junges Publikum. „Das sind Orte für Kinder, ohne eine ordentliche Vertretung in der Öffentlichkeit.“ Für den 32 Jährigen sei es schwierig sich an diese Gruppe jüngster Erwachsener zu richten und es sei „eine komplett andere Welt, unabhängig davon, wie gut jemand in dieser Tätigkeit sei“. Für ihn fehlte es jedoch mehr an privat geführten, als an öffentlichen Räumen, in welchen Freiheiten ausgelebt werden können. Es brauche mehr Freiheit zur Selbstgestaltung in diesen Räumen, damit sich die Gruppe der Jungen in ihren eigenen Werten und Codes erkennen können. Auch steuerte er bei der virtuellen Dimension gegen: diese sei „sehr konkret und hat sehr reale Konsequenzen“.
Da klinkte sich der etwas in den Hintergrund getretene Gabriele di Luca wieder ein und beklagte im Gegensatz zum Mangel den Landi sah, das Wegfallen generationsübergreifender Begegnungen. „Als ich 18 Jahre alt war und ins Victor Charlie in Pisa ging, wo Hardcore Punk gespielt wurde, tauschten 12 und 50 Jährige ihre Visionen aus, wenn Blackflag spielte.“ Di Luca stellte die Frage in die Runde, ob die Verwerfung, welche physische Begegnungen erschwert kultureller oder technologischer Natur sei.
Landi erzählte im Folgenden, dass er plane einen neuen Begegnungsort zu schaffen und schloss sich der Nostalgie in der Runde an, indem er einen Plattenladen in Salerno vermissen ließ. „Er war ein enorm wichtiger Treffpunkt für die Underground-Szene und ich habe diese Idee der Unabhängigkeit immer bewundert.“ 
Nach einigen Fragen und Statements aus dem Publikum, war Gabriele di Luca nostalgisch und schimpfte etwas auf die jungen Generationen. „Ich glaube, wie es früher war kommt nicht wieder, weil es ein so starkes technologisches Substrat gibt, dass das physische Treffen obsolet wird.“ Lazzaretto war davon wenig überzeugt und gestand, auf „Nostalgismen“ allergisch zu reagieren. „Der Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft verstärkt sich. Da bin ich mit dir einverstanden, da hat auch der Ost West Club eine Veränderung erlebt.“, und weiter: „Es ist nicht wichtig, dass man sich trifft, um Briscola zu spielen, es ist aber wichtig, dass man auch die andere Realität kennt und über seine eigene hinausgeht.“
 
 
Nachdem das Gespräch noch etwas vom Thema abschweifte und noch einmal zu bereits abgehandelten Themen zurückkam, war es Zeit für ein pessimistisches Abschluss-Statement aus dem Esergo des kurzen Werkes „Hyperkulturalität. Kultur und Globalisierung“ von Byung-Chul Han: Touristen im Hawaiihemd werden wir alle sein, da sich nach und nach das Konzept von Kultur auflöst. Di Luca fragte sich, ob das nun die Rettung oder die Apokalypse sei. Lösungen fand man an dem Abend keine, Probleme erkannte man viele, aber vielleicht einen guten Slogan für den neuen Club: „Fate centro nel Vecchio Bersaglio."
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Lollo Rosso Sa., 29.04.2023 - 14:27

Da scheine ich ja wieder einmal nichts verpasst zu haben. Ich hoffe, der Club kann in seinen neuen Räumlichkeiten auch mit neuen Diskussionsformaten aufwarten. Dann bin ich auch gerne dabei.

Sa., 29.04.2023 - 14:27 Permalink
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Gabriele Di Luca Mo., 01.05.2023 - 11:24

Antwort auf von Lollo Rosso

Ecco quel che si dice una critica costruttiva (sarcasmo): parlare (ovviamente male) di una cosa senza averla vista o sentita. Tra le caratteristiche di un "nuovo formato di discussione" spero non sia previsto il modello della non partecipazione motivata da simili aciduli pregiudizi.

Mo., 01.05.2023 - 11:24 Permalink