Politik | Mobilität

Südtirol – ein Verhinderer-Land?

Der Widerstand gegen die großen Infrastrukturprojekte wächst. Wie überzeugen die selbsternannten Verkehrs-Experten? Mit Daten und Fakten, sagt Landesrat Daniel Alfreider.
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Foto: LPA/Ingo Dejaco
Derzeit übertönen sich die Gegner großer Infrastruktur-Projekte, wie beispielsweise die Kreisverkehre in Olang und Rasen-Antholz, die Meraner Bahnlinie und die Standseilbahn Meran, in ihrer Kritik und bezeichnen sie mitunter als „Monster-Bauten“, die nicht im Sinne des Klimawandels sein können. Im Pustertal wird zuviel Beton verbraucht, in Meran stoßen die Baumaschinen zuviel CO2 aus (vermutlich sollen die Arbeiter zukünftig wieder vermehrt auf Spitzhacke und Schaufel zurückgreifen). Initiativen, die Bürgerversammlungen abhalten oder Petitionen gegen Bauprojekte starten, schießen wie Pilze aus dem Boden. Und auch die Oppositionsparteien erkennen die „Medientauglichkeit“ der Thematik und versuchen, sich den „Widerstand“ zunutze zu machen. Geht es in der Kritik noch um die Projekte selbst? Um die Umsetzung? Um das Verhindern um jeden Preis? Um das Suchen und Finden einer Bühne? Mit welchem Ergebnis?
 
 
Salto.bz: Herr Landesrat Alfreider, können Sie die Kritik an den geplanten Bauvorhaben nachvollziehen?
 
Daniel Alfreider: Unabhängig vom Mobilitätsplan haben wir den Klimaplan 2040 ausgearbeitet, in dem klar das Vorhaben erkennbar ist, in Südtirol etwas zum Besseren zu verändern. Darin werden nicht nur die Verursacher für den zu hohen CO2-Ausstoß klar benannt – wie beispielsweise der Verkehr –, sondern darin kann man auch schwarz auf weiß lesen, dass unsere Straßeninfrastruktur aus allen Nähten platzt. Der Grund dafür liegt unter anderem darin, dass laut Statistik Südtirol die höchste Dichte an Zweit- und Drittautos pro Familie im Alpenraum aufweist. Sollen wir glücklich damit sein, dass Südtirol das Autoland schlechthin ist? Nein, wir müssen Lösungen für die Probleme, die uns diese hohe Dichte an Fahrzeugen beschert, finden.
 
An welche Lösungen denken Sie? Ein zusätzlicher Ausbau der Infrastruktur?
 
Wir haben umfangreiche Verkehrsanalysen durchgeführt und diese vor dem Hintergrund unserer Verkehrsinfrastruktur, aber auch Gesellschaftsstruktur betrachtet. In Südtirol hat man in der Vergangenheit im Gegensatz zu anderen Regionen sehr viel Wert auf die Stärkung der Peripherie gelegt, was bedeutet, dass wir auch heute noch viele bewohnte Täler, Berggebiete und entlegene Ortschaften haben, die erreichbar sein müssen. Diese Entscheidung war und ist eine bewusste Entscheidung für den Erhalt der Täler. Wo Leben ist, findet aber auch Mobilität statt.
 
 
Heute fahren die Talbewohner manchmal zweimal täglich in die nächstgelegene Stadt.
 
 
Während man zu meiner Jugend vielleicht ein- oder maximal zweimal im Monat von Kolfuschg nach Bruneck gefahren ist, so ist das Mobilitätsverhalten heute ein vollkommen anderes. Heute fahren die Talbewohner manchmal zweimal täglich in die nächstgelegene Stadt, nicht nur aus Arbeitsgründen, sondern auch um die Kinder zu ihren Kursen zu bringen, um Besorgungen zu erledigen oder aus Gründen, die mit der Freizeittätigkeit zusammenhängen. Das Ergebnis davon ist, dass zig Tausende Autos auf den Straßen unterwegs sind.
 
 
 
 
 
Welche Erkenntnis haben Sie aus den Verkehrs-Analysen gewonnen?
 
Wenn wir den Verkehr der Zukunft nachhaltiger gestalten wollen, müssen wir die aktive Mobilität, sprich zu Fuß gehen und Fahrrad fahren, gezielt fördern, und natürlich müssen wir in den Ausbau der Bahn investieren. Die meisten Bewegungen finden bereits jetzt zwischen den Zentren wie beispielsweise Naturns und Bozen oder Schlanders und Meran bzw. Bozen statt. Wenn ein Bürger aus Schlanders sein Auto für den Weg nach Bozen benutzt, dann verursacht er zuerst Verkehr auf der Vinschger Straße, dann auf der MeBo und schlussendlich in Bozen, das im Verkehr erstickt und wo sich dann jeder fragt, warum so viel Verkehr auf den Straßen herrscht.
 
In Bozen wird über die Errichtung von Umfahrungsstraßen diskutiert.
 
Mit einer Umfahrungsstraße könnte man zwar einige Stadtviertel entlasten, damit kann aber sicher keine Verkehrsreduzierung erreicht werden. Unser Ziel muss es deshalb sein, dem Pendler aus Schlanders ein Alternativ-Angebot zur Straße zur Verfügung zu stellen. Mit dem Ausbau der Meraner Bahnlinie und der Elektrifizierung der Vinschger Bahn soll diese Strecke in 45 Minuten machbar sein. Unser Ziel ist es aber nicht nur, die westliche und östliche Landeshälfte an alle Zentren anzubinden, sondern auch an den BBT. Damit können wir auf den zukünftigen Mobilitätsanspruch der Menschen reagieren und die Weichen stellen, um den derzeitigen Verkehr zu verlagern.
 
 
 
In den vergangenen Jahren konnten wir eine Verkehrszunahme von rund 30 Prozent auf dem Südtiroler Straßennetz feststellen.
 
 
 
Manche, die sich zum Thema Verkehr äußern bzw. „Bauch-Verkehrsexperten“, sind der Überzeugung, dass keine weiteren Straßen gebaut werden dürfen und die zunehmenden Stausituationen automatisch zu einem Umdenken führen würden.
 
In den vergangenen Jahren konnten wir eine Verkehrszunahme von rund 30 Prozent auf dem Südtiroler Straßennetz feststellen. Wir können nicht noch mehr Straßen und Autobahnabschnitte bauen, das ist auch nicht unser Ziel. Jede zusätzliche Straßeninfrastruktur sorgt für einen effizienteren Verkehrsfluss und macht ihn für die Verkehrsteilnehmer damit attraktiver. Unsere oberste Priorität hat die Sicherheit der Nutzer und Nutzerinnen der Straßeninfrastruktur. Erst kürzlich hat sich an der Mebo-Kreuzung in Frangart wieder ein schwerer Unfall ereignet. Die Verhandlungen, unter anderem auch mit den Grundstücksbesitzern, sind zwar langwierig und sehr mühsam, aber wir wollen diesen Kreuzungspunkt sicherer gesattelten.
 
Woher kommt dieser Widerstand?
 
Wir leben in Südtirol schon in einer interessanten Zeit, wie ich feststellen muss, aber nicht nur in Südtirol, sondern im gesamten deutschen Sprachraum kann man einen zunehmenden Widerstand gegen Infrastrukturprojekte wahrnehmen. Vor Kurzem war der ehemalige deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt zu Gast in Bozen und die Mitglieder der Delegation zeigten sich verwundert darüber, wie schnell in Südtirol Projekte vorangetrieben werden. Ihren Schilderungen zufolge ist es sehr schwierig geworden, in Deutschland vor allem Groß-Projekte umzusetzen. Auch das muss uns zu denken geben. Ich bin der Meinung, dass Südtirol eher ein Macher- als ein Verhinderer-Land ist. Nur scheint es in letzter Zeit zu kippen.
 
Die Kritiker dieser Großprojekte argumentieren damit, dass die Bevölkerung dagegen sei. Wer ist nun „diese Bevölkerung“ oder schließen sie nur von ihrer eigenen anlehnenden Haltung auf die schweigende Mehrheit?
 
Wenn wir als Beispiel den Kreisverkehr von Olang nehmen: Was hätten wir mehr tun sollen, als dazu aufzurufen, dass man bitte Geduld haben soll, bis die Studien vorliegen, um sie dann der Öffentlichkeit vorzustellen? Wir konnten nicht mehr tun, als zu erklären, dass wir zum gegebenen Zeitpunkt alles vorlegen werden und die Kritiker auffordern, gemeinsam über die Varianten zu diskutieren. Eine Woche vor der Gemeinderatssitzung in Olang wird jedoch eine Protestaktion organisiert, damit man über die technischen Ausführungen nicht reden muss.
 
 
 
 
 
Was war Ihrer Meinung nach der Grund dafür?
 
Manche brauchen offenbar eine Bühne, um die eigene Meinung zu positionieren. Der Aufwand, sich selbst mit Themen zu profilieren, scheint zu groß zu sein, deshalb muss man sich wohl auf andere Bühnen drängen. Beispiel Meran: Die Gemeindeverwaltung hat eine Informationsveranstaltung über den Mobilitätsplan PUMS organisiert. Einige Gruppen haben daraufhin auf ihren Facebookseiten ihre Anhänger mobilisiert und die Nachricht verbreitet, dass bei dieser Veranstaltung über die Standseilbahn gesprochen wird. Ich trete als Gast auf und möchte über die Bedeutung sprechen, die das Mobilitätskonzept für Meran in den nächsten Jahrzehnten haben wird. Überlagert wurde das eigentliche Thema jedoch von der Kritik der mobilisierten Gegner und Schreier, die sich darüber aufgeregt haben, dass die Anwesenden nicht über die Standseilbahn informiert worden sind. Die Standseilbahn war aber nicht das Thema des Abends, sondern der Mobilitätsplan. Das Thema hieß: Wie stelle ich mir die Mobilität von morgen vor.
 
 
Manche brauchen offenbar eine Bühne, um die eigene Meinung zu positionieren.
 
 
Wie begegnen Sie diesen mehr oder weniger organisierten Protesten?
 
Über dem Kommunikationswege ist es mittlerweile schwierig, Ordnung und Systematik in die Themen und Diskussionen zu bringen. Es werden Themen vermischt und Argumente eingebracht, die mit der eigentlichen Diskussion nichts zu tun haben. Jeder versucht, das Thema für sich zu instrumentalisieren bzw. so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu erhalten und sich zu positionieren. Ein anderes Thema sind Fehlinformationen wie beim Beispiel Meraner Bahnlinie, wo manche glauben, dass bereits morgen die Bagger auffahren und die Grundstücke der Bauern umgraben. Wenn alles klappt, kann mit den Bauarbeiten frühestens im Jahr 2029/2030 begonnen werden.
 
In fünf bis sechs Jahren …
 
Auf der anderen Seite kritisieren Gruppierungen wie Fridays for Future, dass alles zu langsam geht. Ich finde es gut, wenn die Jugendlichen Stellung beziehen und sich für die Umweltbelange einsetzen, ich würde mir allerdings wünschen, dass sie uns dabei helfen, dieses Eisenbahnprojekt positiv zu kommunizieren. Vielleicht schaffen wir es dann, dass die Bauarbeiten eher in Angriff genommen werden können.
 
Wie groß sind diese „Wir-sind-dagegen-Gruppen“ nun?
 
Die Gemeinde Rasen-Antholz hat die Kreisverkehr-Projekte mit elf Ja- und vier Gegen-Stimmen genehmigt, in der Gemeinde Olang wurde der Grundsatzbeschluss mit zehn zu acht Stimmen genehmigt. Ausschlaggebend ist die Entscheidung der Gemeinde Rasen, weil beide Kreisverkehre auf ihrem Territorium liegen, aber schließlich geht es um die Einfahrt nach Olang, weshalb uns auch die Entscheidung dieser Gemeindeverwaltung wichtig war. In letzterer war es eine Entscheidung zwischen SVP, die über zehn Sitze verfügt, und der Bürgerliste, die acht Sitze hat. Schlussendlich wurde eine demokratische Entscheidung für die optimale Variante getroffen. Wenn die Entscheidung über die demokratisch gewählten Volksvertreter kein demokratischer Prozess ist, was dann?
 
 
Wenn die Entscheidung über die demokratisch gewählten Volksvertreter kein demokratischer Prozess ist, was dann?
 
 
Der Vorwurf lautet meist, dass die Bürger nicht in die Entscheidungen miteinbezogen werden.
 
Wissen Sie, wann das Projekt Standseilbahn Meran erstmals aufgeworfen wurde? 2009. Im Jahr 2014 hat die Gemeinde Meran mehrere Grundsatzbeschlüsse dazu verfasst. Paul Rösch wie Madeleine Rohrer haben einige Male bei mir vorgesprochen und gefordert, dass ich versprechen soll, „dieses Projekt durchzuziehen“. Meine Antwort darauf lautete, dass ich überhaupt nichts versprechen kann. Natürlich musste das Projekt erst daraufhin geprüft werden, ob es in unser Konzept der öffentlichen Mobilität hineinpasst, sprich ob es Sinn macht und anschließend wie es finanziert werden kann. Dazu braucht es umfassende Analysen. Wir haben Mobilitätsstudien sowie Fahrgast-Analysen in Auftrag gegeben, die für das Projekt gesprochen haben. Weil es damals aber keine Möglichkeiten einer Finanzierung gab, wäre es beinahe in der Schublade liegen geblieben.
 
 
Ich werde sicher keinen Cent zurückgeben, weil ich weiß, wie schwierig es ist, auch nur einen Euro aus Rom nach Südtirol zu holen.
 
 
Die beiden PPP-Projekte, die eingereicht wurden, waren wirklich sehr ausgereift, aber wir hatten kein Geld, um das Projekt umzusetzen. Im Rahmen von Verhandlungen in Rom habe ich plötzlich die Tür einen Spalt breit offen gesehen, allerdings war der betreffende Fond eigentlich nur für Städte mit einer Einwohnerzahl über 100.000 gedacht, womit Meran nicht in Frage gekommen wäre. Ein Detail am Rande: In einer Volksbefragung haben sich 2019 die Bozner Bürger und Bürgerinnen gegen den Bau einer Tram-Bahn entschieden, woraufhin jene 100 Millionen Euro, die bereits für dieses Projekt reserviert waren, wieder zurückgegeben werden mussten. Ich werde sicher keinen Cent zurückgeben, weil ich weiß, wie schwierig es ist, auch nur einen Euro aus Rom nach Südtirol zu holen. Deshalb haben wir uns nach anderen Fördertöpfen für die Standseilbahn umgesehen und noch unter Ministerpräsident Mario Draghi wurde ein entsprechender Beschluss gefasst, mit welchem 30,5 Millionen Euro für dieses Projekt zugesagt werden. Damit rückt der Bau nun in eine realistische Nähe. Die Restfinanzierung muss natürlich auch noch aufgebracht werden, aber ein wesentlicher Teil der Finanzierung ist durch staatliche Mittel bereits zugesichert. 
 
 
 
 
 
 
Können Sie den kritischen Stimmen, die ein noch Mehr an Verkehr befürchten, nicht doch etwas Positives abgewinnen?
 
Michil Costa hat vor Kurzem gemeinsam mit einigen Umweltverbänden eine Pressekonferenz im Laurin abgehalten, auf der er eine Initiativgruppe vorgestellt hat, die sich dafür einsetzen will, die Dolomitenpässe täglich zwei Stunden lang zu sperren. Ich würde so eine Sperre dann die „Michil-Costa-Sperre“ nennen, schalte mein Handy aus und dann lasse ich ihn das Verkehrschaos lösen, das sich in den Ortschaften unterhalb der Pässe bildet. Was würde so eine Sperre bringen? In vier Tälern hätten wir Mega-Staus ohne Ende, wie man es sich nicht einmal ansatzweise vorstellen kann. So funktioniert Verkehrsmanagement nun einmal nicht. Wenn man eine Verkehrsberuhigung will, dann muss vor den Taleingängen eine Kontingentierung eingeführt werden. Natürlich will ich eine Verkehrsberuhigung in den Dolomiten. Um das zu erreichen, haben wir gemeinsam mit zwei Ministern und mit anderen Regionen eine rechtliche Grundlage „erfunden“, um eine Ausnahme von der Straßenverkehrsordnung zu erhalten. Dafür liegt sogar bereits eine Genehmigung vor, was ich sowohl Costa als auch den anderen Verbands-Vertretern erklärt habe, was aber offenbar nicht verstanden wurde.
 
 
Ich würde so eine Sperre dann die „Michil-Costa-Sperre“ nennen, schalte mein Handy aus und dann lasse ich ihn das Verkehrschaos lösen, das sich in den Ortschaften unterhalb der Pässe bildet.
 
 
Daraus leite ich die Erkenntnis ab, dass wir unsere Daten und Informationen noch besser aufbereiten müssen, damit die Bürger und Bürgerinnen unsere Entscheidungen nachvollziehen können bzw. damit zumindest jene, die zu den Veranstaltungen kommen, die still sind und nur zuhören, die relevanten Information in die Hand bekommen und erkennen, dass es sich eigentlich um gute und umsetzbare Projekte handelt. Natürlich braucht es dafür Grundstücke der Bauern, Beton und die notwendigen Infrastrukturen wie Elektrifizierung. Wenn wir alle auf Elektrifizierung setzen, dann muss der Strom irgendwo herkommen. Seitdem Deutschland zwei Atomkraftwerke geschlossen hat, wurde der Import versechsfacht – aus welchen Kraftwerken? Kohle. Für das Gewissen mag das gut sein, wenn man selbst die Kernkraftwerke abschaltet und die Produktion auslagert, aber nicht für die Daten- und Faktenanalyse. Der Mensch von heute will aber einfache Antworten und keine schwer zu verstehenden Daten und Fakten, die man mühsam durcharbeiten muss. Einfache Antworten auf komplizierte Themen hat niemand – ich auch nicht. Wir analysieren die Menschenflüsse, wir sehen, wie sie sich bewegen, Verkehr ist nicht losgelöst von den Menschen, es sind die Menschen, die ihn machen, es sind wir, die ihn machen.