Gesellschaft | Overtourism

Der lange Schatten des Tourismus

Thomas Zelger, der Präsident der Berg-Ski und Wanderführer, hat genug vom Massentourismus. In einem Gespräch erläutert er die Gründe, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Er wirft einen etwas pessimistischen Blick in die Zukunft des Landes.
Thomas Zelger
Foto: Thomas Zelger/ facebook
  • SALTO: Herr Zelger, Sie sprachen in der Jahreshauptversammlung der Berg-und Wanderführer von einem Punkt, der erreicht worden ist. Wann war für Sie persönlich der Punkt, an dem Sie gesagt haben: „Jetzt reicht es mit dem Tourismus?“ Vielleicht auch für Ihre Kollegen?

    Thomas Zelger: Wir reden ja immer von gewissen Hotspots, das ist klar. Kollegen in Gröden und Sexten, im Pustertal, die, wenn sie nicht vor 6.00 Uhr in der Früh am Schranken sind, nicht mehr hochkommen. Wenn sie um 6:30 Uhr ankommen, schaffen sie es nicht mehr rechtzeitig an ihren Arbeitsplatz. Busse mit Vorzugslinien fahren dort offenbar auch nicht. 

    Ich selbst merke es am Sellapass, wo ich im Sommer oft unterwegs bin . Der ist praktisch mit Campern zugeparkt. Als Bergführer muss man schauen, einen Parkplatz zu finden. Dann fragt man sich: Was machen die alle da? Wenn man im Tal einen normalen Parkplatz besetzt, zahlt man bis zu 27 Euro am Tag. Wenn man Richtung Grödner Joch zum Klettern will, findet man keinen Parkplatz. Wenn ich jetzt in den Meisulestürmen klettern will, muss ich entweder vom Grödner Joch oben runter gehen oder von Plan de Gralba hoch. Das kannst du sowieso vergessen, da ist der Anstieg schon zu lang.

    Die Touristen sind Ihnen also bei  ihrer Arbeit im Weg?

    Sie wissen es ja, es gibt gewisse Leute – ich habe ja schon Parkplatz-Probleme angesprochen – es geht einfach darum, dass wir ja nicht nur Touristen hier im Land sind. Ganz normale Menschen, die auch Bedürfnisse haben und manchmal wandern oder klettern gehen wollen. Wir müssen ebenso die hohen Parkkosten zahlen wie die anderen.
    Der Tourismus wirft eben einen langen Schatten, das merken wir nicht nur bei uns Bergführern, sondern auch sonst immer mehr.

  • „Der Ursprung des Übels war das UNESCO-Weltnaturerbe-Label.“

  • Hat sich der Typus des Touristen geändert?

    Ja, die Qualität nimmt nicht zu, sondern die Quantität. Viel davon ist der Sightseeing-Tourismus, der unter den Dolomiten vorbeizieht, mit allen möglichen Fahrzeugen: vom Oldtimer über den Traktor, das Motorrad, den Porsche und was weiß ich noch alles. Teilweise schlafen diese Touristen auch auf den Berghütten. Das alles hat Ausmaße angenommen, die untragbar sind.

  • Das Sellajoch: ein Symbol für Verkehrsbelastung. Foto: Judith Egger/AVS
  • Sie haben jetzt Gröden und Sexten erwähnt, sind das die größten Hotspots? Gibt es sonst Orte, die man aufzählen könnte?

    Da gibt es zum Beispiel auch Gebiete im Rosengarten, aber vor allem sind es Orte, die mit dem Auto oder der Seilbahn leicht zu erreichen sind. Je weiter wir uns von den Hütten und Aufstiegsmöglichkeiten entfernen, desto kleiner wird das Problem, das muss man auch sagen. Die Dolomiten sind auch einfach bekannt, und auch das Hüttentrekking hat extrem zugenommen. Es ist auch einfach so, und das ist natürlich schön für die Hütten, aber gewisse Hütten sind den ganzen Sommer ausgebucht. Solche, die auf Höhenwegen liegen, da hat man kurzfristig keine Chance. Außerdem hat sich eine Unart eingebürgert, dass Agenturen Hütten den ganzen Sommer vorbuchen, weil sie wissen, dass sie den ganzen Sommer Kunden haben werden. Da haben wir keine Chance mehr. Noch ist es die Ausnahme, und ich hoffe, das macht keine Schule, aber es gibt Hütten, da kriegt man unter zwei Übernachtungen keinen Platz mehr. Wenn ich also mit einer Gruppe nur eine Nacht oben bleiben will, geht das nicht. Das sind so Tendenzen, die wir feststellen.
    Und natürlich gibt es immer mehr Agenturen, die Touren anbieten. Sie kommen mit ihren eigenen Guides und agieren international, nutzen diese Hütten dann Woche für Woche. Das ist auch ein neues Phänomen.

    Haben Sie mit der Politik schon über diese Problematiken geredet?

    Ja, der zuständige Landesrat Walcher war bei unserer Versammlung, sowohl bei den Berg- als auch bei den Wanderführern. Er hat meinen Vortrag gehört und wir haben gesprochen. Er ist sich des Problems natürlich bewusst, muss aber immer einen Bogen spannen zwischen HGV und den Tourismusgegnern. Er ist sicher in keiner leichten Position. Jetzt gilt es für die Politik, natürlich Lösungsansätze zu suchen. Das ist schwierig. Meiner Meinung nach hätte das schon vor Jahren passieren sollen

    Wo war der ausschlaggebende Fehler?

    Ich sage jetzt mal ganz salopp: Der Ursprung des Übels war das UNESCO-Weltnaturerbe-Label. Natürlich ist das erstmal ein Schutzlabel, aber im Prinzip eben vor allem ein Marketinglabel. Das muss man einfach sagen. Ob das Absicht ist oder nicht, das will ich niemandem unterstellen. De facto war das bei uns der Moment, in dem sich einfach Schleusen geöffnet haben. Man hat gemerkt, es gibt einfach Leute, die diese UNESCO-Stätten auf der Welt einfach abgrasen wollen. Schlussendlich ist der Schuss nach hinten losgegangen und war eher kontraproduktiv für ein Gebiet, das man eigentlich schützen wollte. Ich bin neugierig, wie wir in den nächsten Jahren aus der Nummer rauskommen wollen.

  • Die Seilbahnen: erzeugen die intensivsten Hotspots. Foto: Seehauserfoto
  • Wenn die Dolomiten genug zugebaut werden, wird das Verfahren für die Aberkennung des Weltnaturerbes sowieso eingeleitet.

    Genau! Das ist ja das Problem: Wir haben immer mehr Leute, was machen wir jetzt? Wir wissen ja genau, größere Straßen ziehen mehr Verkehr an. Mehr Hütten ziehen mehr Leute an. Auf diesem Fehler dürfen wir jetzt nicht sitzen bleiben. Aber es ist ja alles schon im Gange. Die Hütten rüsten alle auf, nicht alle, aber die, die es können; die anderen würden vielleicht gern. Ich sehe da nur ein Zukunftsszenario, das mir nicht unbedingt gefällt, in Richtung Nationalparks wie in den USA. Wenn man kein Permit hat im Yosemite-Park, und dort von einem Nationalparkranger aufgehalten wird, dann muss man raus, und wenn du’s nicht machst, wirst du entweder eingesperrt oder zahlst eine saftige Strafe. Ich bin eigentlich gegen solche Sachen. Aber die Zukunft wird so sein, und das ist schade. Aber der Platz ist der, der da ist, da muss es in diese Richtung gehen. Die gute Frage ist dann, wo bleiben die Einheimischen? Die anderen sind nur zwei Wochen da, vielleicht einmal im Leben. Aber wir sind das ganze Jahr hier und müssen schauen, irgendwohin fahren zu können, wenn wir dann überall Permits brauchen, als Einheimische.

    Da geht es dann immer um die Zahlen; die Frage ist, wo die ganzen großen Gewinne hängen bleiben. Da hört man immer: Ja, wir profitieren ja vom Tourismus. Ja, die einen extrem viel, die anderen weniger und die anderen gar nicht, der Großteil. Die haben nur den Dreck und den Verkehr davon. Das ist eine Milchmädchenrechnung.

  • „Dann sind eben gewisse Eintritte zu zahlen und nur eine gewisse Anzahl von Besuchern darf hinein. Heute so viele, morgen so viele.“

  • Ihr Beruf ist ja einer, der vom Tourismus abhängig ist und dabei einen höheren Stellenwert genießt als beispielsweise ein Tellerwäscher.

    Das fällt mir immer schwer. Ich will ja nicht in den Teller reinspucken, aus dem ich esse. Und bis zu einem gewissen Punkt geht es für mich auch in Ordnung. Aber man muss einfach irgendwann erkennen, dass die Grenzen erreicht sind. Es ist einfach so, dass wir in vielerlei Hinsicht Grenzen erreicht haben. Jetzt braucht es ein neues Konzept.

    Was wäre ein  Lösungs-Vorschlag, den Sie machen würden?

    Wie gesagt, man sollte sich erstmal andere Naturparks auf der Welt ansehen. Schauen, wo Idealsysteme gefunden wurden, sich daran orientieren. Dann sind eben gewisse Eintritte zu zahlen und nur eine gewisse Anzahl von Besuchern darf hinein. Heute so viele, morgen so viele. Aber der Platz für die Einheimischen muss eben noch da sein. Das ist die einzige Möglichkeit. Mit der Werbung müssen wir zurückfahren, ich glaube, man wird uns schon nicht vergessen. 
    Wir brauchen keine Werbung. Wir sind einzigartig. Wenn morgen zwei oder drei weniger kommen, sind wir doch eher dankbar als unglücklich. Manche sehen das Glas vielleicht halb voll, andere halb leer, aber jeder Realist, der etwas herumkommt, merkt, glaube ich, dass vor allem das Verkehrsaufgebot, das mit dem Tourismus zusammenhängt, nicht mehr tragbar ist. Das ist jetzt meine Meinung, aber ich habe bei unserer Versammlung gesehen, dass ich großen Rückhalt genieße, sei es von den Wander- oder den Bergführern.

  • Thomas Zelger

    Geboren im Jahr 1972, lebt er mit seiner Familie in Völs am Schlern. Nach dem Studium der Politikwissenschaften und einer Ausbildung zum Sportklettertrainer für den Nachwuchs schloss er 2007 die Prüfung zum staatlich geprüften Berg- und Skiführer ab. Seitdem ist er freiberuflich als Bergführer tätig. Im Jahr 2022 wurde er zum Präsidenten der Berg- und Wanderführer Südtirols gewählt.

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K V

Der Tourismus entzieht nicht nur den Einheimischen den Lebensraum sondern fährt sich selbst gerade an die Wand.
Immer schön weiter am eigenen Grab schaufeln!

Mo., 18.11.2024 - 07:32 Permalink

Danke, Thomas Zelger !

Es braucht eine Korrektur in der antrainierten Gleichgültigkeit:
Schluss mit der IDM !
Keine internationalen Sport-Großveranstaltungen im Land mehr !
Schluss mit den öffentlichen Diskursen und der Lüge vom Inseldasein Südtirols, während einige wenige wirtschaftliche Eliten progressiv vom sektoralen und betriebswirtschaftlichen Wachstum profitieren.

Mo., 18.11.2024 - 09:58 Permalink

Komplimente Thomas Zelger (wir kennen uns eh) hier redet endlich einer "Tacheles", ganz schön mutig!! Der Berg- und Schiführerverband kann etwas stolz auf ihren "Präsi" sein! Hut ab und man sollte Thomas Zelger auch etwas unterstützen, damit er nicht alleine wie ein begossener Pudel dasteht. Alle denken sich´s und keiner getraut sich das Maul auf zu machen! Bravo Thomas und danke für deinen MUT, in diesem hl. Land die Dinge beim Namen zu nennen! Beste Grüße, hanso, SARNTAL 👍🦋

Mo., 18.11.2024 - 11:20 Permalink
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Stereo Typ

Der Massentourismus wirkt wie eine Droge. Wer einmal die Strukturen geschaffen hat und in seinem Hotel (seinen Hotels) unzählige Touristen beherbergt, kommt davon nicht mehr los. Man spielt plötzlich in einer ganz anderen Liga: Viel Umsatz in kurzer Zeit, Ansehen in der Bevölkerung, Luxus, den man sich nun leisten kann und den man nie erträumt hat. Urlaub in Übersee usw.
Verstopfte Straßen, der Run auf die Berge, überteuerte Preise werden dafür gerne in Kauf genommen. Und das Sahnehäubchen: Weil man den Overtourismus ins Land geholt hat (durch sehr viel Werbung) und Wohnen nicht mehr leistbar ist, greift man nun auf die Zweitwohnungen der Einheimischen zu.

Mo., 18.11.2024 - 12:05 Permalink

Danke für die klaren Worte, Hr. Zelger.

Zwei kleine Vorschläge hätte ich: Vielleicht fängt man einmal "klein" an und schließt die Dolomitenpässe für den motorisierten Individualverkehr, z.B. von 8:00 bis 17:00, ausgenommen jene, die fahren müssen, Berufsverkehr, Pendler etc. Ein Shuttledienst mit kurzen Intervallen (30 Minuten z.B.) könnte die Bringung und Abholung zu und von den Pässen und Ausgangspunkten zu den Klettereien, Wanderungen, etc. erledigen. Kostenlos für alle, finanziert z.B. durch eine höhere Nächtigungsabgabe. Damit werden vielleicht die Klettereien auf den strassennahen Wänden - und das sind in den Dolomiten ja viele - wieder machbar, ohne Risiko eines Gehör- und/oder Nervenschadens.

Und zweitens: Kein campieren mehr auf den Pässen!

Damit wäre ein ziemlicher Teil des ganzen Rummels in den Dolomiten erledigt. Die Passstraßen sind ja mittlerweile zu "Rennstrecken mit Aussicht" degeneriert. Auf die Erfahrung auf dem Rennrad einem um die Kurve driftenden Supercar zu begegnen kann ich gerne verzichten, auch auf den Gestank einer Camping Toilette, die mal ganz leger auf die Böschung entsorgt wird. Beides selbst erlebt!

Mo., 18.11.2024 - 15:43 Permalink

Ich vermute, mit "Sexten" sind die Drei Zinnen gemeint. Deren Zugang MIT DEM AUTO hat aber mit Sexten nichts zu tun, sondern mit Auronzo. Abgesehen von Auronzo ist mit dem solcherart geregelten Zugang dort wohl keine andere Anrainergemeinde glücklich.
Dort oben funktioniert sehr vieles nicht, wie es sollte.

In Sexten Fischleintal gab es aber nie jene Exzesse. Woran der öffentliche Nahverkehr - vor allem für die Wanderführer*innen am Talschluss/Fischleintal scheitert, ist die ungünstige Taktung. Der Bus müsste früher dort sein, um ausgedehnten Wanderungen entgegenzukommen.

Mo., 18.11.2024 - 18:19 Permalink

Kompliment Hr. Zelger. Ich denke, wenn diese Worte von einem Präsidenten einer grossen Interessensgemeinschaft wie Ihrer kommt, wiegen die Worte viel mehr, als wenn sie von südtiroler Bürgern, von passionierten Wanderern kommen.
Die Werbung bezogen auf Äpfel, Speck und dem Land Südtirol, bezahlt aus dem Steuertopf unserer Leittragenden, sollte eher Geschichte sein.
Aber????? Eine kleine Gruppe sind die Profiteure, wie Sie richtig sagen
und viele dürfen einen hohen Preis zahlen, sie werden leider ignoriert!

Mo., 18.11.2024 - 18:49 Permalink