Ethikunterricht kommt: Welche Ethik?
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Aristoteles nutze den Begriff ēthikē (ἠθική) und meinte damit die philosophische Disziplin, die sich mit dem menschlichen Handeln befasst. Er war der Ansicht, dass der Mensch sein Handeln durch Reflexion einer Beurteilung unterziehen und dieses sittlich weiterentwickeln kann. Für Aristoteles ist der Mensch also ein vernunftgeleitetes Wesen, das seine Handlungen nicht ausschließlich von Sitten, Gebräuchen und Traditionen leiten lassen soll, sondern durch vernünftige theoretische Reflexion zu Erkenntnis gelangt. Mit diesen Überlegungen hat er bis in die Gegenwart Bedeutung.
Cicero übersetzte den Begriff ēthikē mit dem lateinischen moralis. Ursprünglich waren die Begriffe fast gleichbedeutend; im Zuge der Christianisierung setzte eine Bedeutungsänderung ein, welche die Moral näher zur Sitte, zu gesellschaftlichen Handlungsmaximen und zum Gewohnheitsrecht rückte.
Im Hinblick auf die Einführung des Ethikunterrichts in den Schulen ist es eine zentrale Aufgabe zu klären, welche Ethik gemeint ist.
Schulak weist darauf hin, dass es unzulässig ist „ethisch“ und „moralisch“ als Synonyme zu verwenden. „So bezieht sich im heutigen Sprachgebrauch der Begriff der Moral eher auf die Übereinstimmung mit äußeren Sitten, äußeren Rechten und Wertungen, wogegen »Ethik« mehr eine innere Gesinnung und Haltung bezeichnet. Der Begriff Ethik ... hat sich seinen altgriechisch-liberalen, seinen philosophisch-aufgeklärten Anstrich über die Jahrtausenden hinweg bewahrt. Der Begriff der Moral hingegen fand ... im normativen Bereich des römischen Rechts und schließlich in ... der christlichen Religion Verwendung: Er verließ die argumentative Ebene und wanderte ab in den Bereich des Dogmatischen“.
Im Hinblick auf die Einführung des Ethikunterrichts in den Schulen ist es eine zentrale Aufgabe zu klären, welche Ethik gemeint ist. Schulak merkt an, dass der Begriff Ethikunterricht „ein latentes Missverständnis in sich (birgt), nämlich die Vorstellung, es würde eine Ethik geben, die es bloß zu unterrichten gelte“ (ebd.). Er geht in seinen Ausführungen davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen Ethik und Philosophie gebe und dass auch in der Ethik die „Spielregeln philosophischer Diskussionskultur“ gelten müssten, d. h. dass Argumente in der Konfrontation ausschlaggebend seien und dass es nicht immer zur Einigung kommen müsse. Für Schulak können „Moral und Gesetz die permanente Verantwortlichkeit des Einzelnen nicht ersetzen ..., wie sich auch umgekehrt der Einzelne erst mit Hilfe und im Schutze der Moral und der Gesetze voll entwickeln kann. ... handelt es sich um zwei parallel laufende Systeme, die einander bedingen, bedürfen und ergänzen“.
Auch Göllner unterscheidet zwischen Moral und Ethik. Er beobachtet, dass bei seiner Analyse der Bildungs- und Lehraufgaben des Ethikunterrichts in Europa in den Bezeichnungen des Unterrichtsfachs meist der Begriff „Ethik“ vorkomme, in den Lehrplänen aber oft die Begriffe „Moral“ und „Moralerziehung“. Dadurch entstünde der Eindruck, dass die Begriffe synonym Verwendung fänden. Für Göllner ist aber eine begriffliche Unterscheidung angebracht: „Moral ist ... als die Bezeichnung für Handlungen, Haltungen und Einstellungen zu verstehen, bei denen Wert- und Sinnvorstellungen eine Rolle spielen, während Ethik solches Handeln reflektiert“.
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Göllner vergleicht in seinem Buch „Die Bildungs- und Lehraufgaben des Ethikunterrichts in Europa im Vergleich“ 64 Lehrpläne aus 19 europäischen Ländern. Aufgrund einer fundierten Recherche ordnet er im Rahmen seiner Untersuchung die Lehrpläne drei verschiedenen Orientierungen zu. Göllner unterscheidet Bildungs- und Lehraufgaben mit lebenskundlich-hermeneutischer Orientierung, Bildungs- und Lehraufgaben mit ethisch-reflexiver Orientierung und Bildungs- und Lehraufgaben mit moralisch-handlungsorientierter Ausrichtung.
Im Zenrum der Bildungs- und Lehraufgaben mit lebenskundlich-hermeneutischer Orientierung stehen für Göllner „die Persönlichkeit und der Lebensraum des Schülers“. Die Lernarrangements bieten den Schülerinnen und Schülern Unterstützung und Begleitung bei der Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung. Dabei geht die Lehrperson von den Erfahrungen, Problemen, Anliegen, Fragen und Interessen, also von den Lebenswelten der Kinder aus. „Der Zugang zum Leben der Schüler wird vor allem über Themen und Inhalte gesucht, von denen angenommen werden kann, dass sie für die Schüler von Interesse sind, weil sie lebensnah sind. In Auseinandersetzung mit anderen Positionen soll der Schüler zur Selbstfindung und zu Deutungen kommen, die ihm für sein Leben hilfreich sein können.“ Auch die Rahmenrichtlinien für die Pflichtschule in Südtirol gehen im Zusammenhang mit dem „neuen Lernbegriff“ auf die Wichtigkeit von Erfahrungen ein: „Lernen ist ein individueller, aktiver und ganzheitlicher Prozess, der auf Vorwissen aufbaut, mit Erfahrungen zusammenhängt und eine nachhaltige Veränderung im Verhalten und in den Einstellungen zur Folge hat. Die Lernenden erwerben auf der Grundlage der eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen, an konkreten Situationen, im Dialog mit anderen und in einem Klima des Vertrauens und der Wertschätzung neues Wissen und erweitern dadurch ihre Handlungskompetenz“ (Beschluss der Landesregierung vom 19.01.2009, Nr. 81). Aus didaktischen Prinzipien knüpft der „Unterricht ... an die Lernbiographien und die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler an und bietet ihnen durch differenzierende Maßnahmen die Möglichkeit, auf individuellen Wegen zu lernen“ (ebd.).
Göllner weist in seiner Analyse auch auf die Grenzen der Lehrpläne mit lebenskundlich-hermeneutischer Orientierung hin. Insbesondere die wissenschaftliche Begleitung des Modellversuchs in Brandenburg habe gezeigt, dass das Fach leicht zum „Laberfach“ werden könne, da es „inhaltlich zu diffus und methodisch nicht genügend kontrolliert sei“. Das Mitteilen von Befindlichkeiten und Meinungen sei zu wenig. Zwar lernten die Schülerinnen und Schüler ihren Standpunkt zu vertreten, jedoch bestünde die Notwendigkeit, den Begriff der Erfahrung zu weiten: Die Erfahrungen der Kinder bauten immer auf „Vorleistungen“ auf, welche ihr näheres und ihr weiteres Umfeld, ja die ganze Gesellschaft erbrächten. Dadurch würden die Schüler/-innenerfahrungen durch die Erfahrungen anderer erweitert. Die große Herausforderung für die Lehrperson bestünde bei Lehrplänen mit lebenskundlich-hermeneutischer Orientierung darin, die Schüler/-innenorientierung mit Wissenschaftsorientierung zu vernetzten. Als Bezugswissenschaften für die Lehrpläne mit lebenskundlich-hermeneutischer Ausrichtung nennt Göllner die Anthropologie, die Psychologie und die Soziologie.
Göllner stellt in seiner Analyse fest, dass für die große Mehrheit der untersuchten Lehrpläne als Bezeichnung für das Unterrichtsfach der Begriff Ethik gewählt wurde. Bildungs- und Lehraufgaben mit ethisch-reflexiver Orientierung „begnügt(en) sich [...] nicht nur mit dem Anspruch, Begründungen für eine Handlung zu finden und diese Handlung als richtig oder falsch bezeichnen zu können, die Reflexion intendiert immer auch schon die Umsetzung in das moralische Handeln selbst“ . Göllner stellt fest, „das ethische–reflexive Konzept erfüllt damit einen wesentlichen Teil des Erziehungsauftrags der Schule“. Für die geltenden Rahmenrichtlinien für die Grund- und Mittelschule in Südtirol sind hier insbesondere die Förderung der Entscheidungs-, Orientierungs- und Selbstkompetenz, der Kommunikations-, Kooperations- und Problemlösekompetenz sowie die Förderung der kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst, der Übernahme von Verantwortung und der aktiven Teilnahme am Leben der Gesellschaft zu erwähnen (Beschluss der Landesregierung vom 19.01.2009, Nr. 81).
Die Herausforderung für die Lehrperson im Ethikunterricht mit ethisch-reflexivem Ansatz besteht darin, im Unterricht den Informationsteil und die Sachbezüge klar von der eigenen Position abzuheben. Nur so kann es gelingen, dass das Kind zu seiner eigenen Meinung und Urteilsbildung kommt. Als Bezugswissenschaften nennt Göllner die philosophische Ethik, die religiöse Ethik, die angewandte Ethik und die Meta-Ethik und weist darauf hin, dass Treml als Bezugswissenschaften eines philosophisch-reflexiven Ansatzes alle Geistes- und Sozialwissenschaften sowie die Naturwissenschaften sehe. Göllner widerspricht Treml in diesem Punkt und argumentiert: „Gerade wenn es um die systematische Reflexion von Handlungen geht, ist eine Offenlegung der argumentativen Vorgangsweise unverzichtbar, um die Gefahr einer Indoktrination auszuschließen.“ Und dazu sei es nötig, den ethischen Ansatz transparent zu machen. Nun schließt die Offenlegung der eigenen argumentativen Position den Bezug zu verschiedenen Wissenschaften in keiner Weise aus. Bedeutsam ist in diesem Punkt vielmehr das Alter der Schülerinnen und Schüler. Es wird davon ausgegangen, dass Ethikunterricht an allen Schulstufen unterrichtet werden soll, die Bezugswissenschaften variieren auch aufgrund des Abstraktionsvermögens der Schülerinnen und Schüler sowie der Fachkompetenz der Lehrpersonen. Die Offenlegung der eigenen Position und deren Argumentationsstränge, werden von der Lehrerin und vom Lehrer in jedem Fall verlangt.
Göllner weist darauf hin, dass Ethikunterricht „nie in einem wertefreien Raum“ stattfinde. Daher müsse neben der Reflexion über ethisches Handeln immer auch „die Begegnung mit kulturell und geschichtlich gewachsenen Wert- und Sinnvorstellungen“ erfolgen. Bildungs- und Lehraufgaben mit moralisch-handlungsorientierter Ausrichtung setzten genau hier an. Die Schülerinnen und Schüler in Südtirol sollen „demokratische Haltungen“ und „soziale Kompetenzen“ erwerben, die „zu Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft befähigen“ (Landesgesetz vom 16.07.2008, Nr 5). Das Bildungssystem fördert „die Verbreitung und Festigung der europäischen Gesinnung und Kultur, die auf christlichen Werten aufbaut“. „Kompetenzen entstehen vor dem Hintergrund der kontinuierlichen Interaktion zwischen Individuum, Umwelt und Gesellschaft. Sie ermöglicht komplexes Handeln, welches die Ganzheit der Person umfasst. Dabei werden Fertigkeiten, Fähigkeiten, Kenntnisse, eigene Gefühle, Werthaltungen, Erfahrungen, Einstellungen, Motivation und Ziele miteinander vernetzt und die Übernahme von Verantwortung und Selbstständigkeit angestrebt“ (Beschluss der Landesregierung vom 19.01.2009, Nr. 81). Es wird betont, dass „sich im Laufe der Zeit ein gemeinsames kollektives Gedächtnis entwickelt [hat], durch das die ästhetischen, kulturellen und gesellschaftlichen Werte zum Ausdruck gebracht und von Generation zu Generation weitergegeben werden“ (ebd.). Konkrete Werte werden in den Rahmenrichtlinien des Landes mit Ausnahme der Vielfalt und Toleranz nicht genannt. Es wird vielmehr betont, dass „die Schülerinnen und Schüler ein eigenes Wertesystem“ aufbauen und „andere Werte und Kulturen“ kennenlernen sollen. „Der Schüler soll mit Haltungen, Verhaltensweisen („Tugenden“), Einstellungen und Werten und Normen, die gesellschaftlich relevant sind, bekannt gemacht werden. Dies ist genuiner Auftrag der Schule, die als Institution der Gesellschaft in der Trägerschaft des Staates, diese Sozialisierungsfunktion ausübt und dabei ihrem Bildungsauftrag nachkommt“. Damit stellt sich die Frage inwieweit Tugenden und ethisches Handeln und Urteilen überhaupt lehrbar sind. Neben der Formulierung des Kategorischen Imperativs, der nach wie vor weitgehend anerkannt wird, beschäftigt sich Kant auch mit der „Lehrbarkeit“ ethischen Handelns. In der Kritik der reinen Vernunft weißt er darauf hin, dass die „Urteilskraft aber ein besonderes Talent sei, welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will“. Auch Bucher ist skeptisch und führt Wittgenstein als namhaften Zeugen an. Amerikanische Studien bestätigten allerdings, „wenn Information mit Handeln gekoppelt wird, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der erwünschten Änderungen auch im Einstellungs- und Verhaltensbereich“.
Bezugswissenschaften für einen moralisch-handlungsorientierten Ethikunterricht sind für Göllner die Religionswissenschaften, die Geschichts- und Politikwissenschaften, sowie die Soziologie.
Auch Fiechter-Alber beschäftigt sich intensiv mit der Frage „Welche Ethik in der Schule? “ geeignet sei. Er unterscheidet und beschreibt drei große Ethiktheorien, die zum Teil unterschiedliche, sich widersprechende, aber sich auch ergänzende Positionen einnehmen.
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Die Naturrechtslehre geht von einer dem Menschen a priori innewohnenden Ethik aus. Es handelt sich also um den Versuch des Menschen, ethisches Verhalten anthropologisch durch das Menschenbild selbst zu begründen. Für das Naturrecht ist ethisch korrektes Verhalten normativ und universell und durch die Natur und das Wesen des Menschen gegeben. Fiechter-Alber nennt es die „Sehnsucht ein objektives beziehungsweise objektivierbares Gutes und Recht zu ergründen“. Das Naturrecht spricht eine Ebene an, die der geltenden Rechtsordnung vorgelagert ist, dieser gewissermaßen zugrunde liegt. Fiechter-Alber macht zu Recht darauf aufmerksam, dass „dem Begriff ‚Natur‘ [...] in der Tradition des Naturrechts eine große Unbestimmtheit und Unschärfe [anlastet], mittels derer Ideologien wie die Sklaverei und Inquisition genauso zu begründen versucht wurde wie die Menschenrechte der Vereinten Nationen“. Für ihn zeichnen sich klassische Naturrechtslehren dadurch aus, dass sie dogmatisch an den eigenen Werten festhalten und „auf eine kritische Prüfung der ethischen Verallgemeinerbarkeit ... verzichten“.
Nach wie vor wird immer dann, wenn davon ausgegangen wird, dass menschliches Zusammenleben bestimmte, allgemein anerkannte Werte als gemeinsamen Bezugspunkt braucht, das Naturrecht bemüht. Tanner weist darauf hin, dass dort, wo diese Position „durch eine rationale Begründung zu stärken versucht wird, ... es zu einer impliziten Wiederbelebung naturrechtlicher Denkformen“ kommt. Das Naturrecht steht der Autonomie des Subjekts kritisch gegenüber und schränkt diese ein. Es stellt in ethischen Fragen einen Widerpart zum ethischen Relativismus und zu Privatisierungstendenzen dar. Zwar lehnt die Naturrechtslehre nach wie vor rein subjektive Deutungen in ethischen Fragestellungen ab, jedoch hat sie im Laufe der Zeit auch die Forderung nach Universalisierbarkeit von Ethik aufgegeben. „Dass für alle Menschen, zu allen Zeiten und unter allen Umständen die selben normativen Regeln gelten“, ist nicht mehr vorstellbar. „Wird der Gültigkeitsanspruch des Naturrechts durch diesen relativen Charakter erweitert, so stellt sich natürlich die Problematik der Verständigung über allgemeine Werte“. Gesellschaftliche Gewohnheitsrechte und Machtansprüche werden gleichermaßen durch das Naturrecht kritisiert. „Während gesatztes Recht sich auf eine bestimmte Machtstruktur und auf die Festsetzung des Rechts durch Macht stützt, gründet das Naturrecht auf ein Sollen, das dem Innersten des Menschen entspringt“. Damit begreift das Naturrecht den Menschen als verantwortliches Subjekt. Unter Abwägungen und Reflexion, in sozialen Netzten trifft der Mensch Gewissensentscheidungen. Diese „werden ... nie als einsame Entscheidungen begriffen, sondern stets als Ergebnisse von Interaktionsprozessen“. Damit ist das Naturrecht zu einem „kritisch-hermeneutischen Sensorium“ geworden. Für Fiechter-Alber bilden die „Sehnsucht und die Suche nach dem, was – für alle – gilt ... den Ausgangspunkt für ethische Verständigung“. Naturrecht führt also über die „Gesetzmäßigkeiten des Faktischen oder des Gewohnten“ hinaus. Spaemann fasst es so zusammen, dass „Naturrecht heute nicht mehr als ein Normenkatalog, eine Art Metaverfassung, aufgefaßt werden (kann). Es ist eher eine Denkweise, und zwar eine alle rechtlichen Handlungslegitimationen noch einmal kritisch prüfende Denkweise“.
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Die Diskursethik bietet keinen inhaltlichen Wertekanon und dadurch Orientierung; vielmehr handelt es sich dabei um einen Prozess, unter Einhaltung dessen auf der Ebene der Kommunikation Kompromisse und im besten Fall Einigkeit erzielt werden können. Damit steht die Diskursethik in einem Naheverhältnis zu einer hermeneutisch interpretierten Naturrechtslehre, weil auch sie die „Einbeziehung des Anderen“ (Habermas) einfordert.
Die Diskursethik schließt an Kant an: Auf welche Handlungsmaxime können wir vertrauen, worauf können wir uns bei der Frage nach der „rechten“ Ethik berufen? Kant formuliert es im kategorischen Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ (Kant 1785). Während bei Kant das Subjekt also selbst prüft, ob eine Handlungsmaxime „sittlich“ sei und damit verallgemeinerbar, fordert Habermas zur intersubjektiven Verständigung, zum Austausch auf, damit die Prüfung auf Verallgemeinerung durch alle betroffenen Parteien erfolgen kann. „Statt allen anderen eine Maxime, von der ich will, daß sie ein allgemeines Gesetz sei, als gültig vorzuschreiben, muß ich meine Maxime zum Zweck der diskursiven Prüfung ihres Universalitätsanspruchs allen anderen vorlegen. Das Gewicht verschiebt sich von dem, was jeder (einzelne) ohne Widerspruch als allgemeingültiges Gesetz wollen kann, auf das, was alle in Übereinstimmung als universale Norm anerkennen wollen“.
Damit ein Diskurs gelingt, sind nach Habermas verschiedene Diskursregeln einzuhalten. So betont er vor allem die Notwendigkeit, dass die Diskursteilnehmerinnen und -teilnehmer sich als gleichwertige Subjekte gegenüberstehen, dass also keine Macht, kein Machtgefälle bestehen dürfte. In Folge sei die jeweilige Motivation von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern offenzulegen, dann könne es zu einer „ungezwungenen“ Verständigung kommen. Habermas selbst führt den Begriff der „idealen Sprechsituation“ ein, der vielfach kritisiert wurde, da es weder einen erfahrungsfreien noch einen handlungsentlasteten Raum gebe. Auch seien Chancen und Macht nicht symmetrisch verteilt. Habermas selbst ist aber überzeugt, dass ein Diskurs „mit einer wechselseitigen Unterstellung idealer Sprechsituationen [...] [keine] Verdrängung tatsächlicher Herrschaftsverhältnisse, sondern Möglichkeitsbedingung für einen herrschaftsfreien Diskurs“ sei.
Unter dem Schlagwort der „Kolonialisierung der Lebenswelten“ beschreibt Habermas, wie ganze Lebensbereiche wie Familie, Freizeit und Bildung durch die Verzwecklichung kommunikativen Handelns instrumentalisiert werden. Für Habermas kann die Handlungssituation sozial oder nicht-sozial, die Handlungsorientierung erfolgsorientiert oder verständigungsorientiert sein. Die Diskursethik fordere kommunikatives Handeln (sozial und verständigungsorientiert) und nicht instrumentelles (nicht-sozial und erfolgsorientiert) oder strategisches Handeln (sozial und erfolgsorientiert) ein. Damit steht der Erfolg, die eigene Zielerreichung nicht an erster Stelle; Hauptaugenmerk liegt vielmehr im Erreichen eines Einvernehmens oder eines Kompromisses.Habermas Theorie ist ein wissenschaftstheoretisches Konzept, welches mit Sicherheit handlungsleitend sein kann, aber nicht als alltagstauglich gilt.
Für Fiechter-Alber ist der Kommunitarismus „eine Antwort, ein Antiwort auf den amerikanischen Liberalismus und den europäischen Relativismus/Nihilismus, die da lautet: Es muss doch mehr als (fast) nichts geben, wenn wir versuchen, uns über das, was richtig oder gut ist, zu verständigen“.
MacIntyre sieht in den endlosen Diskussionen um ethische Fragestellungen vor allem dadurch Schwierigkeiten, dass die Diskussionsparteien von divergierenden, nicht konsensfähigen Prämissen ausgingen. Geschichtliche Argumente seien in den Diskursen nicht hilfreich, weil diese den aktuellen Kontext nicht berücksichtigten. Auch habe der vorherrschende Emotivismus dazu geführt, dass „alle wertenden, moralischen Urteile nur Ausdruck von Vorlieben, Einstellungen oder Gefühlen sind“.
Michael Walzer, ein weiterer Vertreter des Kommunitarismus unterscheidet zwischen „dichter“ und „dünner“ Moral. Bei der „dünnen“ Moral seien wir uns schnell einig, auch weltweit, weil jeder für Gerechtigkeit, Freiheit, Wahrheit sei. Würden die Begriffe aber gefüllt und im Kontext aufgeladen, sei es schon viel schwieriger, für diese „dichte“ Form der Moral Konsens zu erzeugen.
Auf Grund dieser Überlegungen ist für MacIntyre die Verständigung über ethische Themen in der liberalen Gesellschaft ausschließlich in konkreten gesellschaftlichen Bezügen möglich. Mit direkter Bezugnahme auf Aristoteles proklamiert er die identitätsstiftende Tradition. In einem klar umrissenen sozialen Gefüge übernehme der Einzelne eine klar definierte Rolle zum Wohle der Gemeinschaft. MacIntyre ist überzeugt, das Individuum definiere sich von seinem sozialen Kontext, von seiner sozialen Rolle her. Das gemeinsame Sprechen und Handeln bringe gemeinsame Verpflichtungen hervor, die identitätsstiftende Zugehörigkeit zu einer Gruppe sei die Folge. „Das wichtigste Mittel der moralischen Erziehung“ ist für ihn „das Erzählen von Geschichten“.
Der Kommunitarismus geht also davon aus, dass ethische Fragen nur in der jeweiligen Bezugsgruppe erörtert und entwickelt werden können.
Kritiker des Kommunitarismus beanstanden vor allem die Beziehung des kommunitaristischen Gesellschaftsverständnisses zum Fremden und die Tatsache, dass es die Polis in unserer globalen Welt nicht mehr gibt.
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Angelika Ebner promoviert 2020 an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Innsbruck mit einer Dissertation zum Thema Ethikunterricht als Chance und Herausforderung: Bestandsaufnahme und kritische Analyse zur Umsetzung an ausgewählten Pflichtschulen deutscher Unterrichtssprache in Südtirol. Der Beitrag ist ein Auszug aus der Dissertation.
Die Güte des Unterrichts…
Die Güte des Unterrichts hängt immer auch von der Lehrperson ab. Meinerseits könnte ich es nur begrüßen, wenn der verstaubte Religionsunterricht aus den öffentlichen Schulen verschwindet. Italien ist ein laizistischer Staat und sollte auch danach handeln. Religiosität ist eine persönliche Entscheidung. Ob es einen Ethikunterricht braucht, kann ich nicht beurteilen. Wichtiger schiene mir eine objektive, nicht ideologiegesteuerte politische Bildung für Schüler.
Antwort auf Die Güte des Unterrichts… von nobody
Ich habe guten und weniger…
Ich habe guten und weniger guten Religionsunterricht erlebt. Im Rahmen der öffentlichen Schulen scheint mir die Wahrscheinlichkeit höher, dass durch die staatliche Aufsicht Fehlentwicklungen vorgebeugt wird.
Freilich wäre eine objektive, nicht ideologiegesteuerte politische Bildung für Schüler wichtig. Nur ist die Frage, wie man zu diesem Ziel gelangt, weil selbst das Wissen um die historischen Fakten fragmentarisch ist. Ein Beispiel aus Ö.: Der angeblich kommunistisch geführte Oktoberstreik von 1950 wurde realiter von SP- Gewerkschaftern getragen und richtete sich gegen rigide Lohnbeschränkungen, die (offensichtlich nicht kommunizierte) Bedingung für die Hilfe aus dem Marshall-Plan waren. Als sich die Kommunisten anschlossen, war der Streik schon faktisch tot. Diese Info habe ich erst in der Wiener Zeitung anno 2020 gefunden.
Religionsuntericht war + ist…
Religionsuntericht war + ist Ethikunterricht, allerdings einer manchmal zu massiven Betonung des Religiösen.
Antwort auf Religionsuntericht war + ist… von Josef Fulterer
Wobei Religion in ihrem Kern…
Wobei Religion in ihrem Kern immer auch subversiv ist (nicht nur das Magnifikat); ein ernst genommenes Bilderverbot (Exodus 20, 4) richtet sich auch gegen geistliche Macht.
Was sind eigentlich die…
Was sind eigentlich die Erwartungen an diesem Unterrichtsfach?
Was soll dieses Fach dem Schüler/der Schülerin geben?
Antwort auf Was sind eigentlich die… von Josef Ruffa
Ich denke Ethik gibt den…
Ich denke Ethik gibt den Schülern sehr viel! Und nicht nur den Schülern! Ethik ist etwas sehr wichtiges im täglichen Leben, nicht nur wenn es um schwierige Entscheidungen am Lebensende geht. Ethik macht uns zu Menschen. An der Oberschule bestand unser Religionsunterricht eigentlich nur aus Ethik: für uns war es immer eine interessante Stunde mit interessante, komplexe Themen wo die Ethik im Mittelpunkt stand.
Die Gefahr ist immer da,…
Die Gefahr ist immer da, dass bei solch großen Ansprüchen auch immer Schlafschulweisheiten zum Besten gegeben werden und Gehirnwäsche betrieben wird.