Gesellschaft | Maskenskandal

Corleone in Südtirol

„Freunde im Edelweiß“ hat in Südtirol wie eine Bombe eingeschlagen. 18 Monate später stellen Christoph Franceschini und Arthur Oberhofer ihr zweites Enthüllungswerk vor.
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Foto: salto
Die Autoren haben für dieses Buch über 10.000 Seiten Akten eingesehen, mehrere hundert Stunden an Telefonmitschnitten analysiert und unzählige WhatsApp-Chatverläufe eingesehen. Das Ergebnis ist der Wirtschaftskrimi mit dem Titel „Das Geschäft mit der Angst“. Heute (19. September) wurde das Enthüllungsbuch im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Die beiden Autoren zeichnen darin detailliert die Geschichte rund den „Masken-Skandal“ nach, der vom Journalisten Franceschini am 6. April 2020 losgetreten wurde, als er den Artikel „Vernichtendes Gutachten“ auf der Online-Plattform Salto.bz veröffentlichte. Von einem Informanten hatte der Autor zwei Gutachten zugesteckt bekommen, eines der „DEKRA Testing and Certification GmbH“ und eines vom Amt für Rüstung und Wehrtechnik in Wien. Aus beiden Gutachten ging hervor, dass die rund drei Wochen zuvor aus China angelieferten Schutzmasken sowie Schutzkleidung und Atemschutzmasken nicht den Standards für medizinische Zwecke entsprachen. Als Retter in höchster Not hatte sich der Sportartikelhersteller OberAlp Group bereit erklärt, dem Land zu helfen und seine Kontakte nach Fernost zu nutzen, um die Schutzbehelfe zu organisieren.
 
 
Ich habe die Informationen zu dieser Geschichte während der Corona-Pandemie, am Höhepunkt des Lockdowns, zugespielt bekommen. Mir war klar, dass es sich um eine sehr große Geschichte handelt.
 
 
„Ich habe die Informationen zu dieser Geschichte während der Corona-Pandemie, am Höhepunkt des Lockdowns, zugespielt bekommen. Mir war klar, dass es sich um eine sehr große Geschichte handelt“, so Franceschini. Dem Autor war aber nicht nur klar, dass es sich um eine „große Geschichte“ handelt, sondern auch dass er bei einer Veröffentlichung einen großen Shit-Storm ernten würde. Was er damals noch nicht wusste, war, dass bereits ein Ermittlungsverfahren in der sogenannten „Schlauchtuch-Affäre“ eingeleitet worden war und die Beamten zu diesem Zeitpunkt bereits die Handys und Telefone der Hauptakteure abgehört haben. In den Ermittlungsakten wurde somit lückenlos nachgezeichnet, was in diesen Tagen und Wochen passiert ist.
 
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Artur Oberhofer (li.) und Christoph Franceschini (re.): „Was wir nicht haben, ist eine Kriegskassa, die wir heranziehen können, wenn man uns ‚wehtun‘ will. Man hat uns ausgerichtet, dass man uns und unsere Familien ruinieren wird." (Foto: Salto)
 
 
 
Wie „Freunde im Edelweiß“ sollte auch dieses Buch verhindert werden. Mehr als deutliche Worte fand Artur Oberhofer, Chef-Redakteur der Neuen Südtiroler Tageszeitung und Co-Autor des Buches, als er beschrieb, welchem Druck man ausgesetzt sei: „Über uns schwebt das Damokles-Schwert. Wir haben schwerwiegende Thesen aufgestellt, die wir aber bis ins Detail beweisen können. Was wir nicht haben, ist eine Kriegskassa, die wir heranziehen können, wenn man uns ‚wehtun‘ will. Man hat uns ausgerichtet, dass man uns und unsere Familien ruinieren wird. Dieses Ziel werden sie aber nicht erreichen. Wenn der Herr Präsident von Oberalp meine Familie ruinieren will, dann soll er mich ruinieren, aber nicht meine Familie! Wir haben keine Angst vor OberAlp, wir haben keine Angst vor Florian Zerzer, denn das, was wir schreiben, ist die pure Wahrheit.“
 
 

Ein Geschäft mit der Angst

 
„Vielen Lesern dieses über 600 Seiten starken Buches wird es so gehen wie uns. Wir wähnten uns teilweise im falschen Film, im falschen Land. Wir dachten nie, dass solche Dinge, wie sie im Buch beschrieben sind, in Südtirol möglich sind. Die Menschen, die dieses Buch lesen, werden entsetzt sein. Sie werden geschockt und empört sein“, erklärte der Chef der Tageszeitung.
Oberhofer und Franceschini haben in ihrem Enthüllungsbuch zwei Kernthesen herausgearbeitet. So bediene das bekannte Südtiroler Unternehmen OberAlp Group seit Jahren das Narrativ, dass man nur in einer schwierigen Lage habe helfen wollen. Nun habe man aber das Gegenteil bewiesen und Beweise dafür offen gelegt, dass das Unternehmen im Zusammenspiel mit Politikern und Verwaltern „ein Geschäft mit der Angst machen wollte. Wir beweisen, dass man die Panik in Profit verwandeln wollte.“ Kompromittierende Materialtests seien vertuscht, Testverfahren manipuliert, Ausschreibungen gesteuert und mit dem Verkauf von schadhaftem Material an Privatkliniken und Rettungsorganisationen im Ausland Profit gemacht worden. Belegen konnte man auch, so Oberhofer, dass es ein fragwürdiges Polit-Lobbying gegeben habe, in welches Spitzenpolitiker und Ex-Politiker der SVP sowie hohe Beamte des Südtiroler Sanitätsbetriebes involviert gewesen seien.
 
 
Wir beweisen, dass man die Panik in Profit verwandeln wollte.
 
 
„Wir zeigen in diesem Buch auf, wie einer der wichtigsten und einflussreichsten Unternehmer des Landes einem Südtiroler Spitzenpolitiker diktiert, wie eine Millionen-Ausschreibung zu machen ist“, erklärte der Buch-Autor im Hinblick auf die Rolle der Oberalp Group. Besonders brisant, so Oberhofer, sei der Umstand, dass Mediziner das Spiel und Geschäft mit der Angst befeuert hätten: „Aufgedeckt wird, wie hochrangige Vertreter der Corona-Task-Force massiv auf Journalisten eingewirkt und laut darüber nachgedacht haben, wie sie ihnen – Zitat ‚weh tun können‘. Diese Aussage stammt von einem Südtiroler Primar.“ Das Schockierendste für den Autor sei die Erkenntnis gewesen, dass sich Spitzenbeamte im mittleren und oberen Bereich der Sanität nicht um das Wohl ihrer Patienten gesorgt haben, sondern um ihr eigenes Wohl und um das ihrer Freunde. Erzählt wird aber auch, wie öffentliche Bedienstete korrekt vorgehen wollten und dafür unter Druck gesetzt worden sind.
 
 

Aufschoben ist nicht aufgehoben

 
In nachhaltiger Erinnerung bei „Freunde im Edelweiß“ sind vor allem die Tonmitschnitte von abgehörten Gesprächen. Man habe lange darüber diskutiert, auch bei diesem Buch Gesprächsinhalte mitzuliefern, so Franceschini, der erklärte: „Wir müssen Sie enttäuschen, in diesem Buch gibt es das nicht!“ Man habe sich aus Respekt vor der Justiz dagegen entschieden. Nach Veröffentlichung von „Freunde im Edelweiß“ wurde von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dessen Zuge die Autoren zu einer Geldstrafe verurteilt worden waren. Diese haben sie allerdings nicht akzeptiert, weil sie überzeugt waren, nicht gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Im nachfolgenden Prozess wurden Franceschini und Oberhofer zwar freigesprochen, allerdings hat die Staatsanwaltschaft Berufung dagegen eingelegt. „Diese Ermittlung wurde auf politischen Zuruf losgetreten“, zeigte sich Franceschini überzeugt, man habe jedoch vollstes Vertrauen in die Justiz und werde die Aufnahmen daher vorerst nicht zu veröffentlichen – „aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben“.
 
 
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Christoph Franceschini: „Man hat über alles gesprochen, über jedes Vertrags-Detail, von Preisen und Materialien – eine Sache wurde jedoch nie angesprochen, und zwar über die Gefahr einer Ansteckung, derer sich die Mitarbeiter durch das Tragen dieser Schutzbekleidung ausgesetzt haben. Das ist das Menschenverachtendste, was ich in meinen Recherchen erlebt habe – es ging nur um die Gewinnmaximierung.“ (Foto: Salto)
 
 
„Dieser Masken-Skandal ist ein Skandal, der weit über Südtirol hinausreicht“, umriss der Salto-Redakteur auch die internationale Dimension des Skandals. So ermitteln inzwischen sieben Staatsanwaltschaften in drei Ländern. Umfangreiche Ermittlungen finden in Österreich und in Deutschland statt. „Dazu hat man hier bisher geschwiegen, auch das sollen die Leute wissen“, erklärte Franceschini. So habe das Unternehmen OberAlp von einer Tochtergesellschaft des Österreichischen Roten Kreuzes über 40 Millionen Euro für die Lieferung von Schutzmaterialien kassiert, die auch an den Südtiroler Sanitätsbetrieb geliefert wurden. Dazu ermittelt inzwischen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und die Finanz-Prokuratur in Wien, „weil man dort viel schneller und umfassender gemerkt hat, dass das gelieferte Material nicht dem entspricht, was man bestellt und auch bezahlt hat.“
 
 
In diesem Buch steht ein Satz, von dem ich überzeugt bin, dass er stimmt: Corleone ist nicht so weit weg von Südtirol.
 
 
Dasselbe gelte für Deutschland, wo ebenfalls Kliniken mit diesem Material beliefert wurden. „Auch dort hat man völlig anders reagiert, sei es von Seiten des Unternehmens selbst, sei es von Seiten des öffentlichen Abnehmers“, so Franceschini. Dort hätten die Klinikleitungen nämlich sehr schnell gemerkt, dass das angelieferte Material teilweise „Schrott“ sei und dem Unternehmen die Daumenschrauben angelegt, woraufhin dieses versucht habe, einvernehmliche Lösungen zu finden. In einigen Fällen sei dies gelungen, in anderen nicht. „In Südtirol weiß man nicht, für wen manche Spitzenbeamte arbeiten  für die öffentliche Hand oder für Privat-Unternehmen. Man hat über alles gesprochen, über jedes Vertrags-Detail, von Preisen und Materialien  eine Sache wurde jedoch nie angesprochen, und zwar über die Gefahr einer Ansteckung, derer sich die Mitarbeiter durch das Tragen dieser Schutzbekleidung ausgesetzt haben. Das ist das Menschenverachtendste, was ich in meinen Recherchen erlebt habe  es ging nur um die Gewinnmaximierung“, so Franceschini, der abschließend erklärte: „In diesem Buch steht ein Satz, von dem ich überzeugt bin, dass er stimmt: Corleone ist nicht so weit weg von Südtirol.“
 
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