Umwelt | Wildfauna

Die etwas andere Pirsch

Auch in Kastelruth sind die Jäger derzeit in ungewohnter Mission unterwegs: Sie retten Rehkitze in der Wiese vor dem Mähtod. Von wem sie dabei (nicht) unterstützt werden.

Mit einem leisen Surren startet die Drohne in die Höhe. Es ist noch finster, als sie zum Flug abhebt. Vor Sonnenaufgang beginnt der spezielle Einsatz, zu dem die Drohne mit integrierter Wärmebildkamera kommt. Jäger und Freiwillige werden mit ihr Rehkitze aufspüren, die sich zwischen hohem Gras versteckt halten. Die Wiesen, auf denen sie liegen, gehören Bauern, die zum Mähen ausrücken wollen. Allzu oft kommen dabei Jungtiere unter die scharfen Messer und werden getötet. Damit das nicht passiert, unnötiges Tierleid verhindert wird, rücken auch in der Gemeinde Kastelruth im Frühsommer zahlreiche Helfer zur Rehkitzrettung aus. Die aber kann nur funktionieren, wenn Bauern- und Jägerschaft gut zusammenarbeiten.

 

Der Mensch als Feind

 

Der Trupp macht sich auf, wenn draußen noch keine Spur der Dämmerung zu sehen ist. In Dreier-Teams fahren Jäger und freiwillige Helfer zu den Kastelruther Wiesen, auf denen in wenigen Stunden die Bauern auffahren werden. Zuvor werden sie systematisch nach Kitzen abgesucht, die die Rehgeißen zwischen Mai und Juni gebären und oft im schützenden hohen Gras vor Feinden verstecken – genau dann, wenn die erste Heumahd ansteht. Immer wieder passiert es, dass Kitze beim Mähen mit dem Traktor oder Mähdrescher übersehen werden, unter die scharfen Messer geraten und meist qualvoll verenden. Das muss und darf nicht sein, sind die Jäger in Kastelruth, wie auch in vielen anderen Südtiroler Revieren, überzeugt.

“Früher sind oft Gruppen von 15, 20 Leuten bei der Mahd mitgegangen und haben die Fläche mit Stöcken durchforstet, um Kitze aufzuspüren”, berichtet David Malfertheiner. Der 34-Jährige ist eigentlich Bankkaufmann. 2018 hat er die Jägerprüfung absolviert und koordiniert nun die Rehkitzrettung in der Gemeinde Kastelruth. Bei der kommen seit einigen Jahren auch Drohnen zum Einsatz. “Die erleichtern die Suche nach den Rehkitzen enorm”, betont Malfertheiner. Anders als andere Wildtiere flüchten neugeborene Rehkitze bei Gefahr nicht. Sondern ducken sich und drücken sich an den Boden. “Man mag es nicht glauben, aber oft entdeckt man ein Kitz wirklich nicht, auch wenn man zwei Meter daneben vorbeiläuft”, erklärt Malfertheiner die Grenzen, an die der Mensch bei der Suche stößt. Anders verhält es sich, wenn die Technik zu Hilfe genommen wird. 

Andreas Gasslitter mit Drohne
Kitzsuche aus der Luft: Der Jagdaufseher im Revier Kastelruth Andreas Gasslitter (rechts) mit Jäger Arno Silbernagl (links) und Drohne. (Foto: privat)

 

Mit einer Wärmebildkamera ausgestattet, fliegt die Drohne über die Wiese und ermöglicht es den Jägern, im Gras versteckte Kitze aufzuspüren. Ist ein Jungtier ausgemacht, lotst der Drohnenpilot die Jäger, oft begleitet von Freiwilligen, per Handy zu besagter Stelle. Sie nähern sich und stülpen eine luftdurchlässige Plastikkiste über das Kitz. Mithilfe von Handschuhen und viel Gras heben sie das Tier auf, legen es in die Kiste und bringen es an den Wald- oder Wiesenrand. Dort ist es sicher, bis die Wiese gemäht ist. “Wenn die Mahd erledigt ist, wird das Kitz wieder dort freigelassen, wo wir es gefunden haben, damit es das Muttertier findet, und mit Gras bedeckt”, sagt Malfertheiner.

 

Alles freiwillig

 

Die Kastelruther Jäger markieren die gefundenen Tiere mit einer Ohrmarke – heuer auf bisher über 100 Wiesen mehr als 50. “Voriges Jahr waren es 30, vor zwei Jahren 20”, berichtet Malfertheiner. Immer mehr werden auch die Bauern, die sich bei den Jägern melden, meist am Tag bevor sie ihre Wiesen mähen. Denn nur so kann die Kitzrettung gelingen. “Wir bauen auf die Bereitschaft der Bauern”, meint Malfertheiner. Und obwohl es doch auch solche gibt, die nicht Bescheid geben, sei “die Sensibilität gestiegen, vor allem bei den jungen Bauern ist sie groß”, hat der Jäger festgestellt. Wer ein Mal ein Rehkitz vermähe, also beim Mähen schwer verletzt oder tötet, der vergesse die Schreie oder den Anblick der zerfetzten Tiere nicht mehr. “Viele bedanken sich bei uns, wenn alles gut gegangen ist”, so Malfertheiner.

Rehkitz mit Ohrenmarke
Gelbe Marke: Die Rehkitze werden mit Ohrenmarken gekennzeichnet, um ihre Bewegungen nachvollziehen zu können. (Foto: privat)

 

Laut dem Südtiroler Jagdverband konnten im Jahr 2022 in 82 Südtiroler Jagdrevieren 1.300 Rehkitze vor dem wohl sicheren Tod gerettet werden. Die Rettungsaktionen passieren allein dank der Arbeit vieler Freiwilliger. 750 freiwillige Kitzretter haben 2022 ganze 8.300 ehrenamtliche Arbeitsstunden geleistet. “Unsere Arbeit machen wir kostenlos”, bestätigt Malfertheiner. Finanzielle Beiträge, etwa vonseiten des Landes oder dem Südtiroler Bauernbund gibt es – “leider”, wie man beim Jagdverband bedauert – keine. Auch nicht für den Ankauf der Drohnen, die teuer werden können. Das neue Fluggerät, das die Jäger in Kastelruth jüngst angekauft haben, um bei der Suche noch effizienter arbeiten zu können, hat 6.000 Euro gekostet. Finanziert habe man sie unter anderem über die Einnahmen der Hegeschau im vorigen Jahr, erklärt Malfertheiner. Die Spesen für den Drohnenflugschein müssen genauso selbst gestemmt werden. Dank Onlinekursen gebe es mittlerweile kostengünstige Möglichkeiten, um an den Pilotenschein zu gelangen, berichtet der Jagdaufseher im Revier Kastelruth Andreas Gasslitter. Er hat den Schein heuer selbst gemacht. Ein Kurs in einer Flugschule hingegen kostet auch mal 2.000 Euro.

David Malfertheiner mit Rehkitz
Rehkitze dürfen nie mit bloßen Händen angefasst werden: David Malfertheiner mit einem geretteten Jungtier. (Foto: privat)

 

“In einigen Fällen werden die Drohnen gemeinsam mit der örtlichen Feuerwehr oder der Bergrettung angekauft. Manchmal wird der Ankauf auch zum Beispiel von der örtlichen Bank finanziell unterstützt. Den größten Teil der Kosten müssen die Reviere allerdings selbst tragen”, weiß Nadia Kollmann, die im Südtiroler Jagdverband für die Kitzrettung zuständig ist. Mit einem Beschlussantrag fordern die Freiheitlichen die Südtiroler Landesregierung auf, ein Förderprogramm für die Rehkitzrettung ins Leben zu rufen und die entsprechenden finanziellen Mittel dafür zur Verfügung zu stellen. Behandelt wurde der Antrag aus dem Jahr 2021 bislang noch nicht.

 

Bauern bleiben gefragt

 

Die Rehkitzrettung findet jedes Jahr zwischen Mai und Juni statt. “Ab 10. Juli sollten wir mehr oder weniger fertig sein”, sagt Gasslitter. Die Drohne kann dabei nur eingesetzt werden, so lange es die Temperaturen zulassen, meist zwischen halb fünf und halb zehn Uhr. Wird es zu warm, lassen sich die Wärmequellen nicht mehr unterscheiden. Herausfordernd für die Jäger wird es insbesondere dann, wenn aufgrund von anhaltend schlechtem Wetter die Mahd erst spät stattfinden kann. Dann nämlich ergibt sich nur ein kurzes Zeitfenster, in dem viele Bauern zugleich mähen. “Heuer war es so”, berichtet Malfertheiner. “Da hatten wir für ein und denselben Tag Anfragen von 25 Bauern.”

Wärmebild Rehkitz
Das Kitz im Grashaufen suchen: Die gelb-orangen Punkte, die die Bilder der Wärmebildkamera liefern, weisen auf ein Rehkitz hin. (Foto: privat)

 

In Deutschland etwa verpflichtet das Tierschutzgesetz Landwirte, vor dem Mähen ihre Wiesen nach Rehkitzen abzusuchen. Wer ein Kitz tötet, dem drohen Geld- und auch Haftstrafen. Im November 2021 wurde ein Bauer deshalb mit einer Strafe von 10.000 Euro belegt. In einem anderen Fall wurde ein Bauer 2013 zu einem Jahr auf Bewährung und einer Strafzahlung von 4.000 Euro verurteilt. In Südtirol ist die Rechtslage anders bzw. nicht so deutlich, unterstreichen die Jäger – umso wichtiger und notwendiger sei die Zusammenarbeit mit den Bauern. “Schließlich ist es auch in ihrem Interesse, dass keine toten Tiere im Futtermittel landen.” Warum ausgerechnet den Jägern die Rettung der Kitze am Herzen liegt – denkt man bei ihnen doch nicht selten gleich daran, dass sie ja selbst Tiere töten –, erklärt Andreas Gasslitter so: “Es herrscht oft ein völlig falsches Bild von der Jägerschaft vor. Jagd bedeutet die Natur abseits der Massen erleben, Wild beobachten – und nur zu einem kleinen Anteil auch Schießen.” “Unsere Aufgabe ist die Hege und Pflege der Natur”, fügt David Malfertheiner hinzu, “und dazu gehört auch, dass wir uns um wehrlose und ungeschützte Tiere kümmern.” Ein Restrisiko bleibe aber immer, dass ein Kitz nicht gefunden wird – und bei den Jägern “eine Restsorge”.

Bild
Profil für Benutzer Massimo Mollica
Massimo Mollica Di., 04.07.2023 - 08:44

Bellissimo articolo! Io non sono e non sarò mai un cacciatore ma riconosco l'attaccamento degli stessi alla propria terra. E trovo nobile quello che stanno facendo per queste piccole creature. Non so quanti cacciatori ci saranno fra 50 anni (stesso discorso per i contadini) certo è che la sensibilità verso altre creature è in continuo aumento a prescindere e questo è positivo, perché nonostante le continue guerre c'è speranza per il futuro. Comunque tecnicamente la soluzione è questa: "In Deutschland etwa verpflichtet das Tierschutzgesetz Landwirte, vor dem Mähen ihre Wiesen nach Rehkitzen abzusuchen."

Di., 04.07.2023 - 08:44 Permalink
Bild
Profil für Benutzer rotaderga
rotaderga Di., 04.07.2023 - 15:28

Lobenswerte Arbeit!
Aber der Mensch sieht und will nur die "großen" Tiere sehen.
Wie viele Insekten, wie viele Bienen sterben durch die Tellermäher - weniger durch Messermäher- während des größten Nektar Flusses in den Vormittagsstunden?

Di., 04.07.2023 - 15:28 Permalink