Literarische (Ent-)Würdigungen
Kaser und Flaaser
Über den Sinn und Unsinn von Gesamtwerklesungen wird gerne und genug diskutiert. Auch zur initialen Schnaps(!)idee für das purgatorium kaser bei transart23. Warum denn ein hochtrabender Kaser-Lesemarathon im kleinen Flaas? Ist das im Grunde nicht so unpassend, wie es ein Wolkenkratzer im kleinen idyllischen Ort wäre, in welchem sich Kaser vor einem halben Jahrhundert als Lehrer einen Namen machte? Die jungen Kaser-Vermittler Matthias Vieider und Andrea Bernard haben sich entlang der ihnen auf- und etwas unüberlegten Vorgabe entlanggearbeitet und sich der Sache, einer (fast) nicht mehr enden wollenden Sonntagslesung, am Taberhof in Flaas angenommen. Mit allerhand kleinen (und durchaus feinen Akzenten), schlängelten sie sich mit ihrer immersiven Installation durch den lieben, langen Kaser-Tag und präsentierten das Schaffen des lange ausgegrenzten Poeten.
Gekommen waren über 200 Interessierte, alte Kaser-Freunde*innen, Künstlerinnen und Künstler, ehemalige Schüler*innen aus Flaas, Kasers Schwester, und vereinzelt auch ein paar „Exkremente einer total vertrottelten Bozner Schießbudengesellschaft“, wie Kaser lange vor seiner Mainstreamwerdung – in seiner Brixner Rede – treffend formulierte. Sogar Ober-Mainstreamer Brad Pitt, so flunkerten gestern einige, hätte ebenfalls zum Kaser-Tag kommen wollen, habe sich aber wohl im Datum geirrt und genoss deshalb vorab die prachtvolle Aussicht auf das Land nur ein paar Wiesenecken und Waldwege vom Taberhof entfernt. Was vom purgatorium kaser (wie vom Brad Pitt-Besuch) bleibt? Etwas Schall? Etwas Rauch? Ein Tipp jedenfalls für Zukünftiges in Sachen Kaser-Völlerei, auch im Sinn seiner literarischen Denke: Weniger ist mehr.
Ossi und die Ossis
Kaser und sein Schaffen zu würdigen war 1988 auch das Interesse ein paar junger Südtiroler Bücherwürmer rund um den Schriftsteller Oswald (Ossi) Egger gewesen, als diese vor nunmehr 35 Jahren, einen Preis für Literatur im Namen Kasers aus dem Boden stampften und in festlichem Rahmen den Kneipenschriftsteller Bert Papenfuß damit beehrten. Die Lyrik von Papenfuß, der ziemlich genau vor einem Monat (am 26. August 2023) verstorben ist, „war radikal und experimentell. Es war damals das weiteste – von Südtirol aus gesehen – wohin man sich wegdenken konnte“, erinnert sich Oswald Egger, der damals die Fäden für die Kaser-Verleihung in Lana zog und heute – als mittlerweile angesagter Schriftsteller – auf der Raketenstation in Neuss bei Düsseldorf lebt, schreibt und zeichnet. „Ich hatte zu den Kulturtagen 1987 Sascha Anderson, den Maler Helge Leiberg, den Gitarristen Lothar Fiedler und andere für eine multimediale Performance eingeladen“, entsinnt sich Egger. Aus den Gesprächen mit den federführenden Persönlichkeiten der jungen ostdeutschen Literatur- und Kunstszene baute sich somit ein Kontakt nach Ostberlin zu Egmont Hesse auf, der dann für den ersten Kaser-Preis, alles mit ins Rollen brachte.
Papenfuß (wie auch dessen Kollege Anderson) reisten 1988(!), also noch vor dem Fall der Mauer über den Jaufenpass zur Verleihung nach Lana. Wenige Jahre später sollte sich allerdings herausstellen, welche Rolle der Papenfuß-Begleiter Sascha Anderson in der ostdeutschen Literaturszene wirklich spielte und wie Wolf Biermann 1991 dies aufdeckte: Anderson bespitzelte nämlich über ein Jahrzehnt lang Kollegen und Kolleginnen. Aus gutem Grund wird deshalb vermutet, dass bisher noch nicht gesichtete Stasi-Dokumente zum Kaser-Preis 1988 ans Tageslicht kommen könnten. Würdigendes? Entwürdigendes? Überraschendes? Vielleicht sogar zu Kaser selbst, der sich wenige Jahre vor seinem Tod im DDR-Kurort Bad Berka aufhielt.
„Es war für uns, für mich, eine wirklich große Sache damals“, erinnert sich Robert Huez, mittlerweile Leiter im Literaturhaus Wien, zur Einrichtung des Kaser-Preises in Lana, die vom bekannten Lyriker H.C. Artmann wohlwollend begleitet wurde, der „eine sehr schöne Rede im Kulturhaus bei der Preisverleihung gehalten“ hatte. „Lana war damals wirklich als Vorreiter unterwegs, dass die avantgardistische Lyrik aus der DDR präsentiert wurde. 10 Jahre später, 1998, hat Papenfuß dann in Wien den Erich Fried Preis erhalten, inklusive Zuspruch sogar von Jandl.“ Die Begegnung und Erinnerung mit der Ost-Szene von damals, sei „exotisch, wirklich spannend und erhellend im Umgang mit Sprache“ gewesen, so Huez.
Kaser und Laaser
Einen Stasi-Akt zu einem Südtiroler Schriftsteller, welchen Norbert Conrad Kaser in seiner Brixner Rede wohlwollend hervorhob, hatte die Stasi bereits Jahrzehnte vor Kasers Wiederentdeckung 1988 zu Franz Tumler angelegt, oder zumindest vermerkte sie einige Besuche des 1912 in Gries bei Bozen geborenen Schriftstellers im antifaschistischen Osten Deutschlands. In der am Wochenende ausgetragenen neunten Ausgabe des Tumler-Preises würdigte die Jury im Rahmen des Preises für Romanerstlinge die Autorin Tine Melzer, für ihren Roman Alpha Bravo Charlie, der durch „seinen Tief- und Hintersinn ebenso besticht, wie durch seinen Humor und durch seine makellose Sprache.“
Melzers Roman erzählt von „einem liebenswürdigen Außenseiter“, der Berufsleben und Ehe hinter sich hat und sich als Modellbauer „am Küchentisch eine Gegenwelt zur Realität des Alltags“ entwirft, mit dem Bestreben, „auf sanfte Art überall Ordnung“ (mit Zahlen) zu schaffen. Melzers Figur sei „jedoch weit mehr als verschrobener Sonderling“, schreibt die Jury in der Tumler-Preis-Begründung 2023. Und findet mit der Bezeichnung Sonderling sogar eine auch für Kaser würdigende (?) oder entwürdigende (?) Etikette, der sich als junger Mann (1967) in Tumlers Laas als Lehrer "herumtummelte" und dort (s)eine urige, kindliche Lust am Schreiben für den ersten Gedichtband probegaenge entdeckte. Dieser führte Kaser vom Vinschger Marmorort aus direkt in sein purgatorium 2023. Mit Tumler als Beifahrer.
Flaas sei eine literarische
Flaas sei eine literarische Ent-Würdigung, kein Ort, an dem man eine "hochtrabende" Gesamtwerklesungen Kasers veranstalten könne. Das klingt nach Snobismus.
Kasers Aufzeichnungen zu Flaas geben aber z.B. Auskunft über jene Zeit. Eine nach allemal lohnenswerte Lektüre, finde ich, um die Umbrüche zu verstehen.
Seltsam klingt für mich auch, der Marathon bzw. das Format Marathonlesung zur Erinnerung an den Autor solle kürzer sein.
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Traurig, dass Bert Papenfuß im August 2023 verstorben ist. Seine Stimme und Manuskripte von damals werde ich bewahren.