Es geht auch anders
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Die einheimische Bevölkerung einiger Südtiroler Tourismushochburgen ächzt unter der Last des Tourismus. Hohe Lebenshaltungskosten, viel Verkehr und Wohnungsnot werden oft dem Fremdenverkehr zugeschrieben. Doch das ist nicht überall so. Manche Orte Südtirols sind touristisch nicht so erschlossen wie mancher Hotspot des Landes. Hier sind die Menschen noch nicht tourismusmüde, einige sind gar der Meinung, dass ruhig noch ein paar mehr Gäste kommen könnten. SALTO sprach mit einigen solcher peripheren Gebiete um den hiesigen Tourismus auch jenseits großer Luxushotels und Überflutung durch Besucher kennenzulernen.
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„Definitiv noch Luft nach oben“
Der Tourismus- und Landwirtschaftsreferent der Gemeinde Kastelbell – Tschars Thomas Plack ist sich sicher: In seinem Gebiet hat der Tourismus noch Potential. „Ich verstehe natürlich, dass Orte wie St. Ulrich, Schenna oder das Pustertal nicht noch mehr Tourismus benötigen. Die strukturschwachen Gebiete wie bei uns im Vinschgau haben aber sicherlich noch Luft nach oben,“ erklärt er. Plack ist der Meinung, dass seine Gemeinde, auf die vorhandenen Ressourcen bezogen, gut aufgestellt ist und deshalb in Zukunft touristisch gesehen noch einiges zulassen könne und wolle. Es sei jedoch wichtig, die Einheimischen ins Thema Tourismus miteinzubeziehen.
Dass touristisch peripheren Gebieten noch die Möglichkeiten geboten werden sollten, sich weiterentwickeln zu können findet auch HGV-Präsident Manfred Pinzger. Plack teilt diese Meinung und weiß, was es hierfür benötigt: „Wir brauchen sicherlich mehr Betten. Der Bettenstopp ist für uns strukturschwache Gemeinden nämlich nicht ideal. Des Weiteren brauchen wir vom Raumordnungsgesetz aus die geeigneten Plätze, wo sich noch etwas entwickeln darf oder soll.“ Man könne aber auch mit positiven Aspekten glänzen: Die schöne Natur samt Wander-, Waal- und Radwegen und das Verständnis der Bevölkerung, dass sich zukünftig noch etwas bewegen soll in der Gemeinde, erläutert der Touristiker.
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Der Weiterentwicklung von touristisch weniger erschlossenen Gebieten gegenüber gibt es aber auch Gegenwind. Das Argument, dass viele Gäste peripherer Regionen des Landes für Tagesausflüge in die sogenannten Hotspots fahren würden, lasse sich laut Plack schwer bestätigen. Es sei definitiv festzuhalten, dass viele, vor allem bei schlechtem Wetter in die nahgelegenen Städte fahren. Im Vinschgau sei es wichtig, das vorhandene Angebot noch besser zu nutzen. Zu Gunsten der Einheimischen und der Gäste.
Vom Konzept der Voranmeldung von Gästen bereits Jahre vor dem effektiven Urlaub hält Plack nichts. „Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll“. Heute käme es ohnehin schon vor, dass Gäste erst im letzten Moment ihre Ferien buchen, aufgrund des Wetters zum Beispiel. „Ich persönlich zum Beispiel könnte mir heute noch nicht vorstellen, wo ich im Jahre 2027 Urlaub machen möchte oder werde“, bekräftigt er.
„Hier herrscht noch zu wenig Tourismus“„Der Deutschnonsberg ist ein kleines Randgebiet. Im Jahr 2022 konnten wir 19.000 Nächtigungen erreichen, 2023 waren es etwas weniger“, so Mirko Mocatti, Präsident des Tourismusvereins Deutschnonsberg. Ihm zufolge sei das Gebiet eher eine Sommerdestination und liege auf der Durchzugsstraße des Gampenpasses. Im Winter sei die Nachfrage gering aufgrund der mangelnden Infrastrukturen wie Skigebiete oder Aufstiegsanlagen. Wie Mocatti erklärt, sei vor allem der Durchzugstourismus, sprich Motorrad- und Radfahrer, Durchreisende und Pilger, die Hauptklientel des Gebiets. „Da in letzter Zeit einige neue Residenzen dazugekommen sind, wird der Deutschnonsberg nun auch für Familien mit Kindern interessant“, so der Präsident des Tourismusvereins. Laut ihm wäre die Tourismusgesinnung der Deutschnonsberger sehr gut. Da es im Gebiet noch „zu wenig“ Tourismus gäbe, könnte eine Verlagerung von Gästen aus Gebieten mit Übertourismus stattfinden. „Wir haben hier noch keine kritische Menge erreicht“, so Mocatti.
„Heute suchen nicht mehr alle Gäste Bettenburgen, sondern eher die ruhigen hidden places.“
Um sich fremdenverkehrstechnisch weiterzuentwickeln, müsse man in Deutschnonsberg an den Nächtigungen arbeiten, erklärt der Hotelbesitzer aus Unsere Liebe Frau im Walde. Dies wäre zum Beispiel durch eine bessere Auslastung der vorhandenen Betriebe möglich. Des Weiteren sei es wichtig, die Sichtbarkeit und Bekanntheit des Gebiets zu stärken. „Uns fehlen hierfür aber sowohl die finanziellen als auch die personellen Ressourcen“, meint Mocatti, „Es wäre deshalb vorteilhafter sich mit den Nachbargemeinden zusammenzuschließen.“ Zudem wäre es entwicklungstechnisch von Vorteil, wenn das bereits vorhandene Angebot professionalisiert und verbessert würde. „Heute suchen nicht mehr alle Gäste Bettenburgen, sondern eher die ruhigen hidden places. Deshalb gilt es, unser Gebiet bekannter zu machen“ schließt Mocatti ab.
„Wir könnten noch mehr Touristen vertragen“„Salurn war bereits im 18. Jahrhundert bekannt, da es an der Poststraße lag“, weiß Samantha Endrizzi, Tourismusreferentin der Gemeinde Salurn. Ihr zufolge habe es damals schon mehr Gasthäuser im Dorf gegeben als heute. Was die touristische Lage heute angeht, so meint Endrizzi, sei Salurn unterentwickelt - schwach. „Die durchschnittliche Nächtigungszahl liegt unter dem Durchschnitt Südtirols. Wie verzeichnen jährlich ca. 30.000 Nächtigungen“, erläutert die Gemeindereferentin weiter. Deshalb hat sich Salurn ein Ziel gesetzt. Man will den Tourismus ausbauen, sich jedoch nicht als Hochburg etablieren. Der südlichsten Gemeinde Südtirols geht es vor allem darum, die Besonderheiten der Destination bekannt zu machen. Wie Endrizzi erläutert, wolle man auf den sanften Tourismus setzen. „Deshalb sind wir bereits seit 2015 Mitglied der Plattform Cittàslow. Es geht hierbei nicht nur um Slow Food, also Produkte, sondern auch um das Ausleben von Kultur und Tradition."
Damit die Entwicklung auch gelingt, habe Salurn sogar einen touristischen Entwicklungsplan so Endrizzi. Dieser sei mit den Hoteliers und Stakeholdern ausgearbeitet worden. Was den Bettenstopp angeht ist die Salurnerin nicht sehr erfreut. „Er ist nicht gerade eine große Hilfe“, kommentiert sie. Das Dorf brauche nämlich mehr besagter Betten. Ebenfalls nicht überzeugt ist sie von der Idee der Gästeanmeldung mehrere Jahre vor dem Aufenthalt: „Corona hat uns gezeigt, wie sich von einem Tag auf den anderen alles ändern und man nicht mehr in den Urlaub fahren kann. Generell denke ich, dass die Menschen heute sehr kurzfristige Entscheidungen treffen, was das Reisen angeht.“
Letztlich könne auch Endrizzi nicht direkt bestätigen, dass es häufig vorkomme, dass sich Gäste für Tagesausflüge in Südtirols touristische Ballungszentren begeben. Viele würden Salurns Ruhe nämlich suchen. Es käme aber natürlich auch vor, dass Ausflüge zum Beispiel in die Dolomiten gemacht werden.
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Ich kann nur auf einen der zentralen Verse in Goethe‘s Zauberlehrling verweisen. Grüße aus einem touristisch hochentwickelten Teil Südtirols.