Gesellschaft | Bildung
Schule in Not
Foto: LPA
20 Lehrpersonen des Schulsprengels III der Mittelschule Sterzing wenden sich stellvertretend für 1.142 Kollegen und Kolleginnen mit einem Hilferuf an die Politik und die Medien. Wie der Erstunterzeichner der Petition „Schule in Not“ und langjährige Lehrer Martin Volgger auf Nachfrage von Salto.bz erklärt, habe man in den vergangenen Jahren und Monaten miterleben müssen, wie die Problematiken in den Klassenzimmern zunehmen und diese mittlerweile sogar einen guten Unterricht be- und manchmal sogar verhindern. „Die Schwierigkeiten in den Klassen haben inzwischen Ausmaße angenommen, die wir nicht mehr alleine bewältigen können und für deren Lösung wir dringend Unterstützung brauchen“, so Volgger.
Es „brennt“ nicht nur an unserer Schule.
Nach eingehenden Gesprächen untereinander habe man sich dazu entschieden, eine Umfrage unter Lehrerkollegen zu starten, weil man wissen wollte, ob es sich um ein landesweites Phänomen handle oder sich die Probleme lediglich auf die Mittelschule Sterzing beschränkten. Mit der Unterstützung der Gewerkschaften SGB CISL, SSG-ASGB, FLC-GBW und CGIL-AGB hat man allen deutschsprachigen Grund-, Mittel- und Oberschulen die Petition „Schule in Not“ zukommen lassen, wo die Einschätzungen der Sterzinger Lehrer und ihre „Hilferufe“ formuliert wurden. Die Ergebnisse sind sehr klar, es „brennt“ nicht nur an unserer Schule, ist darin zu lesen. 1.142 Kollegen und Kolleginnen unterstützen mittlerweile die Petition mit ihrer Zustimmung.
„Wenn wir uns mit unserer Petition auch an die Allianz für Familie und an die Medien und damit an die Bevölkerung wenden, dann deshalb, weil wir auf jeden Fall auch die Unterstützung der Bevölkerung brauchen, um gute Arbeit leisten zu können. Und ja, es bröckelt an dieser so notwendigen Wertschätzung und Unterstützung von Seiten der Gesellschaft, ohne die wir aber nicht arbeiten können. Wir wollen in Erinnerung rufen, dass wir das Bewusstsein unserer Kinder und Jugendlichen für die vielen gesellschaftlichen Themen entwickeln, dass Schule vieles auffangen kann, was in den Familien schief läuft. Wir sind nach den Familien die wichtigste Institution, die dafür sorgt, die Wege für die nächste Generation ins Leben zu öffnen. Die Bildungseinrichtung ‚Schule‘ mag viele Fehler haben und vielleicht muss man sie neu denken, aber eins steht fest. Wir brauchen sie notwendiger denn je!“, betonen die Lehrer und Lehrerinnen, die in ihrem Brief auch die wichtigsten und brennendsten „Baustellen“ benennen. Dazu gehört die dringende Forderung nach zusätzlichem qualifizierten Personal, da man in letzter Zeit immer öfter auf Unterrichtssituationen treffe, welche die Lehrpersonen überforderten. „Dies passiert immer dann, wenn Kinder mit diversen ‚Störungen‘ wie beispielsweise Verhaltensstörungen, Lernstörungen, soziale Vernachlässigung oder Migrationsproblematiken nicht von qualifizierten Mitarbeitern betreut werden, weil kein fachmännisches Personal zur Verfügung steht“, heißt es in der Petition, in der weiters erklärt wird, dass die betroffenen Schüler und Schülerinnen dann eben nicht mehr in der Lage wären, die notwendigen Entwicklungs- oder in manchen Fällen sogar auch Heilungsschritte zu vollziehen. Die Folge seien Störungen, die einen guten Unterricht verunmöglichen.
Im Grunde genommen wollen wir aber nichts weiter, als gut arbeiten.
Wie Volgger an einem Beispiel erklärt, gebe es Schüler, die nicht in der Lage wären, dem Unterricht länger als zehn Minuten zu folgen und die deshalb eine besondere Betreuung erfordern. Schüler wie auch deren Familien seien teilweise nicht mehr erreichbar, weshalb sich ein Gefühl der Ohnmacht bei den Lehrpersonen einstellt. Junge wie alte Kollegen werden verbrannt, gehen in Krankenstand oder denken sogar an Kündigung. „Im Grunde genommen wollen wir aber nichts weiter, als gut arbeiten“, schildert Volgger die Situation.
Ein zentrales Anliegen der Petition ist die Forderung nach mehr Wertschätzung. „Wir spüren und nehmen wahr, dass die Wertschätzung für unsere Arbeit von Seiten der Gesellschaft einen Tiefpunkt erreicht hat. Dies hat extreme Auswirkungen auf die tägliche praktische Arbeit und mündet letztendlich im fehlenden Respekt vieler Schüler und Schülerinnen und Eltern der Schule und den Lehrpersonen gegenüber, den es aber unbedingt braucht“, fordern die Unterzeichner. Gefordert wird weiters ein „gewichtiges“ Mitspracherecht bei allen schulischen Anliegen, die Unterstützung seitens der Eltern und eine angemessene Entlohnung. Festgehalten wird weiters, dass die Schule einen klaren Bildungsauftrag hat und keine Aufbewahrungsanstalt ist. „Wir bilden junge Menschen aus, für Therapie, Freizeit- und Unterbringungsangebote sind andere zuständig.“
Wir bilden junge Menschen aus, für Therapie, Freizeit- und Unterbringungsangebote sind andere zuständig.
Wie es abschließend heißt, sei es Aufgabe der Politik und der Schulverwaltung die Rahmenbedingungen für den bestmöglichen Unterricht bereit zu stellen. „Wir hoffen und zählen auf Sie! Unser Appell geht aber auch an die Eltern und die Bevölkerung unseres Landes. Stehen Sie zu uns, Sie geben damit dem Kind/Jugendlichen die Chance unsere Bildungsangebote zu nutzen und tragen zum Funktionieren der Bildungseinrichtung Schule bei.“
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Leider muss man schon lange
Leider muss man schon lange feststellen, dass diese Problematik von Seiten der Politik und der Gesellschaft im Allgemeinen, nicht ernsthaft, bewusst oder unbewusst, wahrgenommen wird. Es ist höchst an der Zeit, die Problematik umfassend anzugehen. Politik, Schule, Elternvereinigungen, Sozialverbände, Gewerkschaften und Psychologen müssen endlich gemeinsam Wege suchen, diese Situation wieder ins Lot zu bringen. Immer wieder wird in den sozialen Medien über das Lehrpersonal hergezogen, in den Familien schlecht über die Schule gesprochen. Zu viele glauben nur, weil sie auch die Schule besucht haben, Experten zu sein und zu wissen, wie man alles besser machen kann. Dabei aber keine Ahnung haben, was es bedeutet, in einer Klasse zu stehen und alle mit unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet, mit unterschiedlichen Einstellungen zum Lernen, mit unterschiedlichen Erziehungsmethoden, aufgewachsenen Jugendlichen zum Lernen und gutem Sozialverhalten, zu motivieren. Wie sollen da Heranwachsende, welche oft mit sich selbst in ihrer Entwicklung unsicher sind und mit vielerlei Problemen konfrontiert werden, Respekt vor Lehrpersonen haben und die Bereitschaft mitbringen von diesen etwas anzunehmen, wenn zu Hause und in der Gesellschaft über die Schule hergezogen wird? Nicht nur die Schule braucht zusätzliches qualifiziertes Personal, vor allem auch Eltern, welche vielfach überfordert sind und nicht das nötige Rüstzeug besitzen um in der Erziehung erfolgreich Maßnahmen zu setzen, brauchen Hilfe. Und wir alle, die sich um die Zukunft der Jugend Sorgen machen, können und müssen unseren Beitrag leisten, indem wir all jenen, die sich abschätzig über die Schule äußern, mit guten Argumenten dagegen halten, um der Schule wieder jenen Stellenwert zu geben, damit sie erfolgreich arbeiten kann.
Ich hoffe, dass durch diese „Petition – Schule in Not“ endlich ein allgemeines Wachrütteln erfolgt und baldigst entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.
Ein Schritt in die richtige
Ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Dank den Einbringern der Petition.
"Wertschätzung" ist seit
"Wertschätzung" ist seit einigen Jahren ein gefährliches Wort. Wer es in den Mund nimmt oder fordert, hat eigentlich schon verloren. Wer arbeitet schon gerne in einem Sektor der nach "Wertschätzung" ruft & lechzt ? Oder anders herum die Frage: Wer suhlt denn in "Wertschätzung"? Wen und was wertschätzen wir denn mehr als andere/s). Also ich schätze besonders jene, die sich in den letzten Jahren und Monaten über ungenügende Wertschätzung beklagt haben.
Also bitte: Wer bringt dem Gesundheitspersonal oder auch der LehrerInnenschaft keine Wertschätzung entgegen? Und warum sollte die auf einem Tiefpunkt sein?
Oder ist es immer nur das Feigenblatt? ... wo nach dem Beistrich andere Forderungen folgen? Wie etwa die Forderung nach höheren Löhnen mit dem Argument dass in Deutschland mehr bezahlt würde. Jeder Kellner, Tischler, Straßenkehrer und Beamte hat hier weniger in der Lohntüte als in D + A. Wobei man sich die Netto-Brutto-Netto(Brieftasche)-Geschichte immer ganz genau anschauen muss.
Antwort auf "Wertschätzung" ist seit von Klemens Riegler
Was meinen wir mit
Was meinen wir mit Wertschätzung? In der Schule ist die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrer*innen einfach wichtig. Wenn Eltern Schule gleichgültig ist oder noch schlechter, wenn Eltern negativ gegenüber der Schule eingestellt sind, dann wird das Kind diese Haltung übernehmen. Was dann passiert, ist, glaube ich, für jeden nachvollziehbar. Und ja, wieso auch immer, es gibt heute mehr Eltern als früher, die der Schule gegenüber wenig Respekt zeigen.
Bildung ist der Schlüssel ins Leben. Deshalb müssen wir alles tun, um diese Arbeit bestmöglich zu unterstützen. Und so sollten unter anderem auch daran interessiert sein, dass die ökonomischen Anreize (und das hat auch mit Wertschätzung zu tun) passen. Das hat mit "Feigenblatt" nichts zu tun.
Antwort auf "Wertschätzung" ist seit von Klemens Riegler
Das Problem liegt auch dort
Das Problem liegt auch dort begraben, dass Schulführungskräfte bzw. Schulen dermassen zu viel an 'Autonomie' haben (nicht zuletzt, weil dem SA etc. der Durchblick fehlt), sodass es innerhalb der Schulen längst klare Machtverteilungen und Kontrollmechanismen gibt.
Mehr Macht von Einzelpersonen hängt bekanntlich immer mit mehr Geld/Ämtern zusammen und mit Demokratieabbau. Klimatisch und kollegial ist es ein Problem, wenn Bevormundung, Stillschweigen und egoistische Ideologien über die Würde von Lehrpersonen gestellt werden.
Der Demokratieabbau wird spätestens mit der 'Digitalisierung' der Schulen gänzlich bewerkstelligt sein.
Es gibt genug Lehrpersonen, die aussteigen wollen.. in der 'Bildungspolitik' bereitet man Quereinsteigern längst den Weg, indem man sie mit Schnellsiederkursen lockt und ihnen die 'Stammrollen' regelrecht nachschmeisst. Wohlgemerkt, nachdem man andere (regulär Ausgebildete) in der nächsten Vergangenheit Jahrzehnte am Supplenten-Gängelband zappeln lassen hat.
Antwort auf Das Problem liegt auch dort von Elisabeth Garber
* ohne dermassen
* ohne dermassen
Die Sicht der SchülerInnen
Die Sicht der SchülerInnen zum IST- Zustand: https://www.barfuss.it/leben/schule-ist-ein-angstbesetzter-ort/
Die größter Verbesserung, für alle Beteiligten wäre, wenn Schule sich in einen Ort verwandelt, in dem sich Kinder, Jugendliche und LehrerInnen wohlfühlen.
Im Moment ist Schule ein angst- und stressbesetzter Ort für viele Kinder, Jugendliche und - in der Petition zu lesen - auch für Erwachsene.
Ich bin überzeugt der soziale Lehrplan ist ebenso wichtig wie der akademische Lehrplan. Genauso wie die psychosoziale Gesundheit der Lehrpersonen an Bedeutung gewinnen muss.
Soll heißen: Eine Reform des Schulsystems und in der LehrerInnenausbildung
sind anzustreben.
Sehr gute Initiative, sehr
Sehr gute Initiative, sehr gute Kommentare. Ich sehe folgendes Problem: Das ist keine momentane Krise, es wird noch schlimmer. Das zeigen bereits die aktuellen Gehaltsverhandlungen. Es ist keinerlei Bereitschaft gegeben, die Reallohnverluste des letzten Jahrzehnts auch nur ansatzweise auszugleichen. Während die Arbeitsbelastung kontinuierlich steigt. Es scheint an den Entscheidungszentren jegliches Problembewusstsein zu fehlen. Mit Notmaßnahmen (Schnellverfahren für Quereinsteiger mit zahlreichen "Qualifikationsrabatten") lassen sich provisorisch Lücken schließen, aber das ist keine Zukunftsperspektive für die Südtiroler Schule. Sollte die Politik auf die Bereitschaft der qualifizierten Lehrkräfte zu grenzenloser Selbstausbeutung bauen, betreibt sie ein riskantes Spiel. Es wird nicht aufgehen. Die Leidtragenden sind letztlich wir alle.
Allein die Tatsache, dass
Allein die Tatsache, dass eben gerade (23.05.'23) 2 Lehrpersonen ANONYMISIERT auf Rai Südtirol über die Zustände an Brennpunktschulen sprachen, spricht Bände.