Ein Stück Leben
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Der deutsche Kanzler Merz hat unlängst eine dummdreiste Aussage zu den „Problemen mit dem Stadtbild“ getätigt und gleich eine Lösung dafür vorgeschlagen: mehr abschieben. Abgesehen davon, dass dies eher nach einem politischen Offenbarungseid statt nach staatsmännischem Handeln klingt, deckt der bisher ohne Fortüne handelnde Spitzenpolitiker ein fatales Phänomen unserer Zeit auf, die ihr Heil in einer empört-beflissenen Verdrängung unliebsamer Fakten sucht und in der das Leben nicht mehr gelebt wird, sondern dekoriert.
So geschehen in Bozen, wo am Beispiel von Signor Carlo vorexerziert wird, worum es geht. Er hatte sein Lager im wirtschaftlichen Filetstück zwischen Waltherplatz, Sparkasse und Stadthotel aufgeschlagen und störte offensichtlich das Stadtbild so sehr, dass er von dort entfernt wurde.
Das Leben ist nicht immer aufgeräumt und schön. Es kann hässlich sein, übel riechen, verstören, wehtun. Es funktioniert nicht immer alles so, wie in der Werbung: Mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein Pferd – und was sonst noch alles dazugehört zum Glück, das die Shareholder der Bank noch glücklicher machen soll in unseren falschgoldenen und verlogenen Glücksdelirien.
Es funktioniert nicht immer alles so, wie in der Werbung.
Wir sprechen vom Stadtbild als ginge es um ein Gemälde und nicht um ein Abbild der Wirklichkeit. Wir produzieren sterile und monofunktionale Stadträume, Kulissen für wirtschaftliche Rituale, für den Götzendienst unserer Zeit.
Verdrängen und Selbstbetrug machen uns als Menschen immer flacher. Wir amputieren einen Teil unserer Wirklichkeit und verleugnen damit auch Teile von uns selbst. Harmonie um jeden Preis macht unsere Leben aufgesetzt, künstlich und banal. Das Unliebsame – das Hässliche, Schmerzliche, Bedrohliche – verschwindet aber nicht, wenn wir es ausblenden.
Im Gegenteil: Es fällt auf uns zurück, meist in Momenten, in denen unsere bewusste Kontrolle geschwächt ist: in Träumen, in Krisen, in Beziehungen. Dann erleben wir oft unverständliche Emotionen, die „Rückkehr in entstellter Form“ wie es Freud bezeichnet hat.
Das Unliebsame verschwindet nicht, wenn wir es ausblenden.
Wir können uns davor nur schützen, wenn wir bereit sind, das Leben in seiner Vielfalt anzunehmen und seine Breite, Tiefe und Potenzialitäten auszuschöpfen und zu feiern – rund um die unverrückbare Errungenschaft der Menschenwürde als höchstes Prinzip unseres Kulturstandes. Gelingt dies, kann unsere überreiche Gesellschaft Verwerfungen beheben und nicht nur verdrängen.
Wenn ich heute zwischen Stadthotel und Sparkasse an Carlos Platz vorbeigehe, fehlt mir etwas.
Ein Stück Leben.
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Ich denke das ist ein sehr gutes Beispiel für die sogenannten Probleme mit dem Stadtbild.
Der Denkfehler liegt aus meiner Sicht darin, die Herkunft zu thematisieren, denn eigentlich sollte man auf das Verhalten schauen. Generelles Abschieben wäre schlecht, weil gerade Ausländer heutzutage oft mehr Arbeitsmoral und Handschlagqualität haben als manche Einheimische. Natürlich gibt es auch kriminelle Ausländer, deren Problem einfach ist, dass sie entweder traumatisiert oder in einer radikalen Ideologie sozialisiert wurden, die sie gesellschaftlich inkompatibel macht. Solche Leute bringen dann nur Unruhe rein und in solchen Fällen finde ich ganz ehrlich eine Abschiebung angemessen, wenn sie straffällig werden.