Der Schlag in die Magengrube
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Renate Holzeisen hat im Landtag eine, ja wirklich nur eine Mission: Mit Inbrunst die WHO, die Pharma-Lobby und die Impfpflicht für Kinder zu verteufeln. Egal, worum die Debatte sich gerade dreht; egal, wozu sie befragt wird: Die Abgeordnete schafft es, von jedem Thema auf ihre Kernkompetenz überzuleiten. Meistens braucht sie dafür gar kein Apropos, es geschieht übergangslos. Hunde-DNA? Impfen ist böse. Olympia? Impfen ist böse. Mittagspause jetzt? Impfen ist böse.
Man könnte es witzig finden, wenn das Ganze nicht so verdammt gefährlich wäre. Gefährlich und verletzend noch dazu.
Man könnte sich darüber amüsieren und es drollig finden, dass eine zweifellos hochgebildete Frau sich dermaßen in eine Weltanschauung verbissen hat, in der es vor Falschinformationen und Verschwörungsmurks nur so schwurbelt. Man könnte drüber lachen, mit welcher Ernsthaftigkeit sie den Zinnober (denn nichts anderes ist es: wissenschaftlich erwiesener Zinnober) verteidigt, als ginge es um ihr Leben. Man könnte es witzig finden, wenn das Ganze nicht so verdammt gefährlich wäre. Gefährlich und verletzend noch dazu.
Vor einigen Tagen befragte RAI Südtirol einige Oppositionspolitiker zum Haushalt, die Stellungnahmen wurden in der Tagesschau ausgestrahlt. Wie zu erwarten, fiel Renate Holzeisen dazu nur eines ein: Impfen ist böse. Denn, ich zitiere: „[…] wir werden vermehrt kranke Kinder und Jugendliche haben, die auch in der Schule dann vermehrt Stützpersonal erfordern und insgesamt für die Volkswirtschaft ein großes Problem darstellen werden.“ Wirklich, so der Wortlaut. Dazu muss man wissen, dass Holzeisen seit geraumer Zeit den längst widerlegten Mythos von der MMR (Mumps-Masern-Röteln)-Impfung, die Kinder autistisch werden lasse, verbreitet. Die Geschichte war in den 90er Jahren lanciert worden, als ein britischer Mediziner die Behauptung aufstellte, die Impfung schade dem Darm und begünstige dadurch die Entstehung von Autismus. Die der Behauptung zugrunde liegende Studie war gefälscht, der Mediziner verfolgte mit ihr eigene finanzielle Interessen, sie wurde seither vielfach widerlegt: Als Hauptursache für Autismus gelten genetische Faktoren.
Wir haben zwei Mediziner im Landtag, die wohl aus Genervtheit dazu schweigen.
Ein Revival erlebt die „Impfung verursacht Autismus“-Unwahrheit aber derzeit in den USA, da Trump mit Robert F. Kennedy Jr. einen Impfgegner und Verschwörungstheoretiker zum Gesundheitsminister gemacht hat, der sich übrigens in seiner Freizeit tote Wale aufs Autodach bindet. Dank Kennedy findet sich auf der offiziellen Homepage der US-Gesundheitsbehörde seit November der irreführende Eintrag, dass die Aussage „Impfstoffe verursachen keinen Autismus“ nicht wissenschaftlich gestützt sei. Für Holzeisen offenbar Grund genug, sich mit umso mehr Verve auf die längst widerlegte Geschichte zu stürzen und sie zu platzieren, wo nur möglich – eben auch mit dem oben zitierten Sager im RAI-Interview.
Es ist erschütternd, dass die RAI dem nichts zu entgegnen hat, sondern sich zur Handlangerin macht, indem sie eine dermaßen ungeheuerliche und erwiesenermaßen falsche Aussage (die noch dazu am eigentlichen Thema Haushalt völlig vorbeigeht) unkommentiert im Abendprogramm verbreitet. Es ist erschütternd, dass wir zwei Mediziner im Landtag haben, die wohl aus Genervtheit dazu schweigen, obwohl es doch ihre Aufgabe und im Sinne ihres Berufsethos wäre, nach jeder einzelnen dieser Impf-Tiraden das Wort zu ergreifen und die Sache richtigzustellen.
Am allermeisten aber erschüttert mich, dass Holzeisen mit ihrer Behauptung Eltern nicht bloß Angst einjagt, ihre Kinder könnten erkranken und eine Belastung für die Gesellschaft werden, wenn sie sie impfen lassen (wo doch das Gegenteil der Fall ist). Das Statement impliziert im Umkehrschluss auch, dass Eltern den Autismus ihres Kindes hätten verhindern können, wenn sie es nur irgendwie vor der Impfung bewahrt hätten. Was für ein Affront für Familien, die ohnehin schon gefordert sind. Was für ein Schlag in die Magengrube! Dafür sind nun mindestens zwei Entschuldigungen bei den Betroffenen angebracht: Eine von Seiten der RAI und eine von Holzeisen selbst.
Das Problem ist doch…
Das Problem ist doch generell, dass dieses Thema mit religiösem Eifer gehandhabt wird. Nicht nur von Impfgegner, Impfskeptikern oder Kritikern der diversen Impfpflichten, sondern leider auch von Impfbefürwortern.
Ich nenne ein besonders absurdes Beispiel:
Der sogenannte "Herdenschutz" bzw. die "Herdenimmunität ist eines der wichtigsten und auch sinnvollsten Argumenten für Maßnahmen, die eine hohe Impfquote gewährleisten. Kurz erklärt funktioniert das so: Wenn man eine Gruppe aus von 10 Kindern hat, von denen 8 oder 9 geimpft sind, sind auch die 1-2 nicht geimpften Kinder "geschützt" eben weil bei klassischen "Kinderkrankheiten wie Masern die geimpften Kinder die Erkrankung nicht übertragen können.
Es ist also objektiv betrachtet völliger Unsinn, ein nicht geimpftes Kind aus einer Kindergartengruppe mit über 90% Impfquote auszuschließen. Man konterkariert damit ja die eigenen Argumente.
Wenn wir als Gesellschaft so "neidisch" sind, dass wir einem nicht geimpften Kind den Herdenschutz nicht gönnen, sondern es aus dem Kindergarten ausschließen und von "Trittbrettfahrern" sprechen, können wir uns doch jede Aktion für höhere Impfquoten gleich sparen.
Ich bin davon überzeugt, dass der Widerstand im Bereich des gesamten "Impfthemas" deutlich geringer wäre, wenn wir es einfach entspannter handhaben würden.
Antwort auf Das Problem ist doch… von Oliver Hopfgartner
Warum du dich als Mediziner…
Warum du dich als Mediziner in dieses Thema so gekonnt oberflächlich einlässt, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Die von dir zitierte MMR-Impfung ist hochwirksam, stimmt, aber es gibt keine einzige Studie, die hundert prozentige bleibende Immunität garantiert. Etwa 8% der Geimpften entwickeln keinen zuverlässigen Schutz gegen Masern, rund 35% keinen gegen Mumps. Erst die zweite Impfung verbessert die Werte auf rund 98%. Das hat - wie du sicher weißt - verschiedene Gründe. Selbst nach der zweiten Impfung (die kein Booster ist, sondern den Zweck hat möglichst jene 8 bzw 35% aufzufangen) sind diese Kinder also nicht geschützt und wissen es meist gar nicht. In der Regel erwischt es solche Kinder zwar mild und mit weit weniger Komplikationen, aber sie sind trotzdem infektiös und dann sind besonders die gefährdet, die eben nicht geimpft sind. Oder umgekehrt, ein nicht geimpftes Kind steckt ein geimpftes an, das leider unter den 2% ist. Auf ein Glückspiel sollte man sich da nicht einlassen. Besonders weil es die Verbindung MMR - Autismus nicht gibt.
Dass du das zu einer Neiddebatte verkommen lässt ist krass.
Der Widerstand gegen die Impfung würde besonders dann verschwinden, wenn nicht andauernd Leute Märchen darüber erzählen würden, die Menschen verängstigen. Im Fall der Besagten so unverschämt, dass man bei genauerer Betrachtung sogar das Strafgesetzbuch bemühen könnte. Locker gehandhabt wird das Thema eigentlich nur in Ländern, in denen es für die Menschen eine moralische Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft ist, auch für den Schutz des Nächsten zu sorgen. Dort braucht es tatsächlich keine Impfpflicht. Aber bei rund 25% Impfgegnern wie in Südtirol?
Antwort auf Das Problem ist doch… von Oliver Hopfgartner
Zitat: “Wenn man eine Gruppe…
Zitat: “Wenn man eine Gruppe aus von 10 Kindern hat, von denen 8 oder 9 geimpft sind, sind auch die 1-2 nicht geimpften Kinder "geschützt"...”:
das ist richtig, nur: wenn der Argumentation der Impfgegner gefolgt wird, reduziert sich eben die Impfquote von 80 oder 90% immer weiter - und was dann?
Was sagt der Arzt, wenn die Impfquote aufgrund der Impfgegner - die ja Recht haben? - auf 50% und weiter runter absinkt?
Was dann?
Antwort auf Zitat: “Wenn man eine Gruppe… von Peter Gasser
Wenn wir uns die Sache…
Wenn wir uns die Sache datenbasiert anschauen, ist Ihre Befürchtung von einem Abfall der Impfquoten auf z.B. 50 % eine sehr unplausible Annahme. Vor Einführung der Impfpflicht gegen Masern lag die Impfquote in Italien von Jahr zu Jahr schwankend zwischen 80-90%. Diese Zahlen habe ich von der WHO-Seite.
Außerdem zeigt ein Blick in Länder ohne Impfpflicht, dass auch dort Quoten zwischen 80-95% erreichbar sind. Daher ist eher davon auszugehen, dass ein Abfall auf 50 oder 60 % sehr unwahrscheinlich ist.
Ich persönlich denke, es würde im ersten Moment zu einem spürbaren Abfall (bis zu 5%-Punkte z.B. von 88 auf 83%) kommen, mittelfristig aber durch eine auf Information und Angeboten basierende Maßnahme auf gleiche oder sogar höhere Niveaus als unter Impfpflicht steigen wird. Überzeugte Impfgegner sind eine Minderheit. Die meisten Leute vertrauen ihren Kinderärzten, selbst wenn sie selbst skeptisch sind. Daher ist ja das Vertrauen zu den Behandlern so wichtig. Eine Pflicht unterminiert dieses Vertrauen.
Dazu gab es auch mal eine interessante psychologische Studie, die zeigte auf, dass zu aggressive Kampagnen eher zu Widerstand führen. Ähnlich wie wenn man in ein Verkaufsgespräch mit einem schlecht geschulten, übereifrigen Vertriebler gerät. Auch diese Studie kannst du einem meiner Artikel zum Thema Impfpflicht auf einem Südtiroler Portal über linksgrün-versifften Separatismus nachlesen ;)
Es gilt der Gruppenzwang…
Es gilt der Gruppenzwang. Ubbidire, combattere, etc. etc.
Ohne einen gewissen Druck…
Ohne einen gewissen Druck werden wohl die vielen Zweifler oder Unsicheren unter Anderem aufgrund der Äußerungen einer Holzeisen oder eines amerikanischen "Gesundheitsministers" (sic), eher nicht zu einer Imfpung tendieren. Dann wäre es sehr schnell Essig mit der Herdenimmunität.....
Holzeisen, ich denke sie hat…
Holzeisen, ich denke sie hat irgendwo eine Abfahrt verpasst, das Problem ist nicht sie- sondern die Leute die sie gewàhlt haben.
Hoffentlich brauchen diese Leute nie eine Tetanus Impfung!!
Impfmythen? Frau Kienzl,…
Impfmythen? Frau Kienzl, nehmen sie sich auch Zeit dieses Dokument zu lesen:
https://cmsindipendente.it/obbligovaccinale
Die Autorin macht doch…
Die Autorin macht doch selber wieder das Fass mit den Impfungen auf.
Unterschiedliche Zugangsweisen zu einem Thema sind in einer Demokratie eben auszuhalten, vor allem als Journalistin.