Durchbruch auf dem Weg zum X?
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Seit Mittwochabend ist der Fall offiziell. Gegen 20 Uhr wurde in der Gazzetta Ufficiale ein Vorlagebeschluss des Bozner Landesgerichts mit einiger Sprengkraft veröffentlicht. „Ordinanza del 12 gennaio 2024“ del Tribunale di Bolzano proposto da L.N. Stato Civile – Rettificazione di attribuzione di sesso”, beginnt der 25 Seiten umfassende Akt. Er enthält die Geschichte einer jungen Südtirolerin, die in Österreich als nicht-binäre Person lebt und anerkannt wird und nun in Südtirol ihr Geschlecht und ihren Vornamen amtlich ändern will. Um in diesem Fall eine Entscheidung treffen zu können, konfrontieren die Bozner Richter Andrea Pappalardo, Federico Paciolla und Simon Tschager das Verfassungsgericht in einer indirekten Verfassungsbeschwerde mit zwei Fragen, die einen bedeutenden Schritt für die gesamte queere Community in Italien mit sich bringen könnten: sollte im Artikel 1 des Gesetz n. 164/1982 zur amtlichen Abänderung des bei der Geburt zugeordneten Geschlechts nicht die Möglichkeit hinzugefügt werden, neben dem weiblichen und männlichen Geschlecht eine dritte Option zu wählen? Und: ist es verfassungskonform, dass es für Geschlechtsumwandlungen in Italien ein rechtskräftiges Gerichtsurteil braucht?
Der Anlass für diesen Präzedenzfall sitzt mir am Tag nach Veröffentlichung des Vorlagebeschlusses in einem Bozner Lokal gegenüber. Auf einen schnellen ersten Blick kein besonders auffälliger, sympathischer junger Mann in weitem Hoodie und Jeans, längeres, leicht lockiges Haar. Wer genauer hinsieht, kann durchaus auch weibliche Attribute erkennen, doch nach fast zwei Jahren Hormonbehandlung überwiegt zumindest in den Gesichtszügen das kantige. In den Gerichtsakten wird er als „biologisch weibliche Transgender-Person beschrieben, die sich weder im weiblichen noch im männlichen Geschlecht, sondern in einem nicht nicht-binären Geschlecht wiedererkennt, mit einer Tendenz zum männlichen.“
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„Ich bin okay mit männlichen Pronomen“, versichert er im Gespräch, in dem wir uns auf den Namen Aurel einigen. Das wäre seine zweite Namenswahl gewesen, als er 2020 von einem Südtiroler Dorf für ein Physikstudium nach Wien zog – und dort ein Leben mit einer neuen nicht-binären Identität und selbstgewähltem neuem Namen begann. Wieso er trotz seines rechtlichen Kampfs anonym bleiben will? „Vielleicht schaffe ich es, in einem nächsten Schritt an die Öffentlichkeit zu gehen“, meint Aurel. Doch auch ohne sein Gesicht in Kameras zu halten, kostet sein Weg viel Kraft. Oft auch zu viel, neben einem fordernden Physikstudium. Wer sich nicht in seinem biologischen Geschlecht wiederfindet, muss viel Energie aufbringen, um seinen Platz in dieser Welt zu finden, das eigene Gleichgewicht und Lebensqualität. Es geht nicht nur um Vorurteile, Diskriminierungen und Anfeindungen, denen Transmenschen ausgesetzt sind. Es geht auch um einen inneren Kampf, gegen einen verhassten Körper, gegen Geschlechtsmerkmale und -rollen, in denen man sich nicht wiederfindet – und um die vielen gesellschaftlichen, bürokratischen, medizinischen und rechtlichen Hürden, die zu nehmen sind, um sich eine Identität zu erarbeiten, die sich richtig anfühlt.
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Siegeszug des "tertium genus"
„Der Begriff Gender- oder Geschlechtsinkongruenz ist in Disziplinen wie Medizin, Psychologie und Sexualwissenschaft hinlänglich beschrieben und wissenschaftlich anerkannt; nicht zuletzt die Weltgesundheitsorganisation WHO beschreibt ihn in ihrem Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen genau“, sagt Alexander Schuster. Der Trentiner Anwalt begleitet Aurel bei seinem rechtlichen Kampf um eine Anerkennung als nicht-binäre Person. Als er den Fall im Sommer 2022 übernommen hatte, musste er sich selber in die Materie einarbeiten. Mittlerweile vertritt er mehrere nicht-binäre Trans-Mandat*innen in Bozen und Trient. Der politische Hintergrund für ein solch heikles Verfahren könnte wahrlich besser sein. Die diskriminierende Haltung der Regierung Meloni gegenüber der LGBTQ-Community sorgt auch außerhalb Italiens für Schlagzeilen. Mit Aussagen wie „Maschile e femminile sono radicati nei corpi ed è un dato inconvertibile“, schmetterte die Regierungschefin erst im Vorjahr die gesamte Transgender-Debatte als ideologisch und zum Schaden von Frauen ab.
Doch für die Entscheidung der Consulta in dem Fall führt der Vorlagebeschluss weit differenziertere und umfangreichere Argumente ins Spiel: von einer Reihe an verfassungsmäßig garantierten Grund- und Freiheitsrechten über internationale Rechtsquellen und die europäische Menschenrechtskonvention. Vor allem aber die Tatsache, dass das tertium genus in immer mehr Rechtsprechungen Platz findet. Allein in Europa gibt es bereits in fünf Staaten die Möglichkeit, sich im Personenstandsregister nicht nur als männlich oder weiblich zu definieren. In Deutschland beispielsweise wurde bereits 2018 die Möglichkeit eröffnet, sich als „divers“ zu deklarieren; mit dem voraussichtlich noch heuer in Kraft tretenden Selbstbestimmungsgesetz soll jeder Mensch in Deutschland sein Geschlecht und seinen Vornamen künftig selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern können. In Österreich hat das Verfassungsgerichtshof 2018 den Weg für ein drittes Geschlecht geöffnet. Intersexuelle Personen können sich als divers, inter oder offen deklarieren; darüber hinaus ist eine Streichung des Geschlechtseintrags möglich.
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"Wie ein Alien im eigenen Körper"
Aurel hat seinen Namen in Wien noch nicht offiziell geändert. Doch an der Universität geht er zu Semesterbeginn zu den Lehrenden und erklärt ihnen, wie er genannt werden möchte, und ob er Arbeiten unter diesem Namen abgeben darf. Auch seine Mailadresse an der Uni deutet nicht mehr auf seine frühere Identität hin. „Ich erfahre dort wirklich eine große Akzeptanz, viele Lehrende bessern beispielsweise in den Anwesenheitslisten von sich aus meinen Namen aus“, erzählt er. Wien, die Vielfalt einer Großstadt, die Aufgeschlossenheit und Toleranz eines universitären Umfelds, eröffneten für ihn vor vier Jahre eine vollkommen neue Welt – und führten aus einem langen dunklen Tunnel heraus, in den er spätestens mit der Beginn der Pubertät geraten war.
Dabei kam er aus einem denkbar unbelasteten Umfeld. „Meine Eltern haben mir nie ein bestimmtes Rollbild aufgezwängt. Ich war auch nie das reine Buben-Mädchen. Ich liebte es zwar Fußball und mit den Jungs zu spielen, aber gleichzeitig malte und las ich auch total gerne, oder spielte stundenlang mit Tierfiguren.“ Doch als sein Körper beginnt, sich zu verändern und klare weibliche Formen annimmt, gerät Aurel in eine tiefe Krise. „Es fühlte sich einfach komplett falsch an, wie ein Alien im eigenen Körper, total dissoziierend.“ Als er sich Jahre später überwindet, sich zuerst seiner Mutter gegenüber zu outen, erklärt er es ihr so. „Es ist, als ob du in den Spiegel schaust und plötzlich merkst, dass dir ein Fuß aus der Schulter wächst. Du bist total entsetzt, aber jeder andere erzählt dir, das ist normal.“ Aurel ist schwer verstört, isoliert sich immer mehr. Aktivitäten wie Schwimmen, bei denen der eigene Körper sichtbarer wird, sind ein absolutes No-Go. „Es gab Tage, an denen alleine der Prozess, mich anzuziehen oder in den Spiegel zu sehen, so belastend war, dass ich teils nicht mehr in die Schule ging.“
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Wie eine breit angelegte US-Studie zu Transgender-Personen aufzeigt, liegt das Selbstmordrisiko in dieser Bevölkerungsgruppe um ein Vielfaches über dem Durchschnitt: Mehr als 80 % gaben an, in ihrem Leben bereits ernsthaft an Selbstmord gedacht zu haben. 40 % hatten bereits einen Selbstmordversuch hinter sich. Dass Aurel aus seinen eigenen depressiven Abgründen herausfindet, verdankt er auch einem Video eines Transmanns, auf das er zu Beginn seiner Oberschulzeit stößt. Plötzlich hat jemand Worte für all seine Gefühle. Aurel entdeckt, nicht alleine zu sein, recherchiert weiter, stößt auf eine neue Welt, sieht ungekannte Perspektiven. Doch auf die Euphorie, die all das in ihm auslöst, folgt die Erkenntnis, sich outen zu müssen; sich den Vorurteilen und Verurteilungen einer Gesellschaft aussetzen zu müssen, die auf ein binäres Geschlechtersystem normiert ist. Und in der die Suche junger Menschen nach ihrer Geschlechtsidentität vielfach als Trend oder gar Gender-Indoktrination abgetan wird.
„Das ist tatsächlich absurd“, meint Aurel. „Wer würde sich aus solch einem Grund freiwillig langwierigen Behandlungen und Operationen unterwerfen oder freiwillig riskieren, attackiert und diskriminiert zu werden?“ Er selbst hatte bisher laut eigener Einschätzung viel Glück. Nicht nur bei seinen Eltern, die ihm eine wichtige Stütze sind, auch bei seiner Südtiroler Großfamilie – „alles total bäuerliches Umfeld“ – stößt er nach seinem Outing auf Toleranz. Wird vielleicht nicht immer verstanden, aber so akzeptiert, wie er ist. Sein Umfeld in Wien bestärkt ihn noch mehr, seinen Weg zu gehen, sich zu erlauben, das, was er fühlt, auch zu leben.
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Hormonbehandlung und Mastekomie
Ein Jahr nach Studienbeginn beschließt Aurel, in Südtirol eine Hormonbehandlung mit Testosteron zu beginnen. Um dorthin zu kommen, braucht es viele psychologische Sitzungen und ein Gutachten, um dann schließlich an die Endokrinologie überwiesen zu werden. Die männlichen Hormone versetzen Aurel noch einmal in eine richtige Pubertät, er kommt in den Stimmbruch, seine Gesichts- und Körperform beginnen sich zu verändern, die Akne sprießt. Dennoch fühlt er sich besser als je zuvor. „Mein gesamtes Wohlbefinden ist einfach unglaublich gestiegen. Ich habe mich plötzlich getraut, an der Uni öfters das Wort zu ergreifen, Telefonate waren nicht mehr so ein Problem wie davor“, erzählt er. Dabei verspürt er immer noch nicht den Wunsch, ein Mann zu werden. Aber ganz klar spürbar ist der Drang, aus einem Frauenkörper auszubrechen.
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Transgeschlechtlichkeit kann viele verschiedene Formen haben. Transmänner wurden als Frauen geboren, aber identifizieren sich mit dem männlichen Geschlecht; bei Transfrauen ist es genau umgekehrt. Aurel dagegen gehört zu jenen transidenten Menschen, die sich nicht in solch einer binären Zuordnung wiederfinden. „Ich fühle mich tatsächlich irgendwo zwischen männlich und weiblich, wenn auch mit leichter Präferenz für das Männliche.“ Auch deshalb gibt es noch einen großen Wunsch für sein körperliches Wohlgefühl, den die Hormonbehandlung nicht erfüllen kann: eine Mastekomie, der endgültige Abschied vom sichtbarsten Symbol für Weiblichkeit. Ein Wunsch, der nun die gerichtliche Causa ins Rollen gebracht haben. Denn für eine Brustentfernung braucht es in Italien immer noch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil.
Bis Beginn oder spätestens Ende des Sommers erwartet Anwalt Alexander Schuster das Urteil des Verfassungsgerichts. Folgt es dem Vorlagebeschluss, würde es nicht nur Aurel, sondern viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Geschichten, ein wenig leichter machen, ein Leben zu leben, in dem sie sich angekommen fühlen. „Ich glaube, jeder Mensch möchte einfach als der angesprochen und gesehen werden, als der er sich fühlt. Das macht einen solchen Unterschied. Es fühlt sich dann einfach an, als wäre mehr Platz für dich da, als hättest auch du deinen Platz.“
Tja, Langeweile kann…
Tja, Langeweile kann verheerende Folgen haben!
Antwort auf Tja, Langeweile kann… von Arne Saknussemm
Das zeigt Ihr Kommentar.
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Italien lebt was LGBTQ…
Italien lebt was LGBTQ Rechte anbelangt wirklich noch im tiefsten Mittelalter...
In questi giorni/mesi/anni…
In questi giorni/mesi/anni ci occupiamo, per scelta o necessità, più che altro di dinamiche regressive: guerre, emergenze, incapacità a gestire il cambiamento climatico, inabilità a gestire un ragionato dibattito politico.
Ed ecco finalmente un'ottima notizia! È scontato che ognun* può avere la propria opinione in merito alle conclusioni che la Corte Costituzionale vorrà trarre dalla questione sollevata, ma ecco un argomento che si occupa del presente e del futuro; cerca di far progredire la società, valorizzando i diritti dell'individuo e dell'espressione personale. Senza NULLA togliere all'altr*.
Vi ringrazio se ci vorrete tenere al corrente.