So ein Theater!

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„Mit großer Sorge verfolge ich das Bild, das sich uns nach den ersten Tagen seit der Öffnung der Anmeldungen für das Schulprogramm der Vereinigten Bühnen Bozen zeigt. Das ist ein herber Schlag gegen unser Ziel und unseren Auftrag, Werte und Sprache zu vermitteln“, gibt sich Präsidentin der Vereinigten Bühnen Bozen (VBB) Judith Gögele verärgert. Gestern saß sie als Geladene bei der Programmvorschau des Südtiroler Kulturinstituts im Waltherhaus, vorgestern bestritt sie gemeinsam mit Intendant Rudolf Frey die Hinweisveranstaltung zum Auftaktstück der Vereinigten Bühnen Bozen: König Lear, von Shakespeare – ein Paradestück für den Schulunterricht und das Leben.
Sportveranstaltungen, Kulturveranstaltungen, Ausflüge: seit Monaten raunt es beim Thema Schule und Schulausgänge an allen Ecken und verärgert nicht nur Eltern. Vor allem der lokale Kulturbereich macht sich berechtigte Sorgen, wenn die sogenannten Ausflüge ins Theater (für das fantasievolle Reisen in neue Welten) nicht mehr durchgeführt werden. Für die VBB-Präsidentin sind Theaterbesuche keine wirklichen „Ausflüge“ oder „außerschulische Aktivität“, betont sie, sondern „integraler Bestandteil von Allgemeinbildung und persönlichkeitsfördernder Ausdrucksform.“
Jede Möglichkeit zur Berührung mit Kultur, die jungen Menschen - dem Publikum von morgen - jetzt verwehrt wird, kann nicht nachgeholt werden.
(Rudolf Frey) -
Rudolf Frey und Judith Gögele: Müssen nach dem Ausbleiben von Anmeldungen für Schulklassen die für Oktober und November geplanten Schulvorstellungen von "König Lear" abgesagt werden? Foto: Vereinigte Bühnen Bozen
Der Intendant der Vereinigten Bühnen Bozen Rudolf Frey ist ebenfalls besorgt. „Ein bedrohliches Ausbleiben dieses ganzen Publikumssegments kreiert für uns Theaterschaffende und Theaterpädagoginnen und Theaterpädagogen einen ‚Lockdown-ähnlichen‘ Zustand“, sagt er, „Stücke müssen produziert werden, die seit langem geschlossenen Verträge mit den mehr als hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bindend, zugesagte Gehälter und Honorare werden bezahlt – auch wenn wir möglicherweise gezwungen sind Vorstellungen abzusagen.“ Hinzu kommt, dass alle an einer Aufführung auf und hinter der Bühne beteiligten Menschen ihrer Tätigkeit entzogen werden. Wie rosig war das noch in der vergangenen Spielzeit gewesen, als noch rund 6.000 junge Menschen aus ganz Südtirol die Theatervorstellungen und Workshops besuchten. „Diese unverzichtbare Säule unserer Tätigkeit zeigt sich auch im diesjährigen künstlerischen Programm: alle unsere Inszenierungen werden in der jeweiligen Spielserie auch vormittags für Schülerinnen, Schüler und Lehrpersonen zugänglich gemacht.“
Enttäuscht zeigt sich auch Karmen Kammerlander, Vizepräsidentin des Südtiroler Theaterverbands (STV). „Wenn Kultur aus dem Schulalltag verschwindet, verlieren wir weit mehr als nur Museumsbesuche, Theater-AGs, Projekte mit Künstlerinnen, oder Bandproben“, sagt sie, „wir verlieren die Räume, in denen junge Menschen lernen, Fragen zu stellen, sich auszudrücken, Empathie zu entwickeln und analog zu kommunizieren – kurz: wir verlieren die Chance auf ganzheitliche Bildung“ Nach jahrelanger Aufbauarbeit durch die Kulturverbände scheint mit den aktuellen Protestmaßnahmen der Lehrer und Lehrerinnen nun so einiges zerstört. „Kinder aus bildungsfernen oder einkommensschwachen Familien verlieren den oft einzigen Zugang zu kultureller Bildung, wenn die Schule nicht vermittelt“, meint Kammerlander und stellt die berechtigte Frage in den Raum: „Wie steht es folgend um Persönlichkeitsentwicklung, soziales Lernen und die Menschlichkeit?“
Und das ganze Dilemma, nur weil die Politik einer wohlständigen Minderheitenregion wie Südtirol nicht imstande ist, das wichtige Problem Gehälter im Bildungsbereich zeitnah anzugehen, sondern lieber protzig in Tunnels, Speicherbecken, Seilbahnen, Kreisverkehre und Straßen investiert? Warum nicht in die Köpfe der Schülerinnen und Schüler und deren Zukunft?Heute. Hier. Jetzt.: Kulturinstitut-Präsident Hans-Christoph von Hohenbühel bei der gestrigen Vorstellung der Spielzeit 2025/2026. Foto: SALTOWährend das Kinder- und Jugendtheaterprogramm des Südtiroler Kulturinstituts (SKI), „in der letzten Spielzeit regelrecht gestürmt wurde, war der Start der Anmeldungen in dieser Woche ernüchternd“, erzählt der Geschäftsführer Peter Silbernagl gegenüber SALTO, nach der gestrigen Präsentation des neuen Veranstaltungsjahrs. Dabei war die Zusammenarbeit mit den Schulen in den vergangenen Jahren stets erfolgreich abgelaufen. Und nun? Das erste Kindermusical musste bereits abgesagt werden. „Wir hoffen, dass dies nicht für alle weiteren Aufführungen und Lesungen gilt, die wir schon von langer Hand vorbereitet haben. Die kleinen Bühnen unter jenen, die wir zu Tourneen durch Südtirol eingeladen haben, und die vielen oft prekär beschäftigen Schauspielerinnen und Schauspieler trifft der Einkommensausfall hart“, kommentiert Silbernagel die Situation und fügt an: „Vor allem tut es uns leid für die Kinder und Jugendlichen, denn der Besuch im Theater oder bei einer Lesung ist eine bereichernde Erfahrung, die viele nur im Rahmen eines Schulausflugs machen können.“
Es treffe sie sehr hart, dass gerade die Teilnahme an „kritischen, nachdenklichen und manchmal mahnenden Stimme des Theaters jungen Menschen in diesem Schuljahr nicht ermöglicht wird“, sagt die VBB-Präsidentin Judith Gögele: „Theater und Kultur dürfen nicht zum Spielball politischer Auseinandersetzungen werden – es ist ein Ort der Bildung, der Begegnung und der menschlichen Reflexion, den wir unbedingt bewahren müssen.“ Peter Silbernagel gibt sich kreativ optimistisch: „Wir hoffen nach wie vor auf erfolgreiche Verhandlungen zwischen Landesregierung und Lehrergewerkschaft, damit die vielen kulturellen Initiativen für die Schule wieder Zuspruch finden.“
Auch Eltern dürfen mit ihren…
Auch Eltern dürfen mit ihren Kindern ins Theater gehen. Und Jugendliche mit ihrer Truppe. An Schulaufführungen erinnere ich mich eher mit Grausen zurück (frei nach F. Zappa: zwar noch nicht tot, riecht aber schon etwas). Also mich haben die Schulaufführungen eher abgeschreckt.
Das lässt sich noch richten!…
Das lässt sich noch richten! Mit klaren Zusagen der Politik, die die protestierende Lehrerschaft überzeugen, mit Planungssicherheit für die Lohnverhandlungen, mit der gegenseitigen Verknüpfung von Wertschätzung und Vertrauen. Allenfalls mit Kompromisslösungen zu bestimmten wertvollen Initiativen. Wenn sonst wirklich nichts geht, mit Ad-hoc-Lösungen für die Vorbereitung und die Begleitung.
Endlich wird auch mal…
Endlich wird auch mal sichtbar, was Lehrpersonen neben ihrem eigentlichen Job (lehren) noch alles extra leisten (Organisation und Durchführung einer Vielzahl von weiteren Tätigkeiten) und wie viele andere Menschen davon leben können.
Ohne unbezahlter extra-Arbeit von Lehrer:innen liegt ein großer Teil des Kultur- und ein Teil des Freizeitbetriebs darnieder.
Hoffentlich schärft das den Blick für die Arbeit, die die Lehrpersonen geleistet haben und auch wieder zu leisten bereit sind, wenn die Gegenleistung (und gern auch die Wertschätzung) endlich wieder stimmt.
Antwort auf Endlich wird auch mal… von Corinna Lorenzi
Wir wissen was Lehrpersonen…
Wir wissen was Lehrpersonen leisten und es steht außer Frage - ich kenne die Situation zu gut und es ist an der Zeit, dass Lehrpersonen die Wertschätzung erhalten, die sie verdienen. Allerdings gibt es ein aber, denn wir wissen auch, dass seit Jahrzehnten Kulturvereine, Theaterpädagog:innen, Musikschulen, Sportverbände und andere Einrichtungen den Schulalltag mit Projekten bereichern (ja, und es sind Angebote, die weit über den reinen Unterricht hinausgehen). Aber sie sind es, die mit großem Engagement und oft unter schwierigen finanziellen Bedingungen Angebote geschaffen, die Kindern und Jugendlichen neue Perspektiven eröffneten – sei es im kreativen, sportlichen oder sozialen Bereich. Gerade diese Akteure sind nun von den Folgen der Protestmaßnahmen besonders stark betroffen. Viele von ihnen haben sich über Jahre hinweg nicht nur inhaltlich, sondern auch organisatorisch und finanziell eingebracht: Sie haben Förderungen akquiriert, Kooperationen aufgebaut, Sponsoren gesucht und teilweise auch Eigenmittel investiert, um den Schulen ein möglichst breites Angebot zu sichern. Ihr Einsatz hat entscheidend dazu beigetragen, dass außerschulische Bildungsarbeit in Südtirol einen hohen Stellenwert entwickeln konnte. Das darf nicht vergessen werden. Viele fragen sich nun, ob ihre jahrelange Aufbauarbeit gefährdet ist und ob es künftig überhaupt noch Strukturen geben wird, die eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Schule und externen Bildungsinitiativen ermöglichen.
Langfristig steht damit nicht weniger als die Vielfalt des Bildungsangebots auf dem Spiel. Und bringt die Kooperation von Schulen mit externen Partnern nicht auch Lebendigkeit und Erfahrungsreichtum wie gesellschaftlicher Anbindung mit sich?
Ich habe das Gefühl, dass die Schule endlich zur Ruhe kommen möchte und den Fokus auf das Wesentliche legen möchten: Lehrpersonen möchten ihre Energie auf die Kernaufgaben richten und Überlastung reduzieren.
Aber ein Rückzug nach innen tut der Schule auch nicht gut. Kurzfristige Ruhe kann langfristige Leerstelle bedeuten. Denn wenn Ruhe mit Abschottung gleichgesetzt wird, droht ein Verlust an Lebendigkeit.
Wenn Ruhe hingegen als bewusste Neuausrichtung verstanden wird, könnte sie auch die Chance eröffnen, externe Kooperationen klarer und verlässlicher gestalten. Wenn externe Partner bislang vieles selbst getragen haben, könnte diese Situation ebenso Anstoß sein, die Verantwortung gerechter zwischen Schule, Verwaltung und Partnern zu verteilen. Aus dem Bruch kann eine neue Grundlage entstehen, die langfristig stabiler ist – mit klareren Verträgen, verlässlicheren Finanzierungen und transparenteren Kooperationen.
Die Frage ist dann nur (wenn der Protest länger anhält): mit welchen Kooperationspartnern?
Es ist ein durch und durch…
Es ist ein durch und durch unwürdiges Schauspiel, das der Bildungsbereich hier leider gezwungen ist aufzuführen, um einen halbwegs angebrachten Inflationsausgleich zu erkämpfen, worum sich eigentlich der Staat automatisch und regelmäßig kümmern müsste, wie in anderen Ländern auch.
Wunderbar beschrieben,…
Wunderbar beschrieben, Alexandra Hofer!
Vielleicht ist dieser Emanzipationschritt der LehrerInnen, auch ein erster Schritt hin zu einer "Schule im Aufbruch".
Sozusagen das “Betriebssystem” erneuern, anstatt auf ein veraltetes und überlastetes System immer wieder neue Programme aufzuspielen. Es geht doch auch um das Lösen von adaptiven Herausforderungen, um die Veränderung innerer Haltungen und grundsätzlicher Arbeitsweisen....
Antwort auf Wunderbar beschrieben,… von Herta Abram
Ja, es stimmt: In jedem…
Ja, es stimmt: In jedem Protest liegt auch ein emanzipatorisches Potenzial. Er kann Anstoß sein, eingefahrene Strukturen und „alte Betriebssysteme“ kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig birgt die aktuelle Form des Rückzugs allerdings eine große Gefahr: Wenn Lehrpersonen sich vor allem nach innen orientieren, droht die Schule den Dialog mit ihrem Umfeld zu verlieren. Genau dieser Dialog – mit Schüler:innen, Eltern, externen Partner:innen und der Gesellschaft – ist aber Voraussetzung dafür, dass eine „Schule im Aufbruch“ nicht nur ein Schlagwort bleibt, sondern tatsächlich zu neuen Arbeitsweisen und Haltungen führt. Emanzipation bedeutet also nicht Abschottung. So sehe ich das.
Antwort auf Ja, es stimmt: In jedem… von Alexandra Hofer
Ja, ich sehe das wie Sie.
Ja, ich sehe das wie Sie.
Die Externen, die bisher auf…
Die Externen, die bisher auf Kosten der Schule gelebt haben, sollen sich anderweitig orientieren, in den Alten- und Pflegeheimen bräuchte es z. B. dringend Personal. Meldet euch dort, statt zu lamentieren.
Antwort auf Die Externen, die bisher auf… von Aloisius von Gonzaga
Externe Partner leben nicht …
Externe Partner leben nicht „auf Kosten der Schule“, sondern tragen mit ihrer Arbeit seit Jahren zur Vielfalt, Qualität und Lebendigkeit des Bildungsangebots bei. Theater, Musik, Kunst oder Sprachförderung erweitern das Lernen und entlasten Lehrer:innen in Bereichen, die sie allein kaum abdecken könnten. Oft sind es sogar die externen Partner selbst, die Förderungen und Finanzierungen organisieren, um ihre Projekte möglich zu machen – und damit zusätzliche Ressourcen ins Schulsystem bringen.
Antwort auf Externe Partner leben nicht … von Alexandra Hofer
Alles schön und gut, aber…
Alles schön und gut, aber diesen Luxus können wir uns in dieser Form nicht mehr leisten. Die Gesellschaft braucht Alten- und Pflegekräfte und nicht den x-ten Workshop, früher ist die Schule auch ohne diese Zusatzangebote ausgekommen.
Antwort auf Alles schön und gut, aber… von Aloisius von Gonzaga
Ich verstehe was Sie meinen…
Ich verstehe was Sie meinen. Der Druck auf die Gesellschaft – gerade im Pflege- und Sozialbereich – ist real und spürbar. Gleichzeitig dürfen wir aber nicht übersehen, dass Schule heute nicht mehr mit der Schule von gestern zu vergleichen ist. Die Anforderungen an junge Menschen haben sich massiv verändert: Digitalisierung, Mehrsprachigkeit, gesellschaftliche Diversität, psychische Belastungen – all das war in dieser Form früher nicht vorhanden.
Workshops und Zusatzangebote sind daher kein „Luxus“, sondern ein Teil einer zeitgemäßen Bildung, die Kinder nicht nur mit Wissen, sondern auch mit sozialen, kreativen und emotionalen Kompetenzen ausstattet. Genau das macht sie langfristig auch zu den Menschen, die später Verantwortung übernehmen können – sei es im Pflegebereich oder in anderen wichtigen Feldern unserer Gesellschaft.