Politik | Meran

Politika im Ost-West

Die Gemeindepolitik steht unter Druck: Rückgang der Beteiligung, schwache Opposition, alte Muster. Beim Polit-Apéro in Meran wurden Ursachen und Auswege diskutiert.
Politika im Ost West
Foto: DO/Salto
  • Im Rahmen des Formats „Polit-Apéro“ lud die Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft – politika am gestrigen Freitagabend zu einer Diskussionsrunde in die Passerstadt. Moderiert von Theresia Morandell diskutierten im Ost-West-Club Expertinnen und Experten der Politikwissenschaft vom EURAC Forschungszentrum: Günther PallaverElisabeth AlberAlice Engl und Andrea Carlà, über Erfolge, Herausforderungen und zukünftige Entwicklungen der Gemeindepolitik in Südtirol.

  • Krise der Demokratie und Verschiebungen in der Kommunikation

    Den Auftakt der Podiumsbeiträge übernahm Elisabeth Alber, Politikwissenschaftlerin an der EURAC in Bozen, mit einer Analyse des Meraner Wahlausgangs. Der Wahlsieg von Katharina Zeller (SVP) markiert zunächst in vielerlei Hinsicht einen politischen Paradigmenwechsel: Die Rückkehr der SVP ins Bürgermeisteramt, das Zeichen für die Repräsentation weiblicher Politik sowie das Bündnis mit der Liste Mutiges Meran und der Orientierung nach Mitte-Links. Bei der „Stadt-Regierungsbildung wurden jedoch wieder alte Schemata erkennbar“, so Alber. 

    Zur Rolle von Frauen in der Gemeindepolitik auf Südtirol-Ebene eröffnet die Wissenschaft leider ernüchternde Zahlen. Zwar habe die neue Quotenregelung – wonach kein Geschlecht mehr als zwei Drittel der Listenplätze einnehmen darf – formal gegriffen, doch sei der Anteil gewählter Frauen kaum gestiegen. Sie verwies auf strukturelle Hindernisse wie die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Politik – eine Frage, die meist nur den Frauen gestellt werde – sowie auf die geringe Sichtbarkeit weiblicher Kandidatinnen in den Medien. 

    Einen weiteren Schwerpunkt setzte Alber bei der Krise demokratischer Beteiligung: Der Rückgang der Wahlbeteiligung – von 85 % (1998) auf 71,5 % (2023) – sei Teil eines weltweiten Trends. Studien zeigten, dass liberale Demokratien unter Druck geraten, und es brauche neue Formen der politischen Teilhabe jenseits klassischer Wahlen.

     

    „Auf Gemeinde-Ebene geht es weniger um Ideologie, sondern um lokale Bedürfnisse“

     

    Alice Engl analysierte die Rolle der SVP bei den Gemeindewahlen. Der Wahlerfolg sei deutlich, beruhe jedoch weniger auf inhaltlicher Erneuerung als auf der starken lokalen Verankerung der Partei. Diese könne – anders als andere Kräfte – in fast jeder Gemeinde Kandidaturen aufstellen und profitiere von personeller Kontinuität und geschlossenen Reihen. „Auf Gemeinde-Ebene geht es weniger um Ideologie, sondern um lokale Bedürfnisse“, so Engl. Gleichzeitig gebe es beunruhigende Signale der Politikverdrossenheit: In mehreren Gemeinden lag der Anteil ungültiger Stimmen über 50 %: „Ein Ausdruck politischen Protests und vor allem mangelnder Auswahlmöglichkeiten“, betont Engl. 

    Dementgegen seien politischer Wettbewerb und Vielfalt im politischen Angebot substanziell, um Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Sie sprach zudem über die Rückgänge bei Wahllisten und das Versiegen klassischer Rekrutierungspfade, etwa über Vereinsstrukturen, die vor allem Männer bevorzugten. Frauen würden durch diese traditionellen Netzwerke kaum erreicht. Um die Demokratie wieder zu stärken, brauche es nicht nur strukturelle Änderungen, sondern auch Reformen des Wahlrechts – darunter Vorschläge wie E-Voting, kumulierte Vorzugsstimmen und die Förderung politischer Beteiligung jenseits der Wahlurne.

  • Ost-West: Politika trat in Austausch mit dem Publikum und gemeinsam wurden Themen um die Krise der Demokratie aufgearbeitet. Foto: DO/Salto
  • Der Politikwissenschaftler Günther Pallaver richtete den Blick auf die Oppositionslandschaft, die er als deutlich geschwächt beschrieb. Die Freiheitlichen seien fast vollständig verschwunden, Bürgerlisten gingen zurück, und auch die Südtiroler Freiheit sei trotz punktueller Erfolge noch weit davon entfernt, der SVP auf Gemeindeebene ernsthaft Konkurrenz zu machen. 

    Insgesamt beobachtete Pallaver einen Rückgang des politischen Wettbewerbs: Immer mehr Gemeinden treten mit nur einer Liste oder einem einzigen Bürgermeisterkandidaten zur Wahl an, die Listen werden kürzer, das politische Engagement schrumpft. Besonders besorgniserregend sei die sinkende Repräsentation der italienischsprachigen Bevölkerung, etwa durch den Rückgang italienischsprachiger Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, von denen es nur noch zwei landesweit gibt. Gleichzeitig spiele die ethnische Zugehörigkeit nach wie vor eine Rolle – besonders auf Landesebene, wo die SVP etwa keine italienischsprachigen Spitzenkandidatinnen oder -kandidaten aufstelle, um ihren Status als ethnische Partei zu wahren. Auf Gemeindeebene hingegen gebe es mehr Durchlässigkeit und gemischte Listen. Langfristig könnte dies zur Entstehung echter interethnischer Parteien führen, eine Entwicklung, die es politisch zu beobachten gelte.

     

    „In einer Zeit, in der politische Botschaften über Slogans und Emotionalisierung vermittelt werden, hat vor allem die politische Linke Nachholbedarf“

     

    Politologe Andrea Carlà stellte den Wahlausgang in Bozen in einen historischen Kontext. Der Sieg von Claudio Corrarati sei weniger ein Rechtsruck als vielmehr eine Rückkehr zu alten politischen Mehrheiten, wie sie etwa 2005 unter Benussi bestanden. Fratelli d’Italia habe sich strategisch neu positioniert: weg von offen anti-autonomen Haltungen hin zu einer pro-autonomen, gemäßigten Linie, die auch mit dem Selbstverständnis der SVP als „ethnischer Partei“ in Teilen übereinstimme. 

    Carlà analysierte zudem den stilistischen Wandel in der politischen Kommunikation: „In einer Zeit, in der politische Botschaften über Slogans und Emotionalisierung vermittelt werden, hat vor allem die politische Linke Nachholbedarf“, so Carlà. Komplexe Argumente kämen bei einem Publikum, das schnelle Lösungen erwarte, kaum noch an. Die Rechte habe diesen Wandel besser verstanden und sich entsprechend angepasst. Carlà sprach sich nicht gegen Komplexität aus, plädierte aber für eine klare, bürgernahe Sprache, die politische Inhalte zugänglich mache, ohne sie zu trivialisieren.

    Der laue Sommerabend im Terrassengarten des Ost-West-Clubs bot den idealen Rahmen, um die dichte Diskussion Revue passieren zu lassen. Das Publikum nutzte die Gelegenheit sich bei der Diskussionsrunde miteinzubringen sowie zu angeregten Gesprächen bei einem Glas Wein – ganz im Sinne des Formats: informativ, offen und dialogorientiert.

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Salto User
Oliver Hopfgartner Sa., 28.06.2025 - 13:00

Wer sagt eigentlich, dass Politikverdrossenheit ein Problem ist?

Kann man es den Bürgern verübeln?

Vielleicht wäre es mal Zeit den umgekehrten Weg zu gehen, indem man auf die Politikverdrossenheit reagiert, indem man die Macht der Politiker stärker beschränkt und dafür den Bürgern mehr Entscheidungsautonomie gibt.

Sa., 28.06.2025 - 13:00 Permalink