Politik | Krieg in Syrien

Wir wollen weder Assad noch den Islamischen Staat!

Die syrische Autorin Samar Yazbek hat das Wüten des Islamischen Staates selbst erlebt. Trotzdem warnt sie davor, das Assad-Regime nun als geringeres Übel anzusehen.
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Samar Yazbek ist Schriftstellerin und Journalistin. Sie stammt aus einer alawitischen Familie, die Präsident Baschar al-Assad nahe steht. Doch im Jahr 2011 gab Yazbek ihr komfortables Leben in der syrischen Oberschicht auf, und verschrieb sich vollkommen der beginnenden Revolution. Sie demonstrierte, schrieb, wurde verhaftet und immer wieder bedroht. Ihre Familie sagte sich von ihr los, da sie sich offen gegen das Assad-Regime wandte. Erst als auch das Leben ihrer Tochter in Gefahr war, verließ Yazbek Syrien. Ihr dramatisches Tagebuch („Schrei nach Freiheit“) aus den ersten Monaten des Aufstandes ist auf Deutsch 2012 bei Nagel & Kimche erschienen.


Frau Yazbek, Sie haben Syrien bereits im Jahr 2011 verlassen, leben nun im Exil in Frankreich. Wie haben Sie den Vormarsch des Islamischen Staates (IS) miterlebt?

In den letzten drei Jahren habe ich immer wieder den Norden Syriens besucht. Ich habe gesehen, welchen Preis die einfachen Leute in Syrien für diesen Krieg bezahlen. Und ich habe miterlebt, wie sich die Revolution verändert hat, wie die Ereignisse gekippt sind, als immer mehr ausländische Kämpfer nach Syrien einreisten, und sich der Islamische Staat in Syrien ausgebreitet hat.

Wie erklären Sie sich den rasanten Machtzuwachs des IS?

Um es auf den Punkt zu bringen: Der IS ist die Ausgeburt der Verbrechen, die das Assad-Regime in Syrien begangen hat, und die Folge des Schweigens, mit dem die ganze Welt diesen Verbrechen zugesehen hat. Die gemäßigten Fraktionen der Rebellen wurden marginalisiert und von Assad bekämpft, wovon der IS profitiert hat.

Eine Zeit lang schlossen sich viele junge Männer den Dschihadisten von der Nusra-Front an, weil die moderateren Rebellen wie die Freie Syrische Armee keine Waffen übrig hatten, und wenig bis gar keine Unterstützung von außen erfuhren. Der IS hingegen kontrolliert nun Gebiete, in denen es Ölvorkommen gibt, er raubt, entführt Zivilisten, erpresst Lösegeld. Ich habe mit meinen eigenen Augen einen Stützpunkt des IS gesehen, wo es jede Menge Hummer SUVs gab, neue Waffen, sehr viel Artillerie. Bis jetzt ist nicht klar, wer den IS genau unterstützt, aber er hat eine Menge Geld.

Wie lebt es sich in Syrien in den vom IS kontrollierten Gebieten?

Der IS besteht größtenteils aus ausländischen Kämpfern, die nach Syrien gekommen sind, und diejenigen Gebiete besetzt haben, die eben erst durch die anderen Rebellentruppen befreit worden waren. Die Dschihadisten kamen mit einer neuen Ideologie, die sie den Menschen aufzwangen. Doch der IS ist nicht Teil der syrischen Gesellschaft oder Kultur. Die Syrer sind vom IS sogleich enttäuscht worden, denn die syrische Bevölkerung kann und will nicht so leben, wie der IS es ihr vorschreiben will. Die syrische Gesellschaft neigt nicht zum Extremismus, sie ist größtenteils friedlich und offen für andere.

Immerhin hat Syrien drei Jahre des Bürgerkriegs, des Schlachtens durchlebt, was unweigerlich Spuren hinterlässt.

Das ist es, was mir Angst macht. Diese drei Jahre der Gewalt haben die Menschen brutalisiert, und der IS treibt das noch auf die Spitze: Er bildet Kinder zu Soldaten aus, verweigert Frauen und Mädchen Zugang zu Bildung, und die einzige Bildung, die die Dschihadisten zulassen, ist das Koranstudium. Wenn wir noch zehn Jahre warten, werden wir eine ganze Generation haben, die bloß die vom IS zugelassene Bildung kennt.

Angesichts der zur Schau gestellten Brutalität des IS, und seines ungebremsten Vormarsches, scheint das Regime von Baschar al-Assad manchen als kleineres Übel.

Das Assad-Regime und der IS sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Der Extremismus des IS speist sich aus den drei Jahren der extremen Gewalt durch das Assad-Regime. Und um den IS loszuwerden, müssen wir auch Assad loswerden, der eine kann nicht ohne den anderen überwunden werden.

Allerdings war das ja genau die Strategie Assads von Anfang an, sich als das geringere Übel darzustellen. Assad hat zwar chemische Waffen eingesetzt, er hat Städte in Schutt und Asche gelegt, er hat Schuld an einer halben Million von Toten, und am Umstand, dass Millionen von Syrern auf der Flucht sind, doch die ganze Zeit hat er uns versichert, dass er nur Dschihadisten bekämpft. Dabei ist es Assad, der den IS erschaffen hat, und die Untätigkeit der Welt, die den IS mit hervorgebracht hat.

Wie sehen Sie denn dann die amerikanische Luftschläge gegen den IS?

Nun, ich bin eine erbitterte Gegnerin des IS, also unterstütze ich es, wenn der IS angegriffen wird. Aber die Lage ist nicht so eindeutig. Und ich frage mich: Warum machen die Amerikaner und ihre Verbündeten das? Ich bin dafür, den Terrorismus zu bekämpfen, aber nicht dafür, den großen Terroristen Assad zu verschonen. Was, wenn Assad von der Schwächung des IS profitiert? Ich bin mir sicher: Wenn die Amerikaner den IS vernichten, aber Assad weitermachen lassen, dann wird es einen neuen, noch brutaleren IS geben. Und natürlich besteht die Gefahr, dass die Luftschläge auch eine radikalisierende Wirkung entfalten, vor allem wenn Zivilisten sterben.

Wie verarbeiten Sie als Schriftstellerin die Ereignisse in ihrem Land?

Vier Jahre lang habe ich keine Belletristik geschrieben. Das Ausmaß der Gewalt hat mich gelähmt. Statt dessen habe ich eine Organisation gegründet, die versucht, die Zivilgesellschaft zu unterstützen, Freiräume für Frauen und Kinder zu schaffen, angesichts der Bedrohung durch das Assad-Regime auf der einen, und die Dschihadisten auf der anderen Seite.

Wie sehen Sie die Zukunft Syriens?

Ganz ehrlich, ich habe die Hoffnung verloren. Ich glaube, wir stehen vor einem langen Krieg. Ich sage mir zwar stets, ich darf die Hoffung nicht aufgeben, doch ich habe eigentlich keine Hoffnung mehr. Selbst wenn Assad und der IS verschwänden, bräuchten wir viele Jahre, um uns von all der Gewalt zu erholen und Syrien wieder aufzubauen. Das Ausmaß der Zerstörung, der Riss, der durch die Gesellschaft geht, ist unglaublich. Aber die Welt kümmert sich nicht darum. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber wir sind der Welt egal.

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Profil für Benutzer Maximilian Benedikter
Maximilian Ben… Sa., 11.10.2014 - 16:17

Ich hätte sie gern noch gefragt, ob sie die Revolution noch eimal unterstützen würde? Oder was haben die jungen Weltoffenen Syrier falsch gemacht? Etwas bitter, aber ich glaube diese Frage schwimmt doch latent mit.

Sa., 11.10.2014 - 16:17 Permalink