Wirtschaft | EU-Agrar-Politik

„Schluss mit dieser Politik!“

In Deutschland gehen die Bauern auf die Straße, weil sie genug von der Politik der Ampel-Regierung haben, derweil tut sich ein noch viel größerer Konfliktherd auf.
Sieta Van Keimpema
Foto: BVNL
  • „Wir haben die Schnauze voll“, skandieren die deutschen Bauern zurzeit Richtung Kanzler Olaf Scholz und seinen Koalitionspartnern von der FDP und den Grünen. Das könnte allerdings nur ein Vorgeschmack dessen sein, was noch an Protesten kommen könnte. Der Grund? Die Ukraine. SALTO hat mit Sieta van Keimpema, Vorsitzende der Niederländischen Dutch Dairymen (Mitglied im Verbund des European Milk Board) und Vorstandsmitglied von Farmers Defence Force, über die Problematik gesprochen.

     

    SALTO: Frau van Keimpema, seit geraumer Zeit werden von einigen europäischen Bauern offen die Importe von ukrainischem Getreide kritisiert, das angeblich mit Pestiziden belastet ist und unter Bedingungen produziert wurde, die in der EU nicht mehr zur gängigen Praxis gehören.

    Sieta van Keimpema: Sie sprechen ein Problem an, das bereits seit Längerem bekannt ist und dass wir offen kritisieren. Die Bedingungen sind nicht die gleichen und somit sind auch die europäischen Bürger nicht geschützt, geschützt vor Produkten, die man seit Jahren in der EU nicht mehr haben will. Dies betrifft nicht nur Getreide, sondern beispielsweise auch Hühnerfleisch, dessen Import im Vergleich zu 2022 um 70 Prozent gestiegen ist. Auch hier haben wir nicht dieselben Bedingungen, die Haltungsformen, die in der Ukraine praktiziert werden, haben dabei nichts mit Tierwohl zu tun. Weil im „Green Deal“ die Latte der Tierwohlstandards für die europäischen Bauern sehr hoch angelegt ist, ist diese Entwicklung umso weniger verständlich. Das ist nicht das, was man eigentlich will, aber trotzdem von der EU-Kommission unterstützt wird. Ich verstehe jeden Bauer, der erklärt, dass das nicht sein darf.

     

    „Ich verstehe jeden Bauer, der erklärt, dass das nicht sein darf.“

     

    Unter den Bauern, Verbänden und politischen Vertretern ist dieses Problem allgemein bekannt? Bzw. wie will man dem begegnen? Mit Importverboten, wie sie von einigen osteuropäischen Ländern vor einigen Monaten ausgesprochen wurden?

    Ja, dieses Problem ist bekannt. Bauern sowie Händler wie beispielsweise aus Polen haben bei der EU Klage eingereicht und auch Recht bekommen. Demnach müssten die Importe eingeschränkt werden. In Litauen findet derzeit eine Protest-Aktion der Bauern statt. Eine der Forderungen lautet, dass ukrainisches Getreide nicht mehr durch Litauen in die EU gelangt. Eben, weil wie gesagt, die Bedingungen nicht die gleichen sind und die europäischen Bauern ihr Einkommen verlieren, weil sie mit dem in der Ukraine produzierten Getreide nicht konkurrieren können. Die Händler steigen auf das billige ukrainische Getreide um, jenes unserer Bauern wird nicht mehr gekauft. 

  • Mit Toxin und anderen verbotenen Substanzen verseucht

    Was in den Mainstream-Medien kaum Beachtung findet, ist in den landwirtschaftlichen Fachzeitschriften und sozialen Plattformen Gegenstand kontroverser Diskussionen. Offen wird darin über das ukrainische Getreide gesprochen, das in Europa auf den Markt geworfen wird und die Erzeugerpreise der europäischen Ackerbauern in den Keller treibt. Immer wieder werden offenbar verbotene Substanzen wie Chlorpyrifos gefunden. Laut eines Beitrages in der österreichischen Fachzeitschrift Landwirt (Ausgabe 17/2023) war in einem Fall der Toxingehalt so hoch, dass das Getreide nur für die Fütterung von Biogasanlagen taugte. Hauptabnehmer des ukrainischen Getreides sind Spanien, die Türkei, China sowie Italien und die Niederlande. Es landet sowohl in den Futtertrögen der Tiere, als auch auf den Tellern der Verbraucher. 

    Weshalb ist das ukrainische Getreide billiger?

    Weil es unter anderen Bedingungen bzw. Standards produziert wird, die bei uns nicht mehr zugelassen sind. Das ist kein fairer Markt und Wettbewerb.

    Die EU-Kommission spricht sich dafür aus, Verhandlungen über einen EU-Beitritt mit der Ukraine aufzunehmen. Lässt sich abschätzen, was das für die Landwirtschaft bedeutet?

    Vor Kurzem wurde eine Studie über die Auswirkungen eines möglichen EU-Beitritts durchgeführt, ein Beitrag dazu wurde übrigens in der Financial Times veröffentlicht. Darin wird berichtet, was das unter anderem für die Verteilung von Subventionen bedeutet. Für viele EU-Mitgliedsländer hieße das, dass sie vom Nettoempfänger zum Nettozahler werden. Die finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen werden, würden dann zum überwiegenden Teil in die Ukraine fließen. Der Beitritt hätte somit nicht nur für die Verbraucher weitreichende Folgen, sondern auch für die Steuerzahler – und nicht zu vergessen – für die europäischen Landwirte, die dann auf Beiträge verzichten müssten, wobei bereits jetzt die Preise so niedrig sind, dass nicht kostendeckend gearbeitet werden kann. Die Situation wird sich also verschärfen, konkret heißt das, dass die Bauern kaputt gemacht werden, was wiederum weitreichende Folgen für die Ernährungssicherheit, und zwar nicht nur in Europa, sondern weltweit, haben wird. Die Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) hat die EU bereits zwei Mal dazu aufgerufen, den Green Deal aufzugeben, weil die Bekämpfung des Hungers in der Welt zu einem der globalen Ziele zählt. Der uneingeschränkte Zugang der Ukraine zum europäischen Markt wird jedoch dazu führen, dass weniger Lebensmittel produziert werden. Für jene, die nur über ein geringes Einkommen verfügen, wird der Zugang zu leistbaren Lebensmitteln noch schwieriger werden. 

  • Eines ist der Wettbewerb, etwas anderes, wenn Grundnahrungsmittel mit Schadstoffen belastet sind. Ein Großteil des ukrainischen Getreides dient zur Versorgung der hungernden Bevölkerung in Afrika. Ist hier das Problem der Kontaminierungen mit Schadstoffen kein Thema?

    Diese Länder, in denen ein sehr niedriges Grundeinkommen herrscht, können keine solchen Anforderungen stellen. Höhere Ansprüche an die Qualität ziehen auch Preiserhöhungen nach sich.

  • Die europäischen Bauern konkurrieren nicht mit ukrainischen Bauern, sondern mit Großkonzernen und Investoren, welche die dortigen Ländereien aufgekauft haben. 

    Das war auch der Grund, weshalb bereits im Jahr 2016 in den Niederlanden ein Referendum abgehalten wurde über die Frage, ob ein Assoziierungsvertrag mit der Ukraine geschlossen werden soll. 61 Prozent der Wähler haben mit Nein gestimmt. Anstatt den Ausgang dieses Referendums bzw. den Wunsch der Bevölkerung zu respektieren, schließt die EU Verträge mit der Ukraine bzw. wird nun auch die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen befürwortet. Die Ablehnung hatte nicht nur mit befürchteten Wettbewerbsnachteilen zu tun, sondern auch damit, dass Großkonzerne den Markt bestimmen. Die Welt wird nicht besser, wenn die Ukraine der EU beitritt, weil nicht die ukrainischen Bürger davon profitieren, sondern einige wenige Player auf den großen Märkten. Zudem zählt die Ukraine nach wie vor zu den korruptesten Ländern der Erde und alle Anstrengungen seitens der EU, hier Verbesserungen zu erreichen, sind ins Leere gelaufen und hatten keinerlei positive Effekte. 

    Warum wird nicht offen Kritik an den Missständen geäußert? Aus Solidarität?

    Diesen Eindruck habe ich. Allerdings sind der Überfall durch Russland auf die Ukraine, die Unterstützung für die Not leidende Bevölkerung und die dort herrschenden Missstände, die man versucht zu legalisieren, zwei verschieden Dinge. Die Entscheidung, dass in der EU bestimmte Pflanzenschutzmittel verboten sowie Tierwohlstandards eingeführt werden, hatte seine guten Gründe bzw. dienen sie zum Schutz von Mensch, Natur und Umwelt. Käfighaltung, die in der EU seit Jahren verboten ist, ist in der Ukraine jedoch erlaubt, die Produkte werden in die EU importiert und machen die hiesigen Bauern kaputt. 

     

    „Der Green Deal stellt die Ernährungssicherheit Europas in Frage und das ist ein sehr gefährliches Spiel.“

     

    In Deutschland gehen derzeit die Bauern auf die Straße, weil man mit der Regierungspolitik nicht mehr einverstanden ist. Glauben Sie, dass sich die Proteste ausweiten werden? Weil die EU-Agrarpolitik zunehmend abgelehnt wird?

    Ich denke schon. Im Juni finden die Wahlen zum EU-Parlament statt und in Gesprächen mit Kollegen aus anderen europäischen Ländern ist deutlich geworden, dass Schluss sein muss mit dieser Politik und mit dem Green Deal. Der Green Deal stellt die Ernährungssicherheit Europas in Frage und das ist ein sehr gefährliches Spiel, weil wir uns damit in Abhängigkeiten von bestimmten Ländern begeben. Deren Bedeutung im sogenannten BRICS-Verband nimmt zu, was dazu geführt hat, dass die EU und die USA längst nicht mehr die Führungsrolle im Welthandel spielen. Wohin soll das führen, wenn wir uns von China oder Russland abhängig machen?