Politik | Teil 2/2 Uni '28

Wie geht es weiter?

Das Thema „Das Studium in Südtirol im Jahr 2028“ gab gestern Abend Politikern eine Chance, in knapp bemessener Zeit ihre Zukunftsvisionen und Lösungsansätze mitzuteilen.
Studium, Podiumsdiskussion
Foto: Privat
Auch zur vierten von sechs Fragestellungen (Teil 1 finden Sie hier), welche sich um die Eröffnung einer Medizinfakultät mit 60 Studienplätzen, deren Start im Herbst 2024 von der Landesregierung geplant ist, drehte, gab es eine Präambel. Während ein Unterricht in englischer Sprache vorgesehen ist, sollen die Praktika in deutscher, wie auch italienischer Sprache abgehalten werden. Der Präsident der Claudiana, Klaus Eisendle, schätzte die Kosten pro Student:in auf 15.000 Euro. Für diese Kosten käme die Provinz auf, es müssten die Studenten jedoch für fünf Jahre in Südtirol arbeiten. Fragenblock Vier im Bozner Kolpinghaus lautete daher, wiederum mit einer Minute Antwortzeit:
 

Braucht Südtirol eine Medizinfakultät? Wie sollte diese strukturiert sein? Was können wir uns in fünf Jahren von ihr erwarten?

 
Beginnen durfte diesmal Sabine Giunta (Grüne): Sie hoffte, dass die Gründung der Fakultät nicht allein durch die derzeitige händeringende Suche nach Ärzten begründet sei. Sie hätte der Neugründung eine stärkere Anbindung an die Fakultäten im Norden und Süden gewünscht. Sie wisse nicht, ob die aktuelle Ausrichtung zum Erreichen einer „kritischen Masse“ reiche und bestärkte die Bindung von Ärzten ans Territorium.
Paul Köllensperger (Team K) sprach sich für die Medizinfakultät aus, wenngleich ihm ein anderer Weg zu dieser lieber gewesen wäre. Während vor einigen Jahren noch vom Projekt Triangulum in Zusammenarbeit mit Padua, Innsbruck und Freiburg (nicht Nürnberg, wie Köllensperger vor Ort meinte) die Rede war, sei mit der Università Cattolica del Sacro Cuore in Rom ein weniger geeigneter Partner gefunden worden. Man werde in Bozen nie mit Städten mit einer Universitätsklinik wie jener in Wien wettbewerbsfähig sein und selbstverständlich sei bei deutschen Lebenshaltungskosten, aber italienischen Gehältern eine Abwanderung nicht weiter verwunderlich.
Philipp Achammer (SVP) betonte die Zunahme von Abwanderung auch bei qualifizierten Fachkräften. Er betonte, dass der Grund eines Verbleibs im Ausland nicht immer nur monetärer Natur sei, sondern häufig auch mit dem Umfeld vor Ort zu tun hätte, etwa wenn der Studienort auch Forschungsstandpunkt sei. Es gäbe eine Bereitschaft zurückzukehren, welche am Umfeld scheitere. Die Medizinuniversität sei das schnellstmögliche Modell, welches quantitativ notwendig sei, auf eine qualitativ gute Entwicklung sei in den nächsten fünf Jahren zu achten. Achammer verabschiedete sich, um rechtzeitig im Fernsehstudio der Rai anzukommen.
Marco Galateo (Fratelli D’Italia) unterstrich, dass Ärzte im Land gebraucht würden. Das Problem sei strukturell, da deutschsprachige Mediziner im Ausland blieben. Der Lohn sei dabei nur einer von mehreren, aber der bestimmende Faktor. Zwar sei eine Ausnahmeregelung in Sachen Zweisprachigkeit für Ärzte in Kraft, aber Patient:innen zuzumuten in einer anderen als der Muttersprache mit Ärzten zu sprechen, sei auf Dauer keine Lösung.
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) betonte, dass er als einstiger Medizinstudent in Innsbruck, die Medizinfakultät in Bozen für einen großen Fehler halte. Dieser Fehler beginne damit, dass die Ausbildung, trotz eines Ärztemangels gerade in deutscher Sprache, auf Englisch erfolge. Das Problem liege bei Löhnen, der Schwierigkeit der Anerkennung von Studientiteln und einer fehlenden Willkommenskultur. Zudem sei Bozen kein Forschungsstandort und auch ein Sezierkurs wie in Innsbruck sei in Italien unmöglich.
Jacopo Cosenza (Movimento 5 Stelle) sah die Fakultät als „nützlich“ an, fürchtete aber auch sie könnte zum Flop werden, wenn man es versäumen würde für einen attraktiven Standort inklusive Umfeld zu sorgen. Die Absichten seien gut, aber auch hier seien die hohen Mietpreise der größte „Feind“ des Projekts. Des weiteren gelte es an den Löhnen zu arbeiten.
In den Augen von Otto Mahlknecht (Die Freiheitlichen), der bereits seit 2015 gegen die Medical School gekämpft hatte ist das Projekt die Auferstehung eines „provinziellen Unsinns“. Er erinnerte an einen 2017 aufgesetzten offenen Brief Elisa Reiterers über die Schwierigkeiten der Rückkehr nach Südtirol und die fehlende Willkommenskultur. „Ein Medizinstudium so nebenbei aus dem Boden zu stampfen, kann nicht funktionieren.“
 

Schaffen wir es die Attraktivität der Claudiana zu erhöhen oder müssen wir ein Modell wie den Nordtiroler Ausbildungsbeitrag für Pflegeberufe von 600 Euro kopieren?

 
Das Nordtiroler Modell sah Sven Knoll als sehr spannend. Anekdotisch erzählte der Politiker von einer Freundin welche nach ihrer Ausbildung in Österreich ein Jahr warten musste, bis sie in Südtirol arbeiten konnte. Man sei gegenüber umliegenden Regionen nicht mehr konkurrenzfähig. Er berichtete, wiederum aus seinem Bekanntenkreis, vom Wunsch nach einem Modell, das die Arbeit für zwei oder drei Tage in Südtirol ermöglichen würde. Rechtlich sei dies fast unmöglich.
Cosenza sah die Zukunft von Claudiana-Abgänger:innen in beruflicher Hinsicht sicher. Durch das Verhältnis von Lohn und Lebenskosten bestehe allerdings kein ausreichender Grund zu bleiben. Man riskiere, Geld in die Ausbildung junger Pflegekräfte zu investieren, ohne dass dies einen Nutzen nach sich ziehe.
Als „Fehlkonstrukt“ bezeichnete Mahlknecht die Claudiana und machte den Vergleich zur FH Gesundheit in Innsbruck. Gäbe es in Innsbruck Geld für das Studium, so seien in Südtirol 7000 Euro zu zahlen. Der Freiheitliche wünschte sich Außenstellen der FH Gesundheit in Südtirol. Es solle auch in deutscher Sprache ein Studium angeboten werden.
Als wichtig schätzte Giunta das Projekt Claudiana ein. Das System der Ausbildung sei, worin sie ein generelles Problem sah, zu starr. Das Studium für berufstätige Personen sei schlicht unmöglich. Würde die Möglichkeit eines Studiums neben dem Beruf geschaffen, so sähe sie die Zahl der Einschreibungen positiv.
Paul Köllensperger verglich Startgehälter und Kosten. Man habe ein Pflegepaket rund um die Claudiana eingebracht, was leider abgelehnt wurde. Zudem seien die Wohnkosten „absurd hoch“, man müsse drei Probleme lösen.
Galateo unterstrich noch einmal die Bedeutung von Pflegekräften für die Sanität, da nur durch diese im Krankenhaus Bettenplätze garantiert werden könnten. Man müsse es schaffen, dafür zu sorgen, dass in Südtirol zu studieren „figo“ werde.
 

Wie schaffen wir es ein attraktives Umfeld für die Rückkehr von Akademiker:innen zu schaffen und, um konkurrenzfähig zu sein, Löhne anzuheben?

 
In den nächsten Jahren mehr Geld für höhere Löhne aufzutreiben werde schwer werden, unterstrich Galateo, der abermals zu Wort kam. Man müsse Lebensqualität und eine Reihe von Dienstleistungen bieten können.
Auch für Knoll ist ein attraktives Umfeld Teil der Lösung, ebenso wie die Löhne. Er rechnete vor, dass, wer ein Studium mit Facharzt-Ausbildung abschließe meist Anfang 30 sei und damit bereits ein soziales Umfeld habe. Es gelte gleiche Bedingungen zu schaffen.
Für Cosenza war das Problem ein nicht nur auf Südtirol beschränktes und er riet an, junge Akademiker:innen selbst zu fragen, welche Sicherheiten sie nach Südtirol zurücklocken könnten.
Mahlknecht gab zu bedenken, dass ein Braindrain, die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte, nie gänzlich zu verhindern sei. Es gelte bürokratische Erleichterungen, eine „unternehmensfreundliche Kultur“ zu schaffen, da diese in einem liberalen Umfeld in der Regel die besten Löhne zahlen würden.
Giunta erinnerte an den Film „Bread and Roses“ (2000, Ken Loach), der verdeutliche, dass es zwar höhere Löhne brauche, diese allein aber nicht ausreichend seien. Aus ihrer Erfahrung würden viele wegen der Gesellschaft in Südtirol nicht ins Land zurückkehren wollen. Diese sei zu konservativ und drohe junge Menschen zu ersticken. Studenten würden als Problem gesehen, es gelte den „Geist jener zu öffnen, die hier leben“.
Paul Köllensperger, dem das Schlusswort zukam, betonte, dass der Abwanderung von Hochqualifizierten eine Einwanderung von weniger Qualifizierten gegenüberstehe. Das sei „volkswirtschaftlich ein großer Aderlass“. Zwar sei ein gewisser Braindrain normal, es gelte aber auf der Gegenseite einen ausgleichenden Braingain anzukurbeln.
Bevor man zu einem offenen Diskussionsteil überging, der unter anderem zum Brixner Hofburggarten und dem Wunsch nach Biergärten abschweifte, ergriff noch einmal Günther Mathà das Wort und fasste zusammen. Man sei mit dem Projekt Freie Universität Bozen vor 25 Jahren bewusst als „Nischenuni“ gestartet, mittlerweile hätten sich durch den demographischen Knick in Europa die Rahmenbedingungen jedoch geändert. Man sei nun nicht mehr allein im Export von Äpfeln und Autoteilen rekordverdächtig unterwegs, sondern auch bei kompetenten Fachkräften, da Südtirol als Land schlichtweg zu klein für viele Forschungsfelder sei. Er werde weiterhin konsequent auf Dreisprachigkeit setzen, betonte dabei allerdings eine Hierarchie: Deutsch, Italienisch, Englisch. Neben zu niedrigen Löhnen gelte es auch, die Urangst der Südtiroler:innen vor Assimilation zu überwinden. Diese beschwichtigte er zugleich auch leicht, da durch die beiden geplanten neuen Universitätszweige lediglich 500 bis 600 Personen nach Südtirol kämen.
Der sh.asus ist mit einem neuen Format - wenngleich die Bezeichnung Podiumsdiskussion etwas irreführend war - eine interessante Schnellfeuerrunde gelungen, welche gerne, mit einer etwas weniger aggressiven Taktung als 60 Sekunden, weiter entwickelt werden kann und sollte. Dass bei einem ersten Versuch nicht alles glatt läuft, liegt in der Natur der Sache.