Politik | AfD und Demokratie

Wie viel AfD verträgt die Demokratie?

Wie viel AfD verträgt die Demokratie? Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Aufstieg der Partei und den Herausforderungen für die politische Landschaft in Deutschland. Der Text beleuchtet sowohl die politischen, sozialen als auch medienstrategischen Aspekt
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AFD
Foto: Maxifun Live
  • Wie viel AfD verträgt die Demokratie?

    Seit ihrer Gründung im Jahr 2013 hat sich die Alternative für Deutschland (AfD) von einer eurokritischen Protestpartei zu einer in Teilen offen rechtsextremen Kraft entwickelt. Besonders in Ostdeutschland verzeichnet die Partei stabile Wahlerfolge, teilweise ist sie dort sogar stärkste Kraft. Die politische Landschaft der Bundesrepublik steht vor einer Herausforderung: Wie soll man mit einer Partei umgehen, die demokratisch gewählt ist, gleichzeitig aber durch Hetze, Desinformation und Verbindungen zu extremistischen Milieus auffällt?

    Häufig werden Vergleiche mit der österreichischen FPÖ gezogen. Diese greifen jedoch zu kurz. Zwar handelt es sich auch bei der FPÖ um eine rechtspopulistische Partei mit teils ähnlichen Positionen, doch hat die FPÖ eine deutlich längere Geschichte: Sie war bereits mehrfach Teil österreichischer Bundesregierungen, stellt oder stellte Landesregierungen, und ist somit institutionell stärker eingebunden. 

    Auch der Vergleich mit italienischen Rechtsparteien wie Fratelli d’Italia oder der Lega trägt nur bedingt. Nach der Wahl 2022 wurde befürchtet, Italien rutsche unter Giorgia Meloni stark nach rechts ab. Doch die Regierung zeigt sich bisher weit moderater als erwartet. Ihre Politik ist konservativ, aber nicht radikal-populistisch oder antieuropäisch. Dies unterscheidet sie grundlegend von der Rhetorik und dem Kurs der AfD.

    Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie soll Deutschland auf die zunehmende Stärke der AfD reagieren?

  • 1. Demokratische Abgrenzung („Brandmauer“)

    Die sogenannte Brandmauer zur AfD – also die klare Abgrenzung aller anderen demokratischen Parteien – ist aktuell das dominierende politische Mittel. Sie signalisiert: Keine Zusammenarbeit mit einer Partei, die in Teilen rechtsextrem eingestuft wird (z. B. in Thüringen der „gesichert rechtsextreme“ Landesverband).

    Doch wie lange kann diese Strategie noch aufrechterhalten werden? Ist es realistisch, dauerhaft eine Partei mit teils über 20 Prozent Zustimmung im Bundestag zu ignorieren? Oder muss die Politik irgendwann, spätestens wenn Mehrheiten nicht mehr ohne die AfD möglich sind, über eine andere Form des Umgangs nachdenken?

    Diese Fragen werfen die drängende Folgefrage auf: Ist die derzeitige politische Konstellation – insbesondere eine große Koalition oder eine Zusammenarbeit zwischen Union und SPD – die letzte Chance, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen? Viele Menschen haben nämlich das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates verloren. Sie fühlen sich mit ihren Sorgen – etwa in Bezug auf Migration, innere Sicherheit oder soziale Gerechtigkeit – nicht mehr ernst genommen. Deshalb wenden sie sich aus Protest der AfD zu.

    Diese Wählerinnen und Wähler zurückzuholen, gelingt nur durch eine spürbare Veränderung des Status quo – dort, wo es realistisch und rechtlich umsetzbar ist. Besonders beim Thema Migration hängt vieles von europäischer Kooperation ab. Aber auch auf nationaler Ebene braucht es konkrete, sichtbare Maßnahmen. Gleichzeitig müssen demokratische Parteien stärker erklären, warum viele AfD-Forderungen schlicht nicht umsetzbar sind. Hier kommt vor allem der CDU eine Schlüsselrolle zu: Sie muss aufzeigen, dass einfache Lösungen in einem komplexen Europa unrealistisch sind.

    Ein Blick nach Italien kann hier aufschlussreich sein. Die Regierung Meloni wurde mit der Erwartung gewählt, einen radikalen Wandel in der Asylpolitik durchzusetzen. Doch trotz vollmundiger Ankündigungen blieb die große Wende aus – der Handlungsspielraum innerhalb der EU und die realpolitischen Zwänge sind auch für rechte Regierungen bindend. Diese Realität muss klar benannt und kommuniziert werden. Nur durch Transparenz, politische Bildung und ehrliche Aufklärung können populistische Narrative entkräftet werden.

    Ein Aufweichen der Brandmauer birgt die Gefahr, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen noch weiter zu untergraben. Deshalb gilt: Die Brandmauer bleibt notwendig – aber sie allein reicht nicht. Sie muss begleitet werden von konsequenter politischer Arbeit, Reformwillen und echter Problemlösung. Nur so kann verhindert werden, dass die AfD langfristig von der Unzufriedenheit mit dem Status quo profitiert.

  • 2. Politische Auseinandersetzung – statt moralischer Empörung

    Ein zentraler Fehler im Umgang mit der AfD besteht darin, sich auf moralische Empörung und symbolische Abgrenzung zu beschränken. So wichtig es ist, klare Werte zu vertreten und Grenzüberschreitungen deutlich zu benennen – allein reicht das nicht. Denn Empörung erreicht meist nur die ohnehin Überzeugten und verstärkt den Eindruck vieler AfD-Wählerinnen und -Wähler, dass die "Altparteien" keine sachliche Auseinandersetzung mehr führen wollen.

    Deshalb braucht es eine inhaltliche und strategisch kluge politische Auseinandersetzung mit der AfD. Demokratische Parteien sollten deren Thesen, Forderungen und Weltbilder gezielt entkräften. Viele Positionen der AfD wirken auf den ersten Blick plausibel, erweisen sich aber bei genauer Betrachtung als nicht umsetzbar, widersprüchlich oder gar schädlich. Diese Widersprüche müssen konsequent herausgearbeitet und öffentlich gemacht werden.

    Die AfD darf nicht durch Schweigen, Wegducken oder reine Empörung profitieren. Sie muss auf allen politischen Ebenen – im Bundestag, in den Landtagen, in Talkshows und auf Social Media – argumentativ gestellt werden. Eine sachliche Konfrontation mit Fakten, rechtlicher Realität und europäischem Kontext ist unerlässlich.

    Das erfordert Mut, mediale Präsenz, rhetorische Stärke und klare Fakten. Viele Parteien tun sich damit schwer. Oft fehlt es an Expertenwissen, an strategischer Kommunikation oder an politischen Köpfen, die dieser Herausforderung dauerhaft gewachsen sind. Hier wäre es notwendig, gezielt Politikerinnen und Politiker zu stärken, die diese Aufgabe glaubwürdig und offensiv übernehmen können.

    Dabei kann die Auseinandersetzung auch über politische Bildung und Aufklärung hinausgehen. Etwa durch Faktenchecks, journalistische Analysen oder gezielte Gegenkampagnen zu Desinformation. Besonders wirksam ist es, dort anzusetzen, wo die AfD in ihrer Kommunikation einfache Lösungen verspricht – etwa bei Migration, Energie oder Sozialpolitik – und realistische, nachvollziehbare Alternativen aufzuzeigen. Nicht mit moralischem Zeigefinger, sondern mit Kompetenz und Glaubwürdigkeit.

    Langfristig ist politische Auseinandersetzung der demokratischste und nachhaltigste Weg, der AfD die Deutungshoheit zu nehmen. Denn nur wenn die Wählerinnen und Wähler die inhaltliche Leere oder Widersprüchlichkeit erkennen, beginnt ein Umdenken. Der politische Wettbewerb lebt vom Streit – aber er muss auf dem Boden der Tatsachen geführt werden. Genau hier muss die AfD immer wieder gestellt werden.

  • 3. Ursachenbekämpfung – Wähler zurückholen

    Wer die AfD schwächen will, muss verstehen, warum Menschen sie wählen. Studien und Umfragen zeigen: Es geht nicht nur um ideologische Nähe zu rechtspopulistischen Positionen, sondern häufig um ein tiefes Gefühl des Abgehängtseins, der Unsicherheit und des Misstrauens gegenüber den etablierten Parteien. Viele AfD-Wählerinnen und -Wähler empfinden einen Kontrollverlust – sei es durch Globalisierung, Migration, die Klimakrise oder wirtschaftliche Umbrüche. Sie haben das Vertrauen verloren, dass Politik ihre Lebensrealität überhaupt noch wahrnimmt oder verbessern kann.

    Die Reaktion darauf kann nicht allein Empörung oder politische Ausgrenzung sein. Es braucht eine glaubwürdige, bürgernahe Politik, die sich den alltäglichen Sorgen und Fragen der Menschen widmet – etwa zu bezahlbarem Wohnen, sicherer Energieversorgung, gerechter Bildung oder fairer Löhne. Nur durch konkrete Verbesserungen des Status quo lässt sich langfristig Vertrauen zurückgewinnen.

    Ein Beispiel ist die Migrationspolitik: Hier wünschen sich viele Bürger Klarheit, Steuerung und Begrenzung. Der Wunsch nach Ordnung ist kein Zeichen von Fremdenfeindlichkeit, sondern Ausdruck eines Bedürfnisses nach Sicherheit. Parteien wie die CDU/CSU müssen diesen Wunsch ernst nehmen und zugleich aufklären, warum radikale Forderungen – wie sie die AfD aufstellt – nicht umsetzbar oder gar schädlich wären. Die Realität in anderen Ländern zeigt das deutlich: Auch unter Giorgia Meloni in Italien blieb der erhoffte radikale Kurswechsel in der Migrationspolitik weitgehend aus. Die strukturellen Herausforderungen sind komplex und nicht mit einfachen Lösungen zu bewältigen.

    Ursachenbekämpfung bedeutet also: Politische Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, soziale Sicherheit zu stärken und den Dialog mit den Bürgern zu suchen – besonders in Regionen, die sich vom politischen Zentrum vernachlässigt fühlen. Nur so lässt sich der Nährboden für populistische Erfolge langfristig austrocknen.

    Gleichzeitig ist dieser Weg mühsam und dauert. Populistische Versprechen wirken schnell und emotional, reale politische Veränderungen hingegen brauchen Zeit, Ressourcen und gesellschaftliche Kompromisse. Doch ohne diese Anstrengung wird es kaum möglich sein, den wachsenden Einfluss der AfD dauerhaft zu begrenzen.

  • 4. Juristische Mittel und Beobachtung durch den Verfassungsschutz

    Es ist unbestreitbar, dass Teile der AfD bereits durch den Verfassungsschutz beobachtet werden. Diese Beobachtung ist gerechtfertigt, wenn sich extremistische Tendenzen im Verhalten und in der Rhetorik manifestieren. Der Verfassungsschutz hat hierbei eine wichtige Aufgabe, um die Verfassungsordnung und die demokratischen Prinzipien zu schützen. Es ist jedoch entscheidend zu erkennen, dass die AfD insgesamt noch nicht als verfassungsfeindlich oder demokratiegefährdend eingestuft wurde – und ob sie in dieser Weise bewertet werden kann, unterliegt strengen rechtlichen Kriterien.

    Die mögliche Einstufung der AfD als verfassungsfeindliche Organisation und das daraus resultierende Parteiverbot ist ein schwerwiegender Schritt. Ein solches Verbot ist nur unter sehr hohen verfassungsrechtlichen Hürden möglich und würde weitreichende politische und gesellschaftliche Folgen haben. Ein solcher Schritt könnte durchaus kontraproduktiv wirken, da er das Narrativ der AfD weiter befeuern könnte: Wenn die „Altparteien“ die AfD nicht politisch besiegen können, müsse man sie eben verbieten. Dies könnte den Wählerinnen und Wählern das Gefühl vermitteln, dass die AfD nicht durch sachliche Argumente oder politische Auseinandersetzung, sondern nur durch ein Verbot zum Schweigen gebracht werden soll. Ein solches Vorgehen könnte das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und den politischen Wettbewerb weiter untergraben.

    Ein Parteiverbot sollte daher nur als äußerste Maßnahme in Betracht gezogen werden, wenn die Gefahr für die Demokratie wirklich gegeben ist. Stattdessen sollten demokratische Kräfte weiterhin auf politische Auseinandersetzung, Aufklärung und die Bekämpfung der Ursachen des populistischen Aufschwungs setzen. Nur so lässt sich eine langfristige, gesellschaftlich akzeptierte Lösung finden, die nicht nur die AfD schwächt, sondern auch das Vertrauen in die Demokratie stärkt.

  • 5. Medien und Öffentlichkeit

    Die Frage, wie viel Aufmerksamkeit der AfD in den Medien und der öffentlichen Debatte zugemessen werden sollte, ist ein zentrales Dilemma im Umgang mit der Partei. Auf der einen Seite kann das Ignorieren der AfD dazu führen, dass sie als „unterdrückte Wahrheit“ wahrgenommen wird. Ihre Anhängerinnen und Anhänger könnten sie als Opfer einer Medienzensur sehen, was die ideologische Identifikation mit der Partei stärken könnte. Andererseits kann zu viel Aufmerksamkeit der AfD in den Medien ebenfalls problematisch sein, da sie dadurch in den Fokus rückt, ihre extremen Positionen weiter verbreitet werden und sie von der Aufmerksamkeit auf die etablierten politischen Parteien ablenkt.

    Das Dilemma liegt also darin, dass sowohl Ignorieren als auch Überbetonung der AfD negative Konsequenzen haben können. Der Schlüssel liegt in einer kritischen, faktenbasierten Berichterstattung, die nicht in Skandalisierung verfällt, aber die wahren Positionen und Widersprüche der Partei deutlich macht. Die Medien sollten AfD-Positionen und -Äußerungen transparent darlegen und analysieren, ohne ihnen zu viel Raum zu geben, die öffentliche Debatte zu dominieren. Eine sachliche Auseinandersetzung ist notwendig, um die Wählerinnen und Wähler über die oft unhaltbaren und widersprüchlichen Aussagen der AfD aufzuklären.

    Kritische, faktenbasierte Berichterstattung bedeutet, dass Medien sich nicht in eine emotionale oder polarisierende Debatte hineinziehen lassen, sondern stattdessen auf fundierte Argumente und auf eine klare Darstellung der Fakten setzen. Dies ist besonders wichtig, um nicht selbst zur Verstärkung von Populismus beizutragen, sondern den Wählerinnen und Wählern eine informierte Entscheidung zu ermöglichen. Auf diese Weise können die Medien einerseits zur Aufklärung beitragen und andererseits verhindern, dass die AfD durch unreflektierte Berichterstattung ungewollt Auftrieb erhält.

    Insgesamt müssen Medien eine ausgewogene Balance finden, um der AfD weder zu viel Raum zu geben noch sie vollständig zu ignorieren. Dies erfordert eine verantwortungsbewusste und gut überlegte Medienstrategie, die langfristig zur Entmystifizierung und Schwächung der Partei beiträgt.

  • Fazit

    Der Aufstieg der AfD stellt die demokratische Ordnung in Deutschland vor eine tiefgreifende Herausforderung. Der Umgang mit dieser Partei erfordert eine differenzierte Herangehensweise, die sowohl die Notwendigkeit der politischen Abgrenzung als auch die Bedeutung einer sachlichen Auseinandersetzung mit ihren Inhalten berücksichtigt.

    Die „Brandmauer“ zur AfD ist nach wie vor eine wesentliche Maßnahme, um zu verhindern, dass diese Partei die politische Mitte gefährdet. Doch diese Strategie alleine wird nicht ausreichen, um die AfD langfristig in ihrer politischen Bedeutung zu beschränken. Vielmehr erfordert es eine klare politische und argumentative Auseinandersetzung, um den Wählern die inhaltlichen Widersprüche und unrealistischen Forderungen der AfD aufzuzeigen. Diese Auseinandersetzung darf nicht auf moralische Empörung und symbolische Abgrenzung beschränkt bleiben, sondern muss auf einer sachlichen, faktenbasierten Diskussion beruhen, die den Wählern Alternativen bietet.

    Gleichzeitig ist es entscheidend, die zugrunde liegenden Ursachen für den Erfolg der AfD anzugehen. Populistische Parteien wie die AfD profitieren oft von sozialer Unsicherheit, Enttäuschung und einem Gefühl des Kontrollverlusts. Um diesen Wählern wieder Vertrauen in die demokratischen Parteien zu geben, müssen konkrete und glaubwürdige Lösungen für gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme angeboten werden. Nur durch politische Glaubwürdigkeit und eine konsequente, bürgernahe Politik kann der Nährboden für populistische Erfolge nachhaltig ausgetrocknet werden.

    Der Einsatz juristischer Mittel und die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sind wichtige Instrumente, um extremistische Tendenzen innerhalb der AfD zu überwachen. Ein Parteiverbot jedoch sollte nur als äußerste Maßnahme in Erwägung gezogen werden, wenn eine echte Gefahr für die Demokratie besteht. Ein solches Verbot könnte den populistischen Narrativen der AfD nur zusätzlich Auftrieb geben und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen weiter schädigen.

    Schließlich müssen auch Medien und Öffentlichkeit verantwortungsvoll mit der AfD umgehen. Eine kritische, faktenbasierte Berichterstattung ist erforderlich, um ihre Positionen zu entlarven, ohne die Partei unnötig aufzuwerten. Es ist eine Balance zu finden zwischen der notwendigen Auseinandersetzung und dem Verhindern einer unreflektierten Skandalisierung.

    Insgesamt erfordert der Umgang mit der AfD eine langfristige Strategie, die auf politische Auseinandersetzung, Ursachenbekämpfung und eine sachliche Diskussion setzt. Nur so kann verhindert werden, dass die AfD weiterhin von der Unzufriedenheit vieler Bürger profitiert und das Vertrauen in die Demokratie langfristig zurückgewonnen wird.