Kultur | Amtssprache

Dialektale Verfehlung

Ein Fall in der Südtiroler Volksanwaltschaft wirft sprachliche Fragen auf: Wie viel Dialekt ist genug, ab wann ist es zu viel, und was ist, wenn man ihn nicht beherrscht?
Beamte
Foto: Deutschlandfunk
  • „Im Anhang die Dokumente, die dies beweisen“, steht in großen Lettern auf einem anonymen Schreiben, das den Briefkasten von SALTO vor wenigen Wochen erreichte. Die Dokumente, die den kniffligen Fall belegen, bestätigen tatsächlich, dass eine Mitarbeiterin der italienischen Sprachgruppe, die vor über drei Jahren zur Probe bei der Volksanwaltschaft in Bozen gearbeitet hatte, die Probezeit am Ende nicht bestand, da die damalige Volksanwältin Gabriele Morandell feststellte, dass die Mitarbeiterin den Südtiroler Dialekt nicht verstehe. Jo fahlt’s? [A.d.R.: Haben Sie nicht alle Tassen im Schrank?]
    Die Volksanwaltschaft in Südtirol ist eine vom Landtag gewählte Institution, die Beschwerden gegen die Landesverwaltung und andere öffentliche Einrichtungen prüft und behandelt, um somit Rechte und Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu schützen und gegebenenfalls gegen Behörden vorgebrachte Beschwerden zu bearbeiten. Der "dialektale Vorfall" erweckt den Anschein, dass bei der Volksanwaltschaft die Mundart im Arbeitsalltag einen überaus wichtigen Stellenwert einnimmt. Zu wichtig? 

  • Dialekt oder Hochsprache?: "Bei Vorstellungsgesprächen für eine Aufnahme mehr Aufmerksamkeit auf diesen Aspekt legen" Foto: Salto.bz

    „Die Bürger, die die Volksanwaltschaft aufsuchen, sprechen in sehr vielen Fällen einen ausgeprägten Südtiroler Dialekt, wobei es ihnen sehr oft nicht möglich ist, ihr Problem bzw. ihre Schwierigkeiten in Hochdeutsch zu formulieren“, berichtete die frühere Volksanwältin Gabriele Morandell in einem Schreiben vom 17. 1. 2023 an den Generalsekretär des Südtiroler Landtags, Florian Zelger. Morandell stellte fest, dass ihre Mitarbeiterin (auf Probezeit) zwar Hochdeutsch beherrsche, jedoch „keine Erfahrung mit den verschiedenen Dialekten, die in Südtirol gesprochen werden“, mitbringe, sodass sie die Bürger nicht ausreichend verstehen könne. Da hingegen eine „gute Kenntnis“ und „das Verstehen des einfachen Bürgers, der sein Anliegen vorbringt“, für die Arbeit in der Volksanwaltschaft unbedingt erforderlich seien, erteilte Morandell der Mitarbeiterin leider eine negative Bewertung zur Probezeit.
     

    Möchte ich verstanden werden? Oder benutze ich Sprache als Abgrenzung? 


    Nur wenige Wochen zuvor, am 27. 12. 2022, hatte Morandell dem gleichen Adressaten vom Amt für Verwaltungsangelegenheiten mitgeteilt, dass die Mitarbeiterin die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrsche. Vom Dialekt ist in dem Schreiben noch keine Rede. „Sie versteht die Bürger nicht, die in deutscher Sprache ihr Anliegen vorbringen, und hat zudem auch große Schwierigkeiten, einen deutschen Text zu verfassen“, schreibt Morandell. Und weiter: „Das Sprechen und Antworten in deutscher Sprache gelingt ihr ebenso nicht ausreichend. Da eine gute Kenntnis beider Landessprachen für die Arbeit in der Volksanwaltschaft unbedingt erforderlich ist, um die Arbeit für die Bürger zufriedenstellend zu erledigen, muss ich leider bereits nach diesem kurzen Zeitraum eine negative Bewertung der Probezeit erteilen.“ 
    Erst nach der Aussprache zwischen den beiden setzte sich Morandell erneut an die Tastatur und versuchte, mit einem vermeintlichen dialektalen Fehlverhalten die angespannte Sachlage zu untermauern. Ist ihre Begründung aber überzeugend? Als entgegenkommenden Zusatz vermerkte Morandell: „Für eine andere Aufgabe bzw. Stelle in der öffentlichen Verwaltung ohne diesen direkten Kontakt mit dem einfachen Bürger reichen die Deutschkenntnisse“ und dass sie selbst in Zukunft „bei den Vorstellungsgesprächen für eine Aufnahme mehr Aufmerksamkeit auf diesen Aspekt legen werde.“

  • Gabriele Morandell: "Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Dialekt verstehen oder sprechen können, ist keine Voraussetzung, erleichtert jedoch manchmal ein Gespräch" Foto: Werth

    Der Vorfall wirft einen sprachlichen Schatten – nicht nur auf die Institution Volksanwaltschaft, sondern auch auf dialektale Befindlichkeiten im Land. Wer einen der vielen Südtiroler Dialekte spricht – und eventuell andere nach Talschaften gefärbten Varianten entziffern kann –, ist im kleinen Südtirol klar im Vorteil. Warum aber sind jene, die dem Dialekt nicht folgen können, im Nachteil? Geht es in einem Amt nicht zunächst darum, die beiden Hochsprachen zu beherrschen? Dann eventuell die Minderheitensprache Ladinisch oder natürlich die Weltsprache Englisch?
    Klar, Dialekte sind wichtige Zeugen für die Sprachforschung in der Theorie und für den Stammtisch in der Praxis; allerdings hat auch ihre Nutzung im Alltag Grenzen. Wenn ein Jannik Sinner oder Dominik Paris in ihrer Mundart tönende Interviews geben, mag das für Südtiroler und Südtirolerinnen heimelig klingen – international bleiben sie vollkommen unverständlich. Aber vielleicht können sie es nicht besser, was bedauerlich wäre...
    Zum besseren Verständnis des Dialekts würdigt das Radio von Rai Südtirol gegenwärtig besondere Begriffe und gibt dem Dialekt sogar eine Quiz-Plattform, auch die Band Anger überrascht mit einen Dialekt-Song. Das ist alles gut und lustig; bedenklich wird es jedoch, wenn Landtagsabgeordnete weder Deutsch noch Italienisch, sondern sich nur noch im Dialekt verständlich machen – oder junge Menschen am Smartphone ausnahmslos die gesprochene, verschriftlichte Willkür für ihre Textmitteilungen verwenden. Denn das Ganze hat vor allem mit einer Prise Offenheit zu tun. Möchte ich verstanden werden? Oder benutze ich Sprache als Abgrenzung? 
     

    Natürlich ist es in der Volksanwaltschaft wichtig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bürgerinnen und Bürger verstehen, um eine Beschwerde aufzunehmen. 


    Zum Glück gibt es Tipps und Tricks, wie mit Dialekt oder Sprache besonders raffiniert umgegangen werden kann. Der Schriftsteller Luciano De Crescenzo (1928-2019) machte es vor rund einem halben Jahrhundert in seinem Bestseller Così parlò Bellavista. Napoli, amore e libertà vor: Er sprach seine Erzählungen auf Neapolitanisch, seiner Herkunftssprache, und besorgte im Anschluss die Übertragung aus dem Neapolitanischen ins Italienische. Nur so, laut De Crescenzo, sei die absolute Authentizität und eine Garantie der Verbreitung und Lesbarkeit gewährleistet.

    „In der Volksanwaltschaft ist es wichtig, dass die Mitarbeiter beide Landessprachen gut beherrschen. Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Dialekt verstehen oder sprechen können, ist keine Voraussetzung, erleichtert jedoch manchmal ein Gespräch“, meinte Gabriele Morandell übrigens auf Nachfrage von SALTO. Als dann auf den speziellen Vorfall im Detail hingewiesen wurde, wollte die ehemalige Volksanwältin sich nicht allzu sehr aus dem Fenster lehnen, unterstrich aber ihren Standpunkt: „Natürlich ist es in der Volksanwaltschaft wichtig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bürgerinnen und Bürger verstehen, um eine Beschwerde aufzunehmen. Das ist ein wesentlicher Punkt der Arbeit. Dabei kann es natürlich auch vorkommen, dass sich Bürgerinnen und Bürger mit dem Hochdeutsch schwer tun und im Dialekt ihr Anliegen vorbringen.“ Für weitere Fragen solle sich SALTO an die Volksanwaltschaft wenden.
    Pfiati [A.d.R.: Auf Wiedersehen]