Vor kurzem fand ich mich mit meinen Kindern in einem Warteraum, als dem Kleinsten vorkam, so, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für ein Schreikonzert. Ich muss dazu sagen, dass er ein sehr versierter Schreier ist. Gleich auf 180, schrill und dramatisch, ohne lange Einleitung. Die Menschen im Warteraum schauten schockiert, eine ältere Frau hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Ohren zu und ging auf Abstand. Es dauerte nicht lange, und eine Angestellte kam herbei: Ob er Hunger habe. Krank sei. „Na, du bisch müde, gell?“ Weder noch. Kinder in diesem Alter schreien, weil sie gern das Fenster öffnen und auf die Dachterrasse klettern möchten. Weil sie den Wauwau streicheln wollen, der sich ängstlich in die Ecke drängt. Weil sie sich nackig machen und Purzigagele machen wollen. Hier, jetzt. Aber die Mama sie nicht lässt. Kinder sind so, das vergessen leider viele Menschen, obwohl sie selbst Kinder hatten. Sie schreien, weil sie etwas wollen.
Die Episode erinnert in ihrer Gehässigkeit an damals, als Jasmin Ladurner es wagte, ihren kleinen Sohn zu einer Kommissionssitzung mit in den Landtag zu nehmen
Nicht geschrien hat das Kind der grünen Innsbrucker Gemeinderätin Janine Bex, als sie es neulich bei einer Gemeinderatssitzung dabeihatte. Das Kind ist erst zwei Monate alt - wo gehört denn ein zwei Monate altes Baby hin, wenn nicht zur Mutter, zumal es gestillt wird auch noch – trotzdem musste sie sich von ihren Kollegen darauf hinweisen lassen, dass der Gemeinderat keine Krabbelstube sei und ein Kind dort nichts zu suchen habe. Die Episode erinnert in ihrer Gehässigkeit an damals, als Jasmin Ladurner es wagte, ihren kleinen Sohn zu einer Kommissionssitzung mit in den Landtag zu nehmen. „I nimm aa meine Buabm mit“, lästerte daraufhin Franz Locher, und auf Drängen von sich gestört fühlenden Abgeordneten verlas Landtags-Präsidentin Rita Mattei die Geschäftsordnung, welche besagt, dass an Kommissionssitzungen keine nicht geladenen Gäste teilnehmen dürfen. Ladurners Kind war damals etwa ein halbes Jahr alt. Ich fand und finde es bemerkenswert, dass ein Kind in diesem zarten Alter bereits als ungeladener Gast gilt und nicht als natürliches Anhängsel der Mutter.
Die geschilderten Episoden zeigen sehr schön, welchen Stellenwert Kinder in der Öffentlichkeit haben. Sie sind willkommen, wenn sie sich nicht wie Kinder benehmen, sondern wie kleine Erwachsene, still und artig, obwohl ja auch sehr viele Erwachsene gar nicht still und artig sind. An manchen Orten ist auch egal, wenn sie still und artig sind, da haben sie von vorneherein nichts zu suchen. Das macht manchmal Sinn. Manchmal wirkt es aber auch so, als seien sie nicht erwünscht, weil sich Erwachsene in ihrer vermeintlichen Wichtigkeit beeinträchtigt fühlen, wenn ein Wesen unter 1m Körpergröße anwesend sein darf. Besonders schlimm ist es aber, wenn sogar die Orte, die explizit für Kinder vorgesehen sind, an denen Kinder sozusagen die Klienten sind, aufgrund von Kinderfeindlichkeit draufzahlen müssen. Wobei Kinderfeindlichkeit ein starkes Wort ist, Kinderschnurzigkeit triftt es eher.
Wir ernähren unsere Kinder bio, halten sie von zu viel Medienkonsum fern, kaufen ihnen hyper-ergonomische Schulranzen um 300 Euro, aber kriegen nicht die Pappn auf, wenn etwas so Essentielles wie ihre Bildung bedroht ist?
Die Kinderschnurzigkeit begegnet uns achselzuckend, wenn Kindergartengebäude bröckeln, aber nie Geld für die Sanierung da ist. Wenn Kleinkindbetreuung entlohnt wird, als würde man mit einem Bello Gassi gehen. Wenn man jetzt schon weiß, dass in den nächsten Jahren ein eklatanter Personalmangel an Schulen und Kindergärten auf uns zukommt, wenn jetzt schon die Betreuer*innen für Kinder mit Beeinträchtigung fehlen, aber die Politik nicht kommuniziert, wie sie dieses Problem zu lösen gedenkt. Kinderschnurzigkeit eben. „
Das schlimmste Szenario für uns“, sagt die Landesschuldirektorin in der ff, „
ist die Reduzierung der Bildungszeit“. Eine Gewerkschafterin stellt
im selben Artikel in den Raum, dass möglicherweise nicht mehr jedes Kind einen Platz im Kindergarten bekommen wird, wenn nicht schnellstens etwas unternommen wird . Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Hier geht es nicht nur darum, dass berufstätige Eltern ein Problem bekommen, wenn die Betreuung wegfällt. Hier geht es um die Ausbildung unserer Kinder, die nicht mehr gewährleistet ist, wenn nicht gehandelt wird.
Die Kinderschnurzigkeit begegnet uns achselzuckend, wenn Kindergartengebäude bröckeln, aber nie Geld für die Sanierung da ist.
Und an dieser Stelle wundere ich mich auch über uns Eltern: Wir ernähren unsere Kinder bio, halten sie von zu viel Medienkonsum fern, kaufen ihnen hyper-ergonomische Schulranzen um 300 Euro, aber kriegen nicht die Pappn auf, wenn etwas so Essentielles wie ihre Bildung bedroht ist? „
Leise zu sein, hilft nichts“,
kritisiert der soeben verabschiedete
Präsident der Lebenshilfe Hans Widmann die viel zu zaghaften Proteste, sobald es um soziale Belange geht. „
Andere schreien wie ein Jochgeier, bei jeder Kleinigkeit“.
Schreien wie die Jochgeier, schreien, weil wir etwas wollen: Das können wir Eltern doch auch! Das sollten wir doch auch! Gleich auf 180, schrill und dramatisch. Bei Protestaktionen, mit Leserbriefen, mit Petitionen. Anlass dazu gibt es genug. Die Frage ist, ob wir uns endlich trauen oder abwarten wollen, bis das schlimmste Szenario eintritt.