Gesellschaft | Aus dem Blog von Harald Knoflach

Der Hymnen-Gau

Gegen die österreichische Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek entbrannte ein Shitstorm (inklusive Morddrohung), weil sie dem Alpenrocker Andreas Gabalier die neue genderfreundliche Fassung der Bundeshymne vorbuchstabierte.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Im Dezember 2011 hat das Parlament die Abänderung des Textes der österreichischen Bundeshymne beschlossen. Statt „Heimat bist du großer Söhne“ heißt es nun „Heimat großer Töchter und Söhne“. Der Änderung waren lange und hitzige Diskussionen vorausgegangen, die auch nach der Beschlussfassung nie gänzlich abgeebbt sind. Neuerlich befeuert wurde die Debatte, nachdem der selbsternannte „Volks-Rock'n'Roller“ Andreas Gabalier bei einem offiziellen Anlass – nämlich der Eröffnung des Formel 1 Grand Prix von Österreich in Spielberg – die Bundeshymne mit altem Text sang. Dies wiederum veranlasste Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek dazu, Gabalier via Facebook „Nachhilfeunterricht“ in Sachen Hymnentext zu erteilen. Es folgte ein gewaltiger Shitstorm gegen die Ministerin, der sogar in Morddrohungen (!) gipfelte. Zwei Beobachtungen zum Fall „Österreichische Bundeshymne“:

Das wahre Problem bezüglich der Änderung

Der Shitstorm gegen Gabriele Heinisch-Hosek ist unterste Schublade. Daran gibt's nichts zu rütteln. Wenngleich sie hätte ahnen können, dass sowas ähnliches passiert. Und Gabalier seinerseits hat sich über geltendes Recht hinweggesetzt. Eine (sachliche) Diskussion über den Hymnentext sollte trotzdem auch nach dem Parlamentsbeschluss noch erlaubt sein. Denn das Parlament hat damals einen großen (nicht aber weltbewegenden) Fehler gemacht. Der Fehler war aber nicht der Wunsch, die weibliche Seite Österreichs zu betonen, sondern dass in einen literarischen Text – über dessen Qualität man freilich streiten kann – eingegriffen wurde. Der Hymnentext ist keine Gebrauchsanleitung, die man beliebig sich ändernden Umständen anpassen kann, da sie über keine so genannte "Schöpfungshöhe" verfügt. Der Text der österreichischen Hymne darf wenn dann nur von der Autorin (!) Paula Preradović geändert werden – und die ist schon lange verschieden. Was das Parlament beschlossen hat ist eine sprachliche (wie rhythmisch-musikalische) Vergewaltigung. Eine wirklich revolutionäre Botschaft und ein starkes Signal wäre es gewesen – wenn man schon so etwas Unnötiges und Archaisches wie eine Nationalhymne braucht – einen komplett neuen Text zu verfassen. Der dann in einigen Jahrzehnten wahrscheinlich wieder für Wirbel sorgen wird, da wir heute bestimmt Dinge schreiben würden, die dann im Jahr 2050 als untragbar, undenkbar und politisch unkorrekt empfunden werden würden. Vielleicht sollte man einfach lernen, dass jeder literarische Text im Kontext zu sehen bzw. zu verstehen ist, in dem er geschrieben wurde.

Das österreichische Luxusproblem

Die österreichische Bundeshymne ist eine der friedliebendsten ihrer Sorte. Nicht einmal das Wort „Blut“ kommt darin vor. Während in der französischen Marseillaise Kehlen durchschnitten werden und unreines Blut die Furchen tränkt und man in der italienischen Fratelli d’Italia zum Tod bereit ist und über Nachbarländer sich auslässt, singt man in tu felix Austria über die Schönheit der Landschaft, die (tragische) historische Figur und die (hoffentlich) bessere Zukunft. Weder in Frankreich noch in Italien hat man offenbar ein Problem damit, zutiefst anachronistische Texte zu singen, die selbst im historischen Kontext betrachtet nur martialisch bis beleidigend sind – von einer Gendergerechtigkeit ganz zu schweigen. In Österreich hingegen sieht man sich veranlasst, die Hymne zeitgemäß zu adaptieren. Ein an und für sich löbliches Unterfangen, wäre es nur nicht derart „potschat“ angegangen worden.

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gorgias Di., 01.07.2014 - 00:13

Diesen Text kann ich vollstens Zustimmen. Wie kann man nur so einen Pfusch veranstalten? Aber der Feminismus hat ja bisher wenig für Sprachkultur übrig, wenn es darum geht seine Ziele zu erreichen.
Wenn man schon damit anfängt die Hymne nach Gender-Korrektheit durchzuscannen kann man die Hymne ganz hinterfragen mit allen vorhanden Anachronismen oder dann durch einen vollkommen neuen Text ersetzten der den jetztigen Ansprüchen entspricht. Aber warscheinlich hat man dafür nicht die politischen Mehrheiten. Dann lieber reinpfuschen. Sind ja nur ein paar Worte anders - aber dann könnte man auch der Mona Lisa einen Schnurrbart malen, sind ja nur ein paar Striche.

Di., 01.07.2014 - 00:13 Permalink
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David Gruber Di., 01.07.2014 - 10:06

Harald,
die Bundeshymne gehört der Republik Österreich und sie kann damit machen, was sie will. Die Autorin muss diesbezüglich also nicht gefragt werden, denn über den Text einer Hymne bestimmt der Gesetzgeber.
https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreichische_Bundeshymne#Werknutz…
Des weiteren ist bereits 1946 (übrigens nach Rücksprache mit der Autorin) im Text eingegriffen worden.

Idealerweise würde man die Texte aller Hymnen abschaffen. Bei der "Marcha Real" geht's ja auch...

Di., 01.07.2014 - 10:06 Permalink
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Harald Knoflach Di., 01.07.2014 - 10:13

Antwort auf von David Gruber

ich weiß. ich bin da eher konservativ und halte es bei kunstwerken wie beim watten: "was liegt, pickt". es geht weniger darum, was rechtlich möglich, sondern was in meinen augen richtig ist. ich weiß jetzt nicht, wem die mona lisa gehört. aber ich fände es falsch, wenn ihr der besitzer einen conchita-wurst-bart aufmalen würde.

Di., 01.07.2014 - 10:13 Permalink
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David Gruber Di., 01.07.2014 - 10:20

Antwort auf von Harald Knoflach

Im Unterschied zu einer Hymne, ist die Mona Lisa aber kein Hoheitszeichen.
Und außerdem hinkt der Vergleich: Würde ich einen Schnurrbart der Mona Lisa aufmalen, so wäre das Originalkunstwerk unweigerlich verloren. Aber eine Textänderung zerstört das Origial nicht - es ist immer zugänglich. Insofern gilt dein Vergleich also nur, wenn ich auf einer Kopie/einem Foto der Mona Lisa einen Schnurrbart aufmale. Und da sehe ich kein Problem.

Di., 01.07.2014 - 10:20 Permalink
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Harald Knoflach Di., 01.07.2014 - 10:34

Antwort auf von David Gruber

naja. das hinkt jetzt aber auch.
wie gesagt, mir geht es um die würde des werkes. egal ob hoheitszeichen oder nicht. natürlich bewege ich mich da auch auf dünnem eis. wir bauen ja heute auch alte gebäude um. dennoch finde ich, dass ein literarischer text unantastbar ist. außer, ich mache im rahmen eines künstlerischen prozesses etwas neues - ein neues kunstwerk - daraus. beispiel sampling im hiphop. aber das ist hier nicht der fall.

Di., 01.07.2014 - 10:34 Permalink
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David Gruber Di., 01.07.2014 - 10:42

Antwort auf von Harald Knoflach

Wieso hinkt mein Vergleich?

Empfehle diesen Text zur Lektüre:
http://www.muk.uni-frankfurt.de/44877380/026

"Der Germanist nennt dafür ein nicht so geläufiges und weniger emotionalisiertes Beispiel: „Wenn in einem Märchen aus der Zeit von Klassik und Romantik von einem ‚blöden Kind‘ die Rede ist, dürfte kein kindlicher Leser von selbst die damalige Bedeutung von ‚blöde‘ herausfinden; in einer Leseausgabe von heute sollte es deshalb ‚schüchternes Kind‘ heißen.“"

Di., 01.07.2014 - 10:42 Permalink
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Benno Kusstatscher Di., 01.07.2014 - 10:46

Wenn es ein kleiner rhythmischer Artifakt nicht Wert ist, 50% der eigenen Urbevölkerung ausdrücklich nicht auszuschließen, dann freue ich mich erst auf großzügig kulturelle Opferbereitschaft bei der Zuwanderung.

Harald, ich dachte, Dir als Postnationalisten geht so etwas wie eine Bundeshymne am Allerwertesten im Ultraschall vorbei. Ob es Wahrung der Kunst ist, die Dich bewegt, oder noch nicht ganz abgeschüttelte Nationalgefühle? ;-)

Dein Wurst-Lisa gibt es übrigens schon lange im Internet. Schaut gar nicht so schlecht aus:
http://strikethroughblog.files.wordpress.com/2014/05/mona_lisa_full_sma…

Di., 01.07.2014 - 10:46 Permalink
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Harald Knoflach Di., 01.07.2014 - 11:44

Antwort auf von Benno Kusstatscher

volk steht so im text. aber klar hab ich einen bezug zu dem land und seinen menschen - von überall her. und ich würde mich auch aufregen wenn die trackshittaz die neue hymne verfassen würden. nicht aber wegen der hymne, sondern wegen des anspruchs. ich würde mich auch aufregen, wenn jemand huckleberry finn umschreiben wollte. ist für mich genau das gleiche.

Di., 01.07.2014 - 11:44 Permalink
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Benno Kusstatscher Di., 01.07.2014 - 12:00

Antwort auf von Harald Knoflach

Hmm, ausgerechnet Huckleberry: ich hatte mir erst neulich überlegt, dass es höchste Zeit wäre, die Tom Sawyer Bücher neu zu übersetzen. Meine Kids verstehen die veraltete Sprache (der deutschen Übersetzung) gar nicht mehr, sind der Langatmigkeit der Geschichten nicht mehr zugänglich und so manche politisch inkorrekte Formulierung brachte ich beim Vorlesen gar nicht mehr über die Lippen. Ich hab die Bücher aussortiert. Schade eigentlich, muss ich doch heute noch bei jedem weißgestrichenen Holzzaun an die beiden denken.

Di., 01.07.2014 - 12:00 Permalink
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Harald Knoflach Di., 01.07.2014 - 12:08

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Das Problem ist, dass die Leute glauben, Huckleberry sei ein Kinderbuch. Das ist wie mit den Simpsons. Huckleberry Finn ist eines der besten Bücher überhaupt. Und es lebt weniger von der Geschichte als vielmehr von der Sprache (ich kenn die Übersetzung nicht, hab's nur im Original gelesen). Es ist einfach nur großartig.

Di., 01.07.2014 - 12:08 Permalink
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Harald Knoflach Di., 01.07.2014 - 11:19

Antwort auf von Benno Kusstatscher

aber zurück zum thema:
stimmst du mir nicht zu, dass die textänderung ein sagenhafter pfusch und eines landes, mit großer literarischer tradition, nicht würdig ist. ich finde es peinlich und im prinzip fast schon beleidigend den frauen gegenüber. wie gesagt - ein gänzlich neuer text - das wär's gewesen. wobei diesen dann in 50 jahren wohl - wie ich geschrieben habe - das gleiche schicksal ereilt.

Di., 01.07.2014 - 11:19 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Di., 01.07.2014 - 11:00

Das ist der Gipfel der politisch korrekten Idiotie!
Es ist einfach nur lächerlich, dass ein Staat sich tatsächlich mit solch einem Schmarren wie die "Genderung" der Nationalhymne befasst und zugleich am Brenner wöchentlich Flüchtlinge nach Italien zurückweist. Denkt mal lieber darüber nach wie man armen Leuten helfen kann! Ihr *******!

Di., 01.07.2014 - 11:00 Permalink
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Wilfried Meraner Di., 01.07.2014 - 14:34

Antwort auf von Mensch Ärgerdi…

Da bin ich ganz bei dir- aber hat irgendjemand gesagt, dass ihm/ihr das "Gendern" wichtiger ist als Menschenleben? Schimpfwörter kann ich als emotionale Ausrutscher akzeptieren, aber wäre es nicht besser, den Ausrutscher einfach zuzugeben? Oder bist du ernsthaft überzeugt, dass das in diesem Fall gerechtfertigt ist? In der Mäßigung liegt mehr Kraft als in Kraftausdrücken- finde ich. Vor allem fällt damit jedenfalls das Niveau der Diskussion. Auch wenn es nur ****** sind.

Di., 01.07.2014 - 14:34 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Di., 01.07.2014 - 15:07

Antwort auf von Wilfried Meraner

Schimpfwörter? Ausrutscher? Hallooooo? Das sind Sterne eben nur Sterne, den Ausdruck den ich unter den Sternen sehe, finde ich auf jeden Fall gerechtfertigt und dadurch das er eben durch die Sterne von jeden ergänzt werden kann wie er/sie (!) (vergessen wir um Gottes willen das Gendern nicht) will, muss der/die Leser/in sich schon selbst Fragen ob seine Ergänzung ernsthaft gerechtfertigt ist. Ich habe auch nicht zufällig das Wort im anderem Kommentar "Kompliment" benutzt...
Wie fing noch dieses unvergessliche Lied an? Don't think me unkind... https://www.youtube.com/watch?v=7v2GDbEmjGE

Di., 01.07.2014 - 15:07 Permalink
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Alfonse Zanardi Di., 01.07.2014 - 13:23

Randnotiz: In Österreich ist es nun so dass auch jedes Bundesland natürlich selbstverständlich seine eigene Landeshymne hat [LOL] deren Verballhornung auch unter Strafe steht. In Oberösterreich wird gerade die folgende Textoptimierung diskutiert: "Hoamatland, di han ich so gern! Wiar a Kinderl sei Muader, a Hünderl sein Herrn". Na dann, gutes Gelingen. +++ Einzige Ausnahme: Wien hat keine Landeshymne, immerhin.

Di., 01.07.2014 - 13:23 Permalink
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Harald Knoflach Di., 01.07.2014 - 13:56

Antwort auf von Alfonse Zanardi

ROFL. Das ist in der Tat so und erinnert ein bissi an Artikel 301 im türkischen Strafgesetzbuch: Beleidigung der türkischen Nation, des Staates der türkischen Republik und der Institutionen und Organe des Staates

Gesetz vom 17. November 2004 über die Tiroler Landeshymne
§ 2
(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht, wer
a) die Landeshymne unter entstellender Veränderung
ihres Wortlautes oder ihrer Melodie verwendet oder
b) die Landeshymne unter Begleitumständen spielt
oder singt, die nach allgemeinem Empfinden die ihr
gebührende Achtung verletzen,
sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit
der Gerichte fallenden strafbaren Handlung
bildet.
(2) Verwaltungsübertretungen nach Abs. 1 sind von
der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis
zu 2.000,– Euro zu ahnden.

Di., 01.07.2014 - 13:56 Permalink
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Profil für Benutzer Martin B.
Martin B. So., 06.07.2014 - 02:01

Antwort auf von Martin B.

Mit dem Inhalt untenstehenden Kommentars stimme ich vielleicht nicht 100% überein, aber die "psychologische" Wirkung in der breiten Bevölkerung scheint er zu erfassen: so vor einigen Generationen Aristokraten nicht mehr imstande waren das Meinungsbild der Öffentlichkeit zu bestimmen, so geht es heute den "politisch korrekten" 68ern. Sie sind out bei der Jugend und erst recht, wenn eine über 50jährige Lehrerin ein Idol der Massen "belehren" will. Wie in Zukunft gegendert wird, bestimmen nicht Gesetze und (alte) Politiker, sondern das Volk und heutzutage sind das die "Messenger"-Kids, welche auch die deutsche Sprache im Alltagsgebrauch radikal umgestalten.
http://diepresse.com/home/meinung/quergeschrieben/christianortner/38325…

So., 06.07.2014 - 02:01 Permalink
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Profil für Benutzer Stephan Kerschbaumer
Stephan Kerschbaumer Mi., 02.07.2014 - 09:50

In deinem Kommentar wirfst du nicht wenige aber interessante Fragen auf. So zum Beispiel:
1. Wenn man wider dem Gesetz handelt, das bei Nichteinhaltung keine Strafe vorsieht, ist diese Handlung nicht trotzdem wider dem "geltenden Recht"? Inwiefern unterscheidet sich ein solches Gesetz SUBSTANTIELL von einem, das zwar eine Strafe vorsieht, diese aber nicht Anwendung findet (z.B. dem Codice della strade, das Autofahrern VERPFLICHTET am Zebrastreifen anzuhalten, um Fußgängern die Vorfahrt zu geben)? In beiden Fällen wird gibt es SUBSTANTIELL keine juristische Bestrafung. Das widerrechtliche Handeln wird aber einem sozialen Urteil unterzogen (hier die Kritik seitens der Politik, dort die Verwünschungen der Fußgänger). Oder gilt der Spruch: Wo keine Strafe, dort auch kein Recht (wobei Recht nicht gleich Gesetz ist)?
2. Inwiefern schadet die Hymen- Debatte den Gleichberechtigungsbestrebungen? Mir ist dieser Zusammenhang nicht bewusst. Aber auch: Inwiefern verhindert das Einfordern FORMELLER Gleichberechtigung den Schutz der subjektiven Rechte (die vom Gesetz vorgesehen sind, also wiederum FORMELLER Natur sind)?
3. Den basisdemokratischen Aspekt finde ich interessant, wenngleich ich zugeben muss, dass für mich eine Hymne wenig Bedeutung hat.
4. Inwiefern ist eine Hymne wertfrei? Meiner Erfahrung nach stehen Hymnen fast immer in Verbindung mit Emotionen und Wertungen (siehe die Marseillaise, deren Text nur vom Blut der Französischen Revolution trieft; dem Inno di Mameli, dessen zweite Strophe - die meistens nicht gesungen wird und deren Inhalt wohl den meisten Italien unbekannt ist (kann mich auch irren) - von den Ideen der italienischen Einigung geprägt ist (die K.u.K.- Monarchie, die noch 1861 Teile Norditaliens besaß bzw. vor 1861 besessen hatte)?
Ich bin mir bewusst, dass dies viele Fragen sind, deren Beantwortung nicht leicht ist, zumal die meisten keine eindeutige Antwort zulassen. Es würde mich freuen, wenn wir über einige dieser Fragen diskutieren könnten.

Mi., 02.07.2014 - 09:50 Permalink
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Stephan Kerschbaumer Mi., 02.07.2014 - 10:04

Der Ansatz des Artikels, und zwar die juristische Dimension (das Recht des Parlaments den Text der Hymne zu ändern) von der künstlerischen zu trennen, ist zwar interessant, aber für mich nicht zielführend. Mich interessiert viel mehr die Frage nach dem Grund, der Gabalier dazu brachte die Hymne BEWUSST falsch zu singen. Seine Aussage, er habe die Hymne bereits als Kind gelernt und werde diese daher immer nach dem "alten" Text singen, ist Augenauswischerei. Vielmehr wird ein politisches Motiv der wahre Grund sein: die Ablehnung einer politischen Entscheidung des österreichischen Parlaments, den "Töchtern" einen Platz in der Hymne zu geben.
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>>Der Shitstorm gegen Gabriele Heinisch-Hosek ist unterste Schublade. Daran gibt's nichts zu rütteln. Wenngleich sie hätte ahnen können, dass sowas ähnliches passiert.

Mi., 02.07.2014 - 10:04 Permalink
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Harald Knoflach Mi., 02.07.2014 - 15:59

Antwort auf von Stephan Kerschbaumer

zunächst herzlichen dank für diesen interessanten und niveauvollen input.
die motivation gabaliers und vor allem seine argumentation (ich hab's als kind so gelernt) sind lächerlich.
bezüglich heinisch-hosek wurde ich missverstanden: sie alles recht der welt, sich zu beklagen. und natürlich soll (ja muss) sie weiterhin position zu verschiedenen themen beziehen. mich hat der shitstorm jedoch nicht überrascht, denn wenn man sich auch nur ein wenig in den foren umsieht, dann weiß man, dass dort niveau-limbo herrscht. ich gebe dir recht, dass die äußerungen durch nichts zu rechtfertigen sind. ich glaube aber auch, dass eine ministerin in der art und weise wie sie kommuniziert, bedacht vorgehen sollte, um auch die gewünschten effekte zu erzielen. heinisch-hosek hat das offensichtlich unterschätzt und mit ihrer aktion einen effekt erzielt, der nicht gewünscht war.

Mi., 02.07.2014 - 15:59 Permalink
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Brigitte Foppa Mi., 02.07.2014 - 12:54

Interessant an dieser Debatte ist für mich nur eines, nämlich die Fragestellung des Umgangs mit einem Kunstwerk in der Zeit.
Die Diskussion ist nicht neu. In Nordeuropa gab es eine lange Auseinandersetzung von LiteratInnen und ÜbersetzerInnen darüber, ob man in den neuen Ausgaben von Pippi Langstrumpf den Terminus "Neger" (ihr erinnert euch: der Vater von Pippilotta Pfefferminza Rollgardina Ephraimstochter Langstrumpf ist "Neger"könig) beibehalten soll, wobei man sich heutzutage nicht nur am Wort stößt, sondern auch am Konzept, dass der europäische Kapitän automatisch König auf der Südseeinsel wird. Ohne ins Detail zu gehen, so zeigt doch dieser Fall die Problematik auf, ob sich Kunstwerke entwickeln sollen/dürfen oder nicht.
Als Literaturwissenschaftlerin sage ich bedingt ja. Gedichte aus dem Mittelalter wären heut in der ursprünglichen Form nur für wenige lesbar. Die Anpassung an moderne Schreibweisen verzerrt das Kunstwerk, macht es aber auch zugänglich. Wer denkt, dass es da ja "nur um die Form" geht, sollte sich vor Augen halten, dass gerade Lyrik extrem sprachgebunden ist und somit sprachliche Änderungen substantielle Änderungen sind. Ähnliches passiert übrigens bei Restaurierungen von Kunstwerken oder auch einfach nur durch das Verstreichen der Zeit: Die Bilder von Van Gogh zum Beispiel haben durch die Farben, die der Künstler verwendete, ihre Farbtöne völlig verändert und wir stehen heute vor einem anderen Kunstwerk als jenes, das vom Künstler konzipiert wurde. Musikwerke werden heute anders aufgeführt und transferiert als zu Zeiten, in denen sie entstanden.
Kunst darf/soll sich verändern. Im Übrigen tut sie das auch einfach, oft ganz unabhängig vom Willen der RezipientInnen oder auch der Schaffenden.
Für eine Hymne, die außerdem eine Textgattung an der Grenze zur Gebrauchsliteratur ist, gilt das umso mehr. Ein Kunstwerk, das als Hymne verwendet wird, hat einen ganz bestimmten Zweck oder eine ganz bestimmte Anwendung, wodurch es sich von der reinen Kunstbestimmung wesentlich entfernt. Somit besteht eine ganz andere Berechtigung, Änderungen vorzunehmen, um das Werk den Ansprüchen der Zeit gerecht zu machen, als dies bei anderen Texten oder Kunstwerken der Fall ist.
Und dass die Zeit reif ist, auch die Töchter eines Landes in dessen Hymne zu erwähnen – ganz abgesehen davon, dass es immer wichtigere Probleme geben wird und dass die Präsenz der Frauen in der Bundeshymne das Problem der Benachteiligung von Frauen nicht lösen wird - das wird wohl niemand in Frage stellen.

Mi., 02.07.2014 - 12:54 Permalink
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Harald Knoflach Mi., 02.07.2014 - 16:07

Antwort auf von Brigitte Foppa

hallo brigitte. auch dir danke für diesen - wie ich finde - hervorragenden kommentar. er hat mich dazu gebracht, einige meiner statements zu überdenken.
wobei hoffentlich auch rüber kommt, dass das eben genau meine motivation auch war - die frage nach dem umgang mit einem kunstwerk im laufe der zeit.
ich orte aber sehr wohl einen unterschied zwischen dem "natürlichen verschleiß", einer interpretation (stichwort musik und theater) wo irgendwie ein neues werk entsteht und dem dem korrigierenden eingreifen wie in diesem fall. die änderung mindert im fall der österreichischen hymne die künstlerische qualität des werkes (stichwort metrik) und hat auch keinen künstlerischen anspruch.

Mi., 02.07.2014 - 16:07 Permalink