Politik | Frankreich – Le Pen

Schwerer Schlag für Marine Le Pen

Das Pariser Strafgericht hat ein folgenschweres Gerichtsurteil wegen Missbrauchs von Steuergeldern gegen Marine Le Pen verhängt.
Marine Le Pen
Foto: Marine Le Pen/Facebook
  • Die ohnehin seit Monaten krisengeschüttelte Politlandschaft mit einer nahezu gelähmten Minderheitsregierung ist durch das Urteil eines Pariser Strafgerichts gegen die Gallionsfigur der extremen Rechten Marine Le Pen und eine Handvoll Parteigenossen wegen Veruntreuung von EU-Geldern in Aufruhr. Neben Gefängnis- und Geldstrafen wurde auch eine Suspendierung des passiven Wahlrechts für mehrere von ihnen verhängt. Für Marine Le Pen könnte das den Ausschluss von den nächsten Präsidentenwahlen und damit wohl das Ende ihrer Politkarriere bedeuten.

    „Das ist ein Angriff auf unsere Demokratie, eine Attacke wie wir sie nur von autoritären Regimen kennen“, wetterte Le Pen im Studio der meistgsehenen Abendnachrichten von TF1. „Das ist ein politisch motiviertes Urteil. Man will verhindern, dass Millionen von Franzosen entscheiden können, wer Präsident Frankreichs wird“, fuhr sie fort. Sie werde das nicht hinnehmen, sondern das Urteil mit allen Mitteln bekämpfen. In den sozialen Medien hat ihre Partei Rassemblement National schon den Hashtag „Ich bin mit Marine!“ lanciert.

  • Die Anklage – Veruntreuung öffentlicher Gelder

    In ihrer Zeit als EU-Parlamentarierin war Marine Le Pen laut Gericht von 2004 bis 2016 der Kopf eines „organisierten Systems“, wonach Dutzende Assistentinnen und Parlamentsmitarbeiter*innen Le Pens und weiterer neun EU-Parlamentarier*innen in Wirklichkeit politische Arbeit für die Partei Front National verrichtet haben. Insgesamt angeklagt und bis auf eine Person verurteilt wurden außer Le Pen 23 Deputierte und Mitarbeiter*innen sowie die Partei als Organisation. Den angerichteten Schaden bezifferte das Gericht mit 4,1 Millionen Euro.

    Le Pen hat schon im Vorfeld des Prozesses auch in der Öffentlichkeit diese Tatsachen nie verleugnet. Ihre Rechtfertigung: zu den Aufgaben von Mitarbeiter*innen einer gewählten Abgeordneten gehöre eben auch politische Parteiarbeit im Heimatland – etwa bei Veranstaltungen – und außerdem würden das ja auch andere Parteien immer so gehandhabt haben. Eine mehr als unvorteilhafte Verteidigungsstrategie, da gerade Le Pen und ihre Partei seit Jahren lautstark nach strengeren Gesetzen gegen Korruption rufen. Und es war nicht zuletzt Le Pens selbstsichere Haltung vor Gericht auch ein Grund für das strenge Urteil. Die Vorsitzende des Gerichts betonte, dass man lange beraten habe, ob die sofortige Wirkung der Nichtwählbarkeit angemessen und nötig sei. Aber nachdem Frau Le Pen weder Einsicht noch Reue gezeigt habe, bestünde ja die Gefahr der Wiederbetätigung und es würde möglicherweise eine in erster Instanz verurteilte, uneinsichtige Person (zur Präsidentin lg) gewählt werden. Das berge wiederum Gefahren für die öffentliche Ordnung, meinte die Richterin.

  • Das Urteil

    Vier Jahre Haft, davon zwei Jahre unbedingt, allerdings mit Fußfessel abzubüßen, 100.000 Euro Geldstrafe – schon diese Strafe wäre streng gewesen – entscheidend ist jedoch die Suspendierung des passiven Wahlrechts für fünf Jahre. Selbst damit hatten viele Beobachter und Experten – und wohl auch Marine Le Pen selbst – gerechnet. Aber alles hing an vier Wörtern im Urteil (nur die Wählbarkeit betreffend):“..avec exécution provisoire immediate“ – zu Deutsch: mit sofortiger Wirkung, selbst der Gang in die Berufung hat keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass die Chefin der extremen Rechten bei den verfassungsmäßig spätestens für April 2027 geplanten Präsidentenwahlen sehr wahrscheinlich nicht kandidieren kann. Dass nämlich das unmittelbar beantragte Berufungsverfahren, angesichts der für solche Verfahren üblichen Dauer von mindestens 18 Monaten bis zu zwei Jahren, noch vor der Wahl abgeschlossen sein könnte, gilt als sehr unwahrscheinlich. 

  • Marine Le Pen auf Facebook: „Seit 30 Jahren kämpfe ich gegen die Ungerechtigkeit.“ Foto: Marine Le Pen/Facebook
  • Politjustiz oder Rechtsstaat?

    Dass Vertreter und Anhänger des Rassemblement National empört Sturm laufen und im Chor über angebliche Politjustiz protestieren, verwundert nicht. Aber auch Vertreter der bürgerlichen Les Republicains bezeichnen das Urteil als unangemessen, der amtierende Regierungschef, der Zentrist Francois Bayrou ließ durchsickern, dass er die Gerichtsentscheidung „bedauerlich“ finde und der radikale Volkstribun der linken LFI Jean-Luc Mélenchon erklärte, politische Gegner müsse man nicht per Gericht bekämpfen, sondern an der Urne besiegen. Dazugesagt sei, dass sowohl Bayrou als Mélenchon ebenfalls schon vergleichbare Verfahren am Hals hatten, allerdings in nicht vergleichbarer Dimension. Zurückhaltend, aber doch entschieden fielen bisher die Stellungnahmen aus dem Macron-Lager und seitens der Sozialisten aus: Gerichtsurteile seien zu respektieren, das Verfahren sei einwandfrei verlaufen und der Rechtsstaat gelte für alle, ohne Ausnahmen. 

    In der Tat ist das Le Pen-Urteil in Frankreich keineswegs ein Unikum. Man vergesse nicht, dass sich der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy seit vergangenem Dezember für die Dauer von drei Jahren in erweitertem Hausarrest mit Fußfessel befindet. Verurteilt wurde er wegen illegaler Wahlkampffinanzierung in großem Ausmaß mit Geldern des libyschen Diktators Gaddafi. Auch der Gegenkandidat Emmanuel Macrons mit guten Siegeschancen im Präsidentschaftswahlkampf 2017 Francois Fillon unterlag, weil öffentlich wurde, dass er seine Ehefrau 14 Monate als seine Parlamentsassistentin bezahlen ließ, obwohl sie ein einziges Mal im hohen Haus erschienen war. Nach der Wahl wurde Fillon zu fünf Jahren Haft verurteilt und wartet derzeit auf das Verfahren in dritter Instanz. 

  • Internationale Solidarität für Le Pen

    Ganz anders die internationalen Reaktionen. Ungarns Victor Orbàn schrieb – in obszöner Anlehnung an den Solidaritäts-Ruf „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie) nach dem blutigen Attentat von Islamisten auf die Satirezeitung Charlie Hebdo – „Je suis Marine“. Matteo Salvini nannte das Urteil eine „Kriegserklärung seitens Brüssel“ und einen „schlechten Film, wie wir ihn auch in anderen Ländern, etwa in Rumänien, sehen“. Schockiert und empört auch der Niederländer Geert Wilders und Santiago Abascal vom spanischen VOX, „ein Skandalurteil“ schimpfte FPÖ-EU-Mann Vilimsky. Nicht verwunderlich ist hingegen die offizielle Erklärung des Kreml-Sprechers Peskov („Beweis dafür wie in Europa die Demokratie ausgehebelt wird“) und seiner Kollegin vom Moskauer Außenministerium („Agonie der liberalen Demokratie“). Da konnte natürlich Trumps „Politkommissar für alles“ Elon Musk nicht fehlen. Er wirft der Linken vor, dass sie mangels Sieges bei Wahlen ihre Rivalen durch Missbrauch der Justiz einsperren lässt – das mache sie weltweit so.

  • Stärkt Le Pen den Rücken: Italiens Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini. Foto: Elizabeth Fraser
  • Notplan B wie Bardella

    Sollte nicht doch – etwa durch den großen öffentlichen Druck – ein Berufungsverfahren im Falle Le Pen vor dem Jahr 2027 stattfinden, wäre das natürlich ein bitteres Ende für Le Pen gerade zu einem Zeitpunkt, da sie am Zenith ihrer langjährigen Karriere steht und noch nie so nahe an einen möglichen Einzug in den Elysée-Palast herangekommen war. Schon in der Stichwahl gegen Macron 2022 hatte sie 13 Millionen Stimmen erhalten, aus der EU-Wahl im Sommer 2024 und den darauf folgenden vorgezogenen Parlamentswahlen ging sie mit mehr als 30 Prozent als stärkste Einzel-Partei hervor und stellt derzeit mit 143 Abgeordneten die stärkste Fraktion in der Assemblée Nationale. 

    Ein Aufstieg, der ihr weniger durch eine Abschwächung ihrer programmatischen Grundsätzegelang, sondern vielmehr durch die „Entradikalisierung“ im Ton, in Sprache und Auftreten und nicht zuletzt durch die Distanzierung von ihrem Vater Jean-Marie. Den ehemaligen Fremdenlegionär und Parteigründer entsorgte sie zuerst in den honorigen „Partei-Präsidenten-Sessel“ und schloss ihn schließlich von der Partei aus, weil er immer wieder mit antisemitischen Rülpsern dem Image der Partei Schaden zufügte. Und letztlich kam Marine Le Pen zugute, dass sich die politische Landschaft in Frankreich und ganz Europa nach rechts verschoben hat, hauptsächlich in Fragen Flucht, Asyl und Migration. 

    Geradezu die Verkörperung dieser Wandlung hin zur Salonfähigkeit ist der dreißigjährige Jordan Bardella. Marine Le Pen hat ihn vor drei Jahren zum Parteichef des Rassemblement National gemacht, damit sie sich als scheinbare „Nicht-Parteichefin“ als Präsidentschaftskandidatin souveräner geben kann. Mittlerweile ist Bardella ein beträchtlicher Star und Publikumsliebling geworden, Magnet bei den jungen und gemocht von den älteren Wählerschichten sofern sie keine hardcore-Lepenisten sind. Allerdings fehlen ihm zum aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten noch Erfahrung und Statur. Aber bis 2027 bleibt noch Zeit. Als Plan-B-Kandidat ist er jedenfalls schon gesetzt. Das hat Marine Le Pen auch in ihrem gestrigen TV-Auftritt betont. Und bisher stehen dem Rassemblement National – mit oder ohne Le Pen – lediglich uneinige, rivalisierende Parteien gegenüber, von denen keine einzige mehrheitsfähig wäre oder gar einen potentiellen Präsidentschaftskandidaten zu bieten hätte.