Gesellschaft | Kinder

Umstrittenes Medikament

Die Vita-Landtagsabgeordnete Renate Holzeisen weist darauf hin, dass die oberste italienische Gesundheitsbehörde sich gegen eine generelle Anwendung der neue RSV-Antikörper-Impfung bei Neugeborenen ausgesprochen hat.
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Foto: Vaccinazione
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Oliver Hopfgartner Di., 05.11.2024 - 13:34

Aus ärztlicher Sicht finde ich es fragwürdig, einen Beitrag mit dieser Überschrift und Artikelzusammenfassung hinter der Paywall zu lassen, denn bei Leuten die dann nur die Überschrift lesen, bleibt der Eindruck hängen, diese "Impfung" sei vielleicht wirklich gefährlich.

Wenn man sich die Fachinformation des Impfstoffs durchliest, fällt mir als erstes auf, dass die Zahlen für Kinder mit Vorerkrankungen und Frühgeborene deutlich besser sind als für gesunde Reifgeborene.

Ich stelle mal provokant folgende Frage in den Raum: Wie viele Eltern würden 400-500 Euro für eine Impfung schützen, die rund 6 Monate wirkt und das Risiko auf eine RSV-assoziierte Hospitalisierung von 1,6% auf 0,6% senkt?

Bei Frühgeborenen ist der Effekt deutlich größer, daher profitieren insbesondere Frühgeborene von so einer Impfung. Außerdem muss gesagt werden, dass Kinder von Müttern, die vor der Geburt selbst RSV hatten (verläuft bei Erwachsenen meist wie eine Verkühlung), versorgen ihr Kind schon automatisch mit den Antikörpern, die die Kinder mit dieser Impfung erhalten.

Daher gilt wie auch bei anderen Impfungen: Man muss differenzieren und die unterschiedlichen Risikosituationen mit einpreisen. Jemand der sagt, ein solches Medizinprodukt sei für ALLE gut, ist genau so unseriös wie jemand, der Angst vor solchen Produkten schürt.

Grundsätzlich ist die Fachinformation solcher Impfstoffe immer eine gute und auch ehrliche Informationsquelle, in diesem Fall z.B. hier einsehbar: https://mein.sanofi.de/produkte/beyfortus/downloads?id=/resources/SPC/C…

Di., 05.11.2024 - 13:34 Permalink
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Profil für Benutzer Manfred Klotz
Manfred Klotz Di., 05.11.2024 - 13:58

Antwort auf von Oliver Hopfgartner

Die Impfung ist kostenlos.
Die Vereinigung der Kinderärzte und Neonatologen sowie die Stiko empfehlen die Impfung ohne Vorbehalt. Aber Holzeisen weiß es wahrscheinlich besser. Übrigens, die "japanische Studie" auf die sie sich bezieht ist eine Metaanalyse, die in der Zeitschrift Medcheck veröffentlich wurde. Eine Bewertung der Zuverlässigkeit dieses Mediums lässt sich nicht finden. Es steht auch nirgends wer die Autoren dieser Analyse sind.

Di., 05.11.2024 - 13:58 Permalink
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Oliver Hopfgartner Di., 05.11.2024 - 18:35

Antwort auf von Manfred Klotz

Keine Impfung ist kostenlos.
Der Unterschied ist nur der, dass nicht der Impfling bzw. dessen Eltern das Geld an den Hersteller überweisen, sondern beispielsweise ein Staat/eine Krankenkasse/ein Träger.
Gewisse Impfungen werden so finanziert, andere nicht.

In Österreich sind die meisten Bürger dazu bereit, alle 5 Jahre ca 40€ für eine FSME-Impfung zu zahlen, Diphterie-Tetanus-Polio-Pertussis kostet etwa 60€ und die meisten Bürger sind dazu bereit, diesen Impfstoff selbst zu zahlen und sich alle 10 Jahre impfen zu lassen.

Das sind alles verhältnismäßig günstige Impfstoffe.

HPV-, Zoster- oder auch die RSV-Impfung sind sehr hochpreisig (200-500 €).
Wenn hier also Impfprogramme finanziert werden, bringt das den Herstellern saftige Gewinne, die sie am freien Markt nicht erzielen würden. Außerdem muss man abwiegen, ob die Kosten durch die potenziellen Einsparungen gedeckt sind.

Geht diese Rechnung bei HPV oder RSV wirklich auf?

Frühgeborene haben ein fast 10%iges Risiko, durch eine RSV-Infektion ins Krankenhaus zu müssen, da ist der Kosten-Nutzen-Aspekt sicher positiv. Doch ist das bei einem normalen Kind mit etwa 1,5% risiko auch so? Denn das heißt, dass wir mit 200 Impfungen (200*480€=96000€) 3 Krankenhausaufenthalte verhindern.

Dem kann und muss man natürlich entgegnen, dass Gesundheit nicht mit Geld aufgewogen kann, allerdings musst du folgendes berücksichtigen: die medizinischen Ressourcen sind endlich, also miss man auch die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller wäre, die Impfungen für Risikogruppen gesellschaftlich zu finanzieren und die dadurch eingesparten Ressourcen nicht einem Pharmariesen zu überweisen, sondern stattdessen z.B. Programme gegen Bewegungsmangel und Übergewicht bei Kindern aufzusetzen.

Dass Infektiologen Infektprävention befürworten, ist nicht überraschend. Das Thema Medizin und Gesundheit besteht aber aus mehr als nur Infektiologie. Insgesamt gesehen sind Infekte höchstens Nummer 3 der Probleme, die wir haben. Das sollten wir nicht vergessen.

Di., 05.11.2024 - 18:35 Permalink
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Oliver Hopfgartner Di., 05.11.2024 - 20:40

Antwort auf von Manfred Klotz

Ich kann verstehen, dass du es befürwortest, wenn präventive Maßnahmen finanziert werden. Ich selbst befürworte sowas grundsätzlich ja auch. Allerdings sehe ich in meiner täglichen Arbeit halt auch, wofür das Geld dann an anderer Stelle fehlt.

Ich mache ein konkretes Beispiel: wieso zahlen "wir" 450€ + Impfhonorar und impfen ein Kind ohne Risikofaktoren, damit ein Risiko von 1,6 % auf 0,6 % gesenkt wird, während ein Pflegeheimpatient nach einer schweren Bronchitis und Schwierigkeiten beim Abhusten keine Atemphysiotherapie bezahlt bekommt?
Statistisch gesehen müssen wir zig Kinder impfen, um eine Hospitalisierung zu verhindern. Die Physiotherapie des Pflegeheimpatienten hingegen hilft direkt einem Patienten, der tatsächliche Beschwerden hat.

Ich denke nicht, dass es "dumm" ist, auf die Knappheit der Ressourcen im medizinischen Bereich hinzuweisen und entsprechend genaue Kosten-Nutzen-Abwägungen zu treffen.
Im privaten Sektor ist es egal - da bekommt jeder das, wofür die Zahlungsbereitschaft da ist. Wenn aber die öffentliche Hand entscheidet, welche Medizinprodukte, diagnostischen Tests oder Medikamente von ihr bezahlt werden und welche nicht, dann ist die Frage nach Kosten+Aufwand/Nutzen sehr wichtig, denn es geht darum, effektiv mit den vorhandenen Mitteln umzugehen.

Infektiologen und Kinderärzte in allen Ehren - die sehen die Probleme in ihrem Bereich und befürworten es natürlich, wenn im Verteilungskampf um Ressourcen etwas zu Gunsten ihrer Patienten passiert. Wer ein Gesundheitssystem führt, muss aber den Blick fürs Gesamtbild haben: Die "Infektfront" ist im "Krieg" der Medizin gegen Krankheit und für Gesundheit objektiv gesehen ein Nebenschauplatz. Daher würde ich diese Antikörper nur für Risikokinder voll bezahlen und die so eingesparten Mittel gegen die großen Killerkrankheiten (allen voran die Herzkreislauferkrankungen) einsetzen.

Daher stelle ich jetzt nochmals die polemische Frage: wenn viele Eltern nicht bereit wären, 450€ + Impfhonorar zu zahlen, um ihr gesundes (Anm: ich meine damit ohne Risikofaktoren) Kind gegen RSV zu impfen, wieso sollten wir es dann als Allgemeinheit tun? Bei 5000 geimpften Kindern (so viele werden bei uns im Jahr ca geboren) würde das etwa 2,3 Millionen Euro kosten und statistisch würde man damit etwa 50 stationäre Aufenthalte verhindern. Das sind dann 47.000€ pro verhinderte Hospitalisierung. Wie hoch sind die durchschnittlichen Hospitalisierungskosten für ein RSV-Kind?
Mein K2 war wegen RSV einige Tage stationär und der damalige Aufenthalt hat nur einige Tage gedauert. Ein Tag auf einer Kinderstation kostet durchschnittlich etwa 900-1300€, wenn man nicht versichert ist, natürlich auch abhängig von den erbrachten Leistungen.

Bei Risikogruppen geht sich diese Rechnung aus, da spart sich das Gesundheitswesen Geld durch die Finanzierung der Impfung. Ob es in Abwesenheit von Risikofaktoren auch so ist, bezweifle ich aufgrund der hier angeführten Überlegungen. Interessant wäre es, die entsprechenden Berechnungen des SSN bzw. des Sanitätsbetriebs einzusehen, die zur Kostenübernahme geführt haben.

Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen, Medizin und finanzielle Überlegungen gehören einfach zusammen, auch wenn es oft kalt und zynisch klingt. Diese Überlegungen sind aber wichtig, um zu gewährleisten, dass jene versorgt werden können, die es tatsächlich am nötigsten haben.

Di., 05.11.2024 - 20:40 Permalink