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Politik | Klimapolitik

Klima schützen oder Tourismus forcieren?

„La moglie ubriaca e la botte piena” heißt es im Italienischen. Genau das wünscht man sich anscheinend unter Touristikern in Südtirol: etwas Nachhaltigkeit und ungebremstes Wachstum. Geht das mit den Vorgaben des Klimaplans zusammen?
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Tourismus und Vekehr in Südtirol
Foto: Seehauserfoto
  • 8,4 Millionen Ankünfte und gut 36 Millionen Übernachtungen – und dazu kommen noch unzählige Tagesgäste – in 2023: stattliche Zahlen, die Südtirol in der Tourismusintensität zwischen den Städten mit Weltruf Venedig und Florenz positionieren. Ein neues Allzeithoch gab es auch schon im Sommer 2023, als die im Land verfügbare Bettenzahl 244.000 erreicht hat.

    Nun gibt es nicht nur den Klimawandel, der bei den Temperaturen die Alpenregionen sogar stärker trifft als andere Gebiete. Es gibt in Südtirol auch die Nachhaltigkeitsstrategie und seit Juli 2023 den Klimaplan 2040. Da Tourismus immer mit Mobilität verbunden ist und der Verkehr den Löwenanteil der CO2-Emissionen produziert, setzt dieser Plan zu Recht Zielvorgaben für diesen Wirtschaftssektor: sein Gesamtenergieverbrauch soll bis 2030 um -25% sinken und bis 2037 um -35%. Der Verbrauch von fossiler Energie bis 2030 um -40% und bis 2037 sogar um -80% (Klimaplan S. 58). Bei hohen Investitionen in erneuerbare Energie könnte begrenzt auf die im Hotelbetrieb verbrauchte Energie Letzteres erreichbar sein. Doch wie will man in 6 Jahren den Energieverbrauch einschließlich der touristischen Mobilität um ein Viertel senken, wo wir vermutlich bei 9 Millionen Ankünften gelandet sein werden und Südtirol sich jedem Gast als befahrbarer Freizeitpark anbietet, der auf keiner einzigen Passstraße Beschränkungen auferlegt? Entweder der Klimaplan ist bloßes Wunschdenken oder Hoteliers und Land können Wunder wirken.

    Das Wunder müsste vor allem im touristischen Verkehr gelingen. Zum einen soll der motorisierte Individualverkehr laut Klimaplan (S. 37) bis 2037 um -30% sinken, also mindestens um -2% im Jahr beginnend mit 2023. Zum anderen reisen die Südtirol-Urlauber laut Studien zu 93% mit dem eigenen Fahrzeug an. 2037 sollen 20% der Touristen mit der Bahn anreisen, so optimistisch der Mobilitäts- und Klimaplan. Da die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste laufend sinkt (2023 auf 4,3 Tage) und die Ankünfte weiter zunehmen, wird es in Zukunft noch schnelleren „Schichtwechsel“ geben, der CO2-Ausstoß weiter anheizt. Mit anderen Worten: beim touristischen Verkehr ist das -30%-Ziel illusorisch. Die Einheimischen sollen gefälligst auf den Straßen Platz für die Touristen machen, zumal der Klimaplan bis 2030 +70% genutzte Personenkilometer im ÖPNV vorsieht. Weil nun Urlauberinnen steuerfinanziert über die Gästekarte vor Ort Bahnen und Busse fast zum Nulltarif nutzen, wird es auch da eng. Doch wird LR Alfreider vermutlich auch hier Wunder wirken.

    An seine Grenzen stößt das System durch die touristische Nutzung auch in einigen anderen Bereichen, die für die Erreichung von Klimaneutralität bis 2040 eigentlich enge Leitplanken bilden. So etwa beim Flächenverbrauch. Der Klimaplan will bis 2030 nichts weniger als die Halbierung der Boden-Neuversiegelung und bis 2040 die Netto-null-Neuversiegelung. Da das Bettenstoppgesetz von 2022 manche Ausnahmen bereithält und noch 50-60 Tourismuszonen umgesetzt werden, wird es sicher nicht bei 244.000 Betten bleiben. Die weiter steigende Bettenmenge will auch gefüllt werden, wofür sich die steuerfinanzierte IDM ordentlich ins Zeug legt (Beispiel: DIE ZEIT vom 7.3.24, 1 ganze Seite zum Meraner Land, Kostenpunkt 145.000 Euro). Für nachhaltiges, sprich dauerhaftes Wachstum ist gesorgt.

    Mehr Tourismus ist politisch gewollt, denn das geht aus dem Tourismusplan LTEK hervor, der eine zeitliche und räumliche Entzerrung des Besucherandrangs anpeilt. Zeitlich durch Erweiterung der Nebensaison, wodurch ruhigere Monate zusätzlich belebt werden. Räumlich, indem „strukturschwache“ Gebiete über das landesweite Kontingent der aufgelassenen Betten immer mehr Betten zusätzlich schaffen dürfen. Die in strukturstarken Gemeinden aufgelassenen Betten werden ohnehin durch immer mehr AirBnB-Angebote (2023: über 6.000) kompensiert. Unterm Strich läuft das alles auf mehr Betten, mehr Ankünfte, mehr Verkehr, mehr Energieverbrauch, mehr Bodenversiegelung, mehr Wasserverbrauch, mehr Abfall hinaus. Man muss schon ein unerschütterliches Vertrauen in die Landesplaner haben, die Klimaneutralität und unbegrenztes Wachstum unter einen Hut bekommen wollen.