Umwelt | Borkenkäfer

Die Strategie-Frage

Der Borkenkäfer breitet sich weiter aus, doch welche Strategie ist die richtige im Kampf gegen den Schädling? Kann die Natur letzten Endes das Problem sogar selbst lösen?
Vor Kurzem wurde der aktuelle Agrar- und Forstbericht 2022 vorgestellt, in dessen Rahmen natürlich auch die Borkenkäferproblematik angesprochen wurde. Wie Günther Unterthiner, Direktor der Landesabteilung Forstwirtschaft, im Gespräch mit Salto.bz erklärt, werden die Schäden im heurigen Jahr noch weiter zunehmen.
Rund 340.000 Hektar der Fläche Südtirols sind mit Wald bedeckt, rund zwei Drittel davon ist Schutzwald, etwa ein Viertel Objektschutzwald. Ende 2022 waren 6.000 Hektar Wald vom Borkenkäfer befallen, für heuer ist von einer Verdoppelung der Schäden auszugehen. Die nackte Wahrheit ist, dass große Teile der Fichtenbestände insbesondere im Pustertal und im Wipptal verloren sind. „Ein gewaltiger ökonomischer Schaden für die Waldbesitzer“, so das Fazit von Abteilungsdirektor Unterthiner. Die Flecken mit den toten Bäumen werden sich ausbreiten bzw. unbestockte Flächen in der Folge zunehmen.
 
 
img_1425.jpeg
Günther Unterthiner, Direktor der Landesabteilung Forstwirtschaft:  (Foto: Seehauserfoto)
 
 
Mittlerweile finden sich die Käfer und deren Larven nicht mehr nur in den Rinden reifer und frisch geschlagener Bäume, sondern auch in den Ästen und in Jungbeständen. Ein Anzeichen dafür, dass man es mittlerweile nicht mehr nur mit dem „Buchdrucker“ (Ips typographus) zu tun hat, sondern auch mit dem artverwandten Kupferstecher (Pityogenes chalcographus). Beide gehören der Unterfamilie der Borkenkäfer (Scolytinae) an; während sich der Buchdrucker hauptsächlich in reifen Bäumen einnistet, bevorzugt der Kupferstecher junge Bäume, die durch Wind oder Schnee geschädigt sind. Ältere Bäume werden in den oberen Stammteilen und den Zweigen mit dünnerer Rinde besiedelt. Aber auch die Lärche, die typische Baumart neben der Fichte in den alpinen Gebirgswäldern, ist nicht mehr vor den gefräßigen Insekten sicher. „Im vergangenen Jahr mussten wir insbesondere im Schnalstal feststellen, dass auch der Lärchenborkenkäfer (Ips cembra) zunehmend auftritt“, so Unterthiner.
 
 
img_1423.jpeg
Borkenkäfer legen ihre Brutgänge unter der Rinde von Bäumen an. Treten sie massenhaft auf, kann das zum Absterben des Wirtsbaumes führen. (Foto: Seehauserfoto)
 
 
Die Föhrenbestände wiederum werden vom sogenannten Waldgärtner (Tomicus spp.) bedroht. Diese Baumart schwächelt bereits seit Längerem, wie der Direktor der Forstabteilung erzählt. Pilzbefall, Trockenheit; Prozessionsspinner und nun auch die Käfer haben besonders im Raum Brixen für starke Ausfälle gesorgt. Das gebe zwar Anlass zur Sorge, allerdings sei im Unterholz der Föhrenbestände viel Laubholz wie Hopfenbuche, Blumenesche und Flaumeiche vorhanden, was zu einer raschen Wiederbestockung führen sollte.
 
 
Wir werden weiterhin über 1.000 m Seehöhe auf die Fichte zählen – auch weil es nicht viele Alternativen gibt.
 
 
Während die Föhre auf Kosten von Laubbäumen in der Vergangenheit gefördert und deshalb deren erhöhtes Vorkommen eine Folge von menschlicher Bewirtschaftung als Waldweide oder in Form von Streunutzung ist, stockt die Fichte in dieser dominierenden Form als standorttypische Baumart in Südtirols Wäldern. „Wir werden weiterhin über 1.000 m Seehöhe auf die Fichte zählen – auch weil es nicht viele Alternativen gibt“, so der Direktor der Landesabteilung Forstwirtschaft. Diese Bestände sind jetzt jedoch massiv bedroht: Durch Schneedruck- und Windwurfereignisse und zunehmende Phasen von Trockenheit und Hitze werden die Fichten einem enormen Stress ausgesetzt, Schädlinge, die im Zuge solcher Ereignisse massenhaft auftreten, führen zum Absterben der geschwächten Bäume.
 
 
 

Die Suche nach der richtigen Strategie

 
Derzeit schwärmt die erste Generation von Borkenkäfern des heurigen Jahres aus, um sich neue Brutstätten zu suchen. Eine sehr heikle Phase, wie Abteilungsdirektor Unterthiner erklärt, denn das Zeitfenster für gezielte Maßnahmen, um den Aktionsradius der Käfer einzuschränken, sei sehr kurz. Vom Ausflug bis zum erneuten Befall bleiben nur sechs bis acht Wochen Zeit, bis man erkannt hat, welche Bäume befallen sind, vergehen wiederum drei, vier Wochen. Von der Schlägerung bis zum Abtransport aus dem Wald bleibt somit nur ein sehr kleines Zeitfenster. Wird es verpasst, frisst sich eine neue Generation ihren Weg durch die Wälder. Die Strategie der Südtiroler Landesregierung lautet deshalb, befallene Bäume zu schlägern, zu entrinden oder schnellstmöglich aus dem Wald abzutransportieren.
 
 
img_1422.jpeg
Holztransport: Von der Schlägerung bis zum Abtransport aus dem Wald bleibt nur ein sehr kleines Zeitfenster. (Foto: Seehauserfoto)
 
 
Südtirol folgt damit der „mitteleuropäischen Linie“, wie sie in Deutschland, Österreich und der Schweiz praktiziert wird. In diesen Ländern herrscht die Ansicht vor, dass eine schnelle Schlägerung und unmittelbare Bringung aus dem Wald die effektivste Methode ist, um den Schädling zu bekämpfen. Dagegen, so Unterthiner, wird in Italien die Meinung vertreten, dass frisch befallenes Holz nicht geschlägert werden soll. Denn dadurch würde das ökologische System nicht nur destabilisiert, sondern eine weitere Ausbreitung des Käfers sogar noch gefördert – so zumindest die These. Aus diesem Grund werden im Trentino – im Gegensatz zu Südtirol – auch keine Förderungen für die Entnahme der befallenen Bäume gewährt. „Es wäre höchst interessant, Vergleichsstudien von einer unabhängigen Stelle durchführen zu lassen, um herauszufinden, welche Strategie letztendlich besser funktioniert“, so Unterthiner.
 
 
img_1424.jpeg
Abteilungsdirektor Günther Unterthiner: „Sollten die Trockenperioden in den kommenden Jahren zunehmen, wird es keine Rolle spielen, welche Strategie wir anwenden – es wird nichts nutzen.“ (Foto: Seehauserfoto)
 
 
 
Laut der bisher gemachten Erfahrungen und Beobachtungen reguliert sich die Borkenkäfer-Population ab einer gewissen Anzahl nämlich von selbst. „Nach ungefähr drei bis vier Jahren flaut dieses Phänomen ab“, so der Abteilungsdirektor. Allerdings stammten diese Erkenntnisse aus einer Zeit, in der die Effekte der Klima-Erwärmung noch nicht in diesem Ausmaß in Erscheinung getreten sind. So war man im vergangenen Jahr im Trentino der Meinung, dass der Zusammenbruch der Borkenkäfer-Population unmittelbar bevorsteht, die Vorhersagen sind jedoch aufgrund der lang anhaltenden Hitzeperiode und Trockenzeit, welche die Vermehrung der Käfer außerordentlich begünstigt hatte, nicht eingetreten.
 
 
Nach ungefähr drei bis vier Jahren flaut dieses Phänomen ab.
 
 
„Welche Faktoren den Zusammenbruch auslösen, ist nicht bekannt. Die Wissenschaft hat dafür noch keine Erklärung“, so der Abteilungsdirektor. Auch aus diesem Grund herrscht keine Einigkeit darüber, welche Maßnahme die wirkungsvollste im Kampf gegen den Borkenkäfer ist. Die „Chemie-Keule“ sprich der Einsatz des Borkenkäfer-Fangsystems TriNET in Tirol habe sich jedenfalls nicht als effizient erwiesen, so Unterthiner, der den Einsatz von Insektiziden für eine ökologisch sehr bedenkliche Methode hält. Die Fallen wirken nicht artspezifisch und es werden auch zahlreiche Nützlinge eliminiert. Für Südtirol kämen derartige Methoden ohnehin nicht in Frage, da der Einsatz solcher Giftfallen in Italien nicht zugelassen ist. „Sollten die Trockenperioden in den kommenden Jahren zunehmen, wird es aber keine Rolle spielen, welche Strategie wir anwenden – es wird nichts nutzen“, ist Unterthiner überzeugt.
 
 

Schutzmaßnahmen

 
Im Unterschied zu Ländern wie Deutschland, das in den vergangenen Jahren ebenfalls stark vom Borkenkäfer-Befall betroffen war – 500.000 Hektar allein in den letzten vier Jahren –, sind die Auswirkungen in Ländern des Alpenbogens deutlich gravierender. Denn wie bereits erwähnt, sind zwei Drittel der befallenen Fläche des Waldes Schutzwald, ein wesentlicher Teil davon ist Objektschutzwald, sprich Wald, der direkt Siedlungen und Infrastrukturen vor den Naturgefahren wie Wasser, Lawinen und Steinschlag schützt. Neben der Herausforderung, die Wälder so rasch wie möglich wieder aufzuforsten, müssen auch die Dörfer und Straßen geschützt werden. Lässt man an den Hängen verdorrte Bäume stehen, besteht die Gefahr, dass diese umstürzen, zu Tal donnern und wie jüngst in Ulten zur Gefahr für Leib und Leben werden.
 
 
img_1427.jpeg
Kahlschlag oberhalb der Penserjochstraße: Die technischen Schutzmaßnahmen werden in den kommenden Jahren intensiviert werden müssen. (Foto: Seehauserfoto)
 
„In unmittelbarer Nähe zu Infrastrukturen wie Straßen und Wanderwegen wird man sicher keine toten und somit gefährlichen Bäume stehen lassen“, so Unterthiner. Gleichzeitig dürfe auf Schutzwaldflächen nicht sämtliches Holz entfernt werden. Denn auch abgestorbene Bäume können noch für etliche Jahre in Kombination mit quer gefällten Bäumen eine Schutzfunktion beibehalten. „Hänge ohne Schutzfunktion des Waldes bergen aber auch eine erhebliche Gefahr“, so Unterthiner. Im Antholzertal sowie im Gadertal musste der Straßendienst in einigen Bereichen bereits technische Maßnahmen ergreifen, um Straßen und Wege zu sichern. Ausgehend davon, dass dieses Jahr weitere tausende Hektar direkter Objektschutzwald betroffen sein werden, müssen die technischen Schutzmaßnahmen sicher noch intensiviert werden. „Die größte Herausforderung bzw. der wichtigste Faktor in der weiteren Entwicklung wird jedoch die Wildregulierung sein“, ist der Abteilungsdirektor überzeugt, der von den Jägern als den wichtigsten Verbündeten spricht. Denn eine möglichst rasche Wiederbewaldung auf solch geschädigten Flächen ist nur dann möglich, wenn kein überhöhter Wildverbiss auf natürlich aufkommenden oder aufgeforsteten Jungpflanzen stattfindet.

 

Bild
Profil für Benutzer Heinrich Zanon
Heinrich Zanon Di., 18.07.2023 - 17:56

Also jetzt - wie man uns zu erklären versucht - Buchdrucker, Kupferstecher, Lärchenborkenkäfer und Waldgärtner immer massiver und ausgedehnter im Anmarsch und wohl auch zukünftig Orientierungslosigkeit pur und verzweifelte unergiebige Suche nach Abhilfe unter den Waldeignern und bei den zuständigen Verwaltungsstellen.
Vielleicht sollten wir baldigst flächendeckende Panoramaaufnahmen von unseren Talschaften in Auftrag geben, damit wir unseren Nachkommen später einmal wenigstens mit Wehmut zeigen können, wie schön unser Land in grüner Vorzeit war.
Aber auch Lichtblicke würde ich angesichts der bevorstehenden Katastrophe am Horizont heraufziehen sehen.
Der Overtourismus könnte sich noch vor dem möglichen Einbrechen der Borkenkäferpopulation ebenfalls totlaufen.
Und wo, bitte, sollen sich in Zukunft unsere vielen Wölfe und Bären noch verstecken und nachhaltig geschützt auf die Lauer legen können?

Di., 18.07.2023 - 17:56 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Dietmar Nußbaumer
Dietmar Nußbaumer Di., 18.07.2023 - 20:59

Nachdem sich Schlägern im unzugänglichen Gebiet nicht lohnt bzw. sehr gefährlich ist, wird man ein Stück weit auf die Selbstheilungskräfte des Ökosystems vertrauen müssen. Was schlagen Förster und Wissenschaftler vor?

Di., 18.07.2023 - 20:59 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Hanspeter Staffler
Hanspeter Staffler Do., 20.07.2023 - 17:18

Die Erderhitzung verursacht Wetterkapriolen! Wetterkapriolen wie Vaja 2018, Schneedruck 2019, 2020 und Dürresommer 2022 schwächen die Fichten-Wälder und sind ein Eldorado für den Borkenkäfer. Der Klimawandel hat auch das Land in den Bergen erreicht. Was können wir strategisch tun? Natürlich an erster Stelle endlich und radikal die Treibhausgasemissionen reduzieren. Ich weiß, klingt fad aber ist trotzdem wahr! Zweitens werden sich die Borkenkäferpopulationen je nach Wetterkapriolen ein Jahr mehr, ein Jahr weniger ausbreiten. Die Fichtenwälder sind unter Druck und werden es auch bleiben. Dort, wo es Risiko-Hotspots gibt, wie kahle Hänge oberhalb von Siedlungen, Straßen und Infrastrukturen muss technisch verbaut werden: Klimawandel-Folgekosten. In Fichtenwäldern wird sich wieder von Natur aus Jungwuchs ansiedeln, neben Fichte kommen auch andere Baumarten auf. Ob diese Verjüngung aufwachsen wird, hängt von der Wilddichte ab. Mit der heutigen Wilddichte keine Chance. Angenommen, die Wilddichte ginge zurück und die Jungbäume kämen auf, dann dürfen wir ein etwas anderes Waldbild erwarten: mehr Fichtenjungwald, weniger Fichtenaltbestände, mehr Pionierbaumarten, weniger Holzertrag, mehr Rotföhren und Eichen, weniger Buchen und Edellaubhölzer . Sorry, Versuch einer Prognose ganz nach Karl Valentin: “Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.” Und Geduld wird es brauchen, etwas was unsere kapital getriebene Gesellschaft nur vom Sagen her kennt.

Do., 20.07.2023 - 17:18 Permalink