Politik | Migration

„Keine wirkliche Entlastung“

Regierungschefin Meloni hat mit Amtskollegen Rama vereinbart, im Meer gerettete Flüchtlinge nach Albanien zu bringen. EU-Rechtsexperte Obwexer beurteilt den Deal.
Adi Rama, Giorgia Meloni
Foto: ANSA.it
  • Premierministerin Giorgia Meloni und ihr albanischer Amtskollege Edi Rama haben gestern (6.11.2023) in Rom ein Flüchtlingsabkommen beschlossen. Mit dieser Entscheidung könnte es der italischen Regierungschefin gelingen, ihr Versprechen an die Wählerschaft von Fratelli d’Italia zumindest symbolisch einzuhalten. Schließlich hatte sie im Wahlkampf dafür geworben, die Einwanderung zu senken. 

    Eine wirkliche Entlastung für Italien bringen diese Asylzentren in Albanien nicht.

    Nun sollen in Albanien bis zum Frühling zwei von Italien verwaltete Flüchtlingsaufnahmezentren für bis zu 3.000 Menschen errichtet werden, die aus dem Meer gerettet wurden. Über den Landweg angekommene Migrant*innen sollen hingegen in Italien auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten. Somit entspricht das bilaterale Abkommen geltendem Recht der Europäischen Union (EU), bestätigt der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck, Walter Obwexer

  • Walter Obwexer: „Wenn das Asylverfahren negativ ausfällt, haben wir dasselbe Problem wie in allen anderen EU-Mitgliedsstaaten.“ Foto: Uni Innsbruck

    „All jene Personen, die auf italienischem Hoheitsgebiet oder an der Grenze zu Italien einen Antrag auf internationalem Schutz stellen, müssen nach derzeit geltendem EU-Recht auch in Italien ein Asylverfahren erhalten. Hier kann Italien gar nicht in Drittstaaten auslagern“, so Obwexer. „Wenn Personen, die im Mittelmeer gerettet werden, nach Albanien kommen, dann ist es nicht verboten, dass das Asylverfahren für Italien in Albanien durchgeführt wird.“ Laut dem Abkommen sollen Flüchtlinge in die Aufnahmezentren kommen, die von italienischen Schiffen wie der Marine gerettet wurden, nicht aber von NGOs. 

  • „Italien muss sicherstellen, dass in Albanien die EU-Standards eingehalten werden, was das Verfahren, die Unterbringung und die Behandlung dieser Menschen anbelangt“, erklärt der EU-Rechtsexperte. Italien wird für die Führung der Aufnahmezentren verantwortlich sein, bei der Überwachung der Strukturen will es mit dem Westbalkanland zusammenarbeiten. Das Abkommen gilt nicht für Minderjährige, schwangere Frauen oder andere schutzbedürftige Personen, teilte Meloni mit.

    Bei einem positiven Asylbescheid erhalten die Flüchtlinge das Recht, sich in Italien aufzuhalten – ein wahrscheinlich kleinerer Teil der Asylwerber*innen. „Wenn das Asylverfahren negativ ausfällt, haben wir dasselbe Problem wie in allen anderen EU-Mitgliedsstaaten“, sagt Obwexer. Denn die Herkunftsländer müssen als sicher gelten und bereit sein, die migrierten Menschen wieder zurückzunehmen. „Albanien wird die abgelehnten Asylwerber*innen nicht behalten wollen, wenn sie nicht zurückgeführt werden können. Dafür muss es auch eine Lösung geben.“ 

    Aus Sicht des Rechtsexperten scheinen die Vorteile des Abkommens für Italien darin zu liegen, dass sich die Schutzsuchenden während dem Asylverfahren nicht im eigenen Land, sondern in Albanien befinden und die Unterbringungskosten dort etwas günstiger seien. „Eine wirkliche Entlastung für Italien bringen diese Asylzentren in Albanien nicht“, so Obwexer. Außerdem werde es der EU missfallen, dass einer ihrer Mitgliedsstaaten Asylverfahren in Drittstaaten durchführt. 

  • Flüchtlinge in Italien: Dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge sind in diesem Jahr bereits etwa 130.000 Menschen über das Mittelmeer in Italien angekommen, das entspreche einem Anstieg von 83 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Foto: vita.it
  • Der Rechtsprofessor rechnet damit, dass die Kosten für die Unterbringung und Überwachung der Zentren von Italien getragen werden müssen. Außerdem müsse die Regierung in Rom festlegen, wie lange die Menschen in diesen Aufnahmezentren bleiben sollen. Wie auch in Italien werden die Flüchtlinge die Struktur nicht verlassen dürfen. Das sei laut EU-Recht dann möglich, wenn das Asylverfahren rasch abgeschlossen wird. „Das kann nicht Jahre dauern“, sagt Obwexer. Bei einem negativen Asylbescheid steht es ihnen frei, dieses auf dem Rechtsweg vor einem italienischen Gericht anzufechten. 

    Dass Albanien sich mit dem bilateralen Abkommen bessere Chancen für den Eintritt in die EU verschafft, sei laut Obwexer unwahrscheinlich. „Albanien wird sich damit zwar nicht aus dem Rennen nehmen, aber es wird voraussichtlich mit den anderen fünf Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien in die EU aufgenommen werden. Dieser Prozess wurde von der EU bereits beschleunigt.“