Wirtschaft | Nachhaltigkeit

„Maß darf nicht überschritten werden!“

Den Südtiroler Handwerkerinnen und Handwerkern reicht es: Zu groß sei der bürokratische Aufwand bei Umwelt-Zertifizierungen im Rahmen von öffentlichen Aufträgen.
Baustelle
Foto: Anamul Rezwan/Pexels
  • Vermehrt gehen im Wirtschaftsverband Handwerk und Dienstleister (LVH) Rückmeldungen von Handwerksunternehmen aus dem Bau- und Baunebengewerbe ein, dass bei öffentlichen Aufträgen vermehrt verschiedene Umweltzertifizierungen erforderlich sind. Der öffentliche Vergabekodex sieht die Hinterlegung von technischen Datenblättern sowie Nachweisen vor, was zunehmend zu einer Belastung für die Betriebe wird. „Wie Pilze aus dem Boden sprießen entsprechende Angebote von Zertifizierungsanbietern“, erklärt der LVH in einer Mitteilung an die Medien. 

  • Martin Haller: „Die Sensibilität für das Thema Nachhaltigkeit ist in den Betrieben sehr groß.“ Foto: Armin Huber

    „Das Handwerk ist sich der Bedeutung von Umweltmaßnahmen und das Erreichen der Umweltziele sehr wohl bewusst und wir unterstützen diese auch. Sie sollen dazu beitragen, dass sich ein Markt für Produkte und Dienstleistungen mit geringeren Umweltauswirkungen entwickelt. Nicht einverstanden sind wir jedoch mit der aktuellen Situation, dass für jedes Material und jeden Prozess spezifische Nachweise und Zertifikate von den Unternehmen verlangt werden“, betont LVH-Präsident Martin Haller. Diese Praxis führe nicht nur zu einem enormen administrativen Aufwand, sondern stelle auch eine erhebliche finanzielle Belastung für kleinere Handwerksbetriebe dar, die Nachhaltigkeit in ihrer Arbeit bereits leben und umsetzen. 

  • „Die Sensibilität für das Thema Nachhaltigkeit ist in den Betrieben sehr groß. Umso wichtiger ist es, einen pragmatischen Ansatz zu finden, der die realen Bedürfnisse der Handwerksbetriebe berücksichtigt und gleichzeitig die Ziele in Richtung Klimaland nicht aus den Augen verliert. Das Maß an verkraftbarer Bürokratie darf nicht überschritten werden“, unterstreicht Haller. 

Bild
Profil für Benutzer Klemens Riegler
Klemens Riegler Mi., 03.01.2024 - 14:22

Das erträgliche Maß an Bürokratie ist in vielen Bereichen längst überschritten. Wie Herr Haller sagt, ist es speziell für kleinere Handwerksbetriebe kaum mehr möglich "legal" unterwegs zu sein. Zudem ist das Zertifizierungs-Business längst zur teueren Farce mutiert, denn meist verlangen auch diese "Spezialunternehmen" eh alle technischen Datenblätter und setzen dann für 500 bis 5000€ nur noch ihre Unterschrift darunter.
FAIR wäre es anders rum: Die öffentliche Verwaltung gibt in der Ausschreibung vor, was verwendet werden darf und soll ... e basta. (Für die Produkte oder das Primärmaterial selbst gibt es ja die Datenblätter der Hersteller - der Aufwand diese nur weiterzugeben hält sich in Grenzen).
Und die finale Frage ist natürlich jene, ob die öffentliche Verwaltung denn überhaupt imstande ist diese technischen Datenblätter und Zertifizierungen zu lesen, zu verstehen, einzuordnen ...
p.s. dieses ist jetzt nicht mein Fachgebiet, aber mit den "Zertifizierungen" auf einem anderem Sektor ist es jedenfalls genau so wie von mir beschrieben.

Mi., 03.01.2024 - 14:22 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Gianguido Piani
Gianguido Piani Mi., 03.01.2024 - 19:28

@Klemens Riegler
Betr. Zertifizierungen über CO2-Emissionen stimme ich uneingeschränkt Ihrem Kommentar zu. Der s.g. grüne Strom ist auch ein wunderbares Geschäftsfeld - für die Zertifizierungsunternehmen.
Wie wäre es mit weniger Zertifizierungen und mehr Realität, vorausgesetzt, man kann mit der Realität umgehen?

Mi., 03.01.2024 - 19:28 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Johannes Engl
Johannes Engl Mi., 03.01.2024 - 19:43

@Gianguido Piani
Ich bin gegen das pauschale Schlechtreden von CO2-Bilanzen. Sie sind aus meiner Sicht der einzige Weg, um den CO2 Austoß eines Unternehmens zu bestimmen. Um daraus dann eine Vermeidungsstrategie zu entwickeln.

Mi., 03.01.2024 - 19:43 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Gianguido Piani
Gianguido Piani Mi., 03.01.2024 - 21:42

Antwort auf von Johannes Engl

Wir haben CO2-Bilanzen seit 20-30 Jahren. Wir haben den Emissionenhandel seit 2005. Trotzdem sind die Ausstöße gestiegen. Wenn nicht, dann weil wichtige Produktionsketten ausgewandert sind.
Vermeidungsstrategien können nur minimale Beiträge leisten. Oder können Sie ganz auf Brennstoffe, Elektrizität, Zement oder Chemikalien verzichten? Wollen Sie grünen Strom kaufen? Perfekt! Dann bekommt, rein rechnerisch, jemand anderer mehr fossilen Strom geliefert, die Endrechnung bleibt gleich. Natürlich, wenn Sie etwas identifizieren, dass viel ausstößt und wenig nutzt, können Sie dort Maßnahmen ergreifen. Sehr gut, nichts einzuwenden.
Die wichtigsten Methoden zur echten Minderung von Emissionen sind seit Jahrzehnten bekannt: Der Einsatz von Gas statt Kohle bei der Stromerzeugung (geopolitische Probleme), die Nutzung von Niedrigtemperatur-Abwärme (dafür bedarf es Wärmenetze und man muss nah der Quelle sein), Energieeffizienz. Nicht alles kann so einfach umgesetzt werden. Weniger Reisen? Der Vertreter der Konkurrenz reist zum Kunden hin und bekommt den Auftrag.
Noch ein Beispiel. Ich suche seit Jahren, und habe noch nicht gefunden, eine ernsthafte Studie über den Energieverbrauch eines Unternehmens wie Amazon in Vergleich zu verteilten Kleingeschäften, wie es vor 1-2 Generationen üblich war. Wie viel Energie kostet die Einzellieferung aus China? Wir haben weniger Lagerstätte, dafür mehr Transport. Was kostet mehr Energie, was ist effizienter? Was bringen Einzelstudien, wenn die ganze Welt sich inzwischen auf andere Weise geändert hat? Südtirol ist Spitze bei Klimahäusern, sowie bei der Erzeugung von Kunstschnee! Energieeffizienz?
Eine weitere, wichtige Schwäche von CO2-Bilanzen ist, dass sie den energetischen Wert der chemischen Bindungen nicht berücksichtigen. Zum einen wird es uns erzählt, dass ein Flug nach New York mit soundso vielen Ha Wald kompensiert werden kann. Leider kann der Wald nicht getankt werden, er enthält zwar die gleiche Masse Kohlenstoff wie Kerosin, aber bei ganz unterschiedlichen chemischen Bindungen und mit extra Ballast. Die Energiedichte des Kerosins ist viel höher als beim Wald, da ist der Unterschied.
Können Sie ein Zertifizierungsunternehmen nennen, das gerne für 1 kg Diamanten zahlt und 1 kg Kohle zurückbekommt? Chemisch-rechnerisch geht es un denselben Stoff, dieselbe Masse. Das Zertifizierungsgeschäft baut genau auf diese Art Rechnungen.
Wenn eine CO2-Bilanz Ihnen tatsächlich hilft, den Ausstoß zu reduzieren, würde ich gerne mehr davon erfahren. Vor allem über die umgesetzten praktischen Maßnahmen.

Mi., 03.01.2024 - 21:42 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer Fr., 05.01.2024 - 06:22

Bereits seit den 1990er Jahren haben es die Nutz- + Sinn-losen ISO-Zertifizierer, mit ihrer reichlichen ... Behörden-Pflege geschafft, dass die Behörden die INHALTS- + Nutz-lose ISO-Zertifizierung bei den Wettbewerben für die Vergabe von Arbeiten verlangt haben.
Inzwischen ist das Schmarotzertum mit den Zertifizierungen, mit der gütigen ... Behörden-Pflege + dem Abkassieren bei den Unternehmen noch perfider unterwegs + verteuert damit die öffentlichen Aufträge.

Fr., 05.01.2024 - 06:22 Permalink