Politik | Interview

„Russland testet, wie die NATO reagiert“

Gerhard Mangott wird seit Wochen angefeindet – das hält den Experten nicht davon ab, sich weiterhin öffentlich zum Ukraine-Konflikt und den Drohnen über Europa zu äußern.
Gerhard Mangott
Foto: Seehauserfoto
  • SALTO: Herr Mangott, Sie werden auf der Plattform X seit Wochen stark angefeindet. Wie erklären Sie sich diesen Hass?

    Gerhard Mangott: Ich versuche in meiner Arbeit nüchtern und sachlich zu arbeiten. Auch in diesem Krieg Russlands gegen die Ukraine versuche ich, nicht Partei zu ergreifen, sondern einen nüchternen Blick darauf zu werfen. Das ist weder für pro-ukrainische noch für pro-russische Kräfte akzeptabel und deswegen fallen von beiden Seiten Leute über mich her, mit höchsten Diffamierungen und Hassbotschaften. Man kann sich kaum dagegen wehren, auch wenn ich dazu sagen muss, dass man es nicht immer aushält.

    Von wem genau gehen die Anfeindungen aus?

    Es ist mehr als nur die Aggression von irgendwelchen anonymen, frustrierten Accounts, sondern es ist teilweise orchestriert, um Druck auszuüben auf bestimmte Personen, damit sie ihre Positionen ändern oder sich gar nicht mehr äußern. 

  • Zur Person

    Der renommierte Russland-Experte Gerhard Mangott, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, analysiert in seinem 2024 veröffentlichten Buch „Russland, Ukraine und die Zukunft” die Hintergründe und Folgen des Ukraine-Konflikts. Der 59-Jährige lebt mit seinem Partner in Innsbruck. 

  • Wie beurteilen Sie die russischen Drohnen im europäischen Luftraum?

    Nun, was wir sicher wissen ist, dass es russische Drohnen in Polen und russische Kampfflugzeuge im westlichen Luftraum waren. Ich glaube, Russland setzt diese Provokationen aus folgenden Gründen: Erstens will man testen, wie und wie rasch die NATO militärisch und politisch reagiert – hier ist die NATO geschlossen geblieben. Ein weiteres Motiv ist sicherlich, Angst und Unsicherheit in den europäischen Bevölkerungen zu stärken, was nicht aufgegangen ist. Zudem soll ein Warnsignal an den Westen geschickt werden, sich in der Ukraine nicht noch mehr zu engagieren. Nicht zuletzt müssen die europäischen NATO-Staaten jetzt gegen diese Luftraumverletzungen an der Ostflanke mehr Luftabwehr stationieren. Diese Luftabwehr, die steht eben dann der Ukraine nicht zur Verfügung, die sie unbedingt von den Europäern bräuchte.

     

    „US-Präsident Trump ändert seine Positionen sehr häufig, von einer Richtung in die gänzlich andere.“

     

    Der Botschafter der Ukraine in New York, Andrij Melnyk, stellt bei seinen Verbündeten eine Kriegsmüdigkeit fest, während Russland vor den Vereinten Nationen Lügen verbreite…

    Das ist sicherlich wahr, aber die Kriegsmüdigkeit auf westlicher Seite sehe ich nicht. Die westlichen Staaten, sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch der NATO, unterstützen die Ukraine massiv finanziell und auch massiv militärisch. Da die Vereinigten Staaten (USA, Anm. d. Red.) jetzt nicht mehr bereit sind, Waffen an die Ukraine zu liefern, müssen die Europäer sie kaufen und geben sie dann an die Ukraine weiter.

  • Der Konflikt: Russland führt seit Februar einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Kämpfe schreiten fort. Foto: ukraine.ua
  • Im Gespräch mit SALTO prognostizierten Sie letztes Jahr, dass die Konfrontation zwischen Russland und den USA zunehmen wird. Hat sich das bestätigt?

    Es ist ein Auf und Ab. US-Präsident Trump ändert seine Positionen sehr häufig, von einer Richtung in die gänzlich andere. Manchmal sieht es im Verhältnis USA-Russland nach Entspannung aus, dann wieder nach Konfrontation. Nach dem Telefonat Putins (Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation, Anm. d. Red.) mit Trump am Donnerstagabend könnten die Weichen wieder auf Entspannung gestellt sein. Trump ist sehr erratisch, er irrlichtert in seiner Außenpolitik. 

    Wie hat sich die Unterstützung Europas für die Ukraine seit Kriegsbeginn entwickelt? 

    Anfangs waren viele westliche Staaten zögerlich in der Lieferung von Waffen, weil man nicht wusste, wie die russische Seite militärisch auf eine solche Waffenlieferung antworten würde. Aber die Waffenlieferungen wurden dann immer mehr, es wurde immer besseres und schlagkräftigeres Gerät geliefert. Als zweiter Weg wird ukrainische Technologie in europäischen Staaten produziert und in die Ukraine geliefert. Das ist deswegen wichtig, weil ukrainische Rüstungsunternehmen natürlich unter Beschuss der russischen Streitkräfte stehen und wenn man in europäischen Staaten die Produktion auslagert, dann ist dieses Risiko weg. Nur bleibt es natürlich dabei, dass auch diese Waffen dann von irgendjemandem bezahlt werden müssen, das kann die Ukraine nicht, also werden es wieder die Europäer sein. 

     

    „Die Ukraine soll weiterkämpfen.“

     

    Also hat die Unterstützung Europas zugenommen? 

    Ja, denn die Europäische Union und die europäischen NATO-Staaten teilen eigentlich die Position der Ukraine: Sie soll weiterkämpfen und dafür brauche sie mehr und bessere Waffen, um vielleicht in einer erfolgreichen Gegenoffensive wieder Territorien zurückzuerobern und ihre Verhandlungspositionen zu verändern. Gesprochen wird jetzt auch über den Ankauf von US-amerikanischen Tomahawk-Marschflugkörpern, aber ob die USA dafür die Erlaubnis geben, dass die Europäer das kaufen und an die Ukraine weitergeben, das ist noch nicht entschieden.

    Wie schätzen Sie diese Option ein? 

    Nun, das Telefonat zwischen Trump und Putin am Donnerstag dieser Woche, das war auch dazu gedacht, den Besuch Selenskyjs (Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, Anm. d. Red.) am Freitag in Washington zu torpedieren. Nach dem angeblich produktiven Gespräch zwischen Putin und Trump bin ich mir nahezu völlig sicher, dass die USA zumindest jetzt nicht darüber entscheiden werden, jedenfalls nicht positiv, ob die Ukraine diese Marschflugkörper bekommt. Ich glaube, das Thema ist jetzt vor Ort vom Tisch.