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Gesellschaft | Sprache in Südtirol

Standardsprache und Dialekt

Eine nicht wissenschaftliche Stellungnahme zur laufenden Diskussion um den Abgeordneten Hannes Rabensteiner, der durch einen in vollem Dialekt gesprochenen Redebeitrag im Landtag aufgefallen ist.

Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Bergsprache
Foto: Sigmund Kripp
  • Zur Zeit der Entstehung des Germanischen ab 500 v.Ch.  gab es verschiedene Dialekte bzw. Regionalsprachen, wie Westgermanisch, Ostgermanisch, Nordgermanisch.

    Aus dem Westgermanischen entsteht unser heutiges Deutsch, wobei der deutsche Sprachraum großräumige Hauptvarianten (Hochdeutsch, Niederdeutsch), aber auch viele kleinräumige Dialekte aufweist. Aus Hoch- und Niederdeutsch entsteht ab 750 Althochdeutsch, danach Mittelhochdeutsch, ab 1350 Frühneuhochdeutsch und endlich ab 1650 Neuhochdeutsch.

    Mit Luther und seiner gedruckten Bibel, die im ganzen deutschen Sprachraum verbreitet wird, beginnt eine Vereinheitlichung des Deutschen in Richtung einer Standardsprache.

    Der Entschluss, eine „Einheitssprache“ anzuwenden und zu verschriftlichen, beruht aber meist auf politischen Entscheidungen eines Herrschers oder einer Regierung.

    Es entsteht eine Amts- bzw. Kanzleisprache, die präzise ist und alle Bereiche des menschlichen Lebens abdeckt und somit einer zentralen Gebietsverwaltung dienlicher ist, als viele unterschiedliche Dialekte, denen die Verschriftlichung fehlt!

    Mit dieser „Hochsprache“ ist auch die Formulierung von Wissenschaft möglich; etwas, das der Dialekt einfach nicht kann, weil er einen zu kleinen, oft regional begrenzten Wortschatz hat. Infolgedessen die Formulierung eines Wissenschaftlichen Textes nur einem kleinen, regionalen Kreis von Deutschsprechern verständlich wäre! Sprache muss in der Lage sein, Probleme zu lösen, dafür braucht sie ein großes Register an Begriffen, die allgemein und geografisch weiträumig anerkannt sind und verwendet werden.

    Mit einer allgemeinen Standardsprache können auch Gesetze präzise und zweifelsfrei formuliert werden, was ja Grundbedingung ihrer Wirksamkeit ist. Gerade wir in Südtirol leiden heute schon oft unter schlecht geschriebenen Gesetzestexten!

    Denn das Hauptproblem ist: Dialekt hat keine geregelte Schreibweise!

    Wenn nun aber in Südtirol der Dialekt zur Hauptsprache werden sollte (was er de facto schon ist, weil 99% aller Kommunikation unter den Menschen in Dialekt erfolgt), wird das Italienische umso mehr zur Referenzsprache, so wie es ja heute schon bei Gesetzestexten ist: Im Zweifelsfall gilt der Italienische Text! Diese dann verbleibende deutsche Regionalsprache würde auch Zugewanderten – die ja nach Europa kommen wollten und nicht unbedingt Südtirol als Ziel hatten – als uninteressant für ihr Weiterkommen erscheinen und sie würden sich, sollten sie die italienische Staatsbürgerschaft erhalten, noch mehr als bisher – und erst recht - der italienischen Sprachgruppe angliedern! Was hätte es für einen Sinn, sich sprachlich dem schwer verständlichen Dialekt eines Alpenvolkes anzugliedern? 

    Der Rückgang des Anteils an deutscher und ladinischer Bevölkerung bei der letzten Volkszählung spricht hier für diese Annahme.

     

    Was Hannes Rabensteiner im Landtag aufführt, ist ein „stolzes“ Darstellen seiner Identität (was auch immer er darunter versteht) um jeden Preis! Es ist eine ideologische Anwendung und gleichzeitig Überhöhung des Dialektes, als wäre dieser etwas besonders authentisches und Wertvolles, sozusagen das einzig Wahre!  Es geht ihm nicht um den Landtag, das höchste politische Gremium unseres Landes mit seiner gesetzgebenden Funktion, sondern um reine Stimmungsmache und eine Exklusion jener, die nicht seinen knorrigen Dialekt verstehen. Es ist auch ein Affront gegenüber den anderen Abgeordneten, deren Muttersprache eine andere ist. 

    Und nun zur eigentlichen Aufgabe Rabensteiners im Landtag: Er soll doch bitte einmal versuchen bzw. den Beweis erbringen, in seinem Dialekt ein Gesetz unmissverständlich und klar zu formulieren! Wenn aber Dialekt auch im Landtag zum Standard wird: Wie soll dann in Zukunft gute Gesetzgebung herauskommen?

    Für mich stellt sich diese neue Dialektwelle daher als eine Gefahr für uns als österreichische Minderheit im zentralistischen und nationalistischen Staat Italien dar! Wenn wir den Anschluss an unser Standardösterreichisch verlieren, verlieren wir auch Sprachkompetenz und Relevanz. Relevanz vor allem als deutschsprachige Minderheit in Italien. Die italienische Variante eines (Gesetzes)Textes wird noch mehr dominieren, als es heute oft schon der Fall ist.

    Dialekt bei politischen Versammlungen oder im Privatbereich ja; aber im offiziellen Rahmen von Schule, Wissenschaft und Politik, wo es auf die Präzision und Verständlichkeit von Formulierungen ankommt, muss uns als SüdtirolerInnen die Verwendung einer (österreichischen) Standardsprache ein besonderes Anliegen sein und bleiben! 

     

     

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Luca Marcon Mo., 23.12.2024 - 10:40

Für einen nicht unerheblichen Teil der Südtiroler Bevölkerung ist der Dialekt heute ein wesentlicher Bestandteil der kollektiven Identitätsbildung. Und als solches ist er im Begriff, unauslöschlich zu werden. Die Gründe für eine solche Identitätsmarkierung sind vielfältig, beruhen aber in unserem Fall vor allem auf der narrativen Konstruktion der unterdrückten Minderheit und dem daraus resultierenden Anspruch auf eine sozusagen spezifische Sprache, die das institutionelle italienisch-deutsche „Paar“ ablehnt. Mit anderen Worten: Es ist kein Zufall, dass diese Forderungen von den extremsten Rändern der politischen Repräsentation kommen, nämlich von den rechten Sezessionisten.

Mo., 23.12.2024 - 10:40 Permalink
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Evelin Grenier Mo., 23.12.2024 - 15:52

Secondo me ogni essere umano ha il diritto di parlare la propria lingua madre e nessuno ha il diritto (morale) di vietarglielo o farlo sentire discriminato per questo.

Ci sono molte persone che vivono la loro vita da monolingue e sono felici così.
Ci sono molti italiani che parlano la lingua che hanno imparato in famiglia per tutta la vita e stanno bene così.
Ci sono molti sudtirolesi che parlano la lingua imparata in famiglia (dialetto) e stanno anche loro bene così.

Entrambi i gruppi, sia gli italiani monolingue che i sudtirolesi monolingue meritano rispetto.

Mo., 23.12.2024 - 15:52 Permalink
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Elisabeth Garber Mo., 23.12.2024 - 17:15

Man kann lesen was man will, E. Grenier schreibt die objektivsten und wahrhaftgsten Kommentare zum Thema. Wahrscheinlich liegt das daran, dass diese Userin ideologisch keinem engen Blickwinkel verfallen ist. Respekt!

Mo., 23.12.2024 - 17:15 Permalink
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Profil für Benutzer Harald Knoflach
Harald Knoflach Mo., 23.12.2024 - 20:40

Lieber Sigmund, ich stimme dir zu, dass die Standardsprache für Wissenschaft und Legislative bedeutsam ist und dass es den Anschein hat, dass Rabensteiner auf Biegen und Brechen auf etwas beharren möchte. Wenngleich ich mir nicht sicher bin, wie leicht/schwer es ihm fällt, Standarddeutsch zu sprechen.
In einigen anderen Punkten vermengst du meines Erachtens aber Dinge, die nichts miteinander zu tun haben.

"Mit einer allgemeinen Standardsprache können auch Gesetze präzise und zweifelsfrei formuliert werden, was ja Grundbedingung ihrer Wirksamkeit ist."
Kein Mensch hat gefordert, dass Gesetze im Dialekt verfasst werden.

"Gerade wir in Südtirol leiden heute schon oft unter schlecht geschriebenen Gesetzestexten!"
Auch das liegt nicht am Dialekt, sondern an der mangelnden Sprachkenntnis und der Schwierigkeit für italienische Spezifika die entsprechenden Begriffe zu finden. Jemand, der Dialekt beherrscht ist nicht notwendigerweise schlecht in Standarddeutsch und umgekehrt.

"Denn das Hauptproblem ist: Dialekt hat keine geregelte Schreibweise!" Dieser (korrekte) Umstand ist in Zusammenhang mit der gegenwärtigen Diskussion völlig irrelevant, da ja niemand fordert, dass Texte im Dialekt verfasst werden, sondern es lediglich um einzelne Wortmeldungen im Landtag geht.

"wird das Italienische umso mehr zur Referenzsprache, so wie es ja heute schon bei Gesetzestexten ist: Im Zweifelsfall gilt der Italienische Text!"
Das hat absolut gar nichts damit zu tun. Das rührt von der nationalstaatlichen Logik her und der de facto "Nichtgleichstellung" der Sprachen in Südtirol. Selbst wenn wir alle ausschließlich Standarddeutsch sprechen würden und alle Gesetzestexte in perfektem Deutsch verfasst wären, würde das Primat des Italienischen gelten.

"sie würden sich, sollten sie die italienische Staatsbürgerschaft erhalten, noch mehr als bisher – und erst recht - der italienischen Sprachgruppe angliedern!"
Die Integration von Zuwanderern hängt doch nicht davon ab, in welcher Sprache oder in welchem Dialekt einzelne Mandatare im Landtag sprechen.

Mo., 23.12.2024 - 20:40 Permalink