Politik | Landtagswahlen 2023
“Südtirol braucht ein Klimagesetz”
Foto: SALTO
salto.bz: Frau Rohrer, die Landesregierung hat die Zufahrtstraße zur Lahneralm im Ahrntal kürzlich abgelehnt. Ein Erfolg für den Naturschutz oder nur ein Wassertropfen auf dem heißen Stein?
Madeleine Rohrer: Es war eine richtige und kohärente Entscheidung der Landesregierung. Im Jahr 2022 hielt sie sich nur bei der Hälfte der Anträge zur Änderung des Landschaftsplanes an die Gutachten der Fachleute. Wenn Südtirol das Land der Artenvielfalt und des Klimaschutzes sein will, dann müssen wir uns an diese Gutachten halten. Die Mitarbeiter*innen des Landes machen das ja nicht aus Spaß. Sonst passiert es, dass Umweltverbände, wie bei der Skigebietserweiterung Gitschberg, beim Gericht gegen den Beschluss Recht bekommen. Leider sind nicht einmal die Tagesordnungen der Dienststellenkonferenz und der Baukommission öffentlich, dadurch fehlt die transparente Kommunikation über Bauprojekte im Land. Denn die gehen uns alle an.
Die Sektion Ahrntal des AVS hat die Zufahrtstraße zur Lahneralm gutgeheißen, auf Landesebene war man beim AVS genauso wie beim Dachverband für Natur- und Umweltschutz dagegen.
Naturschutz erfordert in manchen Fällen auch ein Nein zu umweltbelastenden Projekten. Das ist für eine Politikerin oder einen Politiker extrem unpopulär. Politik hat aber die Aufgabe, die Leitlinien zu schaffen und für die Einhaltung von Grenzen zu sorgen. Sonst fahren wir den Karren an die Wand. Es wird immer Einzelfälle geben, die von diesen Leitlinien nicht profitieren. Die Frage ist, wie man diese Fälle auffangen oder für Entschädigung sorgen kann.
Ich fordere ein Klimaticket von rund 100 Euro jährlich für den öffentlichen Verkehr in Südtirol.
Derzeit sorgen viele Mobilitätsprojekte für Unmut im Land, etwa die Standseilbahn von Meran nach Schenna oder die Straßenbauprojekte im Pustertal. Können Sie den Protest der Bevölkerung nachvollziehen?
Ja, logisch. Jedes Projekt muss genauer angeschaut werden: Grundsätzlich dürfen keine öffentlichen Gelder mehr für den Ausbau von Straßen verwendet werden, sondern für die Verbesserung und den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel. Ein Schritt dafür stellt die Standseilbahn von Meran nach Schenna dar, die die Stadt teilweise von dem Bus- und Autoverkehr entlasten wird. Durch die Station bei der Handwerkerzone Dorf Tirols können nicht nur die Verkehrsströme von Schenna, sondern auch von Dorf Tirol und aus dem Passeiertal auf der Straße reduziert werden und die Menschen gelangen in wenigen Minuten mit der Bahn direkt ins Zentrum von Meran. Außerdem muss das Projekt im Zusammenhang mit weiteren Maßnahmen gesehen werden, etwa dem Ausbau der Bahnlinie Bozen – Meran mit einer neuen Haltestelle in Sinich, der Elektrifizierung der Vinschger Bahn und dem Mobilitätszentrum beim Meraner Bahnhof. Werden diese Projekte zügig umgesetzt, verbessert sich das Angebot des öffentlichen Verkehrs wesentlich.
Allerdings stellt sich die Frage, ob die Standseilbahn überhaupt finanzierbar ist. Bis jetzt sind erst rund ein Drittel der rund 110 Mio. Euro mit Geldern des Wiederaufbaufonds PNRR bereitgestellt.
Im Vergleich dazu kosten die größten Straßenbauprojekte im Land ähnlich viel: Die größten Baustellen des Landes sind zurzeit die Umfahrungen in Vahrn (38,5 Mio.), Branzoll (46 Mio.), Kiens (63,5 Mio.), Kastelbell (82,5 Mio.), Percha (108 Mio.) und Meran (260 Mio.). Die Elektrifizierung der Vinschger Bahn kostet mit 73 Millionen Euro in etwa gleich viel wie eine Umfahrungsstraße.
Was schlagen Sie vor, um den Autoverkehr – wie im Mobilitätsplan vorgesehen – um ein Viertel zu senken?
Ich fordere ein Klimaticket von rund 100 Euro jährlich für den öffentlichen Verkehr in Südtirol, um eine sozialgerechte Mobilität zu ermöglichen. Heute kostet der Südtirolpass maximal 640 Euro im Jahr, die weiteren gefahrenen Kilometer sind kostenlos. Um aber mehr Menschen für Bus und Bahn zu begeistern, braucht es weitere Anreize. Dazu gehören kürzere Intervalle und die Bedienung von Randzeiten. Außerdem muss das Land bereit sein, Geld für Infrastruktur in die Hand zu nehmen, wenn der Staat die Gelder nicht bereitstellt. Der Ausbau der Bahnlinie Meran – Bozen kostet den Staat rund 500 Millionen Euro; ein Projekt, das schon früher hätte angegangen werden sollen. Wollen wir dieses so wichtige Bahnprojekt wirklich von Rom abhängig machen?
Das Gefühl, nicht zu wissen, wo man wohnen kann, war für mich eine einschneidende Erfahrung.
Wie soll das Klimaticket finanziert werden?
Wenn das Land 11 Millionen Euro für eine Tierser Seilbahn ausgibt, die ich mit meinem Südtirolpass nicht benutzen kann, dann müssten auch Mittel zur Verfügung stehen, um mehr Menschen zu ermöglichen, günstig mit Bus und Bahn zu fahren.
Wieso hat Südtirol in Ihren Augen das Zeug dazu, bis 2040 – wie es der Klimaplan des Landes will – klimaneutral zu werden?
Wie der Klimaforscher Georg Kaser betont, braucht Südtirol ein Klimagesetz, das jedes weitere Gesetz und jedes Vorhaben auf seine Klimatauglichkeit hin prüft. Wenn wir den landschaftlichen Reichtum Südtirols erhalten wollen, wenn wir unsere Lebensqualität und Gesundheit, aber auch den sozialen Frieden bewahren wollen, dann führt am Klimaschutz kein Weg vorbei. Der Klimawandel trifft vor allem jene, die finanziell schlechter gestellt sind. Wer in einem schlecht isolierten Haus wohnt, leidet jetzt im Sommer stärker unter Tropennächten und zahlt im Winter deutlich mehr fürs Heizen. Die öffentliche Hand könnte sich aufgrund des doch recht umfangreichen Landeshaushalts verstärkt um solche ökologischen und sozialen Fragen kümmern.
Wieso soll genau Südtirol zum Klimaschutzvorreiter werden?
Südtirol ist ein sehr wohlhabendes Land. Weil wir eine so schöne Natur haben, haben wir auch ein großes Bewusstsein dafür, dass sie wertvoll ist und eigentlich unser Leben ausmacht. Deshalb bin ich grundsätzlich zuversichtlich. Dafür müssen jetzt allerdings in der nächsten Legislaturperiode des Landtags die richtigen Entscheidungen getroffen werden.
Sie wollen sich für leistbares Wohnen einsetzen, an welche Maßnahmen denken Sie?
Ich habe kürzlich selbst eine neue Mietwohnung gesucht, die Suche lief über rund ein halbes Jahr und unser Mietvertrag endete bald. Das Gefühl, nicht zu wissen, wo man wohnen kann, war für mich eine einschneidende Erfahrung. So etwas erdet als Politikerin aber auch und hilft die Bedürfnisse der meisten Menschen besser zu verstehen. Um die Wohnungsnot in Südtirol anzugehen, dürfen Wohnungen nicht aus dem regulären Wohnungsmarkt genommen werden, um sie an Tourist*innen zu vermieten. Dafür braucht es eine klare Regelung für die Privatzimmervermietung wie AirBnB. Es hat niemand etwas dagegen, wenn Sie Ihre Wohnung für ein paar Wochen während Ihrer Abwesenheit an Gäste vermieten. Aber jede Wohnung, die dem Wohnmarkt langfristig entzogen wird, fehlt jemand anderem als Wohnraum und trägt dazu bei, die Preise in die Höhe zu treiben.
Politik braucht Ehrlichkeit.
Ist damit alles getan?
Die Landesregierung hat im neuen Raumordnungsgesetz die Strafen für die Vermietung von Wohnungen an Gäste, die eigentlich Ansässigen vorbehalten sind, gleich niedrig angesetzt – egal ob touristisch entwickelt oder nicht. Und die Kontrollen dafür werden von den Gemeinden nicht konsequent durchgeführt. Ein weiterer Bereich, der vernachlässigt wurde, ist die Bereitstellung von Sozial- und Mietwohnungen. In Südtirol haben 75 Prozent der Bevölkerung eine Eigentumswohnung. Junge Menschen oder Arbeitskräfte aus dem Ausland sind aber häufig auf Mietwohnungen angewiesen. Ein höherer Anteil an Mietwohnungen und die Förderung neuer Wohnformen würde die Lage am Wohnungsmarkt entspannen.
Die Grünen gelten hierzulande oft als zu wenig volksnah. Wären sie es weniger, wenn Grüne Politiker*innen in Tracht Volksfeste besuchen?
Hier gilt es einen Spagat zu machen. Denn Politik ist beinharte Arbeit, etwa die Einarbeitung in komplexe Sachverhalte, das Schreiben von Gesetzesentwürfen oder Beschlussanträgen. Gleichzeitig ist es unabdingbar, nahe an den Menschen zu sein. Ich will den Leuten aber nichts vorspielen und plötzlich im Dirndl und mit einem Bier in der Hand auf ein Volksfest gehen. Politik braucht Ehrlichkeit.
Bitte anmelden um zu kommentieren
Südtirol braucht kein
Südtirol braucht kein weiteres Gesetz um die K L I M A-K R I S E ab-zu-wenden, wohl aber P O L I T I K E R die den Mut haben, die Entscheidungen auch gegen die fetten V E R B Ä N D E + drohende D O R F K A I S E R durch-zu-setzen.
Die Rohrer ist auch schon bei den Politkern angekommen, "die mit möglichst viel öffentlichem Geld die K L I M A-E R W Ä R M U N G aufhalten wollen!" (Standseilbahn Schenna - Bahn Bozen Meran - moderne Architektur, die zwar im Winter etwas weniger Energie für die Heizung braucht, aber in den wärmeren drei Jahreszeiten mit sehr viel S T R O M - K L I M A T I S I E R T werden m u s s usw.)
Antwort auf Südtirol braucht kein von Josef Fulterer
Wie immer, kann man dem
Wie immer, kann man dem Kommentar von Herrn Fulterer aussergewöhnlich gut folgen. Muss an der unverblümten Direktheit liegen...
Es braucht vielmehr Rechte
Es braucht vielmehr Rechte der Natur (vgl. Wesche), Rechte der künftigen Generationen und nicht politische Rhetorik, Methaphern.
M. Rohrer gegenüber der STZ vom 23.06.23: „Südtirol steht an einer Weggabelung: Gehen wir mutig den Weg hinauf zum Gipfel und sorgen wir mit Weitblick für echte Nachhaltigkeit und die gerechte Verteilung des Wohlstands? Oder stolpern wir auf dem scheinbar einfachen Weg weiter, weil wir den Überblick und unser Ziel aus den Augen verloren haben? Ich will diesen Weg nach oben gehen. Er ist anstrengend und er erfordert Mut. Aber ich weiß, dass die Südtirolerinnen und Südtiroler bereit für diesen steilen Weg und ein neues Panorama sind."
Entzückend! In Südtirol werden nun bald schon über 500.000 mutige Bewohner (d.w.m) gleichermaßen und zeitgerecht mit der Bergführerin Madeleine den Ortler erklimmen und ins Land gucken. Rohrer als Messner 2.0.
Ökosysteme, dazu gehören nämlich auch jene in der Tiefe, rettete Rohrer mit Berggipfel-Metaphorik in Meran jedenfalls nicht. Im Gegenteil.
Die Realpolitik der „Grünen/Liste Rösch“ hieß nicht nur Maulkörbe, sondern vor allem, keine Rechte der Natur (vgl. Wesche), der künftigen Generationen, keine Mitwirkungsmöglichkeit für betroffene Anrainer und Mitentscheidung der Bürger-innen beim autogerechten, aber klimafeindlichen Umbau der Altstadt Merans durch die Kavernenparkgarage auf über sechs Ebenen unterhalb des Tappeinerwegs mit Weltkulturerbeanwärter-Status. Da stellt sich nach allgemeinen Verständnis von „Glaubwürdigkeit“ in der Politik zurecht die Frage: Haben die politischen Grünen, diese Realpolitik und Praxis in Meran (selbstkritisch) hinterfragt oder gar aufgearbeitet?
Madeleine Rohrers Absetzung in den Dachverband und nun mit der Landtagskandidatur hat eher was von: „Ich bin dann mal weg!“
Und das bei 1689 Vorzugsstimmen bei der Gemeindewahl.
Antwort auf Es braucht vielmehr Rechte von △rtim post
"Es braucht vielmehr Rechte
"Es braucht vielmehr Rechte der Natur Rechte der künftigen Generationen und nicht politische Rhetorik, Methaphern...."
Genauso ist es!
Klimaschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe!
Eine M Rohrer, Rösch oder " die Grünen" sind nicht "allein", für einen gelingenden Klimaschutz verantwortlich!
Soziale Gerechtigkeit und ökologische Perspektive und umgekehrt, hängen voneinander ab- sind miteinader verbunden.
Wenn Politik, sich den Herausforderungen der Gegenwart (Klimakrise, Ungleicheitskrise, Demokratiekrise, Biodiversitätskrise, Migration....) wirklich stellen will und einen ökosozialen Wandel gestalten will, dann muss dies überparteilich bzw. von jeder Partei in den Mittelpunkt gestellt werden und mitgetragen werden.
Einzel- Parteiensystemdenke ist veraltet.
Antwort auf "Es braucht vielmehr Rechte von Herta Abram
Dem kann nur beipflichten.
Dem kann nur beipflichten.
Vgl. auch:
httpss://youtu.be/6PJ416sOvEo
@Rohrer,
Südtirol wird sowieso, wie ganz Italien übrigens, dem EU-Klimagesetz zu folgen haben.
Na ja, "Klimagesetz",
Na ja, "Klimagesetz", "Klimaschutzvorreiter"... vielleicht hätte sie, als sie noch Stadträtin in Meran war, etwas vorsichtiger sein können, was die damalige Erneuerung der Sasa-Busse betraf. Ich hatte ihr erklärt, dass man eine unpassende Lösung akzeptiere, die sogar dem Klimaplan 2011 (!) widersprach, aber offensichtlich "darf" man die Sasa nie und nimmer kritisieren. Oder hat man damals den bezüglichen Gemeindegremien irreführende Daten geliefert und diese kritiklos angenommen? Ich hatte meine Zweifel dargelegt und dokumentiert, aber leider vergeblich. So viel zur Dekarbonisierung. Dies selbstverständlich ist nur ein Aspekt des Themas "Klima" und "Umweltverschmutzung", aber er zeigt, dass der Teufel oft, ja fast immer, im Detail steckt.