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Politik | Krieg in Europa

Frieden durch Unterwerfung?

Bei lokalen Friedenstauben stoßen EU-Pläne für mehr Verteidigungsfähigkeit auf Widerstand.Man will Frieden,sagt aber nicht,wie er ohne Friedensordnung Bestand haben soll.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Ein gerechter Frieden für die Ukraine
Foto: Gemeinfrei
  • Heute, am 5. April, wird der Movimento 5 Stelle in Rom gegen das EU-Programm Rearm Europe auf die Straßen gehen, gegen die Unterstützung der Ukraine, gegen höhere Militärausgaben Italiens. Eine rückgratlose Trittbrettfahrerhaltung: man schätzt den durch die NATO garantierten Beistand und Schutzschirm, will aber nicht mehr dafür leisten. Man schätzt die Demokratie, hat aber kein Problem damit, die demokratische Ukraine dem Aggressor ans Messer zu liefern, man will Frieden – wie alle, und die Ukrainer als erste – hat aber keine Idee, wie eine internationale Friedensordnung wiederhergestellt und bewahrt werden soll.

    Ähnliches klingt bei vier Südtiroler Friedensfreunden an, die diese Woche den Appell „Lassen wir die Friedenstaube fliegen!“ veröffentlichten. Sie lehnen den EU-Plan zu mehr eigenständiger Verteidigungsfähigkeit ab, unterschätzen Putin, loben Orban, finden kein einziges Wort der Solidarität mit der Ukraine. Frieden durch Unterwerfung? Haben diese Friedensfreunde jemals einen Appell an Putin gerichtet, der den Krieg am 24.2.2022 (eigentlich schon 2014) begonnen hat und morgen beenden könnte?

    Abgesehen von derartigen Illusionen, hat die Trump-Clique in Washington nicht ganz unrecht in ihrem Drängen, die Europäer sollten mehr für ihre Verteidigung tun. Der unhinterfragte atomare Schutzschirm der USA über Europa scheint der Vergangenheit anzugehören, das wird auch nach Trump so bleiben und wir Europäer werden zur Kasse gebeten. Tatsächlich betragen die Verteidigungsausgaben der EU nur ein Drittel jener der USA (326 Mrd. Euro gegenüber 916 Mrd. Euro in 2024 laut SIPRI-Jahrbuch). Nur 10 NATO-Mitgliedsländer kommen der NATO-Verpflichtung nach und geben mindestens 2% ihres BIP für die Verteidigung aus. Schlusslichter sind Italien mit 1,54% und Spanien mit 1,3%. Wenn wir Europäer nicht ausschließlich auf den Schutz durch die USA angewiesen sein und damit in bestimmtem Maß erpressbar sein wollen, werden wir auf Dauer einen größeren Teil unserer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung aufwenden müssen. Das geht umso effizienter, je koordinierter die EU in der Rüstungsbeschaffung und Organisation vorgeht.

    Es geht dabei um die Frage, ob das demokratische Europa gegenüber aggressiven Diktaturen verteidigungsfähig sein will. Es geht um die europäische Wertegemeinschaft abseits von Orban, Weidel, Le Pen und Salvini, die jene Staaten einschließt, die zu dieser Staatenfamilie gehören und nicht Protektorate Russlands werden wollen. Mit dem EU-Vertrag von Lissabon ist die EU im Grunde genommen schon 2007 zum Verteidigungsbündnis geworden. Art. 42/7 formuliert eine umfassende Beistandspflicht: „Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung.“ Real militärische Mittel gebündelt zum Einsatz zu brinngen, davon ist die EU weit entfernt. Sie wird gelähmt durch das Einstimmigkeitsprinzip. Es braucht nur einen Orban oder Fico, um sogar der Ukraine überlebenswichtige Abwehrwaffen vorzuenthalten. Entscheidend dagegen ist der politische Schulterschluss in der EU, um gemeinsam für eine echte Friedensordnung einzustehen.

    Deshalb wird in nächster Zeit die NATO und ihr europäischer Pfeiler die operative Infrastruktur der europäischen Sicherheit bleiben, selbst wenn oder gerade wenn sich die USA davon ausklinken. Das wird viel Geld kosten, obwohl man auch sparen kann, wenn die ganze europäische NATO gemeinsam und koordiniert vorgeht. Bitter ist freilich, dass dieser finanzielle Kaftakt in eine Zeit fällt, wo jeder Euro in die Energiewende  und in die  sozial gerechte Bewältigung der Klimakreise fließen sollte. Auch die sozialen Sicherungssysteme brauchen in Zeiten des demografischen Wandels mehr Geld. Das alles sollte nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie es die Friedenstauben tun. Denn abgesehen vom nicht verhandelbaren demokratischen Rechtsstaat, welchen Klimaschutz, welche soziale Sicherheit, welchen Wohlstand gibt es denn in den autoritären System, die das freie Europa bedrohen? Wie sollen die Regelbrecher in Zukunft sanktioniert werden, wenn sie die Friedensordnung mit Angriffskriegen aushebeln? Welche Sicherheitsgarantien soll denn die Ukraine erhalten, als das Allermindeste, was der freie Westen dem Kreml-Regime als Bedingung für Frieden abzuringen hat?

     

     

     

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Manfred Klotz Di., 08.04.2025 - 06:50

Antwort auf von Oliver Hopfgartner

Damit Deeskalation funktioniert, braucht es einen Sender UND einen Empfänger. Zurzeit sieht es eher so aus, als ob das Verständnis Putins von "Deeskalation" darin besteht, den Sender abzuschalten. Mit rationellen Vorstellungen, also Handelsbeziehungen usw. kann man bei einem Menschen, der klar von sich gegeben hat, dass sein Ziel die territoriale Wiederherstellung Russlands vor dem Mauerfall ist, nicht landen.

Di., 08.04.2025 - 06:50 Permalink
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Peter Gasser Di., 08.04.2025 - 07:10

Antwort auf von Oliver Hopfgartner

Zitat: “Gute Handelsbeziehungen zum gegenseitigen Nutzen sind meiner Meinung nach eines der besten Rezepte gegen das von dir beschriebene "divide et impera!":

Das mit den “guten Handelsbeziehungen” ist mit einer Charaktere wie Putin vor 3 Jahren krachend gescheitert.

Di., 08.04.2025 - 07:10 Permalink
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Thomas Benedikter Mo., 07.04.2025 - 08:39

Eine kurze Antwort auf Manfred Gasser. Bei einem Angriff auf die baltischen Staaten (NATO-Mitglieder) ist die NATO laut Art. 5 NATO-Vertrag verpflichtet, einzugreifen und laut Art. 51 der UN-Charta berechtigt, gemeinsam das Selbstverteidigungsrecht auszuüben. Sie wird auf einen konventionell geführten Angriff konventionell antworten. Sie muss aber auch nuklear abschreckungsfähig sein. Mit taktischen Nuklearwaffen sind das zurzeit nur die USA.
Für eine Antwort auf die erste Frage bräuchte es eine Glaskugel. Das Putin-System - tatsächlich hat der Kremlchef seit 25 Jahren ein ganzes System um sich aufgebaut - agiert in der Logik der Macht des Stärkeren, wie man aus vergangenen und laufenden Angriffen ablesen kann: Tschetschenien, Georgien, Syrien, Ukraine. Je weniger die NATO verteidigungsfähig ist, desto höher das Risiko angegriffen zu werden. Allerdings führt Russland bereits heute einen verdeckten hybriden Krieg gegen den Westen.
Die europäische Verteidigungsfähigkeit muss aber auch die Ukraine einschließen, was ich in meinem Artikel betonen wollte. Weil sich die USA immer mehr zurückziehen, können nur wir Europäer der Ukraine die nötigen militärischen Sicherheitsgarantien bieten einschließlich Rüstungslieferungen (z.B. bei der Luftabwehr) und dafür müssen wir eben in der Lage sein. Ansonsten wird es weder Sicherheit für die täglich terrorisierten Ukrainer noch einen stabilen Frieden geben.

Mo., 07.04.2025 - 08:39 Permalink
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Manfred Gasser Mo., 07.04.2025 - 14:26

Antwort auf von Thomas Benedikter

Erstmal danke für die Antwort.
Was ich nicht ganz verstehe, wenn Putin die Absicht hat, einen europäischen NATO-Staat anzugreifen, muss er es doch während der Amtszeit von Trump tun, in der Hoffnung, dass Trump die Europäer nicht unterstützt. Die Aufrüstung von der jetzt geredet und geschrieben wird, kann, wenn es wirklich schnell geht, aber erst in 4-8 Jahren soweit sein, eine wirkliche Abschreckung darzustellen, und bis dahin kann es zu spät, oder umsonst sein. Zu spät, wenn Putin innerhalb der nächsten 2 Jahre angreift, umsonst, wenn sich der nächste amerikanische Präsident wieder zur NATO und deren Verpflichtungen bekennt.
Meine Befürchtung ist, dass sich Europa mit der Aufrüstung auf die Dauer wirtschaftlich und finanziell übernimmt, denn jeder investierte Euro für Waffen fehlt dann irgendwo anders, und bringt keinen Mehrwert für die Gesellschaft, da ein neuer Panzer langfristig weder Arbeitsplätze, noch Wirtschaftswachstum erzeugt.

Mo., 07.04.2025 - 14:26 Permalink
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Salto User
Milo Tschurtsch Mo., 07.04.2025 - 23:04

Antwort auf von Stefan S

Ein neuer Panzer erzeugt vordergründig zwar einige Arbeitsplätze, steht aber nach der Fertigung bloß rum, muss gewartet und schließlich entsorgt werden und erzeugt keine Impulse für weiterführende wirtschaftliche Investitionen .
Die Gewinne (aus Investitionen des Steuerzahlers) verbleiben zum Großteil bei den genannten Rüstungsfirmen.

Mo., 07.04.2025 - 23:04 Permalink
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Peter Gasser Di., 08.04.2025 - 09:19

Antwort auf von Ludwig Thoma

Deutschland stellt nicht auf Kriegswirtschaft um.
Deutschland führt das “normale” Maß an Rüstungsausgaben für eine Verteidigung im Falle eines Angriffs ein, nachdem man darauf in Hoffnung auf ein kriegsfreies Europa verzichtet hatte.

Leider hat Putin dies ausgenutzt und diese Hoffnung auf nicht absehbare Zeit zunichte gemacht.
Das Verteidigungsbudget ist keine “Kriegswirtschaft”, aber das wissen Sie ja.

Di., 08.04.2025 - 09:19 Permalink
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Manfred Gasser Di., 08.04.2025 - 16:57

Antwort auf von Stefan S

Und dennoch schreibt P. Gasser :"Deutschland führt das “normale” Maß an Rüstungsausgaben für eine Verteidigung im Falle eines Angriffs ein, nachdem man darauf in Hoffnung auf ein kriegsfreies Europa verzichtet hatte."
Jetzt frage ich mich, was hat Deutschland als drittgrößter Rüstungsimporteur der Welt bis jetzt importiert wenn nicht Waffen? Oder anders gefragt, was haben sie bisher falsch gemacht?

Di., 08.04.2025 - 16:57 Permalink
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Walter Kircher Mo., 07.04.2025 - 09:04

... es geht um V e r t e i d i g u n g ! Für uns selbst und für die angegriffene Ukraine.
Die Geschichte lehrt uns, mit autokratischen Figuren mit verirrten Seelen, muss offensichtlich weiterhin gerechnet werden!!
Auch darf man ebensolche Angriffe und Unterdrückungen in Afrika und Asien und wohl auch in Amerika nicht aus dem Blick verlieren ...

Mo., 07.04.2025 - 09:04 Permalink
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veronika dapra Mo., 07.04.2025 - 11:21

Antwort auf von Walter Kircher

Ich weiß nicht mehr, wer das geschrieben hat, also, es ging um die Frage, warum ausgerechnet die Deutschen so „pazifistisch“ sind. Der Autor: da Deutschland in den letzten 150 Jahren die Kriege vom Zaun gebrochen hat und nach der letzten katastrophalen und totalen Niederlage die Lektion gelernt hat, sind sie jetzt pazifistisch. Es fehlt ihnen die Erfahrung überfallen worden zu sein, Opfer eines kriegslüsternen Nachbarn zu sein; die Franzosen, Engländer, Dänen, Norweger, Tschechen, Ukrainer und vor allem die Polen haben diese Erfahrung und wissen, dass Pazifismus in dieser Situation eine große Gefahr ist.

Mo., 07.04.2025 - 11:21 Permalink
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Profil für Benutzer Manfred Klotz
Manfred Klotz Mo., 07.04.2025 - 12:13

Als Denkanstoß:
Julien Freund (1921-1993) französischer Politikwissenschaftler und Soziologe zu Jean Hyppolite (1907-1968) französischer Philosoph, der mit der Idee Freunds, es könne keine Politik ohne Feindbild geben, nicht einverstanden war.
„Wenn Sie wirklich Recht haben“, sagte Hyppolite zu Freund, “dann bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Garten zu pflegen.“
Und Freund antwortete ihm: „Hören Sie, Hyppolite, Sie machen einen Fehler, weil Sie glauben, dass Sie es sind, der den Feind bestimmt, wie alle Pazifisten. Ihr denkt, solange wir keine Feinde wollen, werden wir auch keine haben. Aber es ist der Feind, der dich als solchen bestimmt. Und wenn er will, dass du sein Feind bist, kannst du ihm die besten Freundschaftsangebote machen. Solange er will, dass du sein Feind bist, wirst du es sein. Und er wird dich sogar davon abhalten, deinen Garten zu pflegen.

Mo., 07.04.2025 - 12:13 Permalink
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Evelin Grenier Mo., 07.04.2025 - 12:20

Die Leute fordern Diplomatie und Verhandlungen, statt Aufrüstung. Dabei vergessen Sie aber dass Verhandlungen nur von einer starken Position funktionieren, ansonsten hört niemand uns zu und das einzige was man bekommen kann sind die von den stärkeren Mächten diktierte Konditionen. Man wird also von den Verhandlungen total ausgeschlossen. Für Putin ist Europa niemand, er redet nur mit denen die eine gleichwertige militärische Kraft haben.

Mo., 07.04.2025 - 12:20 Permalink
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nobody Mo., 07.04.2025 - 20:54

Selbst eine Fußballmannschaft braucht eine Verteidigung. Wer sich nicht verteidigen kann ist schutzlos. Ein simples Prinzip. Schlussendlich geht es um das Recht des Stärkeren, alles andere ist ein frommer Wunsch. Spätestens wenn es um die Wurst geht, dann geht die Menschlichkeit baden. Leider. Aber man muss der Realität eben ins Auge sehen, so unangenehm das ist.

Mo., 07.04.2025 - 20:54 Permalink
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Alessandro Stenico Di., 08.04.2025 - 18:31

Am 5. April ging der Movimento 5 Stelle mit Unterstützung AVS (Grüne und Linke), Rifondazione Comunista, die neapolitanische TikTokerin Rita De Crescenzo und laut Organisatoren mit 100.000 Personen gegen das EU-Programm Ream Europe in Rom auf die Straßen.

In den vielen Beiträge ist viel diskutiert worden, aber ein Aspekt hat niemanden erwähnt:

„Die Aussicht auf eine deutsche Wiederbewaffnung scheint alte Gespenster zu wecken. Vor allem in Italien werden Ängste und Befürchtungen laut, die von selbsternannten Meinungsführern geschürt werden, die schlecht informiert oder bös gläubig sind und sogar die „Rückkehr der Wehrmacht“ heraufbeschwören, Hitlers Armee.“

Die Journalistin Giovanna Botteri hat es in der Sendung „In altre parole“ auf La7 betont, ein weiterer Grund, dass so viele in Rom mitgegangen sind, ist auch die Angst der deutschen Wiederaufrüstung.

Auch der emeritierte Präsident des Bundesverfassungsgerichts Zagrebelsky sagte : „Die Wiederaufrüstung Deutschlands macht mir Angst. Besser ein ungerechter Frieden als ein gerechter Krieg, der die Menschheit vernichtet“.

Der Ex-Minister Joschka Fischer sagte: Ich finde es eine groteske und absurde Debatte“, “das ist das neue Deutschland, Tochter von Adenauer, eine starke Demokratie, die in Europa verankert ist. Der preußische Militarismus wurde 1945 endgültig zu Grabe getragen. In der DDR waren noch Reste davon zu sehen, aber es gibt ihn nicht mehr. Niemand muss sich in Italien oder anderswo Sorgen machen, dass sich Deutschland angesichts des amerikanischen Rückzugs und der zunehmenden Aggressivität Russlands gemeinsam mit seinen europäischen Verbündeten endlich eine glaubwürdige Abschreckungsfähigkeit zulegt“. Fischer ist nach wie vor davon überzeugt, dass die Aufrüstung Deutschlands und der Europäer keinen sofortigen Bruch mit Washington bedeuten darf: „Das Bündnis muss fortbestehen, wenn auch auf einer anderen Grundlage, während wir uns so stark wie möglich machen, um Russland abzuschrecken“.

Di., 08.04.2025 - 18:31 Permalink
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Profil für Benutzer Ludwig Thoma
Ludwig Thoma Di., 08.04.2025 - 20:03

Antwort auf von Alessandro Stenico

Wenn nach den nächsten Wahlen in Deutschland die AFD an die Macht gewählt wird, dann kommt er wieder, der preußische Militarismus.
Und dieses Szenario halte ich für wahrscheinlicher als einen Angriff Russlands auf die Nato.

Und dann würde ich noch gerne wissen, wer den Joschka Fischer offiziell zum Meinungsführer ernannt hat.

Di., 08.04.2025 - 20:03 Permalink