Gesellschaft | Journalismus

„Der Tod ist tabu”

Die bewegende Rede der Südtiroler Journalistin, Barbara Bachmann, anlässlich der Verleihung des Claus-Gatterer-Preises am Donnerstag in Sexten.
kindstod
Foto: Upi
  • Als Reporterin bin ich Beobachterin. Ich erzähle die Geschichten anderer, tauche in deren Leben ein, stelle ihnen Fragen, versuche ihnen während der Recherche so nah wie möglich zu kommen und mich selbst zurück zu nehmen. Nicht zu werten, sondern geschehen zu lassen und schließlich im Schreiben Distanz einzunehmen.

    Ich bin niemand, die gerne über sich selbst schreibt, die ihr Innerstes nach außen kehrt. Und doch habe ich in dem Text „Ein Leben so kurz“ genau das getan. Ich erzähle darin vom größten Schmerz, den ich in meinem Leben erfahren habe. Vom Verlust meines ersten Kindes, meiner Tochter Hera.
    Hera ist in der 36. Schwangerschaftswoche in meinem Bauch verstorben. Von einem auf dem anderen Moment war ihr Leben vorbei, dabei schlug ihr Herz neun Monate lang unter meinem. Hera hat alles verändert. Sie hat mich zur Mutter gemacht. Eine Mutter ohne Baby. Eine Sternenmama mit einem Sternenkind.

    Ich habe den Text „Ein Leben so kurz“ zunächst nur für mich geschrieben. Weil Worte mir halfen, meine Gefühle und Gedanken zu ordnen. Weil sie heilsam waren. Und befreiend. Bald verstand ich, dass es für mich nicht damit getan ist, diese Worte bloß festzuhalten und dann wieder verschwinden zu lassen. Dass es Teil der Heilung sein wird, diese Geschichte mit anderen zu teilen, sie in die Welt hinauszutragen. Es war vielleicht meine ganz persönliche Aufgabe. 

  • Foto: Seehauserfoto
  • “Ich bin niemand, die gerne über sich selbst schreibt, die ihr Innerstes nach außen kehrt. Und doch habe ich in dem Text „Ein Leben so kurz“ genau das getan.”

    Eine Kollegin zeigte sich überrascht, dass ich dies unter meinem Namen tat. Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen anonym über meine Tochter zu schreiben. Aber die Verwunderung darüber zeigt, dass offen über Sternenkinder zu reden noch immer ein Tabu ist, in mehrerlei Hinsicht. Der Tod ist tabu. Wir versuchen ihn aus unserem Leben zu verbannen und doch gelingt uns das nicht. Ein totes Neugeborenes ist ein doppeltes Tabu. Ein Baby soll gesund und munter sein. Alles andere ist inakzeptabel. Es darf nicht sein. Und doch geschieht es. 

  • Im Gedenken an Claus Gatterer

    Zwei Preise wurden in Sexten verliehen: die "Auszeichnung für hervorragenden Journalismus im Gedenken an Claus Gatterer" und der "Claus-Schülerpreis".

     

    Die Südtiroler Journalistin Barbara Bachmann hat für ihre Ich-Reportage „Ein Leben so kurz“ die "Auszeichnung für hervorragenden Journalismus im Gedenken an Claus Gatterer“ erhalten. Die Reportage war im Magazin der Süddeutschen Zeitung erschienen.  „Durch die meisterhafte Sprache und den bedachten Zugang gelingt es der Autorin, ihr Schicksal in seiner Tragweite auch Nicht-Betroffenen verständlich zu machen und anderen Betroffenen Halt zu bieten. Durch seine Generalisierbarkeit dient der intime Text auch als bedeutender Beitrag zur Sichtbarmachung des gesellschaftlich tabuisierten Themas Totgeburt“, heißt es in der Begründung der Jury. 
    Die 1985 in Bruneck geborene Barbara Bachmann arbeitet seit 2013 als freie Journalistin. Ihre Arbeiten wurden unter anderem auch in der Wochenzeitung „Die Zeit“ publiziert.
    Kulturlandesrat Philipp Achammer verweist auf die Bedeutung dieses Preises, der im Sinne des Namengebers kritisches Hinterfragen und soziales Engagement hervorhebt und würdigt: „Gerade auch für die Jugend sind Vorbilder wichtig, die in der Gesellschaft wie Seismographen agieren und bewusstseinsbildend Themen aufarbeiten und vertiefen, neue Aspekte beleuchten und Randfragen ins Zentrum bringen.“
    Die Laudatio hielt der österreichische Filmemacher Kurt Langbein, die Rede zum 100. Geburtstag von Claus Gatterer der aus Bozen stammende Journalist Andreas Pfeifer, Leiter des ORF-Büros in Berlin.
    Die Jurymitglieder waren neben Jurysprecher Kurt Langbein auch Lisa Maria Gasser, Thomas Hanifle, Nina Horaczek, Franz Kössler, Sahel Zarinfard und die Vorjahrespreisträgerin Daniela Prugger.
    Der vom Land Südtirol 2021 neu gestiftete Claus-Gatterer-Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Der Presseclub Concordia in Wien und der Michael Gaismair Gesellschaft Bozen verleihen ihn mit Unterstützung Gatterers Heimatgemeinde Sexten. Der Journalist, Historiker, Schriftsteller und Dokumentarfilmer Claus Gatterer war 1924 geboren und starb 1984 in Wien.
    Zudem wurde heute auch der "Claus-Schülerpreis für journalistisches Arbeiten" vergeben. Diese Auszeichnung rückt soziale Themen und Zivilcourage in das Bewusstsein junger Menschen und ehrt und verbreitet deren journalistische Arbeiten. Der Schülerpreis ist ein Gemeinschaftsprojekt des Schulverbundes Pustertal, der Pädagogischen Abteilung der Deutschen Bildungsdirektion Südtirol, der Gemeinde Sexten und des Österreichischen Rundfunks ORF.
    Der Schülerpreisträger wurde Jannik Burger zugesprochen.

    Foto: LPA/Gerd Reichegger)
  • Wenn es mir tatsächlich gelang, mit dem Text an diesem Tabu zu rütteln, es ein Stück weit zu Fall zu bringen, so hat es sich gelohnt ihn zu schreiben. Claus Gatterer brach in seiner Arbeit eine Reihe von Tabus. 100 Jahre nach seinem Geburtstag, und 40 Jahre nach seinem Tod, ist er damit noch immer ein Vorbild. Eine Metapher für Menschlichkeit, für Integrität. Für einen leisen Journalismus, der nachhallt und unvergessen bleibt.

    In seiner Arbeit schaute er auf jene, die gerne übersehen werden, die am Rande stehen. Sternenkinder und ihre Eltern, ihre Geschwister und Großeltern, sind oft unsichtbar, auch wenn es viele von ihnen gibt. Mehr als manche von uns glauben. Einige von ihnen habe ich in den letzten Jahren kennen lernen dürfen.

  • Foto: Presseclub Concordia
  • „Claus Gatterer ist eine Metapher für Menschlichkeit, für Integrität. Für einen leisen Journalismus, der nachhallt und unvergessen bleibt. In seiner Arbeit schaute er auf jene, die gerne übersehen werden, die am Rande stehen.“

     

    Die Auszeichnung im Namen eines so herausragenden Journalisten heute entgegen nehmen zu dürfen ehrt mich sehr. Gatterer ist ein Mann, dem ich mich verbunden fühle und nicht allein aufgrund der Tatsache, dass wir in zwei Dörfern aufgewachsen sind, die nur ein Berg trennt Auch wenn ich wünschte, ich hätte den Text, für den ich diesen Preis erhalte, nie schreiben müssen.

    Anfangs hatte ich Bedenken, ob ich mich mit einer Veröffentlichung angreifbar mache. Ob ich hässliche Kommentare geschickt bekomme, die womöglich weitere Verletzungen nach sich ziehen. Das Gegenteil war der Fall. Nie zuvor erhielt ich auf einen Text so viele berührende Zuschriften: Handgeschriebene Briefe, Instagramnachrichten, Dutzende von Emails.

    Darunter ein Mann, dessen Schwester wenige Tage nach ihrer Geburt verstarb, was in seiner Familie immer ein Tabu blieb. 50 Jahre lang litt er darunter, ehe er ihr einen Namen gab und sie stellvertretend mit einer Tonfigur begrub. Mein Text, schrieb er, habe ihm zum ersten Mal das Gefühl gegeben, nicht allein zu sein.

    Eine Mutter schrieb mir, die ihr viertes Kind, ihren Sohn Lorenz in der 38. Schwangerschaftswoche still gebar. Seit 25 Jahren vermisst sie ihn Tag für Tag. Meinen Text werde sie denen geben, die ihre Gefühle im Hinblick auf diese Trauer besser verstehen wollen. Vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten dahingehend verbessert und doch wandten sich auch jene an mich, die durch ihre Arbeit unmittelbar mit den Trauernden konfrontiert und manchmal überfordert sind. Frauenärzt:innen, Krankenpfleger:innen, Hebammen.

  • “Verschließen Sie sich nicht vor dem Schmerz Trauernder. Lassen sie ihn zu, halten sie ihn aus. Der Wert eines Lebens wird nicht von seiner Dauer bestimmt.“

     

    Als mein Text erschien, wurde in einer deutschen Kleinstadt ein Kind still geboren. Dessen Eltern schrieben mir Tage später, sie wüssten nicht, wie sie nun weiterleben sollen. Und doch gäben ihnen meine Worte ein klein wenig Hoffnung, dass auch in ihr Leben irgendwann das Licht zurückkehren werde.

    Ich danke der Jury für ihren Mut, durch diese Wahl nicht nur meiner Tochter Hera, sondern allen Sternenkindern Sichtbarkeit geschenkt zu haben. Zum Schluss ein Appell an Sie alle: Verschließen Sie sich nicht vor dem Schmerz Trauernder. Lassen sie ihn zu, halten sie ihn aus. Der Wert eines Lebens wird nicht von seiner Dauer bestimmt. Nennen Sie die Sternenkinder, von denen Sie wissen oder die Ihnen im Laufe des Lebens vielleicht begegnen werden, ab und an bei ihrem Namen. Sie sind so sehr geliebt. Sie sind unvergessen. Ihnen widme ich diesen Preis.