Gesellschaft | Papst Franziskus

„Ein Hirte muss nach Schafen riechen“

Der Papst ist tot. SALTO hat mit Generalvikar Eugen Runggaldier über Volksnähe, Bescheidenheit und die Reformen gesprochen, die die Kirche Franziskus zu verdanken hat.
Papst Franziskus in einer Zeichnung von Bogdan Solomenco
Foto: Bogdan Solomenco
  • Papst Franziskus ist heute am 21. April 2025 in Rom gestorben. Der 88-jährige Argentinier war im März 2013 als Nachfolger des deutschen Papstes Benedikt XVI. zum Kirchenoberhaupt gewählt worden. 

    SALTO: Herr Generalvikar Runggaldier, war Papst Franziskus ein Volkspapst?

    Eugen Runggaldier: Das war er auf jeden Fall. Und er war ein Papst, der nicht durch große Worte, sondern durch Taten aufgefallen ist. Das hat er von Anfang an gezeigt. 

    Wie hat er das gezeigt?

    Er ist zum Beispiel nicht aus der „Casa Santa Marta“ ausgezogen, nachdem er zum Papst gewählt worden war. Casa Santa Marta ist das Haus, das im Vatikan für die Kardinäle während des Konklaves zur Verfügung steht. Wenn kein Konklave ist, ist es ein Gästehaus. Ich war da auch schon mal. (lacht). Papst Franziskus wohnte da – inmitten anderer Gäste. Da gibt es Frühstück am Buffet und der Papst stand da an, wie alle anderen auch. Das hat es nie gegeben. Davor war der Papst im Apostolischen Palast fernab der Öffentlichkeit. Franziskus dagegen ist bei den Leuten geblieben. Er ist nie abgehoben, getreu seinem Motto: „Die Hirten müssen nach Schafen riechen.“

  • Zur Person

    Eugen Runggaldier ist der Generalvikar der Diözese Bozen-Brixen. Runggaldier ist seit 1993 Priester. Nach seinem Studium war Runggaldier zunächst Sekretär von Bischof Wilhelm Egger, dann Jugendseelsorger und Seelsorgeamtsleiter.

    Runggaldier war Moderator der Diözesansynode in den Jahren 2013 bis 2015 und betreut derzeit federführend die Aufklärung von Missbrauchsfällen in der Diözese Bozen-Brixen.  

    Foto: Wikicommons
  • Warum war dieser Papst so beliebt, selbst bei Menschen, die mit der Kirche nicht viel am Hut haben?

    Er konnte Dinge so erklären, dass es der einfachste Mensch versteht. Damit ist er auch oft in Fettnäpfchen getreten. In einem Gespräch darüber, ob ein christliches Ehepaar viele Kinder haben muss, sagte Franziskus beispielsweise sinngemäß: Menschen sind keine Kaninchen. Damit wollte er auf die verantwortete Elternschaft hinweisen. Eltern müssen für sich auch entscheiden wie viele Kinder sie sozusagen verantworten können. Der WWF hat den Papst für diese Aussage kritisiert. 

    Was mir an ihm gefallen hat, war seine Begrüßung bei seinem ersten Auftritt. Er sagte einfach: „Buonasera“.

    Eigentlich hätte er sagen müssen: „Laudetur Jesus Christus“ und er sagt „Buonasera“. An den Sonntagen, an denen er das Mittagsgebet vom Balkon des Apostolischen Palastes gesprochen hat, endete er immer mit: „Arrividerci e buon pranzo“ und was er auch immer gerne gesagt hat, war: „E non dimenticate di pregare per me“. Bei seinem ersten Auftritt, den Sie eben angesprochen haben, hat er auch den Segen der Gläubigen erbeten. Das war sehr bewegend.

  • (c) TV 2000

  • Ist er mit dieser Art seinem Namenspatron Franz von Assisi nachgefolgt?

    Ich weiß nicht genau, wie er zu dem Namen gekommen ist, aber eine Vermutung habe ich. Als Erzbischof von Buenos Aires war Franziskus viel in den Slums unterwegs. Er ist dort übrigens mit den Öffis hingefahren. Es wird erzählt, dass er im Konklave neben einem anderen südamerikanischen Bischof saß, der nach seiner Wahl zu ihm gesagt haben soll: „Vergiss die Armen nicht“. Mit der Namenswahl „Franziskus“ wollte er sicher auch die Botschaft senden: „Ich vergesse die Armen ganz sicher nicht.“

    War er ein Anhänger der Befreiungstheologie?

    Das würde ich nicht sagen. Aber der Einsatz für die Armen war ihm ein Anliegen. Er hat immer davon gesprochen „an die Ränder zu gehen“. Ihm war eine zerbeulte Kirche lieber, als eine perfekte Kirche. Das alles sind Bilder, die sagen sollen, die Kirche muss bei den Menschen sein, vor allem bei den armen Menschen. Sie waren für ihn die ersten Adressaten für die Verkündigung des Evangeliums – und zwar nicht mit Worten, sondern mit Taten.

    Was hat er denn getan?

    In seiner Diözese Rom ist er vor allem in die Peripherie gegangen, dort wo große soziale Probleme zu bewältigen sind. Dort fühlte er sich hingezogen, zu den armen Leuten, das war eine klare Option für ihn – auch theologisch.

    Am Rand der Gesellschaft stehen ja auch die Frauen. Die große Zahl der Frauenmorde in Italien sagt viel aus über diese Gesellschaft. Und auch die Kirche diskriminiert Frauen. Was kann ein Papst dagegen tun und was hat Franziskus konkret gemacht?

    Er hat klare Akzente gesetzt. Er hat Frauen in Spitzenpositionen im Vatikan postiert.

    „Der nächste Schritt müsste jetzt eigentlich sein, dass Frauen auch Kardinälinnen werden."

    Zum Beispiel?

    Er hat eine Ordensfrau, Raffaella Petrini, zur Gouverneurin des Vatikanstaates gemacht. Das gab es noch nie. Er ist Staatsoberhaupt und sie sozusagen Regierungschefin. Außerdem hat er eine andere Ordensfrau ernannt, die nun ein Dikasterium, also ein vatikanisches Ministerium leitet. Bislang wurden die immer von Kardinälen geleitet. Und Kardinale sind Bischöfe und damit immer Männer. Die Ernennung von Ordensfrauen in diese Position war wirklich eine Revolution. Der nächste Schritt müsste jetzt eigentlich sein, dass Frauen auch Kardinälinnen werden. Das gebietet die Hierarchie.

    Warum?

    Naja, wenn sich der Papst künftig mit den Kardinälen trifft, um über die Kirche zu beraten, dann wären diese Ordensfrauen, die ein Ministerium leiten oder gar die ganzen vatikanischen Regierungsgeschäfte, nicht eingeladen, weil sie keine Kardinäle - oder einfach formuliert - keine Männer sind. Anders gesagt: sie dürften an diesem Beratungsgremium, trotz ihres hohen Amtes, nicht teilnehmen, weil sie keine Männer sind…

    …das wäre dann wirklich diskriminierend…

    Das wäre wirklich diskriminierend. Hinzu kommt, dass es auch kein Problem wäre, weil das Kardinalsein nicht mit einer Weihe verbunden ist.

    Wie wird man Kardinal?

    Es ist ein Ehrentitel für die engsten Mitarbeiter des Papstes. Johannes XXIII. hat eingeführt, dass jeder Kardinal Bischof sein muss, davor mussten sie Kleriker sein, aber das sind alles rechtliche Dinge, die man ändern kann.

    Wie den Zölibat auch, oder?

    Genau. Der Zölibat könnte durch Papstwillen aufgehoben werden. Jesus hat natürlich, was die Bibel berichtet, ehelos gelebt, aber die Apostel waren verheiratet.

    „Der nächste Papst kann nicht mehr zurück."

    Zurück aber zur Rolle der Frau….

    …Genau. Mit der Ernennung von Frauen in hohe Positionen, hat er ein Zeichen gesetzt. Damit ist die Tür offen. Der nächste Papst kann nicht mehr zurück.

    Ein Moment ist mir von diesem Papst in Erinnerung geblieben und zwar als er angehörige der Mafia exkommuniziert hat. Wie mutig muss man dafür sein?

    Dazu muss man wissen: der Papst war Jesuit. Das ist sehr wichtig, um zu verstehen, was er getan hat und was er nicht getan hat. Für Jesuiten ist es ganz ganz wichtig, Gottes Willen zu erkennen und zu tun. Wenn Gottes Willen dann irgendwann klar wird, dann ist nur das zu tun und nichts anderes. Der Weg führt von der „Unterscheidung“ über die „Entscheidung“ zur „Entschiedenheit“. In dieser jesuitischen Tradition ist wohl auch sein Handeln zu sehen. Ich kann mir also gut vorstellen, dass in ihm gereift ist, dass er dieses Unrecht ansprechen muss. In dem Moment, in dem das für ihn klar war, war die Frage nach dem Mut zweitrangig.

  • (c) TV 2000

  • War der Papst ein Radikaler?

    Im besten Sinne des Wortes: Ja. Denn er wollte Probleme bei der Wurzel anpacken und er war verwurzelt in seinem Glauben und seiner Spiritualität. Er war aber kein Extremist. Das Frauenpriestertum, das Zölibat, die Weihe „bewährter verheirateter“ Männer diese Themen hätten – nach seinem Dafürhalten – die Weltkirche vor eine Zerreißprobe gestellt. 

    Wie das?

    Die Weltkirche ist nicht die westlich-europäische Gesellschaft. Zur Weltkirche gehören auch Südamerika, Afrika und Asien. Dort wird nicht alles geteilt, was in Europa akzeptiert ist. Der wichtigste Auftrag des Papstes ist aber der Dienst an der Einheit. Er soll die verschiedenen Lager und Bewegungen zusammenhalten. In diesen Fragen hat er dann die Einheit der Kirche über die Lösung dieser Fragen gestellt.

    „Franziskus wurde einmal gefragt, was ihm Sorge bereite und er antwortete: 'Europa'."

    Leidet dir Kirche unter dem modernen Weltbild der Europäer und neigen wir Europäer dazu, unsere Sicht der Dinge als absolut zu setzen?

    Die Kirche ist jung in Afrika und in Südamerika und nicht in Europa. Franziskus wurde einmal gefragt, was ihm Sorge bereite und er antwortete: „Europa“. Vielleicht wollte er damit sagen: die Kirche in Europa ist alt und müde geworden und hat an Schwung verloren. Das Kardinalskollegium war stark europäisch geprägt und auch das hat Franziskus geändert. Im Kardinalskollegium sind die Europäer lange keine Mehrheit mehr. 

    Der Papst, wir haben eingangs darüber gesprochen, war auch ein Symbol für Demut und Bescheidenheit. Die Welt aber wird dominiert von Größenwahnsinnigen wie Trump, Putin oder Musk. Hat man die verhältnismäßig leise Stimme des Papstes gegen solche Krawallmacher dennoch gehört?

    Die Menschen müssen halt wieder lernen auch das Leise zu hören. Der Papst ist mit einem Kleinwagen durch die Gegend gefahren, und so lange er fit war, hat er sein Handgepäck selbst am Flughafen getragen. Als er zum Papst gewählt war, ist er am nächsten Tag in das Hotel gegangen, in dem er vor dem Konklave gewohnt hat, um seine Rechnung zu bezahlen. (lacht)

    Was lernt man als Generalvikar der Diözese Bozen-Brixen von einem solchen Papst?

    Er ist immer er selbst geblieben. Menschen in so hohen Ämtern kalkulieren oft, was muss ich jetzt sagen, damit es gut für meine Publicity ist, was muss ich sagen, damit meine Freunde oder Feinde winken oder nicht winken. Das hat ihn nicht gekümmert.

    Welches Profil sollte der nächste Papst haben?

    Ich hoffe, dass es im gleichen Stil weitergeht, denn der Weg, den Franziskus eingeschlagen hat, war ein wohltuender Weg für die Kirche.

    Herr Generalvikar, ich danke für das Gespräch.

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Profil für Benutzer Robert Hochgruber
Robert Hochgruber Mo., 21.04.2025 - 15:43

Papst Franziskus war eine großartige Persönlichkeit, hatte eine einfache Sprache, war volksnah, überzeugend im Glauben, auf der Seite der Entrechteten, bereit zum Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Klimaschutz, dialogbereit. Zugleich blieb er ein Unnvollendeter. Er hat die kircheninternen Krisen zwar angesprochen, die nötigen Kirchengesetze hat er nicht geändert. Z.B. Priestermangel. Es trifft nicht zu, dass die Weihe von bewährten Männern zu Priestern die Weltkirche vor eine Zerreißprobe gestellt hätte. Die starken Gegner gab es nur im Vatikan. Gegen diese etwas zu unternehmen, hatte er nicht den Mut. Papst Franziskus hat Frauen in wichtige Positionen in den Vatikan berufen. Das Diakonat der Frau auch nur diskutieren zu lassen, verhinderte er auf der kürzlich zu Ende gegangenen Weltsynode. Eine Synode, die keine Entscheidungen treffen darf, ist nicht mehr zeitgemäß. Den absolutistische Aufbau der Kirche abzuschaffen, hatte er nicht den Willen. Papst Franziskus hat das Thema des sexuellen Missbrauch durch Priester oft aufgegriffen. Die italienischen Diözesen wie auch der Vatikan sind aber bis heute nicht bereit, Anerkennungszahlungen für die Vergehen an Betroffene zu leisten. Ich hoffe, dass ein neuer Papst die absolutistische, frauendiskriminierende und zentralistische Struktur der Kirche konkret und rechtlich abgesichert in eine zeit- und evangeliumsgemäßen Kirche verändert, in der nicht die Erhaltung der Institution, sondern die Anliegen der Menschen an erster Stelle stehen.

Mo., 21.04.2025 - 15:43 Permalink
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gorgias Mo., 21.04.2025 - 21:35

>Ist er mit dieser Art seinem Namenspatron Franz von Assisi nachgefolgt?<

HAHAHAHAHA.

Franz von Assisi hatte ja alles den Armen verschenkt. Hätte das Franziskus auch gewollt, hätten wir schon längst eine Papstwahl gehabt.

Und egal wie aufgeschlossen, modern und liberal man Franziskus halten möchte. Er hat die Protzerei in der Kirche sicher ein bischen zurückgeschraubt - vorübergehend. Was Franziskus aber sicher nicht ändern wollte, war das Homosexualtät eine Sünde ist und Frauen nicht zu den Weihen zugeslassen werden.

Die Kirche ist nicht reformierbar. Nur Narren glauben, dass sie daran nicht zerbrechen würde. Und weil das die im Vatikan gut verstehen und wahrscheinlich auch nichts daran ändern wollen, wird diese Institution mit feudaler Betriebskultur in einem postmodernen Europa immer bleicher werden und in den Ländern wo armut, wenig Bildung und der biblische Vermehrungsauftrag um so mehr erfüllt wird, weiter aufblühen.

Mo., 21.04.2025 - 21:35 Permalink
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Salto User
harald Mo., 21.04.2025 - 23:08

Während zahlreiche Sportverbände dem verstorbenen Papst mit Würde gedenken, wurde das Haflinger Galopprennen in Südtirol in eine folkloristische Veranstaltung umgewandelt. Diese Entscheidung wirft Fragen hinsichtlich des Respekts und der Haltung der Verantwortlichen auf.

Mo., 21.04.2025 - 23:08 Permalink