Gesellschaft | Schuljahr 2023/24
Trügerische Zahlen
Foto: Thirdman
In den vergangenen Wochen fand die Online-Stellenwahl für Lehrpersonen der deutschen Grund-, Mittel- und Oberschulen für das Schuljahr 2023/2024 statt. Es wurden insgesamt 1.927 Stellen angeboten. Rund 1.000 Lehrerinnen und Lehrer erhielten dabei eine Stelle für das kommende Schuljahr. Es herrscht jedoch nach wie vor Lehrermangel in Südtirols (deutschen) Schulen. Vor allem in den technischen Fächern mangelt es an Lehrkräften. Salto.bz hat dazu Sigrun Falkensteiner, Landeschuldirektorin für die deutschsprachigen Schulen, interviewt.
Salto.bz: Frau Falkensteiner, vor kurzem fand die Stellenvergabe für Lehrkräfte an deutschsprachigen Schulen statt. Dabei wurden circa 1.000 von 1.927 Stellen vergeben. Heißt das nun, dass 900 Lehrer und Lehrerinnen an Südtirols Schulen im kommenden Schuljahr fehlen?
Sigrun Falkensteiner: Nein, das heißt nicht, dass 900 Stellen für das kommende Schuljahr frei bleiben. Diese Stellen werden nun von den Direktoren und Direktorinnen vor Ort, im Zuge der sogenannten Direktberufung, vergeben. Bewerber und Bewerberinnen können dann direkt eine Bewerbung einreichen und werden dann von den Direktoren und Direktorinnen angestellt. Zur Stellenwahl kommen nämlich nur jene Personen, welche eine Lehrbefähigung haben. Es gibt nämlich unterschiedliche Gründe, warum eine Stelle frei bleit, ein Beispiel:
Im Fach Englisch sind die Stellen sehr gefragt, wenn nun eine Lehrkraft auf der Rangliste ist und weiß, dass eine Kollegin schwanger ist, so scheint die Stelle als gewählt auf. Gibt nun die suchende Lehrkraft an, auf die Stelle zu verzichten, wird die Lehrkraft danach von den Direktionen mittels Direktberufungen kontaktiert. Die Direktionen kontaktieren dann alle, auf den Ranglisten stehenden Personen, welche keine Stelle gewählt haben.
Ein weiterer Grund, warum mehrere Stellen noch offen sind, ist, dass es Personen gibt, die unterrichten, jedoch keine gültige Lehrbefähigung haben. Das sind Personen die andere Studiengänge abgeschlossen haben, bei welchen es keine Lehrbefähigung gibt oder nur Teile eines Studiums abgeschlossen haben. Diese Personen befinden sich nicht auf den Ranglisten und finden dem Entsprechend ihre Stelle nicht über die Stellenvergabe.
Eine weitere Personengruppe, welche von der Lehrstellenvergabe ausgeschlossen ist, sind jene die keine Erfahrung oder Ausbildung haben. Diesen Personen kann dann auch über Direktberufung eine Stelle zugesprochen werden.
Wo werden Personen eingesetzt, welche keine Ausbildung oder Erfahrung haben?
Auch hier liegt die Aufgabe wieder bei den Direktionen, welche diese Stellen verteilen. Natürlich werden diese Personen in den ersten Jahren begleitet durch einen Tutor/Tutorin. Außerdem gibt es ein Landesneulerner Seminar, bei welchem die unterrichtenden Personen fortgebildet werden. Es wird selbstverständlich darauf geachtet, dass eine solche Person nun nicht eine erste Klasse in einer Grundschule übernimmt.
Warum gibt es überhaupt diese Direktberufung?
Die Direktberufung gibt es, da es uns nicht möglich ist, für alle Direktionen Bewerbungsgespräche zu führen. Aus diesem Grund werden die Kompetenzen geteilt.
Für das kommende Schuljahr sind einige Gesetzesbestimmungen geplant, wie beispielsweise das Berufspraktikum ab 14 und die Abänderung der Notenskala von 4-10, statt der staatlichen Vorgabe von 1-10. Warum nahm man diese Abänderungen vor?
Das Thema der Notenskala begleitet uns seit längerem. Wir haben schon vor Jahren eine Gesetzesbestimmung angeregt, in der von Schulen vorgeschlagen wurde, auf eine andere Arten der Bewertung umzusteigen, die lerntheoretisch geeigneter sind. Diese Gesetzesbestimmung wurde dann aber vom Staat angefochten und wir mussten sie wieder zurücknehmen. In den letzten Jahren wurde auch von Seiten des Landesbeirates der Schüler kommuniziert, zumindest auf Noten unter 4 zu verzichten, da jene absolut nicht motivierend für Schüler und Schülerinnen sind. Dies konnten wir nun auch mit dem Staat abstimmend umsetzten, da wir in diesem Bereich nicht die primäre Kompetenz haben.
Ab 2024/25 soll ein internationaler Klassenzug eingeführt werden. Erklären Sie bitte, was ein internationaler Klassenzug ist.
Der internationale Klassenzug wird in Bozen angesiedelt und richtet sich an Familien mit internationalen Hintergrund oder jene die sich in diese Richtung orientieren möchten. Der Unterricht findet vorrangig in englischer Sprache statt. Deutsch und Italienisch werden als Sekundärsprachen unterrichtet.
Die Ausbildung der Lehrkräfte wird nun auch vom Land Südtirol übernommen. Ist diese Kompetenzübernahme sinnvoll?
Die Übernahme der Ausbildung der Lehrkräfte ist eine wichtige Entscheidung. Insbesondere betrifft diese Zuständigkeit die Sekundärstufe, also die Mittel- und Oberstufe. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Österreich, wo das Konzept des Lehramtsstudiums praktiziert wird, erfolgt in Italien die Ausbildung durch Fachstudien. Nach Abschluss des Studiums kann der Abschluss genutzt werden, um eine pädagogische Ausbildung zu absolvieren. Allerdings haben die wiederholten Veränderungen der pädagogischen Zusatzausbildung in Italien zu Verunsicherung bei den Bewerbern geführt. Deswegen hielten wir es für notwendig unser eigenes System zu entwickeln. Die Übernahme der Zuständigkeit für die Lehrerausbildung wird dazu beitragen, die Stabilität und Sicherheit in diesem Bereich zu erhöhen. Dies ist von großer Bedeutung, um mehr Personen dazu zu motivieren, den Lehrerberuf zu ergreifen.
Wir brauchen endlich Stabilität und Sicherheit, dass Anwerber*innen wissen, wie das Ausbildungsmodell abläuft.
Es wurde auch das Quereinsteigermodell erwähnt, können Sie dies genauer erläutern?
Das Quereinsteigermodel richtet sich vorrangig an Personen ab 30 Jahren, die bereits Erfahrung im Unterricht gesammelt haben, aber keine Lehrbefähigung haben. Für diese Personen bieten wir einen arbeitsbegleitenden Intensivkurs an. Nach Abschluss erhalten die teilnehmenden Personen dann die Lehrbefähigung. Ich möchte hier hervorheben, dass es sich nur um die Lehrbefähigung und keinen Studientitel handelt. Wir wollen mit diesem Modell keinen Parallelweg zur Universität aufbauen, deswegen sind Personen ab 30 Jahren die Zielgruppe. Insgesamt wurden 50 Plätze ausgeschrieben, wobei ältere Personen den Vorzug haben. Das Quereinsteigermodel wird nun zum zweiten Mal angewendet. Wir haben es aufgrund der Pensionswelle in Südtirol für Notwendig erachtet, ein solches Modell zu entwickeln.
Ich möchte noch anmerken, dass die Zahlen oft missverstanden werden, wie beispielsweise bei der Stellenvergabe der Fall ist. Man muss bedenken, dass der Lehrerberuf attraktiver gestaltet werden soll. Die Attraktivität des Lehrberufes hängt hierbei von mehreren Faktoren ab: den Arbeitsbedingungen vor Ort, der Gehaltssituation und der sozialen Wertschätzung.
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Quereinsteiger als Modell zu
Quereinsteiger als Modell zu bezeichnen, lässt sich verstehen, wie schlecht die pädagogische Funktion der Schule berücksichtigt ist und wie normal ist, ihren minderschätzung hinzunehmen.