Obwohl seit Wochen vorausgesagt, war der Erdrutschsieg der rechtsextremen Nationalen Front in Frankreich doch ein Donnerschlag, nein eigentlich ein Keulenhieb, für alle anderen. Mit 25% und einem Drittel aller französischen Abgeordneten im EU-Parlament hat die Tochter des gealterten Parteigründers (86), ex-Offizier der berüchtigten Fremdenlegion, im Einsatz unter anderem im Indochina- und Algerienkrieg, Jean-Marie Le Pen, die in sie gesetzten Hoffnungen voll erfüllt: Erste Partei des Landes zu werden.
Selbst die hartgesottensten und erfahrensten Politiker und Kommentatoren Frankreichs waren am Wahlabend sprachlos und überboten sich mit empörten Superlativen: „Erdbeben“, „Katastrophe“, „schwarzer Tag für Frankreich und die Demokratie“ – so und ähnlich konnte man den ganzen Abend lang im französischen TV die Schwergewichte aus Politik und Medien hören.
Die Konservativen und die Zentrumsparteien hat Marine Le Pen um 5-15% überholt, die regierenden Sozialisten und ihr Präsident Francois Hollande wurden mit ihren knappen 14% geradezu an die Wand gedrückt. Und das jetzt schon zum zweiten Mal: erst vor zwei Monaten hatte Marine Le Pen ja schon bei den Kommunalwahlen entsprechend abgeräumt.
Jean-Marie Le Pen: redegewaltiger Außenseiter, entschlossener Nationalist, Ausländerfeind und Antisemit
Es ist fürwahr nicht zum ersten Mal, dass der Front National für einen überraschenden Schock sorgt. Die 1972 gegründete Mini-Partei war erstmals in aller Munde und in allen internationalen Medien, als sie 1984 völlig unerwartet an die 10% der Stimmen einsammelte – schon damals bei einer EU-Wahl! Dann ging es auf und ab, wie die Hochschaubahn, bis im Jahr 2002 Vater Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen den sozialistischen Premierminster Lionel Jospin mit 16,9% und fast 5 Millionen Stimmen um ein halbes Prozent überholte und somit in die Stichwahl gegen den neogaullistischen Jacques Chirac gelangte.
Der Schock saß so tief, dass Hunderttausende auf die Straße gingen und Chirac, der im ersten Wahldurchgang keine 20% erreicht hatte, mit sage und schreibe 80% gewählt wurde – im Namen der republikanischen Solidarität und zur Rettung der Demokratie.
Die Stimme für den Front National ist entdämonisiert
Nichts von alledem ist jetzt zu spüren. Die Stimme für die Rechtsextremen hat längst ihren „Schmuddelcharakter“ verloren, die Nationale Front wird immer mehr als eine Partei wie alle anderen wahrgenommen. Sehr viel dazu beigetragen hat natürlich der vor drei Jahren erfolgte Führungswechsel vom Vater zur Tochter Le Pen. Sie vermeidet ganz bewusst alle provokanten, schockierenden Sager für die ihr Vater so berühmt ist und gibt sich als freundliche, volksnahe, moderne Politikerin. Und: sie hat im Unterschied zu ihrem Vater stetig an der territorialen Verankerung, an der Präsenz in den Kleinstädten, den Dörfern und am Land gearbeitet. Das hat sich offenbar bezahlt gemacht.
Gelungene Imagekorrektur – die Inhalte sind gleich geblieben
Aber man darf sich nicht täuschen lassen. So sehr das Auftreten, der Stil und das Image modernisiert und aufpoliert wurden – an den programmatischen Grundsätzen des Front National hat sich rein gar nichts geändert: Raus aus der EU und dem Euro, den Deutschen die Front bieten, Franzosen zuerst, Grenzen wieder dichtmachen, straffällige Ausländer abschieben, Sozialleistungen zuerst für Inländer etc.
Zu Hilfe gekommen sind Frau Le Pen natürlich zwei ganz wesentliche Entwicklungen der letzten 5 Jahre. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat das nach wie vor sehr starre und zentralistische Frankreich trotz seiner Wirtschaftsmacht härter getroffen als andere. Und die bodenlos enttäuschende Performance des als Hoffnungsträger gewählten sozialistischen Präsidenten Francois Hollande hat gerade in den einfacheren Bevölkerungsschichten die Unzufriedenheit und Ratlosigkeit an die Spitze getrieben. Hatte Hollande im Wahlkampf noch groß angekündigt, er werde sich keinem „Diktat der Frau Merkel“ mehr beugen, war davon schon nach 2 Monaten Amtszeit nichts mehr zu merken. Hatte Hollande mehr Wirtschaftswachstum, mehr Arbeitsplätze, niedrige Steuern für Niedrigverdiener versprochen – nach wenigen Monaten trat in allen Bereichen das Gegenteil ein. Die Desillusionierung der Menschen konnte schlimmer nicht sein.
Die Konservativen versuchten zwar auch in diesem EU-Wahlkampf billiges Kleingeld daraus zu schlagen, sind aber aufgrund ihrer Zersplitterung und Zerrissenheit und den nicht aufhören wollenden Skandalen rund um wichtige Vertreter ihrer Parteien ebenso diskreditiert.
Marine Le Pen for President?
Sie gibt sich natürlich überzeugt, dass sie 2017 eine echte Chance hat, in den Präsidentenpalast Elysée einzuziehen. Doch da scheint doch mehr Euphorie und Wunsch im Spiel zu sein als pragmatische politische Analyse. Denn dem Front National bei EU-Wahlen die eigene Frust- und Proteststimme zu geben ist eine Sache, den Präsidenten der Grande Nation zu wählen immer noch eine hochgradige Staatsentscheidung. Was aber, ebenso wie in Großbritannien, Dänemark oder Ungarn passieren könnte: dass sich die anderen Parteien von den EU-Feinden vor sich her treiben lassen und dass darunter der so nötige Zusammenhalt innerhalb der EU leiden könnte.