Politik | Landesregierung

„Was ist rechts?“

Ist die SVP links? Oder rechts? Und was ist mit den Fratelli d'Italia? Landeshauptmann Arno Kompatscher über Moral, Ideologie und das Akzeptieren von anderen Meinungen.
LH Arno Kompatscher
Foto: LPA/Fabio Brucculeri
  • SALTO: Herr Landeshauptmann Kompatscher, trotz aller Unkenrufe und Rücktrittsforderungen, wie aktuell an Wirtschaftslandesrat Marco Galateo, – die Zusammenarbeit in der Regierung funktioniert?

    Landeshauptmann Arno Kompatscher: Wir haben nicht diese Regierungskoalition gebildet mit dem Vorsatz, dass wir dann alle die gleichen Ansichten teilen müssen – dann wären wir ja alle bei der gleichen Partei. Für Außenstehende mag das vielleicht nicht einfach sein, nachzuvollziehen, aber Politik besteht nun einmal darin, auch mit Menschen zusammenzuarbeiten, mit denen man zu einigen – auch sehr wichtigen – Punkten völlig unterschiedlicher Meinung ist. Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir bei bestimmten gesellschaftspolitischen Fragen die Ansichten von Fratelli d'Italia absolut nicht teilen. Und ich bin mir bewusst, dass sich einige fragen, weshalb wir diese Koalition eingegangen sind.

  • Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Autonomie

    Während der vergangenen zwei Wochen haben die Mitglieder der Landesregierung im Rahmen der Mediengespräche eine Rückschau über das vergangene Jahr gehalten und gleichzeitig einen Ausblick über die geplanten Maßnahmen gegeben. Als Letzter im Bunde war gestern (21. Februar) Landeshaupmann Arno Kompatscher an der Reihe, in dessen Fokus die Themen Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Autonomie standen.

  • Nun, weshalb?

    Politik funktioniert nun einmal so, und zwar weltweit. Am Ende zählen die Mehrheiten und ich glaube, dass es bisher gut funktioniert hat. Die Tatsache, dass wir bei der Ausarbeitung des Regierungsprogramms hart miteinander gerungen haben, wie beispielsweise beim Thema Schule, hat sich am Ende ausgezahlt. Es bleiben zwar die unterschiedlichen Auffassungen, aber das geschriebene Wort steht und gibt vor, wie wir mit einem bestimmten Thema umzugehen haben. Das heißt aber nicht, dass wir uns plötzlich aufeinander zubewegen. Wir werden uns nicht nach rechts bewegen, und sie wahrscheinlich auch nicht in unsere Richtung. 

  • Wirtschaftslandesrat Marco Galateo (FdI): Bei bestimmten gesellschaftspolitischen Fragen gehen die Ansichten von SVP und Fratelli d'Italia weit auseinander. Am Ende, so Landeshauptmann Arno Kompatscher, zählen jedoch die Mehrheiten. Foto: Dalla Serra/SALTO

    Dagegen steht die Forderung der „Gesellschaft“ an die Politik, moralisch und ethisch richtig zu handeln.

    Diese Ansprüche gibt es. Wir haben aber bereits gesehen, dass das in der Kirche nicht funktioniert und für die Politik gilt dasselbe, weil – letztendlich sind wir alle nur Menschen. Natürlich stellt man an ein hohes Amt auch einen hohen Anspruch. Interessant ist aber die Forderung, dass die Politik ideologisch handeln müsste, und „richtig“ ist in dieser Logik dann das, was das eigene Empfinden sagt. Diese Unversöhnlichkeit und dieses Nicht-Akzeptieren-Wollen von unterschiedlichen Auffassungen spürt man immer stärker – und ich beziehe mich dabei nicht auf Themen, die außerhalb der Verfassung stehen – hier bin ich ebenfalls unversöhnlich. Wer sich aber innerhalb des Verfassungsbogens bewegt, kann auch eine andere Meinung haben. Was aber immer deutlicher zutage tritt, ist diese völlige Unfähigkeit zum Dialog. Diese nimmt zu und läuft auf die Konfrontation „Gut gegen Böse“ hinaus, und zwar bei allen Beteiligten. Die einen sind dann links-grün versiffte Spinner und Träumer, die anderen rechtsradikale Idioten. Sowohl die Sprache als auch die Positionierungen werden radikaler, selbst zwischen jenen, die sich innerhalb des Verfassungsbogens bewegen. Man sollte eigentlich wieder dort hinkommen, wo man eine andere Meinung akzeptieren kann, auch wenn man sie nach wie vor für falsch hält. 

     

    „Wer sich aber innerhalb des Verfassungsbogens bewegt, kann auch eine andere Meinung haben.“

     

    Ein gutes Beispiel dafür sind die deutsche Innenpolitik und bevorstehenden Wahlen, die ihren Schatten bis nach Südtirol werfen. 

    Es gibt bei uns auch Tifosi der AfD, und zwar nicht wenige. Sie behaupten, dass der amerikanische Vizepräsident JD Vance recht hat und die Meinungsfreiheit unterdrückt wird – und was passiert? Das Nazi-Etikett wird draufgeklebt. Es gibt aber auch welche, die fordern, dass man ihnen nicht einmal einen Fernsehauftritt erlauben darf. Nicht falsch verstehen – bei einigen sollte man tatsächlich aufpassen, weil es ansonsten wirklich gefährlich wird. Und in Südtirol spielen sich nun ähnliche Dinge ab. Das haben wir letzthin bei der Gauland-Debatte erlebt. Man kann immer darüber diskutieren, was richtig oder falsch ist. Dann sprang aber jemand auf und kritisierte, dass ein Gast aufgrund seiner politischen Gesinnung nicht willkommen war und dann wurde ihm ebenfalls ein Nazi-Etikett aufgeklebt. Hier sage ich: Moment, bitte alle wieder ein paar Gänge herunterschalten und komplexe Sachverhalte in ihrer Komplexität einfach mal stehen lassen. Also abwägen: Vor- und Nachteile, kritischer Aspekt und weniger kritischer Aspekt. Auch hier merken wir diese Frontenbildung. 

  • Landeshauptmann Arno Kompatscher: „Das Einzige, was man tun kann, ist, sich nicht selbst so zu verhalten.“ Foto: LPA/Fabio Brucculeri
  • Im Zuge der Aufforderung an die SVP, sich zu positionieren, hieß es in der Pressemitteilung der Partei, dass man sich nicht „treiben lassen will“. Inwieweit hat die Politik das noch in der Hand? 

    Wir sollten uns wenigstens darum bemühen, diese ausgleichenden Positionen der Mitte zu halten. Und eine Position, in der man den Dialog sucht. Das heißt ja nicht, dass man seine Position aufgibt. Dieses Ausschließen und die Vorstellung, dass man die Wahrheit gepachtet hat, das stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Ob man es in der Hand hat? Das Einzige, was man tun kann, ist, sich nicht selbst so zu verhalten. Bei allem Gegenwind und bei allen Schwierigkeiten zu versuchen, seine Position zu halten und zu betonen, welche Wertehaltung man vertritt. Lasst uns reden! Und versuchen wir nicht, Leute auszugrenzen, Leute abzuurteilen – denn dann werden sich die Fronten nur noch mehr verhärten. Ob man es dadurch lösen kann, ist die große Frage. Ich hoffe, dass es uns gelingt, das Vertrauen wiederherzustellen und den Respekt – auch vor der Institution als solcher. Es ist absolut legitim, einen Beschluss zu kritisieren – das gehört zur Demokratie, aber deswegen darf nicht die Institution infrage gestellt werden. Diese Tendenz zeigte sich sehr stark während der Corona-Pandemie, und das müssen wir überwinden. 

    Wie?

    Das wird nur gelingen, indem man möglichst gute Arbeit liefert. 

    Das Pendel schlägt nach rechts – überraschend daran ist vor allem mit welcher Geschwindigkeit.

    Wobei die Frage ist: Was ist rechts? Oder was ist links?

  • Afd-Politiker Alexander Gauland: Die deutsche Innenpolitik wirf ihre Schatten bis nach Südtirol, wie letzthin die „Gauland-Debatte“. Foto: Deutscher Bundestag/Achim Melde

    Nicht auf die Extreme gemünzt.

    Das Pendel schlägt meiner Meinung nach sehr stark in Richtung Vereinfachung und Populismus. Viele Formeln, die auch von Rechten gebracht werden, kommen unter dem Deckmantel der Sozialpolitik daher. Interessant ist, dass die Rechten gegen die Politik da oben schimpfen und sich meistens gleichzeitig als Sozial-Revolutionäre verkaufen. 

    Die SPD in Deutschland macht es der AfD und anderen Gruppierungen allerdings auch sehr einfach und überlässt ihnen die Themen Arbeit und Soziales.

    Das ist ein Vorwurf, den auch ich immer wieder im Gespräch mit österreichischen oder deutschen Sozialdemokraten vorbringe. Es ist ein Fehler, Debatten zu führen, die nur eine kleine Gruppe von Menschen betreffen und hier die Schwerpunkte zu setzen, wobei sie ja auch richtig und wichtig sind, wie beispielsweise die Frage der Diversität. Dagegen überlässt man allerdings die Themen des Alltäglichen, wie „Wie kommt man mit seinem Geld bis ans Monatsende? Ist der Arbeitsplatz sicher?“ den Populisten. Ein Riesentreiber für den Populismus sind die Abstiegsängste. 

     

    „Ein Riesentreiber für den Populismus sind die Abstiegsängste.“

     

    Insbesondere im Rahmen der Klimadebatte?

    Die Klimadebatte, die absolut richtig und wichtig ist, befeuert natürlich diese Ängste und man muss diese Ängste ernst nehmen und versuchen, sie abzubauen. Bestes Beispiel dafür ist die mittlerweile zum Klischee gewordene Wärmepumpe – aber leider Gottes sind diese Fehler nun einmal passiert. Das heißt, dass wir daraus lernen müssen und deshalb auch der Versuch, die Südtiroler Klimapolitik nicht nur zur Floskel werden zu lassen, sondern wir wollen einen Weg finden, der diese Transformation nicht zum Desaster werden lässt, und zwar soll er für alle gangbar sein bzw. sogar Vorteile bringen für jene, die heute Schwierigkeiten haben. 

    Die soziale Nachhaltigkeit muss mitgedacht werden?

    Die ökologische Nachhaltigkeit wird nicht ohne die soziale gehen, weil ansonsten Forderungen auftauchen, wie jüngst im Regionalrat, wo Walter Kaswalder einen Begehrensantrag zur Aufschiebung des Verbrenner-Aus eingereicht hat. Das bringt das ganze Dilemma auf den Punkt. Alle Experten sagen, dass diese Forderungen absurd sind, aber damit fängt man eben die Ängste der Menschen ein. Die Angst um den Arbeitsplatz oder dass man sich kein Auto mehr leisten kann. Ohne soziale Nachhaltigkeit wird es auch keine ökologische geben.