ÖVP will Kickl als Kanzler akzeptieren
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Nach einem turbulenten Polit-Wochenende trotz Feiertag musste FPÖ-Chef Herbert Kickl zwar auf dem Weg zum Bundespräsidenten an ein paar Hundert Demonstranten am Wiener Ballhausplatz vorbei, konnte allerdings nach dem einstündigen Gespräch mit Van der Bellen hochzufrieden, mit dem Auftrag zur Regierungsbildung mit der ÖVP in der Tasche, davon eilen.
Van der Bellen begründete seinen Schritt mit der Notwendigkeit einer handlungsfähigen Regierung, dem Scheitern anderer Koalitionsbemühungen und dem Wegfallen des ÖVP-Vetos gegen Kickl als Kanzler. Also werden FPÖ und ÖVP jetzt verhandeln. Er habe sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, so Van der Bellen – und er werde auf die Einhaltung der Verfassung und Rechtsstaatlichkeit achten.
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Die 180-Grad-Wende der ÖVP
Nachdem die Freiheitlichen bei der Nationalratswahl im September mit 28,8% der Stimmen stärkste Partei des Landes geworden waren, bemühten sich ÖVP, SPÖ und NEOS um eine Koalition. Gemeinsam waren ihnen allerdings nur zwei Ziele: 1. Herbert Kickl als Kanzler verhindern, 2. selbst regieren – oder umgekehrt.
Erstaunlicherweise schossen im Wahlkampf Karl Nehammer und sein ÖVP-Team am lautesten und schärfsten gegen Kickl – und zwar gegen ihn als Person. Mit der FPÖ könne man sich eine Zusammenarbeit schon vorstellen, nicht jedoch mit dem Parteiführer. Kickl sei unzuverlässig, nicht paktfähig, spalte durch seine Hetzreden gegen „das System“, die Regierung, die anderen Parteien und gegen die EU und habe schon als Innenminister unter Kanzler Kurz bewiesen, dass er ein Risiko für die Demokratie darstelle. Umso erstaunlicher ist, dass jetzt die rechte Hand Nehammers, Christian Stocker, zum neuen ÖVP-Chef gemacht wurde und die Verhandlungen mit Kickl über eine gemeinsame Regierung leiten soll.
„Die Wirtschaft“ hat sich durchgesetztWas war geschehen? Schon unmittelbar nach der Wahl im Herbst und während der wochenlangen Koalitionsbemühungen mit SPÖ und NEOS machte „die Wirtschaft“ – also Wirtschaftsbund, Industriellenvereinigung, Banken, Bauernbund etc. – spür- und hörbar Druck, die ÖVP solle doch lieber mit den Freiheitlichen koalieren, selbst wenn sie dafür in die Rolle des Juniorpartners degradiert werde. Die FPÖ sei einfach „wirtschaftskompatibler“ als die NEOS mit ihrem Reformeifer und vor allem die mit Andreas Babler deutlich nach links gerückte SPÖ.
Als erste das Handtuch geworfen und sich aus den Koalitionsverhandlungen zurückgezogen haben zwar die NEOS. Begründung: beide anderen Parteien seien zu keinen einschneidenden Reformen bei Bildung, Föderalismus, Pensionen und Budgetsanierung bereit. Doch nur 24 Stunden später rollte schon der Kopf Nehammers.
„Doch nur 24 Stunden später rollte schon der Kopf Nehammers.“
Die Wirtschaft wollte die „klassenkämpferischen“ Forderungen Bablers – eine Sonderabgabe der Banken, die rund 30 Milliarden Nettoprofitte in drei Jahren eingestrichen haben, nein zur Pension erst ab dem 67. Lebensjahr, vermögensbezogene Steuern – gar nicht weiter diskutieren.
Festung Österreich und Vorbild OrbanWas die Wirtschaftskreise erstaunlicherweise weniger stört, sind die Pläne Herbert Kickls zum radikalen Umbau der Republik und seine internationalen Bündnispartner. Nur wenige Wochen nach den Wahlen zum EU-Parlament im Juni 2024 hoben in Wien Kickl, Ungarns Viktor Orban und Andrej Babis – Milliardär und als Anführer der nationalpopulistischen Bewegung ANO ehemaliger Regierungschef Tschechiens – das neue Parteienbündnis „Patrioten für Europa“ aus der Taufe.
Die „Patrioten“ bilden mit 84 Abgeordneten aus zwölf Ländern inzwischen die drittstärkste Fraktion im EU-Parlament. Zu den wichtigsten Mitgliedern zählen neben der FPÖ, Orbans FIDESZ und ANO der Rassemblement National von Marine Le Pen, Salvinis Lega, die PVV Geert Wilders, Belgiens Vlaams Belang, die spanischen Franco-Nostalgiker VOX. Nur die AfD wurde von den Franzosen wegen der Verharmlosung der SS abgelehnt, was Kickl natürlich nicht daran hindert „brüderliche“ Beziehungen zu den deutschen Kameraden zu pflegen.
Neben einer „Rückbildung“ der EU auf eine reine Wirtschaftsunion und der Losung „unsere Nation zuerst“ gehört die Putin-freundliche Ausrichtung, inklusive Ablehnung sämtlicher Sanktionen gegen Moskau, zum vereinenden Grundkonsens der „Patrioten“.
Umbau der RepublikIn der Regierung mit der ÖVP war die FPÖ ja schon zweimal, im Jahr 2000 unter Kanzler Wolfgang Schüssel und 2017 mit Sebastian Kurz. Aber vor 25 Jahren musste Jörg Haider aus Rücksicht auf die europäische Kritik noch akzeptieren, selbst kein Ministeramt zu bekleiden, so wie derzeit Geert Wilders in den Niederlanden. H.C. Strache musste als Vizekanzler nach dem famosen Ibiza-Video zurücktreten und Kurz bat den Bundespräsidenten gar, Herbert Kickel seines Amtes zu entheben. Der Innenminister hatte in einer überfallsartigen Polizeirazzia gegen den eigenen Geheimdienst BVT unter anderem sämtliche Daten über die extreme Rechte beschlagnahmt und damit die Kooperation mit sämtlichen westlichen Geheimdiensten erschüttert.
Herbert Kickl hatte zwar schon als Redenschreiber für Jörg Haider das gesamte Repertoire fremdenfeindlicher und nationalpopulistischer Slogans geprägt, aber unter seiner Parteiführung seit dem tiefen Fall Straches ist die FPÖ nochmal radikaler geworden.
Wenn früher in Sachen Migration gegen „zu viele Ausländer“ geschimpft wurde, spricht Kickl von einer „Völkerwanderung“, sympathisiert mit den Identitären und ihrer These des „großen Bevölkerungsaustausches“ und fordert neben „Null Einwanderung“ lauthals eine Politik der „Remigration“, also der massenhaften Ausweisung inklusive Aberkennung der Staatsbürgerschaft für straffällig gewordene Bürger mit Migrationshintergrund. Flüchtlingskonvention und Menschenrechtserklärung sollten dementsprechend abgeändert werden.
Auch die österreichische Verfassung möchte Kickl per Volksabstimmung so verändern, dass sich Österreich gegen „Übergriffe“ der EU, des Weltklimarates oder der WHO wehren könne. Denn das ist die neue Qualität der Kickl-FPÖ im Unterschied zu Jörg Haiders Zeiten. An die Stelle deutschnationaler, oft antisemitischer und autoritärer Propaganda ist bei Kickl der Kampf gegen die „Globalisten“ getreten. Demnach gibt es weltweit ein Netzwerk von Lobbys und dunklen Mächten, die gezielt ihre Herrschaft ausbauen und sämtliche traditionellen Werte sowie die Autonomie der Völker untergraben wollen.
Besonderen Erfolg hatte die FPÖ mit diesen Verschwörungsmythen während der Corona-Pandemie. Bis heute wirft Kickl der Regierung, der Wissenschaft und den Medien vor, während der Pandemie in Österreich eine „Impfdiktatur“ errichtet zu haben. Als links-ideologische Instrumente würden die Globalisten den „woken Genderwahnsinn“, den „Klimakommunismus“ und natürlich die „Lügenpresse“ einsetzen.
Deshalb würde die FPÖ, sofern an der Macht, den ORF und die Medienförderung in ihrem Sinne reformieren, eine „Meldestelle gegen politisierende Lehrer“ einführen, ebenso eine Liste in der Freimaurer namentlich genannt werden. Abgeschwächt möchte die FPÖ auch den derzeitigen Gesetzesparagraphen zur Bestrafung von Verhetzung wissen, weil damit nur rechte Meinungen und Politik kriminalisiert würden. Insgesamt werde die FPÖ die Republik „ausputzen“, versprach Kickl im Wahlkampf.
Wie weit wird die ÖVP gehen?Einfach werden die Koalitionsverhandlungen keinesfalls, vor allem für die ÖVP. In fünf Bundesländern von neun regieren die Blauen schon mit der ÖVP, in der Steiermark stellen sie mit Mario Kunasek sogar erstmals seit Jörg Haider einen Landeshauptmann. Allerdings sind Kompromisse im Bereich der Regionalpolitik wesentlich einfacher zu finden als auf Bundesebene.
Seit zwei Jahren befindet sich besonders die österreichische Industrie in einer Rezession, die Arbeitslosenzahlen steigen und nach Pandemie, Ukrainekrieg, Energieengpass und hoher Inflation hat die Vorgängerregierung Staatsschulden von 18 Milliarden Euro hinterlassen – 6 Milliarden müssten allein in diesem Jahr eingespart werden. Ein EU-Defizitverfahren droht und beide Parteien haben versprochen, keine Steuern erhöhen zu wollen. Also wird das Tauziehen um Kürzungen der öffentlichen Ausgaben ein harter Brocken werden.
„Festung Österreich, Protektionismus und tägliche Anti-Ausländerhetze werden weder der Ansiedlung von Betrieben in Österreich dienlich sein, noch der Anwerbung hochqualifizierter Fachkräfte.“
Zudem kann man gespannt sein, wie die Vertreter jener Wirtschaftsbranchen, die vom Export leben, mit der aggressiven Anti-EU-Haltung der Kickl-FPÖ zurecht kommen wollen. Festung Österreich, Protektionismus und tägliche Anti-Ausländerhetze werden weder der Ansiedlung von Betrieben in Österreich dienlich sein, noch der Anwerbung hochqualifizierter Fachkräfte.
Die Angst vor NeuwahlenHerbert Kickl ist im anstehenden Koalitionspoker eindeutig in der Position der Stärke. In den verschiedenen Meinungsumfragen hat die FPÖ seit den Septemberwahlen zwischen 6 – 7% auf mindestens 35% zugelegt. Vorgezogene Neuwahlen – und somit wiederum monatelanger Wahlkampf und Stillstand ohne handlungsfähige Regierung – könnten wohl auch der FPÖ bei gewissen Teilen ihrer Wählerschaft Enttäuschung bescheren. Trotzdem blieben die Freiheitlichen die bei weitem stärkste Partei, während die ÖVP alternativlos dastünde. Also ist sie zum Erfolg der Verhandlungen verurteilt. Um welchen Preis?
Wenn nur Kickl das Problem…
Wenn nur Kickl das Problem wäre: Es gibt Schlimmeres...
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Lob für einen Nationalsozialisten disqualifiziert Rosenkranz
Einst lobte FPÖ-Politiker Walter Rosenkranz einen Nationalsozialisten, jetzt soll er Nationalratspräsident werden. Und so grotesk kann es hierzulande sein: Er würde damit auch Vorsitzender des Kuratoriums des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus.
https://www.derstandard.at/story/3000000241923/ein-nationalsozialist-al…
Antwort auf Wenn nur Kickl das Problem… von Luca Marcon
Genau Sie, Herr Marcon,…
Genau Sie, Herr Marcon, sollten vor der eigenen Türe kehren. Mit Meloni, La Russa und noch vielen anderen mehr und den ständigen Huldigungen Mussolinis gibt es für Italien genug zu tun ...
Sehr geehrter Herr Marcon,…
Sehr geehrter Herr Marcon, ich danke Ihnen herzlichst für Ihren Beitrag.
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